BANG YOUR HEAD 2016 - Balingen
26.07.2016 | 20:5714.06.2016, Messegelände
Die Sonnenstadt im Zollernalbkreis lockt mal wieder viele tausend Headbanger zu einem zünftigen, metallischen Familientreffen.
Freitag
Nachdem gestern SLAYER so mächtig abgeräumt hat, klagt Kollege Stehle über Nackenschmerzen. Ha, ich glaube die SLAYER-Jungs sind da Vorsatztäter, mein Lieber. Es war aber auch wirklich heftig und toll. Trotzdem bringt der heutige Tag meiner Ansicht nach interessanteste Billing der drei Festivaltage. Daher nichts wie rein!
Trotz der Tatsache, dass dieses Trio aus dem kalifornischen Ventura erst seit fünf Jahren existiert und bis dato lediglich eine selbstbetitelte EP sowie den Longplayer "Curse Of The Damned" vorzuweisen hat, ist der Andrang bei NIGHT DEMON zur Mittagszeit überraschend groß. Selten zuvor konnte sich ein Opener beim Bang Your Head-Festival über ein solches Gefolge freuen, eindeutiges Zeichen dafür, dass bislang alles richtig gemacht wurde. Mit spürbarer Freude an der Arbeit legen Bassist und Sänger Jarvis Leatherby, Saitendehner Armand John Anthony sowie Drummer Dusty Squires auch entsprechend los und liefern mit dem markanten 'Full Speed Ahead' nicht nur einen fulminanten Einstieg nach einer feinen Instrumental-Einleitung, sondern legen damit auch unmissverständlich das Motto ihrer Darbietung offen. Schon nach kurzer Zeit wirk klar, dass man sich bei dem Trio keinerlei Gedanken darüber zu machen braucht, ob denn die Open Air-Bühne nicht doch etwas zu überdimensioniert ausgefallen wäre, denn Jarvis und Armand rennen wie von der Tarantel gestochen über die Bretter und wissen auch den Steg ins Publikum gut zu nutzen. Immer wieder posen sie im Duett und vergessen auch zu keiner Sekunde den direkten Kontakt zum Publikum. Diesem wiederum fällt es gar nicht schwer mitzumachen, schließlich steht der tief in der NWOBHM verwurzelte Stil der US-Amerikaner wohl bei zahlreichen Headbangern auch im "Alltag" auf dem Frühstücksplan. Mit Nummern wie 'Night Demon', 'Screams In The Night' oder 'Curse Of The Damned' liefert NIGHT DEMON perfekte Kost für einen Festival-Einstieg, mit 'Heavy Metal Heat' zudem einen Ohrwurm der besonderen Art. Dadurch darf sich NIGHT DEMON nach den 45 Minuten auch als Arbeitssieger fühlen und hat sich den Applaus redlich verdient, so ist Jarvis dermaßen schweißnass, dass von seinem Arbeitsgerät das Wasser tropft. Das zu Beginn witterungsbedingt zum Teil gar mit Jacken ausgestattete Publikum indes ist mehr als zufrieden und gehörig aufgewärmt.
Die von den US-Amerikanern zuvor erzeugte Stimmung bleibt nicht nur aufrecht, sie erreicht im Anschluss an die angenehm kurze Umbaupause sogar einen ersten Höhepunkt. Die Franken FREEDOM CALL wissen selbstredend längst, wie Rock-Entertainment funktioniert, und laden die Zuschauer zu einer gepflegte Party mit ihrem "Happy Metal" ein. Die Songs der Burschen rund um Frontmann und Sprachrohr Chris Bay funktionieren selbstredend immer wieder und von daher ist es nur wenig verwunderlich, dass bei 'Tears Of Babylon' oder der Band-Hymne die Tausendschaft vor der Bühne ekstatisch mitgeht, mithüpft sowie auf Aufforderung die Hände im Rhythmus hin- und her bewegt. Man darf sogar behaupten, dass die Fans der Band sprichwörtlich aus der Hand fressen, nicht zuletzt deshalb erweist sich selbst die Live-Premiere der neuen Single 'Hammer Of The Gods' als überaus erfolgreich. Chris indes weist nicht nur auf diese hin, sondern lässt uns obendrein noch wissen, dass die Band deshalb so erfreut über diesen Gig ist, weil man zuletzt viel Zeit "allein und frierend im bandeigenen Keller" verbracht hatte, um das demnächst erscheinende neue Album "Master Of Light" fertigzustellen. Keine Frage, mit dem ersten Vorgeschmack darauf wird die Formation ihren Fans abermals eine Riesenfreude machen, der "Rest" der Welt wird sich einmal mehr darüber echauffieren, wie nahe FREEDOM CALL eigentlich am Schlager sind, und wie oft man die Grenze zum Kitsch überschritten hätte. Der Band selbst wie auch ihrem treuen Gefolge wird das dagegen völlig egal sein, Hauptsache es ist Material darauf zu finden, das sich bei späteren Konzerten als ebenso tauglich erweist wie das den Set beendete, lautstark mitgegröhlte 'Warriors'.
Das wurde aber mal Zeit, möchte man mit Blick auf die Performance von MANILLA ROAD beim diesjährigen Bang Your Head-Festival sagen. Denn der erste Europa-Auftritt überhaupt fand nach der Reunion der Band vor geschlagenen 16 Jahren auf dem Bang Your Head statt! Eine beachtliche Zahl von Zuschauern lässt sich den Auftritt nicht entgehen. Mit 'Flaming Metal Systems' legt MANILLA ROAD einen fulminanten Start auf den Bühnenbrettern hin. Und dies bei einem glasklaren Sound, der besonders die knackige Gitarrenarbeit von Bandkopf Mark "The Shark" Shelton perfekt zur Geltung bringt. 'The Riddle Master' (herrlich rauh von Shelton gesungen) animiert die Zuschauer zu eifrigem Mitsingen. Das anschließende Medley wird von Bryan "Hellroadie" Patrick kurzerhand als 'Masque Of The Hammer Of The Witches Brew' angekündigt. Die beide "Mystification"-Klassiker 'Masque Of The Red Death' sowie 'Death By The Hammer' werden sehr knackig umgesetzt, so dass ausgiebiges Headbanging im Publikum angesagt ist. Dazu noch das epische 'Witches Brew' mit Shark - der übrigens super bei Stimme ist! - Bangerherz, was willst du mehr? Zu meiner Verwunderung erblicke ich bei der Absperrung zum Bühnengraben eine jüngere Mutter mit ihrem vielleicht eineinhalbjährigen Töchterchen auf dem Arm. Sänger Hellroadie macht sogleich auf den jüngsten MANILLA ROAD-Fan im Publikum aufmerksam, knipst ein Erinnerungsfoto und winkt den beiden. Klar: Eine Heranführung der Sprösslinge an harte Musik ist zwar durchaus löblich, aber ein Kleinkind hat doch nichts auf einem Metal-Festival verloren und schon gar nicht vor der Bühne! Auch nicht mit dem Rundum-Gehörschutz auf den Ohren! So: nun wieder zurück zum eigentlichen Geschehen. Die Band spielt mit 'Truth In The Ash' auch ein neues Stück vom aktuellen Werk 'The Blessed Curse', das sich perfekt in die Setlist einreiht, aber leider mit etwas verhaltenem Applaus quittiert wird. Im letzten Drittel des Auftritts reiht sich Klassiker an Klassiker. Frenetisches Mitsingen ist bei Hits des Kalibers 'The Ram', 'Necropolis' und 'Crystal Logic' natürlich Pflicht. Und genau das tut die Metal-Gemeinde in Balingen. Mit 'Heavy Metal To The World' endet der Spaß dann auch schon und MANILLA ROAD wird mit einem lang anhaltenden Applaus verabschiedet. Mein Fazit: Grandioser, sehr intensiver Auftritt!
/>Setliste: Flaming Metal Systems, The Riddle Master, Medley: Masque Of The Red Death/Death By The Hammer/Hammer Of The Witches/Witches Brew, Truth in The Ash, The Ram, Necropolis, Crystal Logic, Heavy Metal To The World
Und noch eine Überraschung, noch ein Exot in Balingen. Die Show von IMPELLITTERI beim Bang Your Head ist die erste Show der Band in Deutschland überhaupt. Was für eine Schande, immerhin zählt der selbst ernannte "schnellste Gitarrist der Welt" seit der EP (1987), spätestens aber seit dem grandiosen Debütalbum "Stand In Line" (1988) zum Inventar der US-Metal-Szene und genießt zu Recht den Status eines Gitarrenhelden. In der Folge veröffentlichte Chris Impelliterri regelmäßig in Japan Alben, Europa fiel dabei über mehrere Jahre hinten runter. Seit 2009 ist nun auch Goldkehlchen Rob Rock zurückgekehrt, mit dem er den Großteil seiner zahlreichen Scheiben eingespielt hat, sodass die Zeit für den ersten Besuch in der Alten Welt wahrlich reif zu sein scheint. Nur: Das Interesse hält sich in Grenzen. Es ist zwar noch früh, aber ein paar mehr Schaulustige hätten es dann doch sein können. Immerhin haben wir es hier, ohne irgendjemandem auf die Füße treten zu wollen, mit dem wohl technisch besten Gitarristen und Sänger des Festivals zu tun. Doch wieder einmal bewahrheitet sich: Technik ist nicht alles. Schon im Vorfeld macht sich der Namensgeber sprichwörtlich zum Affen, in dem er seinen eigenen Soundcheck mit einer Maske durchführt. Sollte das witzig sein? Musikalisch konzentriert sich IMPELLITTERI fast ausschließlich auf die Alben, an denen Mr. Rock beteiligt war, und startet mit 'The King Is Rising', 'Speed Demon' und dem Rob-Rock-Paradestück 'Warrior' recht furios. Auf Scheibe sind das tolle US-Metal-Songs mit viel Geschwindigkeit, schönen Melodien und wahnwitzigen Soli, auf der großen Bühne funktioniert es nur leider nicht. Auch solche Kracher wie 'Stand In Line', 'Wicked Maiden', 'Lost In The Rain' oder 'Answer To The Master' zünden nicht ausreichend, um das Publikum mitzureißen und in ihre durchaus interessante Welt zu entführen. Sänger Rob Rock singt sich die Seele aus dem Leib, wirkt aber ansonsten eher gehemmt und an den Rand gedrängt. Dazu kommt, dass Chris Impellitteri auch an der nicht gerade seltenen Gitarristenkrankheit leidet, bei der sie während den Ansagen unentwegt fiedeln und damit ständig die Kontaktaufnahme des Sängers zum Publikum unterbrechen. Das nervt gewaltig – auch Mr. Rock selbst, der sich ab Mitte des Sets zwischen den Songs demonstrativ auf das Schlagzeugpodest setzt und abwartet. Bis auf das überflüssige Anspielen von Coversongs, unter anderem 'Smoke On The Water' (gähn), hält sich der Flitzefinger jedoch ansonsten angenehm zurück und verzichtet sogar gnädigerweise auf ein langatmiges Gitarrensolo. Am Ende verstreichen die fünfundfünfzig Minuten überraschend schnell, haben aber leider keinen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich hoffe trotzdem, dass Mr. Impellitteri auf den Geschmack gekommen ist und uns in absehbarer Zeit mit einer Klubtour beehrt.
Setlist: The King Is Rising, Speed Demons, Warrior, The Future Is Black, We Own The Night, Stand In Line, Wicked Maiden, Lost In The Rain, Time Machine, Answer To The Master
Nun wird es etwas heftiger und deutlich politischer, denn SACRED REICHs Phil Rind hat etwas zu sagen. Und so geht es sofort los mit 'American Way'. Erstaunlicherweise gibt es keinerlei Kommentar von Phil zum Thema der bevorstehenden US Präsidentenwahl, aber ohne ein paar Worte sagen geht es natürlich. Doch neben lobenden Worten für eine neue Gitarre und eine neue Hose (!) macht er sich selbst und seine Leibesfülle zum Ziel seines eigenen Spots, bevor SACRED REICH von Album zu Album springt und und einen Kracher nach dem anderen um die Ohren haut, nur das 1996er "Heal" kommt zu kurz. Die Band hat sichtlich Freude daran und da die Publikumsreaktionen entsprechend sind, steht einem mittelschweren Triumphzug nichts im Wege. 'Love... Hate' ist ein Höhepunkt, und natürlich das unvermeidliche BLACK SABBATH-Cover 'War Pigs'. Phil hat ja auch bereits ein BLACK SABBATH-T-Shirt an, passt also. Dann sagt er 'Who's To Blame' an und erntet großen Jubel. Irgendwie ist das einer der ganz großen Klassiker der Band, entsprechend freudig strahlen die Antlitze um mich herum. Die Band beginnt, Phil singt den ersten Vers, und als der Einsatz zum zweiten erfolgen sollte, blickt er nach rechts neben die Bühne. Er singt nicht, er spielt aber, doch er schaut nur zur Seite. Dann bricht die Band den Song ab. Phil entschuldigt sich dafür, dass er das Lied versaut hat. Er sagt, er hat ganz einfach den Text nicht mehr gewusst. "Das Alter?" fragt er. Allerdings ist das Verständnis etwas kleiner als die Enttäuschung, als er die Fans auffordert, das Lied einfach heute Abend von der CD zu hören, da die Zeit nicht reicht, nochmal anzufangen. So folgen zwar 'Independent' und das als Rausscheißer gesetzte 'Surf Nicaragua', doch ein 'Who's To Blame einfach auszulassen gibt natürlich deutliche Abzüge in der B-Note, Herr Rind! Sonst war der Gig allerdings mitreißend und äußerst unterhaltsam. Daher: Gerne wieder, aber vorher Texte lernen!
Setliste: American Way, Administrative Decisions, Free, Death Squad, One Nation, Love... Hate, War Pigs, Ignorance, Who's To Blame (abgebrochen), Independent, Surf Nicaragua
Der Triumphzug geht weiter. Mike Howe ist zurück – und wie! Die Metal-Kirche ruft ihre Schäfchen zur Messe – und die gesamte Gemeinde ist gekommen. Das weite Rund ist brechend voll. Es wirkt fast so, als würde jetzt der heimliche Headliner des Tages aufspielen. Und schon bei den ersten Takten zu 'Fake Healer' erwacht das Publikum zum Leben. Es klatscht, singt und springt im Kollektiv und feiert den verlorenen Sohn, ach Quatsch, die gesamte Band aus Seattle. Die Setlist ist praktisch schon bekannt, ist METAL CHURCH doch schon seit einigen Wochen in Europa unterwegs. Doch egal wie, niemand kann sich solchen Hymnen wie 'Fake Healer', 'Gods Of Second Chance', 'Beyond The Black', 'Watch The Children Pray', 'The Human Factor' oder 'Start The Fire' entziehen. Mike Howe singt nicht nur unfassbar sicher, er tut dies auch noch während er unentwegt springt, über die Bühne sprintet oder zwischen der Saitenfraktion hin und her tänzelt. Großes Kino. Einzig bei den David-Wayne-Stücken hat er ein wenig zu kämpfen und die Stimme wackelt an der einen oder anderen Stelle, was den Sänger aber nur noch umso sympathischer macht. Ansonsten konzentriert sich das Quintett selbstverständlich überwiegend auf die Ära, die Howe selbst mitgeprägt hat, an Klassikern mangelt es aus dieser Schaffensphase ja auch nicht gerade. Na klar, jeder vermisst noch den einen oder anderen Song (oft wurden 'Ton Of Bricks', 'No Friend Of Mine' oder 'Gods Of Wrath' genannt), aber ein Song wie 'Badlands' verursacht dann auch den Hartgesottensten ein feuchtes Höschen. Auch die beiden neuen Stücke 'No Tomorrow' und 'Killing Your Time' fügen sich problemlos in das Klassikerset ein, sodass nur das wiederholte Ignorieren des Songs 'Metal Church' als absoluter Frevel durchgeht. Die komplette Band hat ihren Spaß. Zappelphilipp Mike ist eh nicht zu halten und grinst bis über beide Ohren, Bandchef Kurdt Vanderhoof ist gewohnt reserviert (er hat ja bekanntlich ein schmerzhaftes Hüftleiden, das ihn in seinen Bewegungen arg einschränkt), genießt aber sichtlich das Bad in der jubelnden Menge. Gitarrist Rick Van Zandt bleibt heute eher etwas blass, während Bassist Steve Unger die eine oder andere Gene-Simmons-Pose auspackt und Schlagzeuger Jeff Plate der Schalk im Nacken sitzt. Dazu meint es der Wettergott auch gut, denn die Sonne brennt gnadenlos auf das Messegelände darnieder. Letztendlich also ein großartiger Auftritt einer großartigen Band mit großartigen Songs und einer hoffentlich großartigen Zukunft.
Setlist: Fake Healer, In Mourning, Start The Fire, Gods Of Second Chance, Date With Poverty, No Tomorrow, Watch The Children Pray, Killing Your Time, Beyond The Black, Badlands, The Human Factor
Da zeitgleich zum Start der Show der Hair-Spray-Ikone TIGERTAILZ noch METAL CHURCH über die Open Air-Bühne fegen, wird das Quartett in der Messehalle zunächst von einer eher überschaubaren Menschenmenge begrüßt. Doch schon binnen weniger Minuten finden sich nach und nach immer mehr Schaulustige in der Halle ein, um das Treiben des Vierers mitzuverfolgen. Zwar wirkt die Tatsache, dass Frontmann und Vince Neil-Lookalike Rob Wylde das "UK" als Herkunft des Vierers angibt, tagespolitisch irgendwie eigenwillig, doch "Brexit" und ähnliches scheinen überhaupt keine Themen für die vier Herren aus "Bale-s" zu sein. Warum auch, die vier Poser-Könige stehen seit jeher für nichts anderes als pures Rock ‘n‘ Roll-Entertainment und daran hat sich selbstredend nichts geändert. Ebenso wenig am Unterhaltungswert ihrer Hits vom Schlage 'Hollywood Killer' oder 'Shoot To Kill'. Doch auch auf den erst vor wenigen Monaten aufgelegten Dreher "Blaster" greift der bunte und wild gestylte Haufen zurück und präsentiert daraus unter anderem das auf Anhieb zündende Hook-Monster 'All The Girls In The World'. Da auch diese Nummer überaus positiv von den Fans aufgenommen wird, lässt sich als Fazit festhalten, dass die Formation - allen Unkenrufen sowie sämtlichen Tragödien in den letzten Jahren zum Trotz - auch anno 2016 noch für ausgiebige Unterhaltung zu sorgen versteht, selbst wenn man aktuell wohl auf eher billigere Haar-Sprays zurückgreifen dürfte, wie man an den im Laufe der Zeit doch etwas ramponiert wirkenden "Gebilden" auf den Häuptern der Saitenfraktion feststellen muss.
[Walter Scheurer]
Es geht Schlag auf Schlag. Kaum ist der letzte Ton von 'The Human Factor' verklungen, da heißt es auch schon Aufstellung nehmen, denn Alice ist im Haus. Tatsächlich hätten die Veranstalter in Erwägung ziehen können, die Slots von METAL CHURCH und ANNIHILATOR zu tauschen, denn das Publikumsinteresse im Gegensatz zu Howe & Co. lässt bei Jeff Waters' Rasselbande etwas nach. Ist doch aber eigentlich egal. Hauptsache, wir bekommen so zwei Knallerbands überhaupt geboten. Und gleich wird wieder deutlich: Jeff Waters hat seine komplette Hintermannschaft getauscht. Diese wirkt aber über die komplette Spielzeit sehr spielfreudig und agil. Nur leider sollte man sich nicht allzu sehr an sie gewöhnen, denn: ob die Jungs auch im Herbst beim zweiten Teil der Europatour zu "Suicide Society" dabei sind, dafür würde ich nicht unbedingt die Hand ins Feuer halten. Musikalisch hat Mr. Waters genug Klassiker in der Hinterhand, um den Auftritt in einen einzigen Sturmlauf zu verwandeln. Und bis auf die beiden neueren Songs 'No Way Out' und 'Creepin' Again' plündert er ausschließlich bei seinen Frühwerken, die wohl unbestritten als Thrashklassiker durchgehen. Großartige Songs, die Jeff Waters nun höchstpersönlich mit seinem melodischen Sprechgesang veredelt und dazu treffsicher wie eh und je die verrücktesten Riffs und Soli beisteuert. Es ist immer wieder eine Augenweide, dem scheinbar stets gut gelaunten jungen Mann bei der Arbeit zuzusehen. Einzig der Funke möchte nicht wirklich überspringen. Das Publikum wirkt noch etwas müde vom metallischen Gottesdienst, belohnt den Vortrag durchaus mit respektablem Applaus, aber das letzte Quäntchen an Begeisterung fehlt. Dafür ist die Darbietung trotz Killersongs wie 'W.T.Y.D.', 'Set The World On Fire', 'King Of The Kill' oder 'Alison Hell' zwar gut, aber einfach zu monoton und ohne größere Überraschungsmomente. Vielleicht sind es auch die langen Pausen zwischen den einzelnen Songs, die den Fluss stören und spätestens nach dem dritten oder vierten Mal wirklich nerven – Wechsel der Gitarre hin oder her, das kann man auch anders überbrücken. Weiterhin ist der Gesang von Jeff relativ leise, was nicht wirklich stört, weil eh jeder spätestens die Refrains kennt, aber in der Gesamtwertung auch ein paar Körner kostet. Unterm Strich und objektiv betrachtet also ein ordentliches Konzert, das aber nach METAL CHURCH und vor TESTAMENT einfach nicht zu fesseln weiß. Als großer ANNIHILATOR-Fan der ersten Stunde komme ich natürlich trotzdem auf meine Kosten, doch hoffe ich inständig, dass der Saitenhexer noch einmal die Kurve kriegt und der Band einen neuen wie auch immer gearteten Impuls verpassen kann. Nett, aber unspektakulär.
Setliste: Crystal Ann, King Of The Kill, No Way Out, Creepin‘ Again, Set The World On Fire, W.T.Y.D., Never, Neverland, Second To None, Refresh The Demon, Alison Hell, Phantasmagoria
Während überaus agile und ambitionierte Stage-Hands für ein nahezu exaktes Einhalten des Zeitplans sorgen und von daher auch im Verlauf des gesamten Festivals kaum Verzögerungen zu vermelden sind, stellt die Bühnen-Crew der schottischen Urgesteine NAZARETH den negativen Ausreißer dar. Die Kollegen sorgen durch unnötig übertriebenes Ausdehnen des Soundchecks (von etwaigen technischen Problemen war zumindest im Auditorium nichts zu bemerken) sowie im Schneckentempo ausgeführtes Vorbereiten diverser Bühne-Utensilien (gut, dass Wasser nicht so schnell sauer werden kann...) für eine Verzögerungszeit von gut 30 Minuten, ehe die Formation endlich die Bretter entert. Dadurch wird es jenem Teil der Zuseherschaft nahezu unmöglich gemacht, im avisierten "Parallel-Slalom" sowohl etwas von den Classic Rockern und von TESTAMENT mitzubekommen. Sollte tatsächlich Kalkül hinter dieser Verzögerungstaktik gestanden haben, ist der Plan aufgegangen, denn noch ehe NAZARETH loslegen, ist die Halle zum Bersten voll. Und zwar dermaßen, dass man im Endeffekt durchaus auf den Gedanken kommen durfte, hier wäre ein Platz auf der Open Air-Bühne angebracht gewesen. Diese Idee relativiert sich allerdings recht rasch, denn das seit geraumer Zeit von Carl Sentance am Mikro vervollständigte Quartett wirkt schon zu Beginn nur wenig spielfreudig und ebenso wenig überzeugend. Keine Ahnung, weshalb, aber durch den nun wirklich nicht zu bemerkenden Spaß an der Arbeit sowie den auch eher leblos wirkenden Vortrag des ansonsten für überzeugende Darbietung bekannten Neo-Sängers, hat die Vorstellung eher etwas von einer unterbezahlten, unterdurchschnittlichen Cover-Band, die sich an diversen jüngeren Tracks sowie Klassikern von NAZARETH versucht. Das war nix, gar nix. Schade.
Und nun? Scheinbar haben die Massen ihre Akkus aufgeladen und ihre Wahl getroffen, denn pünktlich zu TESTAMENT ist das Messegelände wieder amtlich gefüllt. Und wirklich jeder wünscht sich so sehr, dass dieses Mal alles gut geht und der Fünfer aus San Francisco seinem Ruf endlich gerecht wird. Allzu oft endete die Hoffnung in einem Sound-Overkill oder in einer lustlosen Performance des Fronthünen. Dies vorweg: Heute nicht. Während Chuck Billy beim Eröffnungsstück 'Over The Wall' noch ein bisschen mit dem Timing zu kämpfen hat, taut der Fronter spätestens bei 'Rise Up' und 'The Preacher' so richtig auf. Chuck sieht gut aus, hat deutlich abgenommen und ist vor allem bei guter Stimme. Noch möchte ich mich nicht zu früh freuen, aber auch der Sound ist okay, wenn auch die Gitarren insgesamt etwas lauter hätten sein können. Das schiebt schon verdammt ordentlich. Gitarrist Alex Skolnick ist der absolute Sympathiekuss der Band. Ihm scheint es offensichtlich noch am meisten Spaß zu machen, denn neben seinem formidablen Spiel ist er in ständiger Interaktion mit den Fans. Sein Pendant Eric Peterson hält sich dagegen eher bedeckt und konzentriert sich darauf, die Maschine am Laufen zu halten, Bassist Steve DiGiorgio schreitet gemächlich über die Bühne und zwischen den imposanten Aufbauten umher, während Gene Hoglan in gewohnter Manier sein Schlagzeug zertrümmert und speziell in den schnelleren Passagen für ehrfürchtiges Raunen im Publikum sorgt. Chuck Billy sucht immer mehr den Kontakt zum Publikum, macht seine Späßchen und animiert sie gar zum "sickest circle pit ever". So fannah und spielfreudig habe ich TESTAMENT seit Jahren nicht mehr gesehen. Musikalisch legen die Kalifornier Balingen in Schutt und Asche. 'Practice What You Preach', 'The New Order', 'Into The Pit', 'D.N.R.' oder 'Disciples Of The Watch', das Quintett feuert eine Thrashgranate nach der anderen über das Messegelände. Einmal den Sturm entfacht, lässt sich dieser kaum kontrollieren. Selbst Songs neueren Datums, wie beispielsweise 'Dark Roots Of Earth', 'Native Blood' oder 'The Formation Of Damnation', zünden und sorgen für reichlich Nackenschmerzen. Das Publikum ist begeistert, dankt es ihnen mit donnerndem Applaus und lauten Sprechchören. Der Auftritt ist eine gut einstündige Machtdemonstration, die ich der Band in dieser Form nicht mehr zugetraut hätte. Respekt, meine Herren.
Setliste: Over The Wall, Rise Up, The Preacher, More Than Meet The Eye, Practice What You Preach, The New Order, Dark Roots Of Earth, Into The Pit, D.N.R., Three Days In Darkness, Native Blood, Disciples Of The Watch, The Formation Of Damnation
Wie schon in den vergangenen Jahren von uns des Öfteren erwähnt, sind die meisten von uns keine großen Freunde mehrerer Festivalbühnen, und zwar ganz besonders dann nicht, wenn diese dazu führen, dass Bands gleichzeitig an den Start müssen. Und so erwischt es am heutigen Freitag Abend eben die schwedische Death-Metal-Institution GRAVE, die zeitgleich mit TWISTED SISTER an den Start muss. Ja, ich bin ein wirklich großer Fan der Schweden, doch auch ich will mir die Abschiedsshow der verdrehten Schwestern hier in Balingen, am Orte ihrer größten Triumphe, nicht entgehen lassen. Gleichwohl pflichtbewusst und benevolent begebe ich mich dann doch zu den ersten Takten der Mannen um Ola Lindgren in die Halle, die indes erwartungsgemäß nur eher spärlich gefüllt ist. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich die vier Herren auf der Bühne, allen voran natürlich der inzwischen bärtige Frontgurgler, intensiv ins Zeug legen, um die Getreuen auch angemessen zu entlohnen, die der Tiefton-Messe in Hallenatmosphäre den Vorzug geben vor dem Breitbildeventkino auf der Hauptbühne. Die Fans in der Halle tauen dann auch recht schnell auf und feiern die Schweden, die auch in Sachen Setlist nichts anbrennen lassen und der Meute sowohl Klassiker der Marke 'Soulless' und 'Into The Grave' als auch neuere Volltreffer vom Schlage des Titelsongs der aktuellen Scheibe "Out Of Respect For The Dead" oder der aktuellen "Hitsingle" 'Plain Pine Box' auftischen. Ja, soweit so gut, doch irgendwann kapituliert auch der Kriegsberichterstatter von der Hallenfront und verlässt die Herren GRAVE, um wenigstens noch das große Finale der TWISTED SISTER-Show auf dem Messegelände mitzubekommen. GRAVE sei indes attestiert, dass die Band wirklich alles gibt, doch denkbar undankbar bleibt der Hallenslot zeitgleich mit dem über alles geliebten ewigen Balingen-Headliner auf dessen Abschiedstour dann doch.
[Rüdiger Stehle]
Sollte das wirklich der Abschied sein? TWISTED SISTER hat angekündigt, die Reißleine zu ziehen und in Balingen das vorletzte Deutschland-Konzert zu spielen, danach nur noch in Wacken. Nun, da die Band auch tatsächlich seit dreißig Jahren kein neues Album aufgenommen hat, lebt sie weitgehend von altem Ruhm. Da sie diesen aber auch mit schöner Regelmäßigkeit ausgebeutet hat, ist es eigentlich ein cleverer Schachzug, aufzuhören, bevor es keiner mehr hören will. Man kann ja in zehn Jahren nochmal probieren, ob man es noch auf die Bühne schafft, immerhin ist der Frontmann bereits über sechzig Jahre alt. Doch das liegt in weiter Ferne, heute dürfen wir erstmal wieder mit den verdrehten Schwestern feiern, die gar nicht mal so verdreht rüberkommen. Klar, Dee Snider erinnert noch an die frühen Tage mit seinen langen, blonden Haaren, auch wenn sich der Haaransatz ein wenig weiter nach hinten geschoben hat, aber sonst wirkt die Band einfach wie eine Rockband - Jeans sind das Tuch des Tages. So rockt die Band erwartungsgemäß mit 'What You Don't Know (Sure Can Hurt You)' los. Und die Meute geht sofort mit. Die Stimmung ist sofort auf Betriebstemperatur, und 'The Kids Are Back' dreht alle Regler auf 11. Sehr cool zu sehen, mit welcher Vehemenz und mitreißender Freude Dee Snider die Show abreißt. Beim folgenden 'Burn In Hell' kommen Pyros zum Einsatz, und zwar nicht zu knapp. Ja, hier legt jemand einen echten Headliner-Gig hin. Um mich herum wird wild getanzt und gesungen, ich stehe da und schaue einfach, habe die Rechnung aber ohne Lars und Michael (Grüße!) gemacht, die hinter mir abgehen wie ein Zäpfchen, dass kein Auge trocken bleibt. Das ist ansteckend, und obwohl mir die Füße nach diesem durchgehend großartigen Festivaltag gehörig schmerzen, muss ich mitmachen. Und es geht Schlag auf Schlag: 'Destroyer', 'Like a Knife in the Back', 'You Can't Stop Rock 'n' Roll'. Zwischendurch gibt es ein paar pathetische Ansagen und ein paar Worte Richtung Veranstalter Horst, der die Band erneut geholt hat, wie Dee Snider sagt, indem er seine Taschen öffnete. Klare Ansage, aber das ist ja auch selbstverständlich, Headliner kosten eben Geld. Aber wenn sie sich dann so in Form präsentieren, sind sie das auch wert. Übrigens ist ja letztes Jahr TWISTED SISTER-Drummer A. J. Pero verstorben, weswegen heute ein Ersatzmann die Felle verdrischt. Und über diesen müssen wir ein paar Worte verlieren, denn es ist niemand anderes als Mike Portnoy. Ja, genau, Mr. Progdrummer himself. Zuerst habe ich das gar nicht gemerkt, was aber sicher auch dem allgemeinen Enthusiasmus geschuldet sein mag, doch nachdem ich es erkannte, merke ich, dass er tatsächlich mehr spielt als Pero zuvor. Hier mal ein Fill, ein paar kleine Nebensächlichkeiten zusätzlich, er kann nicht ganz aus seiner Haut. Das passt zwar nicht immer zu den simplen Rockern, aber als störend empfinde ich es auch nicht. So geht das Festival der großen Gassenhauer weiter, einzig 'I Believe in Rock 'n' Roll' fand ich schon immer ziemlich langweilig, und ich empfinde es auch heute als schwach. Dass die Band danach eine lange Version von 'We're Not Gonna Take It' bringt, wiegt das allerdings locker wieder auf. Natürlich singt das gesamte Festival laut und manchmal auch ziemlich falsch mit. Egal. Im Anschluss verlässt die Band erstmals die Bühne. Huch, das ist aber früh. Zuerst einmal sind gerade einmal etwa 60 Minuten vergangen, zum anderen haben sie noch einiges an Spielzeit. Aber wahrscheinlich braucht Snider mal eine kleine Verschnaufpause, denn der ist ständig in Bewegung gewesen und wirkte absolut mitreißend auf das Publikum. Und es fehlen ja auch noch zahlreiche Killer wie 'Shoot 'em Down', 'Sin After Sin', 'The Beast' und 'Tear It Loose'. Nur soll sich herausstellen, dass keiner derselben folgen würde. Stattdessen intoniert die Band eine viel zu lange Version des ROLLING STONES-Klassikers 'It's Only Rock 'n' Roll (But I Like It)'. Ich hätte dafür lieber zwei TWISTED SISTER-Lieder gehört. Aber immerhin kehrt die Band noch einmal zurück und bringt die Stimmung erneut hoch mit 'Come Out and Play' und 'Under the Blade'. Und wieder geht es von der Bühne. Aber es ist noch Zeit und selbst das Pblikum, durchaus ein wenig mitgenommen von einem langen Festivaltag, kann noch. Und so gibt es noch eine Zugabe, die allerdings nur aus 'S.M.F.' besteht. Tatsächlich bleiben noch Klassiker ungespielt, was mal wieder zeigt, wie viele gute Songs die Band auf nur vier Alben (ich lasse "Love Is For Suckers" mal absichtlich weg) veröffentlicht haben. Trotzdem bin ich nun ein wenig traurig. Schön war es. Aber, ach was, Horst: für 2022 machst du den Geldbeutel wieder auf, die Burschen spielen einen Set mit "Under The Blade" in Gänze, und wir werden alle wieder da sein und schön und falsch mitgrölen. Deal?
Setliste: What You Don't Know (Sure Can Hurt You), The Kids Are Back, Burn in Hell, Destroyer, Like a Knife in the Back, You Can't Stop Rock 'n' Roll, The Fire Still Burns, I Am (I'm Me), I Wanna Rock, The Price, I Believe in Rock 'n' Roll, We're Not Gonna Take It, Zugabe: It's Only Rock 'n' Roll (But I Like It); Zugabe 2: Come Out and Play, Under the Blade; Zugabe 3: S.M.F.
Aber auch nach dem großen Headliner geht es in der Halle noch weiter. Eigentlich bin ich müde und möchte gerne mal von den Füßen, aber SATAN verpassen? Das geht ja nun auch wieder nicht. Also stratzen Kollege Stehle und ich noch rüber in die überdachte Zweitarena, in der SATAN schon etwas zu früh angefangen hat, als TWISTED SISTER noch gar nicht beendet war. Die Briten sind gut eingespielt und Sänger Brian Ross hat zwar etwas an Körperfülle zugelegt, aber nichts an Stmmgewalt verloren. Leider ist es wirklich zu spät, um die Jungs noch richtig genießen zu können, deshalb machen wir uns nach ein paar Eindrücken, die das Fazit zulassen, dass SATAN einfach brillant sind und nächstes Jahr auf der Hauptbühne ransollten, auf den Heimweg. Wir werden halt auch nicht jünger.
- Redakteur:
- Frank Jaeger