WITHERFALL: Im Gespräch mit Jake und Joseph
30.05.2024 | 12:47"Sowas kann niemand in Pro Tools in seinem Schlafzimmer machen." Einblicke in die Produktion unseres neusten Soundcheck-Siegers.
Kurz vor Veröffentlichung des starken Albums "Sounds Of The Forgotten" bitten wir die beiden Songschreiber Jake Dreyer und Josep Michael zum Gespräch. Wir erfahren, wieso unser Soundcheck-Sieger ein "lilafarbenes" Album ist und warum die beiden ihr eigenes Label gegründet haben.
Vielen Dank Männer, dass ihr euch heute beide Zeit nehmt. In unserem letzten Interview 2021 durfte ich euch zur Silbermedaille im Soundcheck gratulieren, heute ist es Gold! Und das mit einem Punkteschnitt, der seinesgleichen sucht. Ich nehme an, euer neues Album wird überall gut aufgenommen?
Jake: Wir hoffen es. Sonst gibt es eine Brücke oder die Straße runter von meinem Haus, von der ich springen kann. Mal im Ernst: Das ist richtig, richtig cool. Joseph hat mir das Ergebnis gestern Abend direkt geschickt, als er gesehen hatte, dass wir die #1 sind.
Dann lasst uns mit dieser positiven Grundstimmung weitermachen. Ich hatte das Gefühl, dass letztes Mal alle etwas bedrückt waren. Die Pandemie war in vollem Gange, die Lage in den Vereinigten Staaten auch alles andere als einfach. Wie habt ihr es als Band durch diese schwierigen Zeiten gebracht?
Jake: Ein neues Album zu schreiben, das hat uns am Leben gehalten.
Joseph: Ja, das war es. Ja. Ich meine, Schreiben war so ziemlich das Einzige, was damals gut lief. Wenn du von der Sache mit John (Schaffer - Anm. d. R.) sprichst, der das Kapitol gestürmt hat ... ja das war schwierig. Außerdem wurden viele Tourneen wegen Covid abgesagt. Das nagte logischerweise an unserer Stimmung. Überhaupt auf Tour zu gehen, kostet heutzutage auch viel Geld. Wenn dazu noch jemand so einen Scheiß abzieht, hat das Auswirkungen auf viele Dinge. Also war das Schreiben neuer Songs das Einzige, was wir wirklich tun konnten. Der gesamte "Curse Of Autumn"-Zyklus war insofern verflucht. Wir waren großem Druck ausgesetzt und konnten über viele Sachen schlichtweg nicht reden. Immerhin waren die Reviews zum Album damals gut.
Jake: Es war wirklich, wirklich frustrierend, weil wir so viele Asse in der Hand hatten, dass wir dachten, wir gehen in dieses Spiel und es läuft. Und dann warf uns das Leben ein paar verdammte Knuckleballs (schwierig zu kontrollierende Bälle im Baseball - Anm. d. R.) zu. Mitten im PR-Zyklus ging es dann irgendwie bergab. Mit John und dem Kapitol ...
Ich kann gut nachvollziehen, dass das eine schwierige Zeit für euch war. In welcher Verfassung ward ihr beim Songwriting für "Sounds Of The Forgotten"?
Joseph: Jake und ich, wir haben nie aufgehört zu schreiben. Es gibt nie eine klare Linie, wann ein neues Album beginnt und ein anderes endet. Es gab definitiv ein paar frühe Sessions, bei denen wir einige Sachen für die neue Platte verwendet haben. Es war ein bisschen so, als ob wir herausfinden wollten, wie wir unsere Gefühle nach all dem Chaos in der Welt musikalisch ausdrücken können. Jake meinte, diese Platte ist lila und wird von Enttäuschung handeln. Ich glaube, am Anfang haben wir das, was wir fühlten, ein bisschen zu wörtlich genommen. Es gibt also eine Menge davon im abstrakten Sinn. Es gibt definitiv ein paar politische Punkte in den Texten, aber ich möchte nicht zu sehr darauf eingehen.
Du möchtest dem Hörer also die Möglichkeit bieten, für sich selbst die Schlüsse zu ziehen?
Joseph: Ja. Weißt du, es gibt viele Möglichkeiten, etwas für schlecht zu halten. Ich muss dir nicht sagen, warum du es für schlecht hältst.
Dann kommen wir doch auf die Farbe Lila zurück.
Jake: Das war tatsächlich eines der ersten Dinge, die klar waren. Für mich war direkt klar: Das wird ein lila Album! Insbesondere der Titeltrack 'Sounds Of The Forgotten' klingt für mich ziemlich lila. Ich verbinde unsere Songs mit Farben wie ein Synästhetiker. Außerdem ist lila meine Lieblingsfarbe und wir hatten noch keine Platte in der Farbe.
Joseph: Es war wirklich verrückt. Wir hatten die Strophe des Songs beinahe vergessen, als ich mir den Refrain ausgedacht habe und wir die Nummer anschließend arrangiert haben. Wir saßen in Jakes Garten, er hat da diesen Steg ... da war plötzlich die ganze Szenerie der Platte klar. Diese kleine Bucht mit dem Mond im Hintergrund, es sah an diesem Abend genau so aus. Ohne die Geisterbraut natürlich.
Jake: Wie Joseph schon sagte, ist es wirklich unheimlich, wie gut Blake Armstrong, der die Grafik für die Platte gemacht hat, diesen Moment erwischt hat.
Wieso habt ihr die Zusammenarbeit mit eurem bisherigen Artwork-Künstler eigentlich nicht verlängert?
Jake: Wir waren schon immer Fans von Blake und seiner Art. Unser üblicher Mann war einfach zu beschäftigt. Und da wir mit WITHERFALL das Thema Artwork sehr ernst nehmen, wollten wir natürlich die bisherige Arbeit auch hier fortsetzen. Wir hatten schon eine kleine Panikattacke, als wir nichts von Kristian (Wåhlin, bisher Coverart-Künstler für die Band - Anm. d. R.) hörten. Die Zusage von Blake hat uns ungemein erleichtert. Im Nachhinein war es den ganzen Aufwand wert. Ich würde sagen, das neue Album ist tatsächlich mein Lieblingsalbumcover unter allen WITHERFALL-Artworks.
Mein erster Eindruck des Artworks war auch, dass ihr ein deutliches Bild im Kopf hattet, was es darstellen soll. Ehrlich gesagt ging es mir mit der Musik ebenso. Die Songs wirken noch durchdachter, mit vielen Details gespickt und trotzdem sehr atmosphärisch. Habt ihr viele Ideen immer wieder überarbeitet, damit es so klingt?
Joseph: Ehrlich gesagt war es genau andersherum. Am meisten haben wir bei der "Nocturnes ..." herumgebastelt. Da lernten wir uns gerade erst kennen und wussten noch nicht, wie wir zusammen schreiben. Deswegen hat uns der Prozess damals viel Zeit und Energie gekostet. Wir hatten noch nicht die nötige Intuition wie jetzt. Natürlich gibt es immer noch Dinge, die wir erst ausprobieren und dann wieder sein lassen, aber wir waren noch nie so einig in vielen Dingen. Ich kann deinem Eindruck insofern zustimmen, es ist auch meine Lieblingsproduktion bislang. Ein großer Bestandteil dieses Sounds ist sicherlich die Tatsache, dass wir alles erst einmal analog eingespielt haben. Auf der "A Prelude To Sorrow" waren viele Keyboards digital, ebenso wie die Samples. Sogar bei den Drums. Alles, was du auf "Sounds Of The Forgotten" hörst, ist tatsächlich irgendwo in einem Raum so gespielt worden. Das gibt unserem Sound diese Mehrdimensionalität. Alle Keyboards sind analoge Keyboards, ebenso ein richtiger Bösendorfer-Flügel, eine Hammond-Orgel mit Leslie-Lautsprecher. Fast alle Amps von Jake sind Vintage-Verstärker, wir haben keine Verstärkersimulation auf dem Computer benutzt.
Das klingt auf jeden Fall nach einer Menge Arbeit. War die Produktion des Albums anstrengender für euch als sonst?
Jake: Es war nicht gerade einfach, aber auch weit weg von schmerzhaft. Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn die Dinge schmerzhaft und elend sind. Aber so war es nicht. Ich meine, wir waren im Hinterland von New York im Februar, es waren minus 20 Grad und diese Situation resultiert schon in einer gewissen Trostlosigkeit. Genau so wollten wir es aber auch haben. Ich finde, das ist heutzutage bei vielen verloren gegangen. Es ist so verdammt einfach geworden, ein Album aufzunehmen. Aber oft fehlt das gewisse Etwas, damit es nicht zu steril klingt.
Auch wenn eure Musik nicht direkt danach klingt, aber ich muss oft an OPETH denken. Vor allem jetzt, wo du den kalten Winter erwähnst. Eure Stimmungswechsel, die akustischen Gitarren, die aber nie diesen düsteren Metal-Sound verwässern. Daran erinnert mich das neue Album.
Jake: Ich würde sagen, dass wir ähnliche Einflüsse aus den 70ern haben wie OPETH. Ich kenne die ersten Platten zwar nicht so gut, aber ich liebe die "Still Life". Es war schon immer ein Merkmal WITHERFALLs, akustische Instrumente zu verwenden. Auf diesem Album haben wir viele davon. Wir haben uns immer schon zu diesem Kontrast hingezogen gefühlt. Man denke nur an LED ZEPPELIN und so viele andere Bands aus dieser Zeit, da war das völlig normal und wirkte vielleicht nicht so besonders wie jetzt. Aber ja, wir nehmen das auf jeden Fall als Kompliment.
Das macht eine Platte, die über eine Stunde lang ist, letztlich auch spannend. Es ist nicht der Hochgeschwindigkeitszug, der 60 Minuten lang an dir vorbei rauscht. Gab es denn in der Zeit im Studio bestimmte Einflüsse, die ihren Weg in eure Songs gefunden haben?
Joseph: Wir denken nicht viel darüber nach, wie uns andere Künstler beeinflussen. Wir möchten einfach im Moment sein, denn ein Album markiert vor allem eines: eine Momentaufnahme. Wir waren für den Großteil der Aufnahmen in den Big Blue North Studios. Dort gab es genau die richtigen Werkzeuge, die wir für unseren Sound brauchen. Ein anderer Ort, an dem wir aufgenommen haben, war das Doghouse in Los Angeles. Dort hat Marco Minnemann die Drums aufgenommen, weil der Raum einfach fantastisch klingt. Das ist unser Kriterium. Nicht, einen bestimmten Klang eines anderen Künstlers aus der Vergangenheit zu kopieren.
Jake: Wir hören schon ständig neue Sachen, aber das muss nicht bedeuten, dass die Musik gerade erst erschienen ist oder es sich um Metal handelt. Ich habe gerade beispielsweise vieles aus der klassischen Musik gelernt. Ich entdecke gerne für mich neue Komponisten. Natürlich sickert das eine oder andere davon auch durch.
Joseph: Bei uns äußerst sich das allerdings nicht in offensichtlichen Riffs oder Symphonic-Metal-Zeugs, eher in den Harmonien, die wir verwenden, in der Art, wie wir komponieren.
Ihr habt gerade Marco Minnemann erwähnt, der alle bisherigen WITHERFALL-Alben eingetrommelt hat. Ihr habt inzwischen aber auch einen Schlagzeuger als festes Bandmitglied vorgestellt. Wie wird das in Zukunft funktionieren?
Joseph: Das wissen wir noch nicht, ganz ehrlich. Wir begreifen uns eher als musikalische Familie denn als Band. In der Geschichte von WITHERFALL kamen immer wieder Leute hinzu, andere gingen. Wir haben verschiedene Musiker für Liveshows und Aufnahmen ins Spiel gebracht. Bei Marco ist es so, er hat sich quasi mit uns verwurzelt. Er versteht sofort, was wir komponieren. Er ist ein brillanter Musiker, der sofort versteht, was wir von ihm benötigen. Manchmal hört er einen Part, fragt dich: "Was war eure Idee dabei?" und nachdem wir es kurz erklärt haben, bläst er dich mit seinem ersten Take weg. Es macht enormen Spaß mit ihm und ist außerdem im Studio sehr effizient, was uns viel Geld spart.
Hat die Produktion in mehreren Studios noch mehr Vorteile für euch?
Joseph: Wir haben inzwischen einen guten Fahrplan für die Aufnahmen. Zuerst schreiben Jake und ich die Songs. Dann erstelle ich das Gerüst dafür in Pro Tools und wir nehmen das Schlagzeug auf.
Jake: Die Schlagzeugaufnahmen haben nicht einmal eine Woche gedauert. Anschließend haben wir uns auf den Weg ins besagte Big Blue North Studio gemacht, um alles andere aufzunehmen. Das hat ca. einen Monat gedauert.
Joseph: Das Studio ist eine Kirche im Hinterland von New York, die 1926 gebaut wurde und mittlerweile ein Weltklasse-Studio ist. Mit zehn Meter hohen Decken. Es war episch. Der Sound, den wir in diesem Raum aufgenommen haben, wurde mit einem relativ einfachen Setup aufgenommen, weil die Akustik es hergibt. Das kann man auch nicht nachahmen, sowas kann niemand in Pro Tools in seinem Schlafzimmer machen.
Für "Sounds Of The Forgotten" habt ihr außerdem euer eigenes Label DeathWave Records gegründet. Welche Vorteile bietet euch das?
Joseph: Wir waren auch schon bei Century Media an allen Entscheidungen zu 100% beteiligt. Aber jetzt fließen alle Einnahmen an uns zurück und wir sind nicht von den Fehlern oder Ideen anderer Leute abhängig. Manchmal stellen Labels auch Leute ein, mit denen es nicht funktioniert. Und wenn es läuft, machen sie einfach ihr Ding. Aber mit jedem Wechsel muss man auch die Beziehung neu aufbauen. Für uns machte das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Century Media letztlich keinen Sinn mehr. Ich liebe das deutsche Büro, insbesondere als wir anfingen, mit ihnen zu arbeiten. Alles coole Leute. Das war definitiv keine persönliche Entscheidung.
Jake: Nehmen wir die Videos als Beispiel. Für diese Veröffentlichung gibt es für jeden Song ein Video, das wir auf unsere Art und Weise veröffentlichen können. Bei Century Media wäre das ein ständiges Hin und Her gewesen, ob sie das überhaupt machen wollen.
Joseph: Der entscheidende Moment für uns war, als unser Lieblingssong nach sechs Jahren lediglich 30.000 Aufrufe bei YouTube hatte. Auf einem Kanal des Labels mit über zwei Millionen Abonnenten. Wir haben auf unserem Kanal mit damals 10.000 Abonnenten ein Video veröffentlich, das inzwischen bei 300.000 Aufrufen steht. Wir haben nicht mehr in das Roaster gepasst. Es hat nicht mehr funktioniert mit dem Algorithmus, wenn sie viele Screamo-Bands oder was auch sonst gepusht haben. Es hat uns in dieser Hinsicht eher geschadet.
Insidious
https://www.youtube.com/watch?v=8TWfrv5NkKc
Bekommen Bands ihr Macht wieder zurück, wenn sie das wollen?
Jake: Nun, die Leute mögen den Underdog. Viele Bands könnten diesen Weg gehen. Ich habe keine Kristallkugel, aber zurzeit ist die Musikindustrie wirklich chaotisch. Sie steht vor großen Veränderungen, es wird anders kommen müssen. Ich glaube, viele Leute haben keinen Bock mehr darauf, wie es zurzeit läuft. Man kann als Band auf einem Label kaum noch Geld verdienen.
Joseph: Nun, ich denke, es ist, weißt du, ich weiß, dass viele Leute die Underdogs anfeuern, weißt du, mit dem DIY-Zeug. Ich denke, ich könnte mir vorstellen, dass viel mehr Bands in diese Richtung gehen. Nochmal. Wir werden sehen. Ich weiß es nicht, ich habe keine Kristallkugel, aber das Musikgeschäft an sich ist sehr - chaotisch, denke ich, im Moment. Und das ist es auch. Ich sehe eine große Veränderung kommen, es wird anders kommen müssen. Ich glaube, dass eine Menge Leute keinen Bock mehr haben werden. Ich glaube nicht, dass es noch viel mehr Geld zu verdienen gibt. Also denke ich, dass die Labels sich etwas anderes einfallen lassen müssen, um den Künstlern zu helfen, denn die Künstler werden einfach abspringen.
Josep: Ja, das Streaming wird verschwinden. Die Wirtschaft funktioniert für niemanden, außer für die großen Konzerne, die einen Teil dieser Labels besitzen. Das war's. Das ist es, wo das ganze Geld liegt, im Besitz dieser Firmen.
Zumal die immer kürzeren Formate auf Social Media genau das Gegenteil von dem sind, was eigentlich das Kernprodukt eines Musiklabels darstellt: Alben.
Joseph: Ein Songschnipsel mit 15 oder 30 Sekunden löst keine Tantiemen für uns aus. Natürlich gab es früher mehr Gatekeeper im Business, aber wenn du es zu einer CD-Aufnahme geschafft hattest, konntest du davon leben. Du konntest auf Tour gehen, bekannt werden und hattest eine gute Gewinnspanne mit dem physischen Produkt. Dann hast du in einem Heft Werbung gemacht und so ein paar tausend CDs abgesetzt.
Damit schließt sich der Kreis, denn uns ging es heute Abend um den wunderbaren Genuss eines Albums in voller Länge. Das habt ihr mit "Sounds Of The Forgotten" definitiv erreicht. Danke, dass ihr euch beide so viel Zeit genommen habt und bis zum nächsten Album!
Jake: Danke dir auch vielmals, bis dann!
Fotocredit: Stephanie Cabral
- Redakteur:
- Nils Macher