BRUCE DICKINSON und DOMINUM - München

26.06.2024 | 23:22

25.06.2024, Circus Krone

We all taste...nach Schweiß!

Endlich ist er da, der 25. Juni 2024! Was hab ich mir ab Januar 2023 ein Loch in den Bauch gefreut ob der von Bruce D. immer öffentlicher und lauter angedachten und schließlich auch offiziell verkündeten neuen Solo-Aktivitäten! Neues Album, Solo-Tour, Festival-Auftritte, Comic-Reihe, Autogrammstunden-Tour. Bruce versprach die Fan-Komplettbedienung, hielt Wort und zog voll durch! Mit dieser Attitude traf der Sänger bereits am Jahresende 2023 mittig ins Zentrum meiner nicht geringen Begeisterungsfähigkeit und veranlasste mich sogar dazu, jede Menge Porto auszugeben, um mir ein Special-Edition-Bundle des zu diesem Zeitpunkt angekündigten neuen Albums "The Mandrake-Project" in Großbritannien zu bestellen. Jene neue Veröffentlichung erwies sich in meinen Ohren dann sogar als unerwartet phänomenaler "Knaller", der aktuell immer noch manchmal seine Runden bei mir dreht. Dass die Anschaffung einer Karte für das Konzert im Münchner Winter-Domizil des Circus Krone absolutes Pflichtprogramm für mich darstellte, versteht sich dabei von selbst.

"Das war eines der besten Konzerte, die ich je gesehen habe!" Mit dieser Aussage einer Bekannten greife ich gleich mal etwas vor und bereite euch sanft auf einen allmählich in Buchstabenform über euch hereinbrechenden Begeisterungsorkan vor. Doch gemach: Zunächst beginnt der Konzertausflug gegen 15:30 Uhr bei bestem Sommerwetter in meinem beschaulichen Heimatörtchen am Rand der Schwäbischen Alb, wo eben Anne und Holger bei mir zusteigen. Ohne Zwischenfälle cruisen wir bereits etwa 80 Minuten später durch den nur leicht angedickten Münchner Stadtverkehr, wo sogleich die stattlich aufgeschärfte Anzahl der Linienbusse auffällt, in denen zeitweilig vor Freude und Stolz etwas irre lachende und feixende Kinder ihre rot-weißen oder weiß-roten Trikots an die Scheiben pressen, um jeden ahnungslosen Autofahrer darauf hinzuweisen, dass heute im Rahmen der Fußball-EM in der Allianz-Arena Serbien gegen Dänemark auf dem Programm steht.

Am Circus Krone angekommen freuen wir uns diebisch über den kaputten Parkautomaten auf der anderen Straßenseite vor der Spaten-Brauerei, dessen LCD-Schrift sofortigen Parkscheibenbetrieb verkündet, flanieren nach kurzem ehrfürchtigem Staunen (Hier haben die BEATLES gespielt!!!) vor dem Äußeren des feierlich-schicken Zirkusgebäudes über die Straße und sammeln davor meinen im Schatten vor sich hinschwitzenden Cousin ein. Da Anne, die aufgrund eines geschäftlichen Termins am nächsten Tag, ein Hotelzimmer hat, nun selbiges zum Einchecken aufsucht, machen Holger, Benni und ich uns auf die Suche nach Speis und Trank. Weil der Augustiner-Biergarten in nächster Nähe fest in Händen der public-viewenden Fußballfans ist, entscheiden wir uns für den "Funkstadel" im Erdgeschoß des Bayerischen Rundfunk-Gebäudes. Hier lassen wir uns in aller Ruhe Bier und Radler, Currywurst und Cevapcici schmecken. Um 19:00 gibt der Kollege Schnittker per Whatsapp durch, dass der Einlass beginnt. Wir eilen...

Vorbei am prallgefüllten, wunderschönen Augustiner-Biergarten, werden wir an der nächsten Straßenkreuzung unter anderem fast von einem älteren Konzertbesucher mit IRON MAIDEN-Fanclubshirt und Gehstock aus dem Weg getackelt. Der Gute ist mir deshalb noch in bester Erinnerung, weil ich ein halbes Stündchen später gleich wieder an ihn erinnert werde. Denn nach dem allseits bekannten 'Time Warp' aus der "Rocky Horror Picture Show" als Intro entert Sänger, Songwriter und Produzent Felix Heldt alias "Dr. Dead", der ebenfalls am Stock geht, die Bühne. Unterstützt wird er dabei von seinen instrumentenbehangenen Begleitzombies "Patient Zero" am Bass, "Victor" am Drumkit, der aufgrund seiner schmächtigen Statue und dünnen Ärmchen von mir zunächst für eine Victoria gehalten wird, und "Tommy" an den Gitarren.    

Von vier im Wechsel weiß, rot und grün blinkenden Laternen illuminiert, steigt DOMINUM, so nennen sich der Doktor und seine wie ertrunkene Matrosen gewandeten Schergen, flott in den ersten Song 'Immortalis Dominum' ihres zügig vorgetragenen und semi-modern klingenden Dance-Powermetals ein. So nenne ich das Ganze mal.

Da ist eine Menge Bewegung auf der Bühne wahrzunehmen, man hat offenbar schnell von Meister Dickinson und seiner Truppe gelernt, wie man eine Bühne kurzweilig mit Action füllt, um nicht visuell zu langweilen. Beim zweiten, stimmungsmäßig ähnlich schnellen Lied 'Danger Danger' fällt dem Gitarristen erst einmal das halbe Gesicht, pardon, die halbe Maske weg und er sieht von nun an aus wie ein, nun ja, angefressener Fischkopp. Bis auf den Doktor tragen alle Musiker Masken, was bei dieser Hitze, der wir im Zirkus trotz der mittlerweile begonnenen Abendstunden alle ausgesetzt sind, bestimmt nicht sehr angenehm sein kann. So prangt an der linken Seite vor dem Drumkit auch der Songtitel 'We All Taste The Same", der sich in meinem leicht hitzebedröhnten Hirn ziemlich schnell zu 'We All Taste Nach Schweiß" verändert. DOMINUM rockt den bereits ordentlich gefüllten Circus Krone auch mit den nächsten beiden Liedern ihres Debütalbums "Hey Living People", namentlich 'Half Alive' und dem Titeltrack derart gut, dass Teile des Publikums sogar auf die Mitklatsch-Spielchen des Doktors reagieren. Richtig Fahrt nimmt der Zirkus aber endgültig auf, als eine - in meinen Ohren und meinem musikalischen Gefühl für ästhethische Richtigkeit einer Coverversion - ebensolche, äußerst fragwürdige Coverversion erklingt: 'Rock You Like A Hurricane' von "ihr wisst schon wem", in pop-powermetallischem Gewand. Huargh! Ich laufe grünlich-zombiehaft an, was aber keiner bemerkt, der Rest der Innenraumbelegschaft und der Logen geht jedoch ziemlich steil.

Nach einer ebenso kurzen wie skurrilen Ansage zum Thema Toleranz wird 'We All Taste The Same' gespielt, das, neben dem durchaus anspruchsvollen Falsettgesang des Doktors, auch deutlich AVANTASIA-hafte Musicalatmosphäre transportiert. Als Rausschmeißer hängt die Band gleich noch das wieder flottere 'Patient Zero' dran, offensichtlich benannt nach dem bandeigenen Bassmann. Ein letztes Mal beobachte ich fünf Meter linker Hand vor mir eine gänzlich untätowierte, kreuzbrav in schwarzen Oberstufenrock und unscheinbares Top gewandete Dame, die jedes Lied inbrünstig mitschmettert, als hätte sie beim Komponieren geholfen. Gut gemacht!

Setliste DOMINUM: Immortalis Dominum; Danger Danger; Half Alive; Hey Living People; Rock You Like A Hurricane (SCORPIONS-Cover); We All Taste The Same; Patient Zero

Nach kurzer Visite am Merchstand und Bewunderung der schicken "Lädchen" im runden Flur um die Logenränge herum, in denen es unter anderem auch Kaffee und zirkustypische Süßigkeiten wie Eis und Popcorn zu erwerben gibt, hole ich mir noch eine schön kalte Cola und betrete wieder den nunmehr prallgefüllten Innenraum, für den hier jedoch offensichtlich nicht zu viele Karten verkauft wurden, da man nicht eng stehen muss. Um Punkt 21:00 Uhr ertönt nach 'The Invaders' noch das 'Toltec 7 Arrival'-Intro. Die Musiker der Liveband von BRUCE DICKINSON betreten unter frenetischem Jubel des Publikums wie Gladiatoren die Bühne, nehmen ihre Plätze ein und brettern bei gutem Klang das Riff von 'Accident Of Birth' in den Raum. Der von Beginn an wie ein tollwütiger Berserker unter Elektroschocks herumzappelnde Bruce ist großartig bei Stimme und steigt enthusiastisch singend ein.

Erstes Riff, erste Zeile, erster Kontakt mit dem Publikum: Bruce hat den Laden binnen drei Sekunden vollständig im Griff! Ich weiß übrigens aus gut unterrichteter Quelle, dass Kollege André Schnittker während seiner drei Songs im Fotograben kontinuierlich was von "Scheiß ADHS bei Erwachsenen" vor sich hin geflucht haben soll...

Bei 'Abduction' bemerkt man dann die ständig ins Bild fliegenden blonden Dreadlocks eines vor sich hinbangenden Energiebündels und wird sich bewusst, dass da ein weiblicher Blickfang vorne links das typische Aufmerksamkeitsverhalten der Bruce D. - Fans empfindlich stört: Die irische Bassistin Tanya O'Callaghan wurde nach ihren viel beachteten Auftritten mit WHITESNAKE auch von Bruce in seine neue Begleitband aufgenommen... und lässt zahllosen Fans die Münder offen stehen! Den enthusiastischen Reaktionen auf ihren Auftritt zur Folge sind mindestens 80% der Konzertbesucher sofort schockverliebt! Die atemberaubende Performance der Irin lenkt in der Tat häufiger von Uns-Bruce ab. Dennoch muss man fairerweise sofort auch den Rest der formidablen Begleitmannschaft unserer Air Raid-Siren erwähnen: Der schwedische Produzent, Songwriter und eben Gitarrist Philip Näslund sowie der Schweizer Sessionmusiker Chris Declerq zeigen gemeinsam mit dem italienischen Keyboarder Mistheria und Schlagzeuger Dave Moreno enorme Instrumentenaction, Bewegungsdrang und physische Präsenz. Letzterem gelingt dies ab der Hälfte des Gigs vor allem über die mittig im Bühnenhintergrund angebrachte Video-Projektionsfläche.

Trotz einfach nicht vermeidbaren Fehlens vieler Songperlen, zum Beispiel gibt es keinen tätowierten Millionär, kann die Setliste überzeugen. So folgt gleich an dritter Stelle das alte 'Laughing In The Hiding Bush'. Das Publikum kommt durch die, wie immer unnachahmliche und heute besonders intensive Bühnenaction früh und heftig in Fahrt. Das ist zum einen an der enormen Lautstärke der Menschenmenge zu hören aber zum anderen auch regelrecht anhand der immer drückender werdenden Hitze zu spüren. 'Afterglow Of Ragnarok' trägt da freilich wenig zur Abkühlung bei, im Gegenteil lässt das mit einem apokalyptischen Video auf dem Videoscreen untermalte Lied vom neuen Album "The Mandrake Projekt" das Publikum regelrecht in Wallung kommen. Das überraschende 'Starchildren' folgt nach einer längeren Ansage. Überhaupt plaudert Bruce heute gerne und viel mit dem Publikum, was aber nicht stört und einem die Gelegenheit verschafft, in der Hitzeglocke vor der Bühne etwas durchzuschnaufen. Einmal vergleicht er die Wucht des Münchner Publikums mit seiner typischen gekonnten Gestik und Mimik gleich einem Theaterschauspieler mit einem plötzlich stoppenden Zug. In Assoziation mit dem Ende der Konzerte in Deutschland entfährt ihm glatt der Vergleich: "It feels like the end of the world".


Ja, Bruce ist eine einzigartige Nummer, das wissen wir alle, deswegen sind wir hier! Nach einer erneuten langen Ansage erklingt das ebenfalls wieder ins Set genommene 'Jerusalem' nach dem berühmten Gedicht "And Did Those Feet In Ancient Time" von William Blake. Der tiefschürfende, emotionale Song sorgt bei mir für Gänsehaut und wird von den sechs gestandenen Musikern auf der Bühne so gut vorgetragen, dass danach das Publikum spontan in rhythmische Anfeuerungsrufe ausbricht, die Bruce mit der Ansage zu 'Chemical Wedding' abstoppt. Die Crowd singt den Ohrwurm wie ein Mann in ohrenbetäubender Lautstärke mit, und ab jetzt nutzt man die Videoprojektionsfläche auch für Livebilder der Musiker. 'Resurrection Men' wird visuell und mittels einstudierter Bewegungsabläufe, vor allem von Tanya, megacool performed und kann die Stimmung im Publikum locker halten. Dasselbe gelingt auch mit dem ebenfalls neuen und wieder vom Video auf dem Screen begleiteten 'Rain On The Graves'.

Abgefahren wird es dann mit dem Fuzzrock-Coverspektakel des Songs 'Frankenstein' der THE EDGAR WINTER GROUP. Spielte Bruce bei vielen Songs heute Abend seither auch mal Percussion oder Congas, so darf er als Höhepunkt zum Ende des mit Spät-60er-, Früh-70er-Hippie-Grafiken vom Screen blendenden "verbruceten" Jazzrock-Stückes ein Theremin bedienen, das durch "unsichtbare" Berührung von Ätherwellen gespielt wird und futuristische Science Fiction-Geräusche erzeugt. Eine fabelhafte Idee, die den Circus Krone in einen Hexenkessel verwandelt! Anschließend feiert das Publikum die inzwischen auf der ganzen Bühne herumlaufenden und posenden Musiker zum grandiosen 'The Alchemist' grandios ab und wuchtet die Fäuste rhythmisch in die Luft, was der theatralischen Melodie und dem kraftstrotzenden Riff eine enorme Durchschlagskraft verleiht. Wegen sowas fahre ich auf Konzerte, einfach nur geil! Was für Chöre, was für eine Stimmung! Das den Hauptteil beendende 'Road To Hell' aktiviert die scheinbar letzten Kräfte und Schweißvorräte bei jedem Einzelnen im Publikum.

Nach einigem freudigen Gebauchpinsel von Bruce bei seinen Konzertgästen und dem Geständnis, dass er nicht weiß, was der Text bedeutet sowie gespielter Verärgerung über das Tourbooking während der EM-Englandspiele, beginnt das Vorspiel zu 'Tears Of The Dragon', das als erster Song der Zugabe den inzwischen tobenden Cirus Krone endgültig in eine andere Rock-Dimension katapultiert. Zu Beginn des letzten Stückes 'The Tower' stellt Mr. Dickinson die Musiker vor, nennt die Nationalitäten und findet einige nette und passende Worte zu jedem. "Eins, zwei, drei, vier" und es geht ab! Wahnsinn! Was für ein Konzertende, was für ein Gig!

Heute Abend haben BRUCE DICKINSON, selbst in überragender physischer und stimmlicher Verfassung, und seine Bandsöldner sich selbst übertroffen! Aus Anne platzt außerdem vor Begeisterung nach dem Gig sofort heraus, was viele denken: "Was für eine Bassistin! So eine zierliche Frau und trotzdem so ein energisches Persönchen! Was für eine Frau!" Die gesamte Band befindet sich in bestechender Form, so dass der Harz Anfang Juli vermutlich endlich mal so richtig gerockt wird. Leute, die ihr hingeht: Freut euch, das wird der Hammer! Ich hoffe inständig, dass Bruce vielleicht noch einmal zu einem Tour-Nachschlag mit dieser tollen Soloband in der Lage sein wird. Von mir aus darf er dann auch noch einmal DOMINUM mitbringen, die Band hat ihre Sache unterm Strich auch gut gemacht.

Setliste BRUCE DICKINSON: Accident Of Birth; Abduction; Laughing In The Hiding Bush; Afterglow Of Ragnarok; Starchildren; Jerusalem; Chemical Wedding; Resurrection Men; Rain On The Graves; Frankenstein (THE EDGAR WINTER GROUP-Cover); The Alchemist; Road To Hell; Zugaben: Tears Of The Dragon; The Tower

 

Photo Credit: Andre Schnittker


Redakteur:
Timo Reiser

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