SOILWORK: Interview mit Björn "Speed" Strid

22.04.2023 | 22:09

Bereits im vergangenen Jahr durfte ich mit SOILWORK-Kopf Björn Strid eine tolle Podcast-Folge zum noch immer aktuellen "Övergivenheten"-Album aufnehmen, welches auch viele Monate später fleißig Runden dreht. Nun ist SOILWORK im März gemeinsam mit KATAKLYSM und WILDERUN auf großer Deutschland-Tour gewesen, die lediglich durch Speeds Shows mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA in Schweden unterbrochen wurde. Und während des zweiten Teils der Double-Headlinertour – diesmal allerdings mit HORIZON IGNITED anstatt WILDERUN – möchte ich euch mein Gespräch mit Björn in Bochum unmittelbar vor dem Gig nicht vorenthalten.

Und retrospektiv wird dieses Interview für mich immer etwas Besonderes sein, wird es im Laufe des Gesprächs nicht nur ob des tragischen Ableben Davids etwas sentimentaler. Auch die Tatsache, dass sich Björn nach seinem krankheitsbedingten Ausfall überhaupt die Zeit nahm, um mit mir über die aktuelle Tour zu sprechen, ist absolut nicht selbstverständlich. "Mir geht es schon etwas besser. In Berlin und Hamburg war ich nicht in der Lage auf der Bühne zu stehen. Da waren lediglich meine Kollegen am Start, bei mir ging stimmlich gar nichts. Heute ist der erste Tag, an dem ich auch wieder dabei sein kann."

Nur wenige Monate, nachdem er mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA Bochum unsicher gemacht hat, steht Speed also wieder auf den heiligen Brettern der Matrix. Diesmal mit SOILWORK und einem durch und durch besonderen Album. Ich frage ihn nach seiner persönlichen Beziehung zu Deutschland und den deutschen Fans. "Unsere ersten Shows außerhalb von Schweden waren in Belgien und auch in Deutschland. Deutschland lag uns immer am Herzen, wir hatten hier tolle Shows und es ist generell ein tolles Land für den Metal: Loyale Fans, wir wurden immer herzlich empfangen und die Leute lieben noch physische Produkte. Wir haben so viel Zeit hier verbracht, es fühlt sich wie ein zweites Zuhause an. Die deutschen Fans sind etwas mehr Die-Hard und haben zum Metal noch eine tiefere Tradition. Schweden ist auch ein tolles Land für den Metal, speziell in den letzten 25 Jahren hat sich in unserer Heimat sehr viel getan. Schon in den 1980er Jahren kamen viele Metalbands nach Schweden und so wuchs die Fangemeinde stetig. Aber in Schweden blieben Fans auch Fans und in Deutschland wurden aus Fans auch mehr Bands. Gefühlt ist Deutschland für viele Bands eine zweite Heimat und auch wir fühlen uns unheimlich wohl hier." Hierbei sprachen wir auch über die Dankbarkeit und den Enthusiasmus seitens der Fans, nachdem die Corona-Situation wesentlich entspannter und Live-Konzerte wieder möglich gemacht wurden. "Mir kommt es tatsächlich so vor als hätten wir den 'Summer Of Love' von 1969, nachdem sich die Situation verbessert hat. Bei uns in Schweden ist es sehr hart, Tickets für Konzerte zu verkaufen. Da seid ihr Deutschen etwas anders, ihr geht auch wieder in Pubs, auf die Gigs eurer Lieblingsbands, habt Spaß und macht Party. Natürlich sieht die finanzielle Situation auch aufgrund des Kriegs und der Inflation schlecht aus, es ist eine merkwürdige Zeit. Viele schauen auf das, was sie vor Corona hatten, vergleichen es mit ihrem jetzigen Status und müssen Abstriche machen."

Björn ist Vollblutmusiker durch und durch. Wenn er nicht gerade mit SOILWORK oder THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA auf der Bühne steht, ist er mit diesen Bands oder anderen Projekten wie DONNA CANNONE oder AT THE MOVIES im Studio. Entsprechend fühlt sich die entspanntere Lage auch gut für ihn an. "Ich muss aber auch sagen, dass ich die erste Corona-Zeit und die damit verbundene Auszeit auch dringend gebraucht habe. Und so stand ich auch jetzt öfters an einem Punkt, an dem ich mich fragte, ob und wie ich wieder diese Person, die ich vor dem Corona-Ausbruch war, werden konnte. Ich liebe es, Musik zu machen, zu schreiben und aufzunehmen. Aber das Tourleben ist schon anders, wenn man jeden Abend in einer anderen Stadt ist und auch mal einen trinken geht. Aber das habe ich ziemlich reduziert, von daher fühle ich mich trotz der letzten Tage ziemlich wohl, haha. Es tut gut, wieder auf der Bühne zu stehen, auf jeden Fall."

Diesen Enthusiasmus sah ich auch vor einigen Monaten, als Björn mit THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA an beinah identischer Bochum-Stelle auftrat und den Nachtflug-Eskapismus herzenswarm und hymnenreich vorantrieb. Und über diesem Auftritt schwebte der Geist des kürzlich verstorbenen David Anderssons, Björns Mitmusiker bei SOILWORK und THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA und einer seiner engsten und besten Freunde. "Wie schon bei ORCHESTRA aber vor allem, wenn wir jene "Övergivenheten"-Songs performen, für die David verantwortlich war, fühlt er sich sehr präsent an. Bereits die Aufnahmen stellten ihn und uns vor besondere Probleme, sie waren sehr schwierig. Physisch und mental war er schon währenddessen sehr krank. Ich persönlich war sehr wütend und enttäuscht, da er mir sehr nah stand und es ihm so schlecht ging. Auch jetzt denke ich noch jeden Tag an ihn, er fühlt sich so nah an und ich vermisse ihn mehr denn je. Oft kommt es vor, dass ich denke "Oh, das muss ich David sagen, darüber müssen wir sprechen" und dann werde ich leider wieder auf den traurigen Boden der Tatsachen geholt. Und wenn man sich die Lyrics zum Album durchliest, dann sind da sehr düstere Sachen bei. Das hat sich auch schon auf der vorherigen EP gezeigt."

Ein emotionaler und guter Punkt, den Björn anspricht, denn die "A Whisp Of The Atlantic"-EP war für mich außergewöhnlich: Ich liebe den beginnenden Longtrack, rocke zu 'The Nothingless And The Devil', lasse den inneren Schweinehund mit 'Desperado' vor die Tür, nur um mittendrin die bittersüßen, melancholischen, traurigen und herzerwärmenden sowie heftigen Töne von 'Feverish' zu genießen. "Diese EP war in erster Linie Davids Schaffen. Zu dieser Zeit brauchte ich einfach eine Auszeit – auch von der Band. Doch Davids Kreativität war fast schon manisch, er konnte kaum rasten, sondern stürzte sich immerzu in die Arbeit. Denn wenn du rastest, hast du keine Möglichkeit mehr zu fliehen, die Kreativität und die Arbeit waren also sein Fluchtplan. Ich selbst brauchte allerdings diese Rast, wollte David aber nicht aufhalten, kreativ zu werden und ließ ihn das machen, was er tun wollte und letztendlich auch musste. Ich war also in die EP nicht so involviert wie in die SOILWORK-Arbeiten zuvor, sondern kam ins Studio, nahm die Vocals auf und das war's. In seiner Arbeit schlummerte vieles unter der Oberfläche, das auch durch die EP heraus musste. Er war schon damals in einer sehr destruktiven Zeit, einer äußerst düsteren Epoche. Aufgrund meiner Auszeit konnte und wollte ich kein Teil von dessen sein, weil ich selbst schon mal in einer ähnlichen Situation war – nicht derart extrem wie bei David, aber es war trotzdem nicht ohne. Wir alle lieben diese EP, lieben David und diese doch düsteren Lyrics zu sehen, zu lesen, ist noch immer sehr hart für mich."

Ich spreche ihm mein Beileid ob dieses enormen Verlustes aus und betone die Bedeutung der EP für mich, lenke aber danach das Gespräch in eine wesentlich hellere Richtung. Denn vor einigen Jahren gab es während eines SOILWORK-Konzerts – und hier wären wir wieder bei seinen Live-Erfahrungen – einen Hochzeitsantrag und während ich dieses besondere und schöne Vorkommnis ausspreche, beginnt Björn wieder zu lächeln. Ein schönes Lächeln. Wie es sich für Björn wohl angefühlt habe, auf solch einmaligem Wege die Show gestohlen zu bekommen? "Damit hatte ich absolut kein Problem, haha. Das hat er lange geplant und ich und die Band waren darauf vorbereitet. Eine tolle Erfahrung und Erinnerung, die wir gemacht haben. Die Wiesbaden-Show markierte ohnehin den Beginn eines kleinen Tour-Päuschens und ich war ohnehin stimmlich, so wie heute, etwas angeschlagen, aber es tat einfach gut Markus so glücklich zu sehen. Jeder hatte ein breites Grinsen im Gesicht."

Erst SOILWORK in Europa, dann THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA in Schweden, dann wieder SOILWORK in Europa – das Tourprogramm ist äußerst straff und stressig, oder? "Wenn ich einmal im Tourbus sitze, ist alles fein und wunderbar. Ich habe für mich einen neuen Weg gefunden, damit umzugehen. Vor allem der reduzierte Alkoholkonsum tut gut und hilft mir, mit allem wesentlich besser klarzukommen. Ich fühle diese innere Ruhe, wenn ich nicht gerade krank bin. Das schlaucht auch daheim, haha. Das macht es wiederum stressiger, da du als Frontmann performen und liefern möchtest, aber dein Körper einfach streikt. Und nach den letzten Jahren fühlt es sich einfach gut an, wieder live zu spielen. Die letzten Jahre waren für mich nicht einfach und so genieße ich auch den Tour-Alltag." Den genießt er auch mit einem neuen Mann am Bass: Rasmus Ehrnborn, der im Herbst vergangenen Jahres bereits bei THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA die Bühne mit Björn teilte. "Mit David spielte ich auch schon in beiden Bands. Mit Rasmus fühlt sich es unheimlich natürlich an. Ich schau über die Schulter, Rasmus ist da, grinst mich an, und alles ist wie immer, das macht sehr viel Spaß mit ihm."

Der Großteil der Tour – auch mit Rasmus – ist bereits gespielt und da die neue Platte "Övergivenheten" SOILWORK nochmals als Könige des melodischen Death Metals darstellte, fragte ich ihn, wie die Fans vor allem live die neuen Songs aufnahmen. "Ziemlich gut. Wir beginnen unsere Shows mit dem Titeltrack und das passt gemeinsam mit diesem atmosphärischen Intro unheimlich gut, wird vom Publikum sehr gut aufgenommen und eignet sich als hervorragender Opener. Aber die Fans lieben auch 'Electric Again', ich sehe so viele Reihen, die den Song mitsingen, und das verleiht dem Song nochmal das gewisse Extra."

Zum Ende wünsche ich Björn das Allerbeste für die Zukunft, für heute Abend, für generell. Ich spreche noch einmal sehr warme Worte bezüglich der "Övergivenheten"-Veröffentlichung aus. Eigentlich hätte ich ihm meine Review von einst auch Wort für Wort vorlesen können. Ohne eine letzte Bitte lässt mich Björn aber nicht gehen. "Ich möchte mich für den Berlin- und Hamburg-Ausfall entschuldigen, aber mein Körper hat mir einen Strich durch die Performance-Rechnung gemacht. Ich hoffe, ihr hattet dennoch Spaß. Wir versuchen Shows so gut es geht durchzuziehen und haben auch, glaube ich, erst eine Show in der Vergangenheit von SOILWORK während der fortlaufenden Tour gecancelt. Aber so haben meine Band und die WILDERUN-Jungs meinen Ausfall gut kompensieren können. Trotzdem tut es mir leid, aber die Stimme ist mein Instrument. Und wenn die nicht mehr da ist..."

Ein paar letzte Dankeschöns, ein, zwei Fotos und einen herzlichen Handshake später stehe ich nun wieder in den Hallen der Bochumer Matrix und warte auf die Dinge, die am heutigen Abend noch kommen. Und wie diese waren, erfahrt ihr hier.

Liebe Leser von POWERMETAL.de: Für mich war es eine besondere Herzensangelegenheit, diesen Ausnahmemusiker und durch und durch sympathischen Menschen für euch interviewen zu dürfen. Und euch auch ein großes Dankeschön, dass ihr es mir und uns überhaupt ermöglicht, solche Erfahrungen machen zu können. Passt auf euch auf und bleibt gesund!

Redakteur:
Marcel Rapp

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