SODOM: Eine Geschichtsstunde mit Andy Brings
12.11.2024 | 14:23Wir schreiben das Jahr 1992: Nach "Agent Orange" konnten die Thrasher SODOM ihren Status mit "Better Off Dead" manifestieren und am ganz großen Baum des Erfolgs schütteln. Doch einige Besetzungswechsel bereiteten Herrn Angelripper Kopfschmerzen. Gemeinsam mit seinem alten Weggefährten Chris Witchhunter (R.I.P.) suchte Tom einen geeigneten Nachfolger für Michael Hoffmann und fand ihn im blutjungen und hungrigen Andy Brings. Sage und schreibe 34 Jahre später knallt sein Einstiegswerk "Tapping The Vein" noch immer wie Bolle und an allen Ecken und Enden blitzen Erinnerungen auf. Es kommt sogar noch besser: Dieser Rundumschlag erfährt nun eine beachtliche Wiederveröffentlichung und bietet uns die Gelegenheit, mit Herrn Brings ein wenig in der Vergangenheit zu kramen.
Andy, ein großes Dankeschön an dieser Stelle, dass du dich meiner Fragen zur kommenden SODOM-Wiederveröffentlichung annimmst. Für dich war "Tapping The Vein" ein besonderes Album, für mich tatsächlich auch. Wie geht es dir 32 Jahre nach diesem Hammerschlag?
Hallo, sehr gerne. "Tapping The Vein" war meine erste Veröffentlichung als Musiker überhaupt und wie alle ersten Sachen im Leben, hat auch diese einen ganz besonderen Stellenwert und Nachhall in meinem Leben. In dieser und auch in jeder anderen Hinsicht geht es mir also sehr gut, danke der Nachfrage.
Ich müsste 16 gewesen sein, als ich damals auf einem Trödelmarkt in Kiel ein paar alte CDs am Stand sah. Und tatsächlich war auch die "Tapping The Vein" mit dabei, die ich allein wegen des Artworks kaufte und mich von 0 auf 100 in einer Sekunde gegen die Wand schoss. Welche Gefühle kamen in dir hoch, wenn du die 1992er Platte noch einmal aufgelegt hast?
Ehrlich gesagt, bevor die Arbeit daran losging, hatte ich das Album lange nicht gehört. Warum, kann ich dir nicht genau sagen, aber die Gefühle waren sowieso immer da, auch ohne proaktiv der Musik zu lauschen. Welche? Gemischte!
Chris Witchhunter hat dich damals in die Band gebracht. Somit war die "Tapping The Vein" dein Einstiegsalbum bei SODOM. Glaubst du, dass durch die Hinzunahme von dir als blutjungem und hungrigem Gitarristen die Platte noch derber geknallt hat als "Better Off Dead" oder "Agent Orange"?
Ich kam ohne jeden Ballast in die Band, war zu hundert Prozent out to kill, voller Energie und Elan. Das hat sich bis heute nicht geändert, damals hab ich nur weniger Geräusche beim Hinsetzen gemacht, haha. Ich hatte vor allem auch nichts zu verlieren, als totaler Nobody. Ein bereits etablierter Gitarrist, der vielleicht von einer bekannten Band gekommen wäre, wie es damals eigentlich üblich war, hätte vielleicht mehr aufgepasst und die Handbremse nicht gelöst. Mir war das alles scheißegal, ich wollte nur maximal ballern!
Auf den "Lords Of Depravity"-DVDs war immer die Rede von Klassentreffen. Tom und du hattet ja auch jahrelang keinen Kontakt nach dem Split. Wie kam denn der Kontakt wieder auf und wie nervös warst du, als ihr euch das erste Mal – auch im Rahmen der SODOM-Klassentreffen – wiedergesehen habt?
Tom und ich sind seit dem Jahre 2000 bereits wieder gut miteinander, die Klassentreffen kamen erst viel später. Es gab nur sechs Jahre Funkstille zwischen uns beiden, seitdem ist der Kontakt nie wieder abgerissen. Nervös war ich also nicht, nur in Einzelfällen leicht oder schwer genervt, weil ich nicht auf alle Beteiligten gleich viel Bock hatte. Wird denen mit mir aber auch nicht anders gegangen sein.
Ich will ehrlich sein: Mit dem ursprünglichen Sound ist "Tapping The Vein" eine Macht. Wie wurde denn die Idee geboren, dass ihr diese durch und durch besondere Platte noch einmal komplett neu auf den Markt bringen wollt?
Der Originalsound ist und bleibt eine Macht, deswegen haben wir das Album auch unverändert ins Paket genommen, es wurde lediglich remastert. Die Idee entstand bereits 2011, um das Album 2012 zum zwanzigjährigen Jubiläum neu zu veröffentlichen. Hat dann aber nochmal 12 Jahre gedauert. "Tapping The Vein" ist in Kultalbum geworden im Laufe der Jahre und nach dem, was ich immer so lese, neben "Agent Orange" mit das beliebteste Album von SODOM. Es hat einen besonderen Platz im Herzen der Fans, was mich wirklich sehr freut.
Die Platte erfährt nun – dank dir als Produzenten – eine Deluxe-Wiederveröffentlichung bestehend auch aus einer von dir komplett neu gemischten Version mit einigen alternativen Takes von drei Tracks. Hattet ihr die alten Bänder noch im Keller oder wie kam diese Idee zustande?
Klar, die Originalbänder waren vorhanden. Wir haben sie 2011 schon digitalisieren lassen, seitdem liegt das Projekt bei mir auf. Der Remix war mir als Sekundärliteratur sehr wichtig, um die Story des Albums einfach etwas zu erweitern. Ich bin sehr tief in die Produktion eingetaucht und habe so eine schöne Ergänzung zum Original geschaffen.
Das Rundum-sorglos-Paket beinhaltet auch drei Konzerte von 1992 – Tokio, Düsseldorf und Köln. Deine erste Asien-Reise? Kannst du dich an die damalige Zeit erinnern und wie es war, das erste Mal vor solch einem besonderen und frenetischen Publikum zu spielen?
Da ich immer schon kaum bis gar keinen Alkohol getrunken habe, von anderen Drogen ganz zu schweigen, kann ich mich kristallklar an alles erinnern. Das war der Wahnsinn damals, ich war ja noch Schüler, als ich bei SODOM einstieg. Ich hab noch während meines ersten Jahres in der Band mein Abitur gemacht und danach auch noch parallel Zivildienst. Die Konzerte sind meine beste Erinnerung an diese Zeit.
Dazu die Konzerte in NRW – für dich als Mülheimer ja mehr oder weniger Heimspiel. Aber trotzdem eine besondere Sache, oder? Wie war es für dich in die Fußstapfen von Hoffmann oder Peppi zu treten und diese auch live auszufüllen?
Darüber habe ich keine Sekunde nachgedacht, ich war ja nie SODOM-Fan gewesen. Die ersten beiden Platten sind für mich damals wie heute absolut grauenhafte Machwerke. Die Alben danach kannte ich daher gar nicht. Ich habe mich erst damit beschäftigt, als ich in der Band war und dann auch nur mit den Songs, die wir live spielen wollten. "Better Off Dead" fand und finde ich richtig gut, aber keines der anderen SODOM-Alben habe ich jemals komplett gehört. Natürlich sind da gute Songs drauf, keine Frage, ich hab die Sachen von Frank und Michael immer gerne gespielt.
Die Kölner Show war leider Chris' letzte Show mit SODOM. Wenn dir die Frage emotional zu weit gehen sollte, ignoriere sie bitte. Aber Chris war maßgeblich an deinem musikalischen Werdegang beteiligt. Wie schwer wiegt dieser Abend in Köln bei dir? Wenn du die Chance hättest, ihm noch etwas mit auf den Weg zu geben, was wäre das?
Ich würde zu Tom und Chris sagen: "Jungs, wollen wir nicht mal reden? Einfach nur reden?" Aber so weit war man bzw. waren wir damals leider noch nicht.
Du hast ja auch die jüngere Historie von SODOM mitbekommen. War es für dich sehr überraschend als aus dem scheinbar ewigen Trio plötzlich ein Quartett wurde? Wie schätzt du den Vergleich zwischen SODOM heute und der SODOM-Mannschaft von 1992 ein?
SODOM ist für mich eine der Bands, die am besten und auch eigentlich nur als Powertrio richtig funktionieren. MOTÖRHEAD, VENOM... bei all diesen Bands ist der Bass so wichtig, dass er im Brei untergeht, wenn zu viele Gitarren mit rumsägen.
Ich kann mir vorstellen, dass viele SODOM-Fans eine besondere "Tapping The Vein"-Show mit dir an der Klampfe sicherlich begrüßen würden. Wie hoch sind die Wahrscheinlichkeiten hierfür?
Aktuell bei null, es ist nichts in der Richtung geplant.
Lass uns einmal in die Zukunft blicken. Du als Vollblut-Musiker hast doch sicherlich schon genaue Pläne für die Zeit nach der "Tapping The Vein"-Party, oder? Wie geht es mit DOUBLE CRUSH SYNDROME weiter und hast du derzeit noch andere Projekte, von denen du uns erzählen möchtest?
SODOM geht sicher weiter, mit "Get What You Deserve" etc., ansonsten bleibe ich weiter als Musiker und hinter den Kulissen fleißig, wie immer.
Ich kann mir vorstellen, welchen Stellenwert "Tapping The Vein" in deinem Herzen hat. Aber gibt es noch eine weitere Platte, die du entweder produziert hast oder auf der du als Musiker zu hören bist, die einen ähnlich großen Stellenwert hat? "Get What You Deserve" zählt nicht, haha.
Mein aktuelles Soloalbum "Süden" liebe ich sehr, ebenso die Sachen, die wir mit DOUBLE CRUSH SYNDROME gemacht haben, darauf bin ich sehr stolz. Auch das dritte THE TRACELORDS-Album "The Ali Of Rock" höre ich mir immer noch gerne an, eine fantastische Platte war das.
Mein lieber Andy, es hat Spaß gemacht ein wenig Geschichtsunterricht zu bekommen. Ich hoffe, schon sehr bald wieder von dir zu hören. Was möchtest du unseren Lesern von POWERMETAL.de und deinen Anhängern mit auf den Weg geben?
Wählt keine Nazis! Danke, herzliche Grüße!
Fotocredits: Babse Thoben
- Redakteur:
- Marcel Rapp