BANG YOUR HEAD 2016 - Balingen
26.07.2016 | 20:5714.06.2016, Messegelände
Die Sonnenstadt im Zollernalbkreis lockt mal wieder viele tausend Headbanger zu einem zünftigen, metallischen Familientreffen.
Es ist mal wieder soweit, das Bang Your Head steht an. Zum einundzwanzigsten Mal. Wer hätte das gedacht? Am Mittwoch findet der Auftakt statt, der hochkarätig besetzt ist, aber leider kann niemand von uns pünktlich vor Ort sein. Die einen haben noch keinen Urlaub, und unser lieber Kollege Walter Scheurer steht im Stau um MÜnchen herum. Schade, das Line-Up mit NITROGOD, PRO-PAIN, RAGE, OVERKILL und SODOM wäre normalerweise für die meisten von uns ein Pflichttermin. Immerhin ist Jowita bereits vor Ort und macht einige Fotos, aber sonst müssen die folgenden drei Tage ausreichen. Dann geht es also los, das erste Bang Your Head-Festival nach dem großen Jubiläum. Die Ankündigung, dass auch die einundzwanzigste Auflage wieder volle drei Tage lang sein würde, hatte im Vorfeld nicht überall für uneingeschränkte Begeisterung gesorgt, da die Festivallandschaft jedes Jahr enger wird, aber erst einmal vor Ort ist davon keine Rede mehr. Es ist wie ein kleines Familientreffen, das Bang Your Head. Und wie immer ist viel zu wenig Zeit zum Quatschen, denn kaum ist man eingetroffen, geht es auch schon los. Und dummerweise sind schon die ersten Bands mehr als hörenswert, deswegen stürzen sich Martin Loga, Walter Scheurer, Chris Staubach, Rüdiger Stehle und ich ins Getümmel, während im Fotograben Jowita Kaminska-Peruzzi und Frank Hameister um die besten Motive kämpfen.
Donnerstag
Den Auftakt zum eigentlichen Open Air liefern bei leider nicht wirklich feinen Witterungsbedingungen die selbst zu den Stammgästen des Festival zählenden Jungs von STALLION. Sänger Pauly bedankt sich artig beim Veranstalter, der Crew und den Fans und gleich mehrmals für die Chance nach zehnmaligem Besuch auf dem Festival nun auf der Bühne stehen zu dürfen. Der Fünfer weiß diese Chance wahrlich zu nutzen und gibt von Beginn an Vollgas. Mit seinem Outfit (SKULL FIST-Kutte und Hose im "Rising Sun"-Design) ist Pauly auch ein Hingucker, nicht minder beachtenswert ist aber auch das Stage-Acting der Formation, die sämtliche Posen des Rock ’n‘ Roll-Entertainments drauf hat. Doch was würde das nützen, wenn nicht auch die Musik passen würde? Nicht viel, doch davor sind STALLION gefeit, schließlich wissen die Baden-Württemberger mit ihren tief in den Achtzigern verwurzelten, zum Teil recht hurtig dargebotenen Nummern zu gefallen. Neben dem der sogenannten "Szene" gewidmeten 'Stigmatized' stechen der Titeltrack ihres ersten Langeisens 'Rise And Ride' und 'Wild Stallions' sowie das Tribut an die Kollegen aus dem Ahorn-Land mit dem unmissverständlichen Titel 'Canadian Steele' hervor. Kurzum, die Burschen erweisen sich als gute Wahl für die Opener-Position und sorgen für ein gepflegtes Aufwärm- und Aufwachprogramm. Logisch, dass sie von der stetig anwachsenden Anzahl an Zusehern mit entsprechendem Applaus dafür honoriert werden. Thumbs Up!
Gleich darauf kommt mein heimlicher Headliner LEATHERWOLF. Die US Amerikaner haben in den Achtzigern drei großartige Alben veröffentlicht, die zu den besten Tripples aller Zeiten gezählt werden müssen. Gerade auf dem selbstbetitelten Zweitwerk und "Street Ready" gibt es einige unnachahmliche, epische Melodiekracher, die ich heute gerne hören würde. Die Band, die immerhin noch drei Gründungsmitglieder umfasst, legt aber erst einmal mit dem Opener des Debüts los, 'Spiter'. Der Sound ist ein wenig vom Winde verweht, deshalb gehe ich weiter nach vorne, wo es viel besser ist. Jetzt sind die Gitarren klar und auch Michael Olivieris Stimme kommt kraftvoll aus den Boxen. Sehr schön. Dass besagter Mikromann immer mal wieder mit seiner Gitarre rumhantiert, um die berühmte 'Triple Axe Attack' hinzubekommen, sei ihm verziehen. Ganz sicher benötigt LEATHERWOLF keine dritte Gitarre, aber es ist halt ein schöner Slogan. Und dann ist es soweit, die Band geht in die Vollen mit dem vielleicht besten Song ihrer Karriere, 'Rise Or Fall'. Das dynamische, epische Stück ist keinen Tag gealtert und wirkt heute noch genauso eindringlich wie 1987. Zwar ist die Menge von der Bühne noch überschaubar, aber dennoch ist Begeisterung spürbar. Ich bin wohl nicht der Einzige hier, der auf LEATHERWOLF gespannt war. Im folgenden spielt die Band einen schönen Querschnitt durch ihre drei ersten Alben und klammert das 2006er Album "World Asylum" aus. Das ist toll für die Fans, mich eingeschlossen, denn so gibt es mehr Klassiker, aber dennoch ist es seltsam, wenn Musiker nur von ihrer Vergangenheit zehren. Aber egal, weiter geht es! 'Street Ready' hätte ich nicht unbedingt gebraucht, ist das doch der schwächste Song auf ihrem dritten Album, aber das folgende 'Wicked Ways' macht alles wieder wett. Die Kombination aus Spaß am Spiel und großen Melodien zeigt seine Wirkung. Zahlreiche Hände werden gereckt, spätestens jetzt ist das Balinger Festivalpublikum auf Betriebstemperatur. Das Grinsen der Musiker zeigt, dass sie ebenso glücklich darüber sind, und so folgen noch einige weitere Lieder aus den Achtzigern, angereichert durch den Japan-Bonustrack 'Alone In The Night'. Leider fehlt mir noch das überragende 'Spirits In The Wind', aber 50 Minuten sind wenig für die Band, und so bin ich am Ende glücklich und würde LEATHERWOLF einfach gerne mal viel weiter oben im Billing sehen. Denn meine These bewahrheitet sich: LEATHERWOLF ist die Band mit den besten Songs des Tages.
Setliste: Spiter, Rise or Fall, Street Ready, Wicked Ways, Princess of Love, Gypsies and Thieves, Hideaway, Alone in the Night, Kill and Kill Again, Thunder, The Calling
Nun kommt die große Unbekannte des Festivals. Genau dafür liebe ich das Bang Your Head, denn wieder einmal ist es Horst und seinem Team gelungen, eine in der Versenkung verschwundene Band auszugraben, die wie eine Perle aus einem Meer an sich ständig wiederholenden Namen heraussticht. Wir reden hier von den Kaliforniern BABYLON A.D., die mit ihren beiden Scheiben "Babylon A.D." (1989) und "Nothing Sacred" (1992) in den USA beachtliche Erfolge feiern konnten, in Europa jedoch eher den Status eines Geheimtipps innehat. Bei ähnlich gearteten (gealterten) Bands mündet der Reaktivierungsversuch meist in einer müden und netten, aber belanglosen Performance, bei dem Quintett aus San Francisco jedoch nicht. Sänger Derek Davis und seine Mannen geben von Anfang an Vollgas. Die Herrschaften sind alle noch gut in Schuss und wirken mächtig fit. Derek ist sehr agil und super bei Stimme, der Rest der Mannschaft spielfreudig. Willkommen auf dem Sunset Strip in Balingen. Im Vorfeld zauberte mir die Band noch ein dickes Fragezeichen ins Gesicht, was aber scheinbar nicht nur mir so ging, denn nach LEATHERWOLF lichtet sich das Messegelände sichtbar. Auffallend mehr weibliche Fans zeigen sich vor der Bühne, die der Arschwackelmucke sogar noch eine positive optische Komponente hinzufügen. Das ist jedoch nur ein angenehmer Nebeneffekt, denn große Kosmetik haben BABYLON A.D. nicht nötig, noch nicht einmal ein Backdrop hat der Fünfer mit nach Balingen gebracht. Dafür reichlich knackigen Hardrock im Stile der 80er, für den man sicherlich eine Band wie MÖTLEY CRÜE als Vergleich heranziehen darf. 'Hammer Swings Down', 'Bad Blood', 'Maryanne', 'Bang Go The Bells' oder 'Kid Goes Wild' rocken amtlich und machen unglaublich viel Spaß. Den lassen sich die Jungs auch nicht von frühen technischen Problemen nehmen. Nur eine Ballade wie 'So Savage The Heart' möchte um diese frühe Uhrzeit noch nicht so recht funktionieren; und auch die Frage "somebody started drinking?" sorgt eher für ein müdes Lächeln. Was für eine Frage. Natürlich. Als die Band mit dem UFO-Cover 'Lights Out' die gut fünfzig Minuten beschließt, ist sogar die Sonne herausgekommen, scheinbar, um ebenfalls zu einem gelungenen Auftritt zu gratulieren. BABYLON A.D. ist eine großartige und sehr authentische Band, die in dieser Form sicher auch in der heutigen Zeit ihre Berechtigung haben dürfte. Bin mal gespannt, ob da noch etwas Zählbares kommt.
Setlist: Back In Babylon, Hammer Swings Down, Shot O'Love, Bad Blood, Maryanne, Bang Go The Bells, Slave Your Body, So Savage The Heart, Kid Goes Wild, Lights Out
Ha, jetzt kommt das finnische Kampftier. Allerdings führt das ein wenig in die Irre, denn trotz des martialischen Namens ist der nordische Tupp mt dem Namen BATTLE BEAST eher melodisch unterwegs und so beginnt die Vorstellung auch mit viel Keyboards. Aber dann kommt Frontröhre Noora Louhimo auf die Bühne, hey, das ist mal ein Auftritt. Eine Stimme, die die Bezeichnung Röhre auch verdient, kraftvoll, intensiv, und dazu die imposante Erscheinung und markige Gesten, dagegen verblassen ihre Mitmusiker aber gehörig. Obwohl sie auch ihr Bestes tun, um das Publikum mitzureißen. Auch Basser Eero Sipilä zeigt im folgenden 'I Want the World... and Everything in It' seine Gesangeskünste, ohne dass der Auftritt in übliche "Beauty And The Beast"-Klischees abrutscht. Und wenn doch, ist Noora eh beides, Beauty und Beast. Das zeigt sie bei 'Out On The Streets', bei der die gefühlvolle Seite der Finnen zum Vorschein kommt, das aber auch ein schöner Mitstampfer ist, dessen Refrain man auch nach der Hälfte mitsingen kann, ohne das Lied eigentlich zu kennen. Klar, textlich werden so ziemlich alle Metal-Klischees erfüllt, aber irgendjemand muss das ja übernehmen, wenn MANOWAR nicht da ist. 'Fight, Kill, Die' oder 'Enter the Metal World' lesen sich anno 2016 unfreiwillig humoristisch, doch live entpuppen sich alle Songs als durchaus kurzweilig. Ich bin positiv überrascht, hatte ich doch eigentlich nicht viel erwartet und deutlich mehr bekommen. Richtige Fans in unserer Redaktionsabordnung hat die Truppe bis dato nicht gehabt, aber ich stehe an der Schwelle.
Setliste: Let It Roar, I Want the World… and Everything in It, Out on the Streets, Into the Heart of Danger, Fight, Kill, Die, Black Ninja, Enter the Metal World, Iron Hand, Touch in the Night, Out of Control
Wenn man eine gewisse Affinität für Hard Rock besitzt, so kommt man seit zwei Jahren nicht mehr um THE DEAD DAISIES herum. Die australisch-amerikanische Allstar-Band ist aktuell omnipräsent. Dazu kommt eine erstaunliche Produktivität, denn dieser Tage erscheint mit "Make Some Noise" bereits das dritte Scheibchen innerhalb von vier Jahren. Dass der Fünfer die große Bühne auszufüllen versteht und im Vergleich zu beispielsweise BABYLON A.D. noch mehr Glamour und Präsenz ausstrahlt, scheint angesichts der beteiligten Musiker fast schon eine Selbstverständlichkeit. Absoluter Blickfang ist natürlich Sänger John Corabi (unter anderem ex-MÖTLEY CRÜE), der gut singend vor allem optisch einiges zu bieten hat. So geht der junge Mann aus Philadelphia doch glatt als kleiner Bruder von Steven Tylor und Jack Sparrow (Johnny Depp) durch. Daneben tänzelt Sunnyboy und Bassist Marco Mendoza (unter anderem ex-WHITESNAKE) über die Bühne, während Neuzugang Doug Aldtrich (unter anderem ex-WHITESNAKE, DIO) mit bis zum Bauchnabel geöffneten Hemd die Gitarrensaiten qualmen lässt und unverschämterweise aussieht als wäre er in einen Jungbrunnen gefallen. Im Hintergrund trommelt Brian Tichy (u.a. ex-WHITESNAKE, OZZY) souverän und findet sogar genügend Freiraum, um die eine oder andere Showeinlage zu liefern. Der letzte im Bunde ist Gitarrist David Lowy, der ebenfalls eine gute Figur macht und sich immerhin auf die Fahne schreiben kann, die Band gegründet zu haben. Doch trotz Sonnenschein und großer Bühnenperformance möchte beim anwesenden Publikum nicht so recht der Funke überspringen. Die Leutchen wirken irgendwie müde, drücken ihre Anerkennung der Leistung trotzdem mit einem dauerhaften Nicken aus und spenden fleißig Applaus. THE DEAD DAISIES bietet einen gelungenen Mix aus eigenen Songs, von denen speziell das bockstarke 'Make Some Noise', das schwer rollende 'With You & I' und 'Lock 'n' Load' herausstechen, und Fremdkompositionen wie beispielsweise 'All Right Now' (FREE), 'Fortunate Son' (CCR) und das großartige 'Helter Skelter' (THE BEATLES). Und genau das ist das Problem mit dem Vortrag und spaltet das Rockervolk in Balingen über das gesamte Wochenende. Für die einen ist die Supergruppe eine coole Rockband, die ihren alten Helden berechtigterweise huldigt, für die anderen ist das Quintett einfach nur eine gute Coverband. Verstehen kann ich irgendwie beide Seiten. Immerhin wartet die Band in ihren fünfundfünfzig Minuten mit gleich vier Fremdkompositionen auf, die jetzt auch nicht wirklich originell sind oder außergewöhnlich dargeboten werden. Weiterhin leisten sich die Jungs auch noch den Luxus, ein völlig überflüssiges Schlagzeugsolo zu integrieren (wobei: das zahlreiche Stöckewerfen gegen Ende hin war schon irgendwie cool). Letztendlich eine gute Rockshow mit Glamour-Attitüde, die aber keine Begeisterung entfacht. Da wäre sicherlich mehr drin gewesen.
Setlist: Midnight Moses, Make Some Noise, All Right Now, Long Way To Go, Lock'n'Load, Fortunate Son, With You & I, Last Time I Saw The Sun, Helter Skelter
Nach den hard rockenden Acts ist es mal wieder Zeit für etwas Metallischeres. Obwohl natürlich die Briten DRAGONFORCE auch polarisieren mit ihrem pfeilschnellen, ultramelodischen Heavy Metal. Da reichen dann die Reaktionen von bangenden ersten Reihen bis zu einem gepflegt hingerotzten "das geht gar nicht!". Aber so ein Festival ist halt auch eine Wundertüte, und da ich DRAGONFORCE schon einmal auf dem Rockfels gesehen habe und sogar zwei Alben im Regal stehen habe, bin ich frohen Mutes. Natürlich kann die Band ihre Kritiker nicht widerlegen, aber als sie lachend auf die Bühne stürmen und sofort die Saiten glühen lassen, ist das ansteckend. Die beiden Gitarristen, übrigens auch die beiden einzigen verbliebenen Gründungsmitglieder, legen los wie die Feuerwehr. Besonders Herman Li freut sich sichtlich und wirft sich für das Publikum in Pose. Dazu trifft Sänger Marc Hudson die Töne sicher und schafft es auch, die notwendigen Höhen zu erklimmen. Passend zu der aktuellen Veröffentlichung spielt die Band vor einem neuen Backdrop, denn "Killer Elite", eine Doppel-Best-Of-CD, möchte ja auch beworben werden. Dafür reichen die sechzig Minuten Spielzeit gerade einmal aus, denn DRAGONFORCE lässt es auch gerne mal länger dauern. Die Fäuste gen Himmel heimst die Band einiges an Applaus ein und liegt im Billing eingebettet zwischen Hard Rock und Doom Metal, sodass der Kontrast noch zusätzlich erfrischend wirkt. Das hat schon Spaß gemacht, so ein bisschen Speed mit Trallalla geht auf Festivals immer.
Mal wieder die Doom-Schweden CANDLEMASS, schön. Und mal wieder mit einem anderen Sänger, denn mit Mats Leven am Mikrophon hatte ich sie tatsächlich noch nicht gesehen. Ich in gespannt, zumal die neue EP "Death Thy Lover" mal wieder mächtig rockt. Doch was muss ich als erstes erblicken? Oder besser nicht erblicken, denn er fehlt: Leif Edling ist nicht dabei. Ich hatte gehofft, dass er wieder würde dabei sein können, doch offensichtlich ist das nicht der Fall. Aber die ganz große Überraschung ist das natürlich nicht, denn schon letztes Jahr war Edling bei den Auftritten seiner Band AVATARIUM nicht anwesend. Gemeinsam hoffen Kollege Rüdiger Stehle, der mit mir zusammen in der Nähe der Bühne steht, dass es ihm bald wieder besser gehen möge. Aber jetzt wird erstmal gedoomt. Es steht außer Frage, dass CANDLEMASS eine der besten Doombands des Planeten ist, und das wird sofort bei 'Mirror Mirror' wieder deutlich. Mats Leven überzeugt auf ganzer Linie und schafft es, die Lieder zwar nicht wie Messiah Marcolin zu intonieren, sondern ihnen seinen eigenen Stil aufzudrücken, anders zwar, aber nicht schlechter. Und dann kommt gleich eine große Überraschung! Ich muss erst genauer hinhören, um es glauben zu können: Da erklingt doch tatsächlich 'The Dying Illusion'! Das Lied von der großartigen, aber immer sträflich ignorierten Scheibe "Chapter VI" ist ein ganz tolles Stück, das ich, wenn ich mich recht entsinne, noch nie live erleben durfte. Super! Allerdings ist das die einzige echte Überraschung, denn dass die Band mal wieder auf ganzer Linie überzeugen würde, hatten wir erwartet. In der zweiten Hälfte folgen dann Bandhymnen wie 'At The Gallows End', 'Crystal Ball' und 'Solitude'. Ich vermisse 'Samarithan', andererseits geht es auch ohne. Zusammen mit LEATHERWOLF ist CANDLEMASS mein Highlight des Tages und es ist sehr schade, als der Auftritt zu Ende geht. Daran kann auch der heftige Regen, der dem Doom entsprechend die Sonne verdrängt hat, nichts ändern. Ich habe wie etwa die Hälfte der Banger meine Regenjacke dabei, und dem Rest ist es einfach egal.
In wie fern es dem zu jenem Zeitpunkt offenbar mächtig angepissten Petrus zuzuschreiben ist, dass aufgrund der eher instabil wirkenden Wetterlage in den frühen Abendstunden des ersten Festival-Tages einige Zuseher mehr in die Halle strömen als erwartet, ist zwar schwer nachvollziehbar, würde aber ohnehin nichts am Umstand ändern, dass sich die Verpflichtung von Jean Beauvoir und seinem Gefolge als Gewinn für das Veranstalter-Team entpuppen sollte. Das Interesse an der erst vor kurzer Zeit reanimierten Melodic Rock-Legende VOODOO X ist nämlich auch so gewaltig und wird von der Formation mit entsprechender Spielfreude und einer überaus tighten Performance quittiert. Da auch die Eingängigkeit des Songmaterials immer noch gegeben ist, sieht, oder besser hört, man schon bald nicht nur jene Zeitgenossen lauthals mitsingen, die bereits zur ersten Blütephase des Unternehmens in den 80ern mit dabei waren, sondern auch den überraschend zahlreich vertretenen Nachwuchs. Generell fällt nämlich – und zwar nicht nur bei VOODOO X, sondern auch bei anderen, der "plüschigeren" Abteilung zuzuordnenden Acts wie DARE oder TYKETTO – beim diesjährigen Festival auf, dass offenbar eine neue Generation Fans für diese Kost herangewachsen ist. Und diese hat nicht nur die Heldentaten ihrer Idole bereits intus, sondern versteht es auch schon ganz im Stile der "Väter-Generation" Bands entsprechend abzufeiern. Nicht zuletzt dadurch ist die Stimmung in der Halle am Siedepunkt, als die Truppe mit Tracks wie 'I’m On Fire' oder 'Happy Birthday' das legendäre VOODOO X-Debüt "The Awakening" zitiert. Songs wie diese verursachen nämlich immer noch mächtige Fan-Chöre, die mindestens ebenso beeindruckend sind wie die gewöhnungsbedürftige Haarpracht des Band-Oberhaupts. Kurzum: ein überaus gelungenes Comeback!
Heuer sind die meisten richtig heftigen Kapellen in die Halle verbannt, doch eine weitere Truppe der richtig harten Gangart hat neben dem Tagesheadliner das Privileg, auf der Hauptbühne spielen zu dürfen, und das auch noch als Anheizer direkt vor SLAYER: Die Rede ist von den Engländern CARCASS, die in Balingen wie üblich natürlich eher ihre melodischer thrashenden Werke ab "Symphonies Of Sickness" zum besten geben und weniger den Grind der Frühphase. Klar, ohne 'Reek Of Putrefaction' geht gar nichts, doch ansonsten greift die Truppe um den heute gut, wenn auch gerade im Hinblick auf politische Ereignisse durchaus etwas sarkastisch aufgelegten Frontmann Jeff Walker lieber zu riff- und melodielastigen Hits wie 'Corporal Jigsore Quandary', 'Incarnated Solvent Abuse' oder dem aktuellen 'Captive Bolt Pistol'. Den größten Hit hebt sich die Band wie üblich auf den Schluss auf, und kaum ein Anwesender, der das Alter dafür hat, fühlt sich nicht wehmütig an Adam Turtle und "Metallah" erinnert, als die schneidenden und doch so magisch melodischen Gitarren zu 'Heartwork' erklingen. Ja, CARCASS macht heute Abend alles richtig; die dennoch verhaltenen Publikumsreaktionen sind indes vorhersehbar, denn beim "Bang Your Head" tummelt sich halt einfach nicht das Stammpublikum der Briten, sodass der Rang im Billing gemessen an der Publikumsreaktion vielleicht doch etwas zu hoch ist.
[Rüdiger Stehle]
Während draußen CARCASS noch die letzten Salven ins Publikum feuert, das sich dann auf SLAYER gefasst macht, bin ich in der Halle und warteauf DARE. Die Melodic Rocker um den ehemaligen THIN LIZZY-Keyboarer Darren Wharton sind in unseren Breiten äußerst selten zu Gast, sodass dieser Gig für mich Pflichtprogramm ist. SLAYER und CARCASS gucke ich mir dann auf dem Summer Breeze an. Zumal ich SLAYER in diesem Jahr bereits einmal gesehen habe. Also nichts wie hin zu DARE! Als ich eintreffe, hat die Band wohl gerade begonnen Ich brauche eine Minute, bis ich mich in den Sound einfinde, und hadere erst einmal mit mir selbst, weil ich gleich den ersten Song nicht erkenne. Ich glaube, ich muss mehr DARE hören. Was ich aber sofort erkenne ist Darren Whartons großartige Stimme. Das neue Album steht ja in den Startlöchern, Nummer sieben der Diskographie, und hört auf den Namen "Sacred Ground". Es ist wieder schön geworden, was die Band auch sogleich beweist, also sie 'Home' spielt. Das Album selbst kommt tatsächlich erst am nächsten Tag auf den Markt, aber da wir die Metalbörse vor Ort haben, wird wohl der eine oder andere am Freitag rübermarschiert sein. Denn DARE überzeugt heute auf der ganzen Linie. Dazu trägt natürlich auch der Rest der Band bei, allen voran Vinnie Burns an der Gitarre, den wir alle bereits von TEN und BOB CATLEY kennen. Die Lieder sind mit Herz und auch mit viel Schmalz vorgetragen und DARE scheut sich auch nicht, den Kitsch mit der großen Kelle aufzutragen. Aber das war zu erwarten gewesen, denn das ist nun einmal ihr Stil, der selbst in der durchaus kitschresistenten AOR-Szene gelegentlich für schräge Blicke sorgt. Doch wenn man sich darauf einlässt, und das tun durchaus beachtlich Viele hier, denn die Halle ist ordentlich gefüllt, ist "wunderschön" das einzige Attribut, das auf DARE passt. Da man bei sieben Alben auch aus dem Vollen schöpfen kann, bieten die Briten nun einen Querschnitt durch ihre Diskographie, in dem es neben dem weiteren neuen Song 'On My Own' vom aktuellen "Sacred Ground"-Album noch zwei Highlights zu erwähnen gibt. Da ist zum einen die Coverversion von THIN LIZZYs 'Emerald', das die Band aber entblößt und dann in ein völlig neues DARE-Gewand gekleidet hat. Eine schöne Idee und eine tolle, neue Interpretation des Klassikers. Und zum Zweiten gibt es gegen Ende einen großen Nachschlag des Debütalbums mit vier Liedern am Stück. Die Stimmung ist großartig, Darrens Ansagen nicht immer leicht verständlich, die Musik schmeichelnd und verträumt, und dann ist der Gig zu Ende. Schade. Und was nun? SLAYER? Echt?
Setliste: (für den ersten Song kam ich leider zu spät), Home, Storm Wind, Silent Thunder, Where Darkness Ends, On My Own, Beneath The Shining Waters, Emerald, Wings Of Fire, We Don't Need A Reason, Abandon, Into The Fire, The Raindance, King Of Spades, Return The Heart
Müdigkeit? Fehlanzeige. Es scheint fast so, als hätten die meisten Festivalbesucher den Tag über ihre Kräfte geschont, um die angestaute Energie einzig und allein bei SLAYER gesammelt zu entladen. Schon die ersten Klänge von 'Repentless' versetzen die Anwesenden im gut gefüllten Rund in völlige Ekstase und kündigen verheißungsvoll an, was gleich über das Messegelände hereinbricht. Plötzlich wird es still um mich herum, es wird gebannt gen Bühne geschaut – da besteht sogar fast die Gefahr, dass das Bier in den prallgefüllten Bechern absteht. Selbst das Wetter spielt mit. Pünktlich zum Auftritt ziehen düstere Wolken auf, die die perfekt bedrohliche Kulisse für das anstehende Thrashgewitter bieten. Und SLAYER lässt es so richtig krachen. Bis zur ersten Ansage, dem markanten Schrei zu 'War Ensemble', feuert das Quartett bereits vier beachtliche Thrashsalven ab, die den Fans Freudentränen in die Augen treiben. Insgesamt kommen die Kalifornier mit wenig Worten aus und wenn doch, dann lacht sich gar Tom Araya über seine Ansagen schlapp ("we love", "you love", "everybody loves"). Daher lassen sie lieber die Musik sprechen – und diese spricht an diesem Abend tatsächlich für sich selbst. Gleich vier Kracher vom Debütalbum, dazu das Beste aus dreiundreißig Jahren Thrashgeschichte und ein paar aktuelle Hits, die dem Klassikerset in Nichts nachstehen. Allein der abschließende Fünferpack mit 'Seasons In The Abyss', 'South Of Heaven', 'Raining Blood', 'Black Magic' und 'Angel Of Death' ist jedes Eintrittsgeld wert und klang selten besser als heute. Mehr Gewalt, mehr Aggressivität, mehr Erhabenheit geht im Thrashgewand kaum. Da bleiben wenig Wünsche offen – zahlreiche Münder dafür umso mehr. Musikalisch also alles top, aber wie sieht es mit dem Drumherum aus? Die wechselnden Backdrops sind beeindruckend, die Lichtshow sparsam, aber effektiv, und der Sound trotz anfänglicher Schwierigkeiten (ich hasse diese konsequent getrennten Klampfen auf großen Festivals) gigantisch. Einzig die alters- und krankheitsbedingt statische Performance ist zwiespältig und diskussionswürdig. Während Sänger, Bassist Tom Araya aus gesundheitlichen Gründen das Kopfschütteln untersagt ist, er dafür aber majestätisch anmutend die große Bühne ausfüllt und gelegentlich gar diabolisch grinsend den Steg ins Publikum beschreitet, hält sich Gitarrist Kerry King neuerdings anscheinend lieber im Hintergrund auf als am Bühnenrand Präsenz zu zeigen. Zwar ist seine Ausstrahlung und das Posing weiterhin beeindruckend, ein bisschen mehr hätte es trotzdem gerne sein dürfen – vor allem dürfte er auch gelegentlich mal die Seiten wechseln, um sich seinen Fans auf der anderen Bühnenseite zu präsentieren. Da sich Schlagzeuger Paul Bostaph hinter seinem riesigen Kit verbarrikadiert und die Fans ihn erst bei der finalen Verabschiedung zu Gesicht bekommen, obliegt es Gitarrist Gary Holt, für ein bisschen Bewegung zu sorgen. Dabei wirkt der junge Mann noch immer wie ein Fan, der bei seiner Lieblingsband aushelfen darf. Das ist sehr charmant und sympathisch, sein eigenwilliger Bangstil ist trotzdem gewöhnungsbedürftig. Ich kann mich mit der Diskrepanz zwischen der hektischen Musik und der statischen Performance durchaus anfreunden (hierbei stört Garys ausgedrückte Freude sogar perfiderweise), lässt es die Musik doch teilweise noch brutaler wirken. Alles in allem ist SLAYER der perfekte Headliner an diesem Tag. Die Kalifornier dürfen in dieser Form und mit dem grandiosen Mix aus Klassikern und starkem neuen Material gerne wiederkommen. Und jetzt alle: SSSLLLAAAYYYEEERRR!!!
Setlist: Repentless, Disciple, Postmortem, Hate Worldwide, War Ensemble, When The Stillness Comes, You Against You, Mandatory Suicide, Fight Till Death, Dead Skin Mask, Die By The Sword, The Antichrist, Born Of Fire, Seasons In The Abyss, South Of Heaven, Raining Blood, Black Magic, Angel Of Death
- Redakteur:
- Frank Jaeger