Zum Tod von CHRIS CORNELL: Ein Nachruf
20.05.2017 | 01:43Die Rock-Gemeinde kommt einfach nicht zur Ruhe, denn nach den viel zu zahlreichen Toden großer Genre-Helden in den letzten beiden Jahren hat gerade mit Chris Cornell einer der besten Rocksänger der vergangenen drei Dekaden ein viel zu frühes Ende gefunden. Nach übereinstimmenden Berichten scheint es sich bei seinem Ableben um einen Suizid gehandelt zu haben, was die ganze Situation sowohl für seine Anhänger, als auch für seine Familie und Freunde wohl nur noch schwieriger machen wird.
Den meisten wird Cornell dabei wohl als Gesicht von SOUNDGARDEN bekannt sein, mit denen er zwischen 1988 und 1997 ein ganz integraler Bestandteil der Grunge-Welle war. Dabei gehören die ersten beiden Alben "Ultramega OK" und "Louder Than Love" sicher noch in die Kategorie Insider-Tipp, doch spätestens mit dem Drittwerk "Badmotorfinger" aus dem Jahr 1991 und Songs wie 'Rusty Cage', 'Outshined' oder 'Jesus Christ Pose' gelang dem Vierer der Sprung an die Spitze der damals vielversprechendsten Musikbewegung der Welt. Doch dabei sollte es nicht bleiben, denn nur drei Jahre später folgte mit dem Überalbum "Superunknown" ähnlich wie bei NIRVANA zuvor der Sprung in den Mainstream und damit an die Spitze der Charts. Wundern dürfte das im Rückblick niemanden, denn Hits wie 'Black Hole Sun', 'Spoonman' oder 'Fell On Black Days' gehören auch über zwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch immer fest in jede Alternative-Playlist und haben auch dank der einmaligen und kraftvollen Stimme von Cornell nichts von ihrer Strahlkraft verloren. Gleiches konnte man im Anschluss von SOUNDGARDEN nicht wirklich behaupten, denn von dem plötzlichen Erfolg erholte sich die Band nie so recht. Stattdessen folgte nach dem kommerziell erfolgreichen "Down On The Upside" schließlich im Jahr 1997 die Trennung.
Fortan gingen die Bandmitglieder getrennte Wege und Cornell versuchte sich recht erfolgreich mit dem Album "Euphoria Morning" an einer Solo-Karriere. Allerdings sollte es erst sein nächstes Bandprojekt sein, mit dem sich der als Christopher John Boyle geborene Sänger vollends in meinen musikalischen Fokus bringen sollte. Natürlich habe auch ich meine Grunge-Phase durchlebt und in dieser Zeit sämtliche SOUNDGARDEN-Alben förmlich verschlungen, doch gegen meinen persönlichen Favoriten Kurt Cobain konnte sich Cornell nie so recht durchsetzen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als er sich im Jahr 2001 mit den ehemaligen RAGE AGAINST THE MACHINE-Mitgliedern Tom Morello, Tim Commerford und Brad Wilk zusammentat, um AUDIOSLAVE zu gründen. RATM war zu diesem Zeitpunkt einer meiner ganz großen Favoriten, vor allem weil die Band mein Interesse an den politischen Themen des Punk mit der wuchtigen Kraft von groovenden Metal-Riffs verband. Natürlich mal ganz abgesehen davon, dass ich Commerford, Wilk und Morello bis heute für die perfekte Instrumental-Fraktion halte. Dementsprechend gespannt war ich auch, als schließlich mit der Single 'Cochise' das erste Lebenszeichen dieser Band auf die Welt losgelassen wurde. Stundenlang harrte ich vor dem Fernseher aus und wartete darauf, dass MTV endlich das Video zur Single spielte. Von den ersten Sekunden des Tracks an war ich wie gefesselt von dieser unnachahmlichen Verbindung zwischen wuchtigen Gitarren und dem zerbrechlichen und trotzdem immer kraftvollen Gesang.
Das Bemerkenswerte daran war für mich, dass Cornell es nicht nur schaffte, in die überdimensionalen Fußstapfen von Zack De La Rocha zu treten, sondern gleichzeitig der eingespielten RATM-Fraktion ganz neue ruhige Momente entlocken konnte. Zusätzlich entpuppte sich seine Stimme als perfektes Gegengewicht zu den tonnenschweren Riffs von Tom Morello, was die auf den ersten Blick vielleicht unpassend anmutende Kombination dieser Musiker für mich zu einer der wenigen Supergroups machte, die ihrem Ruf wirklich gerecht werden konnte. Insgesamt drei Alben ("Audioslave", "Out Of Exile" und "Revelations") veröffentlichte der Vierer zwischen 2001 und 2007, bevor Cornell schließlich die Band verließ, weil er sich gegenüber dem eingespielten Dreigespann an seiner Seite machtlos und oftmals überstimmt fühlte. Nach einigen weiteren Versuchen als Solokünstler fand sich der Fronter 2010 schließlich zur Freude seiner Fans wieder mit seinen SOUNDGARDEN-Kollegen zusammen, um die Grunge-Tage erneut aufleben zu lassen.
In alter Besetzung nahm der Vierer sogar 2012 das neue Album "King Animal" auf und tourte erfolgreich auf der ganzen Welt. Auf Tour befand sich die Truppe aus Seattle auch in diesem Monat wieder und machte so auch am 17. Mai 2017 im Fox Theatre in Detroit Station. Die Videos, die inzwischen von diesem schicksalhaften Auftritt aufgetauchten sind, lassen dabei zu keiner Zeit erahnen, dass dies die letzte Show für diesen großartigen Sänger und Frontmann werden sollte. Während ich diese Zeilen verfasse, laufen die verschiedenen Mitschnitte gerade im Hintergrund und ich versuche krampfhaft festzustellen, ob es irgendwo eine Andeutung dessen geben könnte, was nur Stunden später passieren sollte. Wirkt Cornell ein bisschen so, als stünde er neben sich? Ist er gesanglich und körperlich nicht ganz auf der Höhe? Wir alle werden nur Mutmaßungen anstellen können, denn den wahren Grund für sein plötzliches Ableben hat er mit ins Grab genommen. So bleibt uns nur, seiner Familie viel Kraft zu wünschen in diesen schweren Stunden und uns mit dem gigantischen musikalischen Vermächtnis zu trösten, das dieser einmalige Musiker uns mit SOUNDGARDEN und AUDIOSLAVE hinterlassen hat.
Mir jedenfalls wollen seit dem Bekanntwerden der Nachricht die folgenden Zeilen nicht mehr aus dem Kopf gehen, die Cornell für den AUDIOSLAVE-Track 'Be Yourself' verfasst hat:
With every single memory of the good or bad faces of luck
don't lose any sleep tonight
I'm sure everything will end up alright
You may win or lose
But to be yourself is all that you can do"
- Redakteur:
- Tobias Dahs