TURNER, JOE LYNN: Interview mit Joe Lynn Turner
13.07.2007 | 22:10Joe Lynn Turner ist eine verlässliche Größe in diesem schnelllebigen Business. Der Mitfünfziger veröffentlicht regelmäßig großartige Scheiben und stellte das mit "Second Hand Life" vor ein paar Monaten wieder eindrucksvoll unter Beweis. Diesmal hat der Sänger jedoch mehr Wert auf rollende Rocknummern gelegt und für meinen Geschmack an der einen oder anderen Ecke ein bisschen an gesunder Härte verloren. Das sieht Mr. Turner selbstverständlich etwas anders. Nachdem ich aber ein paar Tage auf den Interviewtermin warten musste, weil er in Japan weilte, sollte erst einmal geklärt werden, was Mr. Joe Lynn Turner im Land der aufgehenden Sonne so gemacht hat.
Joe:
Ich habe gerade eine Tour in Japan mit Graham Bonnet und ALCATRAZZ beendet. Die meisten Shows waren ausverkauft und das Publikum einfach unglaublich. Sie haben ständig mitgesungen. Ich plane, auch ein paar Shows mit Bonnet in Finnland zu spielen. Es war wirklich klasse auf dem gleichen Billing zu sein wie ein anderer ehemaliger Sänger von RAINBOW.
Chris:
Das klingt eigentlich auch für Deutschland ganz gut. Hier bist du ja aber erst einmal für das "United Rock Festival" in Ludwigsburg bestätigt worden. Das wird eine großartige Zeitreise in die Achtziger. Was erwartest du von diesem Festival?
Joe:
Geplant ist, ein bisschen von allem zu machen. Musik aus meiner Zeit bei RAINBOW und DEEP PURPLE und natürlich auch von meinen Solosachen. Ich freue mich wirklich darauf. Deutschland ist eines meiner liebsten Länder und ich habe viele Freunde dort. Es wird großartig sein, sie alle wieder zu sehen.
Chris:
Wie wäre es denn mit einem Wunschkonzert? Meine Vorschläge wären 'Dreaming' und 'Hold On' (von "Odyssey") ... :-)
Joe:
Ein Wunschkonzert, huh? (lacht) Das ist ein großartiges Konzept. Vielleicht werden wir es eines Tages mal ausprobieren. Ich habe die Setlist noch nicht endgültig fertig, weil ich noch ein paar Songs proben und mit der Band diskutieren möchte. Deine Vorschläge finde ich klasse. Das sind großartige Songs und auf das Album, das ich mit MALMSTEEN gemacht habe, bin ich wirklich sehr stolz.
Chris:
Wirst du denn darüber hinaus noch auf eine richtige Europatournee kommen, speziell nach Deutschland?
Joe:
Nein, es gibt keine Pläne für eine groß angelegte Europatour, außer den paar Daten, die momentan feststehen. Aber die Dinge können sich jederzeit ändern. Im Moment ist mein Tourplan bis September komplett gebucht. Auf meiner Homepage findest du alle europäischen Daten, die bisher bestätigt sind. Es wird diese eine Show in Deutschland sein (Rockfabrik in Ludwigsburg am So., 30.09.07 - Anm. des Verf.), außerdem spiele ich noch in Finnland und Spanien. Weiterhin wird es demnächst auch eine Show mit BRAZEN ABBOT geben.
Chris:
Mit welchen Musikern wirst du nach Europa kommen?
Joe:
Karl Cochran (ex-ACE FREHLEY BAND), der schon auf meinen letzten Scheiben gespielt hat, wird an der Gitarre mit dabei sein. Greg Smith am Bass, der ebenfalls einer der "usual suspects" (üblichen Verdächtigen - eine Anspielung auf sein letztes Soloalbum – Anm. des Verf.) ist. Außerdem noch Mike Sorrentino am Schlagzeug und Carmine Giglio an den Keyboards. Diese Jungs haben sowohl eine Verbindung zu Ritchie Blackmore als auch zum "Trans Siberian Orchestra", so gehören sie quasi zur Familie.
Chris:
Kommen wir mal zum neuen Album. Während "The Usual Suspects" noch klassischer Heavy Rock war, hast du deine Musik auf "Second Hand Life" etwas in Richtung klassischen AOR geändert. Willst du unbedingt einen Radiohit in den USA landen?
Joe:
Erst einmal, was die Leute in Europa unter "AOR" verstehen, war niemals eine typische Art von Musik in den USA und ist noch immer keine konkrete Musikrichtung. In den Staaten steht "AOR" für "Album Oriented Rock" und war ein populäres Radioformat in den Siebzigern und Achtzigern. Bands, die durch das AOR-Radio berühmt geworden sind, hatten viele unterschiedliche Stile ... einige klangen wie Country Rock, einige machten Progressive Rock und andere Jazz Rock. In den USA, wenn du "AOR" sagst, denken die Leute, du sprichst von diesem Radioformat. Ich würde meine Musik eher "Melodic Rock" nennen. "The Usual Suspects" war schon Melodic Rock, aber auf dem neuen Album haben wir uns noch mehr auf diese Richtung konzentriert. Der Grund dafür ist einfach, dass ich großartige Resonanzen der Fans für "Sunstorm", welches ebenfalls vollkommen Melodic Rock ist, und "Suspects" bekam.
Chris:
Gut, das ist tatsächlich die Frage, was die Leute unter dem jeweiligen Begriff verstehen. Für mich hat das neue Album eher etwas mit "Classic Rock" zu tun, aber lassen wir das. Mit 'Love Is Life' und 'Second Hand Life' hast du jedenfalls zwei lupenreine Partysongs auf dem Album ...
Joe:
Ich bin mir nicht sicher, was du mit Partysongs meinst. Ich würde einen Song wie 'Rock And Roll All Nite' von KISS als Party Rock bezeichnen. Beide Songs haben textlich einen viel tieferen Sinn als ein Partysong je haben kann, vor allem 'Second Hand Life'.
Chris:
Okay, okay, noch ein Fettnäpfchen. Aber mit 'Blood Red Sky' hast du einen wirklichen starken Rocksong auf dem Album, der perfekt für große Arenen geschrieben sein könnte. Wer kam eigentlich auf die coole Idee mit dem Gitarrensolo zu Beginn?
Joe:
Karl (Crochan) und mein Manager haben gemeinsam mit Bobby Held einen Großteil des Mixes gemacht während ich unterwegs war, so weiß ich nicht mehr genau, wessen Idee das war. Aber das Wichtigste ist, es ist eine großartige Idee und ein großartiger Song. Es scheint genau der Song zu sein, den die Leute in Europa und Japan am meisten lieben. Der Song hat eine "Romeo und Julia"-Story, inszeniert in orientalischen Skalen des Mittleren Ostens. Eine Geschichte von zwei Liebenden, die aufgrund der Vergangenheit niemals zusammen kommen können. Eine Tragödie der Liebe! Meine Zeit auf Tour in der Türkei mit Cem Koksal war eine Erfahrung, die mein Leben nachhaltig verändert hat. Ich wollte einiges davon in diesem Song verarbeiten. Karl kam mit diesem arabisch angehauchten Riff an und ich packte einen großen melodischen Refrain dazu. Ich war ziemlich inspiriert durch die mediterranen Farben, vor allem dem Sonnenauf- und -untergang. Ein wunderschöner blutroter Himmel, wenn die Sonne auf- und unterging. Die Mondsichel ist das Symbol der Türkei, und sie leuchtet immer am mitternächtlichen Himmel über dem Meer ... absoluter Wahnsinn! Der Text handelt genau davon!
Chris:
Mit 'In Your Eyes' hast du auch wieder eine starke Ballade geschrieben. Woher nimmst du nach so vielen Liebesliedern eigentlich noch immer deine Inspirationen?
Joe:
Ich ziehe meine Inspirationen aus allem, was ich beobachte. Viele meiner Texte werden aus einer Unterhaltung oder einer Situation, in der sich eine Person, die ich kenne, befindet oder befunden hat, geboren. Nicht alle meine Liebeslieder entstammen meiner eigenen Erfahrung. Ich nehme öfter die Erfahrungen anderer Personen und versuche, sie in einem Text zu verarbeiten.
Chris:
Gehen dir eigentlich Rocksongs oder Balladen besser von der Hand?
Joe:
Ich fühle mich bei beidem wohl. Sie sind sich sehr ähnlich und beide haben ihre eigenen Herausforderungen. Es hängt ein bisschen von meiner Stimmung ab, während ich komponiere. Einige Songs fließen mehr als andere, aber ich würde nicht sagen, dass ich mich bei dem einen oder anderen wohler fühle. Ich liebe es, beide Arten von Songs zu schreiben.
Chris:
Auf dem neuen Album gibt es beim Song 'Stroke Of Midnight' eine besondere Zusammenarbeit mit Ritchie Blackmore. Wie kam das zustande?
Joe:
Dieser Song wurde für DEEP PURPLE geschrieben, komplett mit den fantastischen Riffs von Ritchie Blackmore. Wir haben diesen Song aufgenommen als ich noch in der Band war und an dem Nachfolger von "Slaves And Masters" gearbeitet haben. DEEP PURPLE haben den Song als 'One Man's Meat' erneut aufgenommen. Ich hatte den Segen von Ritchie, den Song in der Originalversion zu machen und er ist sehr nah dran. Alles dreht sich um ein klassisches Bluesriff und textlich geht es um eine Tänzerin, die zwei Leben führt - ein privates und ein Leben auf der Bühne als jedermanns Traumfrau. Es gibt eine wahre Person hinter der Fassade, die die Leute sehen. Wir wollen wissen, wer sie wirklich ist. Jim Peterik hatte ebenfalls großen Anteil am Songwriting.
Chris:
Wie sieht denn dein Verhältnis zu Mr. Blackmore heute aus?
Joe:
Ritchie und ich haben großen Respekt voreinander und wir stehen in Kontakt. Sicher, ich würde gerne mehr mit ihm arbeiten, aber ich verstehe, dass sein Herz an BLACKMORE'S NIGHT hängt und das respektiere ich. Er war schon immer ein großer Fan dieser Musik. Ich weiß, dass er mit dieser Musik sehr glücklich ist.
Chris:
Gerade bei diesem Song merkt man, dass du gesanglich noch mehr aus dir herausgehst. Warst du noch stärker motiviert?
Joe:
Ich denke, ich pushe mich immer, weil ich immer meine beste gesangliche Leistung abliefern möchte. Aber ich verstehe, was du meinst, und ich denke, dieser Song verlangt einfach nach dieser Art von Gesang. Es ist ein alter Song, in dieser Art hatte ich ihn schon einmal gesungen. (lacht) Das fühlte sich sehr gewohnt an für mich.
Chris:
Insgesamt klingt deine gesangliche Leistung auf dem Album als hättest du es mit einem Kaffee in der Hand an einem Nachmittag eingesungen. Waren die Aufnahmen diesmal keine Herausforderungen für dich?
Joe:
Ich bin immer entspannter, was irgendwelche Dinge in Sachen Gesang angeht, das bringt die Erfahrung so mit sich. Ich sehe es nicht so, dass ich nicht an meine Grenzen gehen würde. Viele Rocksänger glauben, sie müssten das tun. Vielleicht empfindest du jemanden, der nicht an seine Grenzen geht, eher als zu emotionslos oder zu glatt. Das ist Geschmackssache. Ich möchte hier keine Namen nennen, aber es gibt viele Künstler, die als großartige Sänger gelten und über ihren Grenzen singen, schreien und brüllen, wo es nicht notwendig ist. Ich bin ein mehrdimensionaler Sänger, ich habe nicht nur einen Gesangsstil.
Chris:
Wie lange hast du für die Aufnahmen gebraucht?
Joe:
Normalerweise brauche ich drei Takes oder Versuche pro Song. Ich mag es, wenn es natürlich und spontan klingt. Es muss sich einfach gut anfühlen für mich.
Chris:
Ich persönlich finde dein letztes Werk "The Usual Suspects" einen Tick besser, weil härter. Was ist eigentlich dein Lieblingsalbum aus deiner Discografie?
Joe:
Ich mag es nicht, irgendwelche Dinge zu kategorisieren oder zu bewerten. Es ist besser, wenn Fans, Journalisten oder Kritiker das tun. Ich mag alle meine Alben aus den unterschiedlichsten Gründen. Am neuen Album liebe ich vor allem die Mischung der verschiedenen Rockstile, für die ich bekannt bin. Das ist kein eindimensionales Album, alles ist darauf vertreten.
Chris:
Was machen eigentlich deine anderen Projekte BRAZEN ABBOT und -HTP-?
Joe:
-HTP- liegt auf Eis im Moment. Sicherlich, wenn die Situation passt, würde ich gerne wieder mit Glenn Hughes zusammen arbeiten. Ich bin wirklich stolz auf das, was ich mit -HTP- gemacht habe. Mit BRAZEN ABBOT werden wir am 28. Juli 2007 ein Konzert beim "Berkrock Festival" in Berkovica, Bulgarien, spielen. Die Band besteht aus Nikolo Kotzev (Gitarre), Wayne Banks (Bass), Nelko Kolarov (Piano und Keyboards), Dave Knight (Schlagzeug) und mir.
Chris:
Gibt es Neuigkeiten in Sachen Rockoper "Stargazer"?
Joe:
Ich habe davon vor einiger Zeit ein paar Songs in New York City gesungen und es ist immer noch ein Projekt, das ich gerne realisieren würde.
Chris:
Was sind deine konkreten Pläne für die Zukunft?
Joe:
Konkret ... Konzerte in Europa, einige Sessions in Stockholm mit Chris Antblad, einem brillanten Songwriter. In ein paar Tagen werde ich auf eine besondere Tour durch die USA mit Brian Johnson und Cliff Williams von AC/DC und anderen Künstlern wie Mark Farner von GRAND FUNK RAILROAD gehen - bekannt für "Classic Rock Cares". Das sind Benefizkonzerte für die "The John Entwistle Foundation". Wenn du mehr darüber wissen möchtest: www.johnentwistle.org
Chris:
Vielen Dank für das Interview, Joe. Hier nun die Gelegenheit, noch ein paar abschließende Worte an deine deutschen Fans zu richten ...
Joe:
Ich bin sehr dankbar für eure unglaubliche Loyalität und die Unterstützung über all die Jahre. Ich mache weiterhin Musik, weil ihr sie hören möchtet. Ihr seid meine Inspirationsquelle! Danke euch allen und danke dir und POWERMETAL.de für den Support.
- Redakteur:
- Chris Staubach