SOULRELIC: Interview mit Tommy Suomala
26.01.2006 | 17:56Deutschland friert. Die Heizungen laufen auf Hochtouren, und eine dampfende Tasse Tee wärmt zusätzlich von Innen. In Finnland ist es bestimmt auch nicht wärmer - trotzdem trinkt Tommy Suomala, Sänger der finnischen Gothic Rock Hopefuls SOULRELIC, im heimischen Wohnzimmer lieber ein kühles Bierchen. "Für Interviews bringe ich mich gerne in Stimmung und bin am Ende dann manchmal auch ein wenig betrunken", lacht es mir aus dem Hörer entgegen. Beste Voraussetzungen also für ein unterhaltsames Gespräch über das unverschämt eingängige und doch gepflegt rockende Debütalbum "Love Is A Lie We Both Believed".
Elke:
Erzähl uns zunächst bitte etwas zur bisherigen Geschichte von SOULRELIC.
Tommy:
SOULRELIC entstanden 2003 auf Initiative unseres Keyboarders Jay Hölli. Er hatte ein paar Songs auf seinem Instrument komponiert, die man auch auf unserem ersten Album hören kann, und suchte nach passenden Mitstreitern. Einer davon war Gitarrist Antza Talala, der dann den Rest von uns anschleppte. Nach einigen gemeinsamen Proben ging alles ziemlich schnell: Wir nahmen unsere erste Promo-CD auf, schickten sie an diverse Labels, bekamen einige Angebote und akzeptierten schließlich das beste davon bei Spinefarm.
Elke:
Antza hat die Band aber bereits wieder verlassen, um sich auf TO/DIE/FOR zu konzentrieren.
Tommy:
Es gab ein paar Meinungsverschiedenheiten mit ihm. Wir haben ein offizielles Statement dazu auf unserer Webseite veröffentlicht, und mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen.
Elke:
Wie seid ihr auf seinen Nachfolger, Timo Niemistö, gestoßen?
Tommy:
Er wurde uns von Freunden empfohlen. Er ist ein netter Kerl und toller Gitarrist. Heute hatten wir die dritte Probe mit ihm und es lief sehr gut.
Elke:
Ich muss zugeben, mein erster Gedanke, als ich mir "Love Is A Lie We Both Believed" anhörte, ging in Richtung "oh nein, bitte nicht noch eine finnische HIM-Kopie". Stört es euch, dass man als finnische Gothic-Rock-Band automatisch mit den berühmten Landsmänner in einen Topf geschmissen wird?
Tommy:
Man tritt eigentlich immer in die Fußstapfen von irgendjemandem. HIM haben den Weg für viele andere Combos dieses Genres bereitet, und folglich wird jede nachfolgende mit ihnen verglichen. Ich sehe das auch nicht so eng. Wenn manche Leute uns eine gewisse Ähnlichkeit mit ihnen bescheinigen - was soll's?! Es gibt auch Parallelen zwischen SLAYER und frühen METALLICA oder METALLICA und BLACK SABBATH, wenn man noch weiter zurück geht. Es gibt immer jemanden, der schon früher da war.
Elke:
Ihr habt meiner Meinung nach auch einige Elemente von SENTENCED und sogar eine Spur von typisch finnischen Melodic Metal à la SONATA ARCTICA. Was sind eure Einflüsse?
Tommy:
Ich bin von vielen Bands beeinflusst, aber ich denke nicht, dass man sie aus meiner Performance herausfiltern kann. Ich höre eigentlich nicht viel Metal, eher Sachen wie DEPECHE MODE oder NICK CAVE AND THE BAD SEEDS, die große Vorbilder für mich sind, aber sich beispielsweise nicht in meinen Gesangslinien widerspiegeln. Es stimmt, dass wir einige Elemente von SENTENCED haben, die für mich ebenfalls ein wichtiger Einfluss sind. Tatsächlich hört sich aber Jay, unser Hauptkomponist, SENTENCED überhaupt nicht an. Er steht auf RUSH und TOTO und solchen Mist, den ich überhaupt nicht ausstehen kann.
Elke:
Der Titel eures Debüt-Albums "Love Is A Lie We Both Believed" (auf Deutsch: "Liebe ist eine Lüge, an die wir beide glaubten") klingt nicht gerade sehr optimistisch. Warst du schon oft unglücklich verliebt?
Tommy:
Eigentlich nicht. Die Texte wurden während einer bestimmten Phase meines Lebens geschrieben, in der ich gerade sehr schmerzvoll eine Beziehung beendet hatte. Weißt du, man liebt manchmal jemanden so sehr, dass irgendwann keine Liebe mehr übrig ist. Wenn du an die Liebe glaubst und sie schließlich zur Hölle wird, kannst du zu dem Schluss kommen, dass sie nur eine verdammte Lüge war. Solche Dinge passieren.
Elke:
Die Zeile "Love Is A Lie ..." taucht gleich in zwei Songs des Albums auf, nämlich dem zweiten 'Tears Of Deceit' und dem letzten 'Burned To Ashes'. Steckt irgend eine Absicht dahinter?
Tommy:
Zuerst war diese Zeile nur ein Teil von 'Burned To Ashes', doch dann dachte ich, dass wäre ein guter Titel für das Album. Als wir später 'Tears Of Deceit' schrieben, gab es diesen Mittelteil, zu dem mir einfach kein Text einfiel, also kam sie dort auch noch rein.
Elke:
Das Album bekommt allgemein recht gute Kritiken, oder?
Tommy:
Allgemein schon, aber die Reaktionen in Finnland waren ziemlich scheiße. Wir bekamen gute Reviews aus Deutschland oder Frankreich. Die Scheibe scheint in Europa besser anzukommen als in unserer Heimat.
Elke:
Woran liegt das?
Tommy:
Keine Ahnung. Vielleicht haben die Finnen einfach die Schnauze voll von Bands mit Make-up und Eyeliner. Sie halten uns alle für schwul.
Elke:
Im Gästebuch eurer Webseite versprecht ihr jedem ein Bier, der euch in seinen Review die volle Punktzahl gibt. Hat es geholfen?
Tommy:
(lacht) Keine Ahnung. Ich fürchte, Kritiker sind nicht sehr bestechlich, aber man kann es wenigstens versuchen.
Elke:
Der bekannte finnische Produzent Hiili Hiilesma war für den abschließenden Mix des Albums verantwortlich. Wie wichtig ist es für eine finnische Band, seinen Namen in den Credits aufführen zu können?
Tommy:
Ich denke nicht, dass es wichtig ist, seinen Namen verwenden zu können. Er arbeitet einfach sehr professionell. Es gibt nur wenige wirklich gute Mischer in Finnland, und Hiili ist einer davon. Ich finde, er hat sehr gute Arbeit geleistet.
Elke:
Hiili scheint für die finnische Szene so etwas zu sein wie Peter Tägtren für die schwedische - er hat mittlerweile fast überall seine Finger drin.
Tommy:
Es hat sich einfach herumgesprochen, dass es diesen finnischen Wunderknaben gibt, der ein guter Produzent und Mischer ist. Ich finde es schön, dass ein Typ aus Finnland auch im internationalen Geschäft Fuß fasst.
Elke:
Du hast bereits über die Vorurteile deiner Landsleute gegenüber Eyelinern gesprochen. Wie wichtig ist der optische Aspekt für euch - Make-up, Klamotten, Frisur und so weiter?
Tommy:
Nicht besonders wichtig. Ich habe auch schon Shows ohne Eyeliner gespielt und hatte kein Problem damit. Es ist mittlerweile einfach zur Gewohnheit geworden. Ich finde es aber wichtig, dass die Optik zur Musik passt, die man spielt.
Elke:
Es geht also auch um ein bestimmtes Image?
Tommy:
Natürlich ist ein gewisses Image wichtig, aber im Vordergrund sollte immer die Musik stehen. Hoffentlich mag niemand SOULRELIC nur wegen der Art, wie wir uns stylen. Es gibt aber eigentlich eher Leute, die uns deswegen hassen.
Elke:
Was ich sogar nachvollziehen kann. Als ich das Cover von "Love Is Lie ..." sah, dachte ich auch "oh Gott, was ist das?".
Tommy:
(lacht) Und, hasst du uns?
Elke:
Nein, keinesfalls. Die Musik ist zum Glück bedeutend besser als das Foto, wenn ich mir diese Aussage erlauben darf.
Tommy:
Natürlich darfst du das. Es ist ein lustiger Nebenaspekt, dass die Leute überrascht sind, wenn sie zunächst das Cover sehen und sich fragen, was das für Deppen sein mögen, und sich dann die CD anhören und denken "Hey, das klingt cool - Idioten können ja auch gute Musik schreiben".
Elke:
Ihr habt eure erste Europa-Tour bereits vor der Veröffentlichung des Albums absolviert. Mit wem wart ihr unterwegs?
Tommy:
Wir waren mit TO/DIE/FOR sowie einer deutschen Band namens DAS SCHEIT auf Tour.
Elke:
Wie haben die Leute auf diese unbekannte Band namens SOULRELIC reagiert?
Tommy:
Es war überwältigend. Sie schienen uns überall, wo wir spielten, zu mögen. Es war einen gute Werbung für uns und eine phantastische Erfahrung, aus der wir viel gelernt haben. Hoffentlich haben wir dabei auch einige neue Fans gewonnen.
Elke:
Gibt es eine Show, an die du dich besonders erinnerst?
Tommy:
Die Erinnerungen sind teilweise etwas getrübt. Es war wie drei Wochen Urlaub mit viel Alkohol und Spaß. Es gab einige tolle Shows, besonders die in Belgrad in Serbien. Die Menge flippte dort total aus. Während und nach dem Krieg traten dort überhaupt keine Bands auf und wir waren so etwas wie Pioniere. Die Leute waren total begeistert und es war schön zu sehen, wie glücklich sie waren, dass ein paar Bands aus anderen Ländern dort für sie spielten. Es war ein richtig gutes Konzert mit sympathischen Menschen und ich möchte eines Tages unbedingt nochmals dort auftreten.
Elke:
Es dürfte auf jeden Fall spannender gewesen sein, als nur irgendwo in Deutschland ein Konzert zu geben.
Tommy:
Eigentlich ist jede Show auf ihre Art besonders. Wenn du in Deutschland als nicht so große Band auf Tour gehst, sind möglicherweise nicht sehr viele Fans auf den Konzerten. Wenn du dann beispielsweise noch in Berlin auftrittst, spielen am gleichen Tag vielleicht noch ein paar größere Bands und du hast einfach das Nachsehen. Wir hatten aber auch tolle Shows in Deutschland und ich möchte auf jeden Fall wieder bei euch auftreten, besonders an den Orten, wo mehr los war. Es gab ein paar schöne Gigs und ein paar sehr miese.
Elke:
Wie ist der typische SOULRELIC-Fan - weiblich und sehr jung?
Tommy:
(lacht) Ich nehme es an. Natürlich sind die meisten Fans ziemlich junge weibliche Wesen. Aber ich erinnere mich an eine Show auf dem letzten Spine Feast in Helsinki. Nach dem Auftritt trank ich mein Bier an der Bar, und dann kam dieser große, kräftige Kerl auf mich zu, schüttelte mir die Hand und sagte "Wow, was für ein tolles Konzert". Viele Leute sind überrascht, wenn sie uns live spielen sehen. Ich denke, wir haben auch etliche männliche Fans, die auf SENTENCED und solche Bands stehen.
Elke:
Habt ihr bereits Pläne für eine Tour, um das Album zu promoten?
Tommy:
Wir haben ständig Pläne, aber sie lassen sich nicht immer so leicht in die Tat umsetzen. Ich glaube nicht, dass wir dieses Jahr noch auf Tour gehen werden, vielleicht nach dem nächsten Album. Wir hoffen einfach, dass es so bald wie möglich sein wird.
Elke:
Für die im Februar startende Deutschland-Tour von HIM, THE RASMUS und NEGATIVE wart ihr vermutlich zu spät dran, obwohl ich finde, dass ihr dort super reingepasst hättet.
Tommy:
Oh ja. Ich denke aber nicht, dass wir eine Chance gehabt hätten, auf diese Tour zu kommen. Toll wäre so etwas natürlich, aber man soll am Anfang nicht gleich zu viel erwarten.
Elke:
Was sind eure Pläne für die nahe Zukunft?
Tommy:
Wir wollen so viele Konzerte wie möglich spielen. Wir treten überall auf, wo man uns bucht. Im Moment schreiben wir bereits Material für das nächste Album, das ab August diesen Jahres aufgenommen werden soll. Aksu Hanttu von ENTWINE wird es wieder produzieren. Er ist ein toller Kerl und ein sehr talentierter Produzent und Musiker und war uns bereits auf dem ersten Album eine große Hilfe. Gleichzeitig proben wir mit unserem neuen Gitarristen für die anstehenden Shows. Wir versuchen einfach, die Maschine am Laufen zu halten.
Elke:
Ich habe in meinem Review geschrieben, dass ich die härteren Songs von SOULRELIC bevorzuge und nicht hoffe, dass ihr zu poppig werdet. Was dürfen wir denn vom kommenden Album stilistisch erwarten?
Tommy:
Es wird vermutlich etwas progressiver ausfallen. Unser Bassist Pecu, der neue Gitarrist Timo, Keyboarder Jay sowie unser Schlagzeuger Raymond sind alle phantastische Musiker und lieben diese progressiven Elemente. Es wird denke ich eine gute Mischung aus sanfter, harter und progressiver Musik.
Elke:
Das klingt schon mal spannend. Ich danke dir für dieses sympathische Interview und überlasse dir das letzte Wort.
Tommy:
Kauft euch das Album oder klaut es oder besorgt es euch sonst irgendwie. Und seid nicht so engstirnig und gebt uns eine Chance. Vielleicht können wir mehr werden als nur eine Eintagsfliege - das hoffe ich jedenfalls.
- Redakteur:
- Elke Huber