Amphi-Festival 2010 - Köln

06.08.2010 | 18:34

24.07.2010, Tanzbrunnen

Schwarzer Fasching in der Domstadt.

Gegen Mittag geht es auf das Festivalgelände. Das Wetter ist ideal, endlich mal keine Extremtemperaturen wie in den vergangenen Tagen. Der erste Blick auf die Liste am Getränkestand verrät Gutes: Es gibt in diesem Jahr auch richtiges Bier! Jetzt werden mir sicher alle Kölner böse sein, doch das heimische Kölsch ist nun mal nicht jedermanns Sache. Das hat die Cateringfirma nun auch begriffen. Allerdings sind die alkoholfreien Getränke gleich teuer, was unverschämt ist. Es gibt zwar kostenloses Trinkwasser zum Selberzapfen, doch das rechtfertigt die Preispolitik noch lange nicht.

Auf der Hauptbühne stehen gerade DIN [A] TOD. Die Musik des Berliner Duos kannte ich bis dato noch nicht, und mit seiner kurzen Turnhose, die einen Hauch von DDR-Nostalgie versprüht, weckt Gitarrist Sven Claussen in mir kein großes Vertrauen. Seine Partnerin Claudia Fasold wirkt da schon wesentlich eleganter in ihrem Outfit. Doch wie so oft trügt der Schein, und der Sound ist gar nicht schlecht. Eine Mischung aus Wave und Elektronik, die mal nicht nach dem Nullachtfünfzehnschema klingt.

Mit solch einem guten Einstand in den Tag geht es froh gelaunt auf kurze Erkundungstour über das Gelände, denn bei den wenig vertretenen gitarrenlastigen Bands sind END OF GREEN Pflichtprogramm. Momentan ist das Gedränge nicht so groß, und man kommt überall ohne Probleme durch, während DESTROID oder FADERHEAD im Staatenhaus derweil elektronische Klänge anstimmen.

Dicht vor der Bühne stehen vor allem viele Damen, denn sie wollen alle ihrem Liebling Michelle Darkness ganz nah sein. Dementsprechend begeistert ist die holde Weiblichkeit, als die Jungs auf die Bühne kommen und die Masse mit lautem Gothic Rock in Schwung bringen. Die wird von dem Sänger mit einem gepflegten "Guten Morgen!" gegrüßt, und schon geht es los. Mit 'Goodnight Insomnia' gibt es auch gleich einen Ausblick auf das neue Album "High Hopes In Low Places", der bei den Anwesenden gut ankommt.

Basser Rainer und Gitarrist Sad Sir wirbeln über die Bühne und bieten eine tolle Show, während sich der Sänger gekonnt cool gibt. Also wie immer ein toller Gig, bei dem die Fans mitfeiern und mitrocken können. Dafür gibt es beispielsweise 'Nice Day To Die' und 'Myself To Sleep' auf die Ohren. Was will man mehr!?

Das Theater, das vergangenes Jahr als Notlösung für die gesperrte Halle diente, bietet den Gästen ein Rahmenprogramm, bestehend aus Lesungen, Filmvorführungen und Vorträgen. Letzteren Part übernimmt Dr. Mark Benecke. Da seine Vorträge immer gut besucht sind, ist zeitiges Erscheinen empfehlenswert, auch wenn derzeit noch OLIVER KLEIN'S ROCKY HORROR SHOW läuft.

Unvoreingenommen geht es ins Theater, doch was der Herr da bietet, ist weder neu noch witzig. Irgendwie will er lustig sein, ist es jedoch nicht. Aber was soll's. Herr Benecke ist gut gelaunt und möchte heute mal etwas anderes machen als sonst. In gut vierzig Minuten erzählt er allerlei Kurioses aus seinem Beruf, zeigt Fotos von Leichen und ermahnt seine Zuhörer: "Ihr dürft nicht immer das glauben, was ihr seht!" Und gerade bei solchen Bildern sieht man Dinge, die man sehen will, und interpretiert Sachen hinein, die gar nicht da sind - dem Kopfkino sei Dank. Also wieder etwas gelernt. Bei einem Bild von Benecke aus Jungendjahren bricht Gelächter aus, und überhaupt hat er immer einen Witz auf Lager, was die ganze Sache zu einer sehr kurzweiligen Angelegenheit macht. Wenn früher nur auch die Vorlesungen so schnell vergangen wären wie jetzt.

Langsam wird es Zeit, auf Nahrungssuche zu gehen. Das Angebot ist vergleichbar mit dem des letzten Jahres. Überteuerte, dünn belegte Pizzastücke contra teure Currywurst mit Pommes lassen schnell den Appetit vergehen. Auf die Frage, ob ich mit einem Kauf gleichzeitig Anteile am Verkaufsstand erwerbe, ernte ich nur fragende Blicke. Und da Outsourcing heutzutage sehr beliebt ist, machen wir das Gleiche und verlassen das Gelände Richtung Deutzer Bahnhof, denn hier bieten gleich zwei bekannte Fastfood-Restaurants ihre Waren feil. Da nimmt man gern die zehn Minuten Fußweg in Kauf.

Gut gestärkt und froh gelaunt geht es zu WELLE: ERDBALL, die auf der Hauptbühne loslegen, während Thomas Rainer und sein Projekt NACHTMAHR in der Halle wesentlich härtere Beats um die Ohren ballern.

Das Quartett startet mit dem KRAFTWERK-Cover 'Die Roboter'. Fräulein Venus und Plastique bezaubern das Publikum in schicken violetten Kleidchen. Allerdings kann man das von der Musik heute nicht gerade behaupten. Irgendwie klingt das alles wie vom Band. Auch bei dem Cover 'Fred vom Jupiter' scheint die Technik den Vorrang vor dem Menschen bekommen zu haben. Sänger Honey ist wohl mit dem falschen Bein aufgestanden, und lässt lieber die Damen ans Mikro. Als dann auch noch 'Ein bisschen Frieden' von NICOLE zum Besten gegeben wird, ist der Tiefpunkt erreicht. Wäre es eine originelle Trashversion, hätte man wenigstens Spaß daran. Aber so ist jeder froh, als der Spuk ein Ende hat.

Mit ein paar Klassikern steigt die Stimmung im Anschluss wieder. 'Monoton & Minimal' oder 'Schweben, Fliegen und Fallen' kommen besser an, und natürlich wird wieder dem C64 gehuldigt, der seinen Weg von der Bühne aus ins Publikum findet. Das gilt auch für die bekannten großen WELLE: ERDBALL-Luftballons, die in ordentlicher Menge ins Publikum geworfen werden. Am Ende bringt Honey wieder seine Papierflieger an den Start, und jeder weiß, dass nun der 'Starfighter F 104G' abhebt. Noch einmal feiert das Publikum zu den Klängen ab, obwohl die Show mäßiger Durchschnitt ist. Da haben wir schon Besseres von den Herrschaften zu hören und zu sehen bekommen.

Als absolutes Kontrastprogramm zum vorherigen Auftritt, kann das Konzert von ANNE CLARK locker gesehen werden. Hier sitzt jeder Ton von Anfang an perfekt, und mit ihrer ruhigen Art verzaubert sie das Publikum. Auch wenn Rainer von Vielen nicht mehr dabei ist, überzeugen die anderen Musiker mit ihrem Akustikset voll und ganz. Schließlich musizieren sie ja auch schon ein paar Jahre zusammen.

Es erklingen einige Stücke vom letzten Album "The Smallest Acts Of Kindness", beispielsweise 'Off Grid' oder 'Boy Racing'. Aber auch das ältere 'Abuse' und natürlich 'Our Darkness' dürfen heute Abend nicht fehlen. Darüber sind die Fans erfreut, und es gibt viel Applaus für die Band. Hier zeigt sich eben die jahrelange Bühnenerfahrung. Ebenso bei der Tatsache, dass es nicht immer einer aufwendigen Show bedarf, um sein Publikum zu begeistern. Leider wird 'Sleeper In Metropolis', der Kulthit schlechthin, nicht gespielt. Das hätte dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt.

Von opulenten Bühnenshows hält die nächste Band ebenso wenig. PROJECT PITCHFORK bittet im Staatenhaus zum Tanz. Na, mal sehen, ob der Putz dieses Jahr hält. Vielleicht wurde er ja auch nur überall abgemacht, so dass nichts mehr auf die Bühne fallen kann. Dieses Mal passiert glücklicherweise nichts, und alles bleibt ganz. Die Halle ist proppenvoll, als die Band die Bühne betritt, und der Jubel kennt keine Grenzen.

Los geht es mit 'God Wrote'. Von Beginn an wird in den ersten Reihen ordentlich getanzt, wie sich das für ein PITCHFORK-Konzert gehört. Die Jungs sind gut drauf, nur Keyboarder Dirk fehlt. Der hat sich verletzt, und so muss Jürgen das heute Abend allein bewerkstelligen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Band einen Tag vorher das neue Album "Continuum Ride" herausgebracht hat, verwundert es, dass mit 'Endless Infinity' nur ein Song davon erklingt. Dafür greift man ganz tief in die Hitkiste, die mit Klassikern wie 'Steelrose', 'K.N.K.A.' oder 'Souls' gut bestückt ist. Einfach toll, die mal wieder live zu hören! Gemeinsam feiern alle bei kuscheligen Temperaturen zu den Songs. Der Sound und Peters Gesang klingen auch "wie früher". Schön ungeschliffen und rotzig - einfach so, wie es zu den Jungs passt.

Nach knapp einer Stunde ist mit 'Existence' leider Schluss, und mit viel Applaus wird PROJECT PITCHFORK verabschiedet. Mister Spilles hat das ebenso gefallen, und mit dem Hinweis, sich unbedingt SKINNY PUPPY anzuschauen, verabschiedet sich die Band von ihren Fans.

Nach so viel schweißtreibender Betätigung ist eine Abkühlung dringend notwendig. Also geht es an die frische Luft, um zu schauen, was AND ONE so veranstalten. Die Band verkaufte an einem Extrastand Shirts mit dem Aufdruck "Naghavis Schlampe", mit denen nun einige Damen unterwegs sind, die wohl die ersten Reihen bevölkern. Gerade läuft das AHA-Cover 'The Sun Always Shines On TV'. Na ja, ob das nun wirklich sein muss? Das 'Timekiller'-Cover von PROJECT PITCHFORK ist ja bekannt und klingt einigermaßen gut. Aber das? Heute ist wohl großer Tag des Coversongs? Im Military-Look verwöhnen uns die Jungs mit ihrer Musik, aber da wir NICHT "Den totalen Steve" wollen und das nach PITCHFORK alles so weichgespült klingt, geht's wieder in die Halle zum letzten Auftritt des Tages.

Die ist bei weitem nicht so voll wie gerade eben noch, dafür sind die wirklichen Fans hier, um ihren Industrial-Helden SKINNY PUPPY zu huldigen. Das Schlagzeug und das Keyboard sind mit weißen Tüchern behangen. An der Seite steht eine Art Käfig, der ebenfalls mit Tüchern bedeckt ist, und im Hintergrund auf der Leinwand laufen komische Bilder. Keine Frage, dieser Auftritt ist nichts für die breite Masse. Und in der Tat: Sänger Nivek Ogre erscheint in einem völlig abgedrehten Outfit, gestützt auf ein Gehwägelchen. Er trägt weiße Sachen mit vielen Blutflecken bespritzt, eine Maske, die irgendwie an die "Scream"-Filme erinnert und dazu einen langen, spitzen Hut. Von weitem könnte man meinen, hier ist einer vom Ku-Klux-Klan am Werk, als der Auftritt mit 'Love In Vein' beginnt. Um die Hände trägt Ogre rote Tücher, so dass es aus der Entfernung wirkt, als habe er keine.

Den Auftritt wollen sich auch die Jungs von PROJECT PITCHFORK nicht entgehen lassen. Sie stehen vorn beim Fotograben, filmen fleißig mit den Handys ihr kleines Andenken und freuen sich wie kleine Kinder. Die Party danach wird bestimmt lustig.

Die Lautstärke scheint noch zugelegt zu haben, und in Verbindung mit den visuellen Effekten entsteht eine bizarre Landschaft, die in der stockdunklen Halle eine geniale Wirkung erzielt. Die Zuschauer feiern ab und tanzen ausgelassen zu den Beats, und manch einer ist froh, dass es nicht zu voll ist, um sich richtig austoben zu können. Hier und da sieht man in der Halle jemanden, der einfach für sich abtanzt. Genial!

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Ogre hat sich zwischenzeitlich seines Hutes entledigt, und das Publikum tanzt sich in einen Rausch, und selbst wenn man diesen Sound nicht mag, wird man in seinen Bann gezogen. Doch auch der schönste Auftritt geht mal zu Ende, und für die Zugabe befreit sich der Sänger von seiner Maske und sieht fast normal aus. Zum krönenden Abschluss verwöhnen die Kanadier die Ohren der Fans mit 'Worlock' und 'Shore Lined Poison'. Was für ein Auftritt! Das war doch mal was Genaues und hat die Ohren richtig durchgepustet.

Der erste Festivaltag geht dem Ende entgegen. Bei einem kühlen Getränk am Rhein-Strand kann man den Tag wunderbar Revue passieren lassen. Dumm nur, dass irgendwann der Zugang zum Gelände verschlossen ist und alle einmal um den Block müssen, um zur Disko zu kommen.

Redakteur:
Swen Reuter

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