POWERMETAL.de - The Essentials: Platz 9
13.08.2018 | 07:54Weiter im Text geht es mit dem neunten Platz unserer Reihe. Relativ überraschend taucht hier das sensationelle Zweitwerk der Wunderproggies PSYCHOTIC WALTZ auf. Die Band, die in jüngerer Vergangenheit wieder mit tollen Konzerten erfreuen konnte, arbeitet aktuell an einem Reunionalbum und dürfte somit eine der am heißesten erwarteten Scheiben der Zukunft am Haken haben.
Zu seinen Lieblingsalben hat jeder unter uns wohl eine besondere Beziehung. Manchmal ist es Liebe auf das erste Ohr, manchmal verbindet man einfach eine sehr wichtige Zeit mit dem Werk, manchmal dauert es aber auch Jahre bis man den Wert von besonderer Musik erkennt. In diese Kategorie fallen bei mir sowohl "A Social Grace" wie auch "Into The Everflow" von PSYCHOTIC WALTZ. Kurz nach Release von "Into The Everflow" bekam ich beide Werke von einem damaligen Bekannten auf Tapes überspielt. Und war nach dem ersten Durchgang völlig verwirrt und total ernüchtert. Diese angeblich so großartige Band spielte Musik, die mein Hirn so gar nicht verarbeiten konnte. Es dauerte von diesem Moment fast zwei Jahre bis zur Erleuchtung. Als im "Rock Hard" 1994 eine Story zu PSYCHOTIC WALTZ angekündigt wurde, holte ich eines der besagten Tapes heraus, um es auf einer Zugfahrt zu hören. Es war ein warmer Frühlingstag, alles blühte und mit den ersten Takten von 'Ashes' begann eine beinahe surreale Reise. Ich war wie hypnotisiert von der Stimme dieses Schlangenbeschwörers und von den Gitarrenduellen von Dan Rock und Brian McAlpin, dazu fasziniert von der Prise Irrsinn, die Songs wie 'Tiny Streams' oder 'Freakshow' innewohnten. Die Zugfahrt dauerte etwas mehr als drei Stunden. Vier Mal lief in dieser Zeit "Into The Everflow". Bereits beim zweiten Mal bat mich mein Sitznachbar meine Percussion am Tisch (es lief natürlich 'Butterfly') einzustellen. Er musste diese Bitte noch zwei Mal wiederholen. Es sind Erlebnisse wie diese, die sich für immer ins Hirn einbrennen, die dafür sorgen, dass aus Alben mehr als Musik wird. Das Außergewöhnliche an PSYCHOTIC WALTZ ist, dass diese Musiker dies mehr als einmal bei mir erreichen konnte. Von dieser Sorte Band gibt es in meinem Universum nicht viele Exemplare.
[Peter Kubaschk]
Wer unsere Seiten schon etwas länger besucht wird wissen, dass es sich bei dieser Band um eine absolute Herzensangelegenheit meinerseits handelt. Bei PSYCHOTIC WALTZ bin ich Fanboy (s. Photo mit einem kleinen Auszug meiner Waltz-Shirts) und Into The Everflow" ist die Krönung ihres Schaffens für mich. Da ich bereits ein recht ausführliches Review vor einigen Jahren auf diesem Portal hinterlassen habe, macht es wenig Sinn, hier jetzt erneut auf die Klasse der einzelnen Songs einzugehen. Von daher möchte ich heute über mein wohl coolstes Konzerterlebnis berichten. Wir schreiben den 8. Oktober 1995 und ich freue mich auf ein weiteres Konzert meiner Lieblingsband. Beim Betrachten der Tourneedaten bin ich allerdings schon im Vorfeld ins Grübeln gekommen; spielt die Band doch am Abend zuvor in Italien. Die zurückzulegende Strecke zwischen den beiden Spielorten ist nicht unerheblich und so kommt es wie es kommen muss: Der Bandbus der Musiker ist am Abend noch nicht an der Hamburger Markthalle angekommen. Irgendwann trudeln die Jungs der Supportband SOUL BROTHER ein, die aber auch nichts genaueres über den aktuellen Stand der Dinge wissen. Die Zeit verrinnt und irgendwann entscheidet man, dass das Konzert leider ausfallen muss. Inzwischen dürfte es 23 Uhr sein. Mit enttäuschten Gesichtern trollen wir uns also aus der Halle und treffen an der Straße auf den gerade eingefahrenen Tross der Musiker, die völlig baff sind, dass überhaupt noch so viele Leute vor Ort sind. Nach einigen Diskussionen lautet die neue Meldung: Das Konzert findet doch noch statt! Zwar ohne Tresen, was in Anbetracht der auf uns zukommenden Musik völlig zweitrangig wird. Zur allgemeinen Erheiterung darf sogar die Vorband noch ran, was nur für das tolle Verhältnis zwischen den beiden Bands spricht. Irgendwann nach 2Uhr betreten dann Buddy, Dan, Brian, Ward und Norm die Bühne der kleinen Markthalle und fangen an zu spielen. Sofort wird klar, dass diese Nacht eine besondere Nacht werden wird, denn vom ersten Song an, sind alle tapfer Dagebliebenen (es ist ein Wochentag!) wie in Trance und feiern die Band ab als gäbe es kein Morgen. Die Band reagiert darauf in einer Art und Weise, wie man sie kaum in Worte kleiden kann: Sie spielt noch verträumter als eh schon. Irgendwann stellt Buddy die Frage, ob sie nun aufhören sollen, da es ja schon so spät sei oder ob man lieber bis zur ersten Bahn weiter spielen soll. Die Antwort ist schnell ermittelt und so vergehen 150 Minuten wie im Flug. Gegen 5 Uhr in der Früh geht ein Konzert zu Ende, an welches ich heute noch mit Entenpelle zurückdenke und welches den Status der Band so wunderbar wiedergibt. Egal mit welchen Widrigkeiten man zu kämpfen hatte, man machte immer das Beste daraus. Das Beste für die Fans. Man nimmt sich nach dem Konzert sogar noch Zeit zum Plausch, sodass ich direkt aus der Halle zum Bäcker frühstücken und dann arbeiten gegangen bin. Vielen Dank!
[Holger Andrae]
Es gibt Alben, die ich gerne als "Gamechanger" bezeichne. Denn sie markieren ein Hörereignis, das den eigenen Geschmack nachhaltig prägt und verändert. Solche "Gamechanger" gibt es selten und ich zähle seit meiner aktiv musikhörenden Zeit (die im Alter von ca. sechs Jahren begann) vielleicht fünf oder sechs solcher Alben. Die frühen und die späten haben in so einer Liste keine Chance und als ich "Into The Everflow" 1992 das erste Mal hörte, hätte ich auch nie gedacht, dass sich 26 Jahre später genug Leute zusammentun, die genau diese Scheibe unter die Top10 einer Bestalben-Liste wählen würden.
Ich war 18 Jahre alt und schon damals muss in mir der Wunsch geschlummert haben, mal Texte über Musik zu verfassen. Ich habe soeben meine damaligen Aufzeichnungen wieder gefunden. Dort notierte ich zum Titeltrack: "Ein Acht-Minuten-Epos, das sich langsam steigert. Melancholie und Depression nehmen mit jeder Minute zu. Und zum Schluß entlädt sich das Ganze - nein, nicht in einem Stampf-Brüll-Dresch-Ende, sondern in dem wahrhaft schönsten, ausuferndsten Soli, die ich je gehört habe. Ein echter musikalischer Orgasmus."
Nun, viele Punkte sehe ich noch nach 26 Jahren so. Solche Soli habe ich anderswo noch immer nicht gehört. Depressiv empfinde ich die Musik aber nicht mehr und einen Kommentar zur damals gehypten Death-Metal-Welle (die ich echt gehasst habe) würde ich auch nicht mehr in ein solches "Review" einbauen.
Doch warum war "Into The Everflow" damals ein "Gamechanger"-Album? Nun, es hat für mich die Grenzen dessen, was mit Heavy Metal möglich ist, verschoben. So steht es in meinem damaligen Fazit, und genau so würde ich es heute noch formulieren. PSYCHOTIC WALTZ spielte Riffs von einer bis dahin unerhörten Komplexität, die in meiner damaligen Wahrnehmung selbst DREAM THEATER übertraf, vor allem weil sie härter waren. Dann dieser hochemotionale, mich tief berührende Gesang von Buddy Lackey ('Hanging On A String'). Und auf dem Gipfel diese magischen zweistimmigen Gitarrensoli. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie man diesen Sound hinbekommt und was das für Tonleitern sind, die WALTZ hier verwendet. Und ich will es auch gar nicht wissen, um mir diese Magie für immer zu behalten. Und mehr Worte würden diese vermutlich auch zerstören. Ich lausche...
Durch das Debüt "A Social Grace" war ich zum Fan der Formation geworden und daher war der erste Eindruck des heißersehnten, im November 1992 nachgereichten zweiten Langeisens ein eher enttäuschter. Die Chose wirkte nämlich auf den ersten Eindruck hin vergleichsweise gemäßigter und auch geradliniger. Doch genau das war es schlussendlich, weshalb sich die acht Songs nach wenigen Durchläufen regelrecht im Gedächtnis einbrannten und dort bis heute einen Fixplatz einnehmen.
Schließlich hat sich an der Faszination dieses Werkes nichts verändert, das den Hörer mit dem von sphärischen Gitarrenpassagen eingeleiteten 'Ashes' in eine ganz eigene Klangwelt förmlich entführt. Ebendort lässt uns der im Vergleich zum Debüt in Summe sogar noch stärker agierende Buddy Lackey mit 'Out Of Mind' danach regelrecht abheben, ehe es in 'Tiny Streams' einen Tick gefühlvoller und verspielter zur Sache geht und man auch 26 Jahre später einfach nur „Amen“ sagen kann.
Die erste Textzeile des Monumentalepos von Titeltrack 'I climb up to the mountain, just to share my point of view' sollte für die Band zwar in gewisser Weise zum Programm werden, schließlich konnten sich unzählige Fans auch mit den lyrischen Vorträgen von PSYCHOTIC WALTZ identifizieren, kommerziell erfolgreich sollten aber dennoch andere Bands werden.
Diejenigen mögen ihre Klientel womöglich unter den von Buddy sarkastisch besungenen 'Little People' gefunden haben, oder gar in einer 'Freakshow' aufgetaucht sein - PSYCHOTIC WALTZ jedenfalls konnte sich damit, noch viel mehr aber mit der Gänsehautnummer 'Hanging On A String' sowie dem fast zehnminütigen Finale 'Butterfly' auf ewige Zeiten einen Platz in den Herzen ihrer Fans erspielen. Ein unglaublich ergreifend und ein unerreicht prickelndes Hörerlebnis, das auch bei den zig Live-Darbietungen, die man in all den Jahren danach erleben durfte, durchwegs zu überzeugen wusste!
Es gibt kaum Alben in meiner Sammlung, die mit einer Art festem Ritual einher gehen. Es muss 2001 gewesen sein, ich hatte den Prog gerade vor 2 Jahren entdeckt, war noch immer in einer schwer frickelproggigen Phase und saugte von WATCHTOWER, SIEGES EVEN, YES, GENESIS bis GORDIAN KNOT alles mit ungeraden Takten in mich auf. Natürlich war schon öfter der Name PSYCHOTIC WALTZ gefallen, aber es dauerte doch eine Weile, bis die damals im Laden nicht mehr erhältlichen ersten beiden Alben via eBay zum schülerfreundlichen Preis erstanden werden konnten. Warum ich "Into The Everflow" zuerst anhörte kann ich nicht sagen. Dass beide Alben unglaublich sind, weiß ich ja eigentlich, und man sollte meinen, wenn man sie so oft gehört hat, würde einen das nicht mehr überraschen - aber das Ergebnis ist bis heute gleich: direkt nach dem Start empfangen einen majestätische, düstere Synthies, traumhafte gedoppelte Gitarren umgarnen einen und plötzlich nimmt ein Song wie ein spiralarm einer Galaxie Fahrt auf, Gitarren wie kosmische Hornissen umschwirren einen, ziehen einen in eine fremdartige, freakige Welt. Ich erwische mich bei wirklich jedem Mal, wenn das Album in den Player kommt, wie mir das Hirn schon hier schmilzt, der Kiefer auf dem Boden klappert und ich fieberhaft Repeat drücke. Kein Durchlauf ohne 'Ashes" mindestens zwei Mal gehört zu haben.
Aber nicht nur hier ähnelt sich jeder Durchlauf aufs Neue: jeder einzelne Song baut eine Spannung und Atmosphäre auf, dass man kaum atmen kann, die Gitarren klingen, als würden Aliens auf der Erde mit riesigen Raumschiffen landen, ein gnadenloser Fiebertraum zwischen realitätsverschobenen versponnenen Geschichten und morbiden Achterbahnfahrten auf der Absurdität des Seins. Das ist schon vollkommen abgepfiffen, wirkt aber halt nie konstruiert oder absichtlich auf Proggy getrimmt.
Im Gegenteil: trotz all den Gitarrenausrastern und Eskapaden der Rhythmusfraktion bleibt genug Zeit, die herrlichsten Melodien zu spannen, balladeske, ruhige Momente zu entwerfen oder genüsslich alles humorvoll über den Haufen zu werfen. Denn gerade auch diese manchmal nur Sekunden dauernden Einwürfe, die kurzen Cheech & Chong-Samples, die lyrisch wie musikalisch eingebundenen Zitate ('Butterfly', ich schau in deine Richtung!) die sich in dein Hirn fressen, bei denen man jedes Mal feist grinsen muss und auf die man jedes Mal auf's Neue wartet geben den Songs zusätzliche Würze und Anreiz.
Es gab und gibt eine sehr kleine Zahl von Alben, die genau so klingen, wie ich sie mir vorgestellt habe, noch bevor ich sie kannte. Ich mochte schon immer trippend-versponnene psychedelic Passagen, esoterische Weltraumopern und frickelnden Prog Metal und schon beim ersten Lesen eines Reviews zu der Band kam exakt dieses Gefühl auf. Am Ende klang und klingt es wie in meinen kühnsten Träumen; mit einem Unterschied: das hier, das ist quasi die unbekannte Dimension, der Raum weit jenseits meiner Vorstellung.
Aber es ist mehr, es ist einfach auch das Gesamtpaket. Das Album, die Band, die Cover-Artworks, die damals noch schwer zugänglichen und eher spärlichen Informationen, die man sich zusammenklaubte, die Geschichten von drei Stunden langen Konzerten bis in den frühen Morgen, die etwas schrägen Bandfotos mit Batikshirts und Gesichtshälften-Bart. Irgendwie umgab die Band immer den Hauch des Besonderen, lädt ein zum Träumen und inspiriert und beseelt mich bis heute. Keine Ahnung, wieviele Stunden ich schon da saß und nur auf der Gitarre geübt habe, um irgendwann einen Hauch, eine Ahnung dessen nachzuspielen - oder zu erschaffen? Gelungen ist mir keins von beidem, und trotzdem, nein: gerade dafür kann man weiter träumen!
Ein Traum ganz anderer Art wurde dagegen 2011 und 2012 wahr: nachdem sich die Band vollkommen überraschend reformierte, kam man urplötzlich auf eine kurze Tour nach Europa, der Tourstart gleich in Stuttgart, quasi um die Ecke. Ich war aufgeregt, hibbelig und konnte es kaum erwarten. Vor Ort kam dann die Nachricht, dass der Headliner NEVERMORE nicht spielen würde - schade, aber in dem Moment egal. Eine Stunde später war ich so geflasht, glücklich, aber lange nicht zufrieden. Eine mickrige Stunde nur...
Ein Jahr später dann die Ankündigung eines 2.5-Stunden-Auftritts der Band beim "Keep It True" Festival. Wahnsinn! Durch einen glücklichen Zufall half ich in dem Jahr auch als Fahrer von Bands für den Organisator mit dem Auto meiner Mutter vor Ort aus. Mit dem Unterschied, dass es bis Heute das einzige Mal blieb, dass ich nervös-zittrig war, eine Band abzuholen: Meine Helden, Götter, die unerreichbaren PSYCHOTIC WALTZ! Nachdem mein Navi sich in Kreisen an das Hotel gepirscht hatte zerstreute sich meine Angst, die Jungs sein abgehoben, gesprächsfaul oder langweilig, sofort. Das magischste Gitarrenduo aller Zeiten Dan Rock/Brian MacAlpine und Roadmanager Ula unterhielten mich bestens, es wurden Anekdoten ausgepackt, über Gott, das Universum, die Musik bis ins kleinste Mikrodetail geredet. Besonders Ula war mindestens so beeindruckt und aus dem Häuschen von dieser Begegnung wie ich und fragte den beiden kolossale Löcher in den Bauch, die Hin- und Rückfahrt gehen blitzschnell rum. Und die Show erst... ich habe extra meinen Reisebericht, den ich damals geschrieben habe rausgesucht, da steht: "Danach PSYCHOTIC WALTZ angeschaut." 2,5h lang schlängelt sich die Band durch Alle Phasen des Schaffens, spielt (fast) alle ihre Songs und lässt mich vollkommen fassungslos zurück. Gespräche und Begegnungen, die ich NIE vergessen werde.*
Ich bin wech. Irgendwo gefangen im nimmerwiederkehrenden Strom milchigem Honigs, der mich durchs Universum trägt. An einen fernen Ort, an dem mich Dan Rock und Brian McAlpin mit einem Teppich aus singenden Melodiebögen einweben und Buddy Lackey als Flötespielnder Briefträger mir eine Briefmarke aufklebt.....
- Redakteur:
- Holger Andrae