40 WATT SUN - Leipzig
25.10.2016 | 09:2214.10.2016, UT Connewitz
Record Release-Show zu "Wider Than The Sky". Patrick Walker kehrt zurück.
Ein Abend, angefüllt mit Ehrfurcht. Es ist oktoberkalt, dunkel sowieso, ungemütlich und irgendwie war das insgesamt bisher ein bedrückender Tag. Dass wir nun zu 40 WATT SUN wandeln werden, erhellt die Vor-Stimmung auch nicht unbedingt. Aber das stimmt so auch nicht, umso näher wir der leibhaftigen Band kommen. Ist man dann erst einmal da, klingt das neue Material in einem herauf, das einen Tag vor Veröffentlichung bereits auf einem bekannten Streaming-Portal gelandet ist. Es hatte nämlich schon beim Vor-Konsum sofort eine auch euphorisierende Wirkung. Vor-Freude, inklusive Vor-Behalten natürlich, nach diesem grandiosen Vorgänger von 2011. Und ganz präsent: die allseits aufgekochte Frage: ist das nun Doom? Metal überhaupt? Was ist es denn? Ich sage: es ist ziemlich überflüssig, sich hierüber die strenge Birne zu zerbrechen, es ist eine Musik, die von ganz weit drinnen und unten hinauf geschallt kommt. Aus einem Mann, vor allem.
Patrick Walker, dieser hoch aufgeschossene Brite mit dem durchdringenden Blick, hat mit seinen zwei ebenfalls sehr zurückhaltenden Mitherren am zweiten Oktobersamstag in das ehrwürdige UT Connewitz in den Leipziger Süden geladen. Denn dort steigt die offizielle Veröffentlichungsfeier. Wobei: Diese Stimmung so zu bezeichnen... feierlich ja, sehr getragen, sehr entspannt, sehr gespannt, von Frohsinn gibt es da keine Spuren. Das Publikum ist überwiegend ernst und männlich, dabei ein Querschnitt mitten durch die Szenen: Offensichtlich meisterhaft melancholische Sinnsuchende diskutieren mit lokalen Hardcore-Größen über den Gehalt von Gehaltsdiskussionen, die Autoladungen mit längerem Anfahrtsweg nesteln verlegen die Self-Print-Tix aus den Kutten, hier und da teilen sich Pärchen ihre Getränke, korpulente Schlakse mit Derb-Metal-Patch-Westen treten von einem Stiefel auf den anderen und erwarten den Beginn. Auch der ein oder andere Internationale im New-Wave-Outfit hat seine schlurfenden Schritte in das alte Kino gelenkt.
Mein Eindruck ist, dass sich hier vor allem Doom-Affine zusammengefunden haben, die Walker als Vorstand seiner Ex-Band WARNING kennengelernt haben und daher schätzen lernten. Auf jeden Fall eine herbstliche, sehr thematisch abgestimmte Stimmung, heruntergedimmt und voller Geheimnisse.
Das gemischte Duo JULINKO aus Italien eröffnet den dunklen Antitanz. In weißem Kleid und schwerer Gitarre wimmert, watet und wallt sich Giulia Parin durch ihre Abgründe, begleitet von Carlo Veneziano, der sämtliche weitere Instrumente bedient. Schlagzeug, Bass und Effektgeräte. Wie ein Geisterschauer hallt die Kunst der beiden durch die hohen Räume, mit viel Hall und Hoffnung werden wir Zeugen einer Art musikalischer Selbstentkleidung. Das kann in Momenten der Zurückgezogenheit sehr viel auslösen, vor allem, wenn wir danach suchen, die erdrückenden Eindrücke der letzten Tage verblassen zu lassen. Auf Konzertlänge betrachtet, gleicht der von vielen Experimenten und Tonfragmenten durchtriebene Auftritt eher einer Performance. Das aktuelle Album erschien ebenfalls vor kurzem erst, es macht durchaus Sinn, das Duo einzuladen. Dass es derzeit eine große Anzahl von Künstlerinnen gibt, die mit dieser Art von Hauchgesang über Gitarrensound weite Räume aufschließen möchten, aber dabei doch sehr unnahbar wirken, ist ein Zeitzeichen, wie ich finde. Als es dann zu intim und ungreifbar wird, verlassen wir die Wolke.
Ich krame nach, wer stilistisch in die Nähe rücken könnte. Mir fallen damals und auch heute nur noch BLOOD & TIME ein, die ähnlich tröpfelnde Schwerherzmusik erfanden, aber bei weitem nicht so melodiös. Dahinter steckte vor allem NEUROSIS-Gitarrist und Sänger Scott Kelly, der in den letzten zehn Jahren zudem sehr viel als Solokünstler unterwegs ist. Aber auch auf deren Album "At The Foot Of The Garden" von 2003 wurden die drei Musiker in dieser Band nicht mit Soli, Geschwindigkeitswechseln oder anderem technischem Anspruch gefordert. Nein, auch hier wird viel, eigentlich alles, über das Gefühl transportiert. Die prägnante Stimmen in einem traurigen langsamen leisen schleichenden Zug von Tönen.
Walker steht auf einmal neben uns, wir haben uns zwei Kinosessel erobert, er wirkt entspannt und scheint die Bühne zu prüfen. Die kennt er sehr gut, hat er doch als Bonmot des Doom Over Leipzig 2014 das übervolle UT bereits bespielt. Schon damals war der Auftritt als Acoustic Set angesetzt. Keine Hintergrundlautstärke mehr, über die Walker sein phänomenales Organ legen konnte. Damals überzeugte mich das nicht, lebte "The Inside Room" doch für mich vor allem von diesem Kontrast, einem gewaltigen Gitarrensound mit dessen traurigen Stimme zu konfrontieren.
Heute, fünf Jahre später im Oktober, ist der Vorbehalt schnell vergessen, denn die Instrumentierung ist auf "Wider Than The Sky" wie auch hier ein Erlebnis. Die drei Musiker takten sich durch die langen Stücke, ohne sich um Entwicklungen, Schubladen, Experimente in anderen Sparten zu kümmern. Und das an sich ist ja die Entwicklung. Walker ist auch der einzige, den ich seit langem zwischen den Stücken sein Saiteninstrument stimmen höre und sehe, ohne dass der Bühnenton abgedreht wird. Und dabei, ja, kann der Mann auch mal lächeln, als wäre es ihm ein wenig peinlich, wenn die Töne nicht gleich getroffen werden. So bringt er in Seelenruhe seine Saiten in die richtige Fassung und wird dafür auch noch beklatscht. Die Minen der beiden Mitmusiker sind nicht eindeutig zu deuten, wenn der Chef das tut. Sind sie angenervt oder pausieren sie gern ein wenig länger?
Egal. Das Ergebnis ist insgesamt ergreifend, faszinierend, erquicklich und einzigartig. Und Regen, Regen, Regen. Hinter dem Trio auf der dafür gebauten bröckeligen Kinowand laufen schwarzweissverschwommene Filme durch, in denen eine Kuhherde gemächlich durch ein Balkandorf wackelt, ein älterer Herr sich rauchend anzieht und eine entweihte Kirche besucht, oder die Kamera stur durch ein vermülltes Feld gleitet. Und es regnet, Pfützen werfen Kringel, der alte Mann im Pelz trifft in der Ruine einen Wahnsinnigen, der auf einen herabhängenden Gegenstand einbrüllt. Später verlassen wir die bedrückende Szene wieder mit dem Mann im Pelz, der im Laufe des Liedes immer kleiner auf einem Feldweg wird. Und es regnet natürlich.
Knapp eine Stunde später hat 40 WATT SUN fast das gesamte Material des neuen Albums gespielt und kaum einer hier trinkt noch etwas, da alle einen Kloß im Halse stecken haben dürften. Und gerade, als ein bekifftes Pärchen laut zu lallen beginnen anfängt, schiebt Walker noch 'Restless' und als Zugabe 'Carry Me Home' nach. Und auch heute wieder in der ruhigen ent-doomten Version. Und damit nun zieht düsteres Glück ein ins UT Connewitz. Die Kiffer sind weg und sind draußen in der kalten Luft übereinander eingeschlafen, die anderen Leute strahlen. Den langen Beifall hat diese außergewöhnliche Band sich verdient, die sich sämtlichen Kategorien immer mehr zu entziehen scheint. Gut so. Ein Ehrfurcht gebietender Abend.
Eine ausdrucksstarke Fotoreihe des Abends hat übrigens die UT Connewitz Photo Crew auf ihre Webseite gestellt und kann hier besehen werden.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben