ARCHIVE - Berlin

05.04.2015 | 11:51

24.03.2015, Columbiahalle

Mann, ist die Band groß geworden! Und das mit einem Küken an Bord.

ARCHIVE live ist immer ein Erlebnis und gab es schon in den verschiedensten Schattierungen. Von opulent und mit viel Technik inszeniert bis hin zum schmutzigen Clubgig und sogar ganz minimalistisch akustisch, all dies durfte ich schon erleben. Und mit jedem Gig kommen mehr und mehr Leute, um sich das Spektakel anzuschauen, sogar die Tagesschau brachte schon einmal einen Beitrag zu diesem Popkultur-Event. Und dass die Band immer populärer wird, verdeutlicht sich durch den Fakt, dass dieser Berlin-Gig zweimal ins nächstgrößere Venue verlegt worden ist und man den Platz mit dem am selben Tag spielenden STEEL PANTHER getauscht hat.

Columbiahalle also, und die ist auch ratzebutz voll. Ja, so sehr sehr ich der Band diesen Erfolg gönne, so schade ist es, sich nicht mehr unbeschwert ganz nach vorne bewegen und den Musikern nahe kommen zu können. Aber dafür kann ja die Band nichts, und dieser Abend sollte einmal mehr bestätigen, dass ARCHIVE zurecht auch große Hallen ausverkauft.
Wobei, vergleicht man die Musik heute mit der von Anfang der 2000er ("You All Look The Same To Me" oder "Noise"), verwundert diese Tatsache doch ein wenig, denn einfacher sind die Kompositionen der Männer hinter den Synthie-Türmen, Darius Keeler und Danny Griffith, weiß Gott nicht geworden. Aber die Leute feiern ja auch die Oberschrägies von RADIOHEAD.

Ein möglicher Grund für den großen Publikumszuspruch steht zu meiner Freude schon beim zweiten Song auf der Bühne und ist klein, süß, jung und blond: Holly Martin. Es ist für mich aber auch schwer vorzustellen, dass man dieses Mädchen nicht mögen kann. Mehr als drei Jahre ist sie jetzt in der Band und übernimmt, da Maria Q leider nicht mitkommen konnte, alle weiblichen Gesangs-Parts allein. Und sie wird an diesem Abend für meinen heimlichen und fast schon zu frühen Show-Höhepunkt sorgen.

Davor startet die Band mit dem fetzigen "Restriction"-Opener 'Feel Me' souverän in die Show, Holly singt sich dann beim sperrigen Elektro-Noise-Rock-Bastard 'Kid Corner' warm und mit 'Dangervisit' kommt der erste Neuzeit-ARCHIVE-Klassiker: Ihn kleidet eine überwältigende Lightshow, verstörende Videoprojektionen, dann das wohlbekannte "Feel-Trust-Obey"-Mantra und zum Schluss wieder einmal der gewaltigste Wall-Of-Sound der Neuzeit, präzise erbaut von einer neunköpfigen, perfekt eingespielten Band. ARCHIVE ist High-Tech, ARCHIVE ist Superlative.

Danach folgt, als wolle ARCHIVE meine These von oben belegen, die Zwei-Song-Soloshow des Kükens mit der großen Stimme: Das neue ’Black & Blue’ kommt wenig überraschend und Holly singt es überragend. Kein Wunder, ist es doch einer "ihrer" Songs, wie sie mir im netten Gespräch am Nachmittag vor der Show (mehr dazu demnächst im Magazin) verrät. Er wurde am Todestag von Whitney Houston, die ihr wohl viel bedeutet, geschrieben. Danach kommt dann einer "meiner" großen ARCHIVE-Songs, und nie im Leben hätte ich erwartet, diesen einmal live zu erleben: Es ist 'Nothing Else' vom Debüt "Londinium"! Diese Trip-Hop-Nummer gehört zu meinen absoluten Lieblings-Songs der Neunziger. Hier und heute wird er nur durch eine ganz dezent gezupfte Clean-Gitarre intoniert. Den Rest macht Miss Martin in ihrer unnachahmlichen Weise. Sehr bewegend! Wobei ich Grund zur Annahme habe, das Holly gar keine Ahnung hat, was dieser Song den alten ARCHIVE-Fans bedeutet. Aber vielleicht ist genau das auch ihre Stärke. Ich habe großen Respekt vor Keeler und Griffith, diesem Mädchen so riesiges Vertrauen zu schenken!

Ihr merkt, ich muss mich manchmal selbst kneifen und mir laut vorsagen, dass ARCHIVE nicht nur aus einer Person besteht. Die anderen können auch was und vor allem Dave Pen beeindruckt mich immer aufs Neue (z.B. 'Ruination'), auch wenn er heute ein wenig im Hintergrund agiert. Pollard Berrier hat jedoch hat nicht den allerbesten Tag, seine Stimme wirkt in den Höhen etwas dünn und kratzig (z.B. am Ende von 'Bullets'). Am Ende ist jedoch wieder das ganze Team der Star, es macht einfach Spaß, bei perfekt ausbalanciertem Sound Augen zu zu machen und zuzuhören. Doch auch das Visuelle kann man geniessen. Videos, Lightshow, Musik und Stage-Acting sind komplett aufeinander abgestimmt. Klar lässt dies keinen Raum für Spontanität und Improvisation, nicht einmal für Publikums-Kontakt (den es bei ARCHIVE jedoch eh noch nie gab), aber das kreidet RUSH heutzutage auch keiner an, wenn er dafür eine erstklassige Show bekommt. Deshalb möchte ich auch mit meiner kleinen Kritik bescheiden bleiben: Ich hätte gerne ein, zwei mehr alte Songs gehört anstatt des diesmal total verspulten 'Violently' (trotz Holly) oder 'Crushed'. Und nach der Zugabe 'Lights' (fast in voller Länge, was für ein Trip!) hätte es gerne noch ein 'Fuck U' oder ein 'Pulse' mit Holly geben können. Und da besteht sogar Hoffnung, denn sie mochte die Idee...

Setlist: Feel It, Kid Corner, You Make Me Feel, Dangervisit, Black and Blue, Nothing Else, Bullets, Ruination, Crushed, Conflict, Violently, End Of Our Days, Bridge Scene, Ride in Squares, Numb. Zugabe: Lights

Vielen lieben Dank an Susanna Schulz für Fotos und Konzertbegleitung!

Redakteur:
Thomas Becker

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