Bang Your Head!!! - Open Air - Balingen
11.08.2012 | 15:0602.07.2012, Messegelände
Die Metalgemeinde versammelt sich zum älljährlichen Abschädeln auf der schwäbischen Alb.
Die beste Nachricht vorweg: Mir geht es gut. Die zweitbeste Nachricht: Es scheint die Sonne und es ist kein Regen vorausgesagt. Beste Partystimmung. Nicht ganz, denn wir trödeln ein wenig im Bad und verpassen dadurch SISTER. Tut uns nur ein bisschen weh, weil wir die verrückten Schweden schon auf Tour mit U.D.O. gesehen haben, obwohl sie musikalisch echt in Ordnung sind.
LANFEAR machen im Anschluss ihre Sache sehr ordentlich, wenn auch das Publikumsinteresse überschaubar bleibt. Das ist klassischer Power Metal, gut vorgetragen und auch schön gesungen. Der Höflichkeitsapplaus kommt von Herzen.
Habe ich Bock auf eine amtliche Thrashkeule? Und wie! Bei WARBRINGER kreisen die ersten Matten, der "Circle Pit" ist erwacht. Fünfundvierzig Minuten wird die Keule geschwungen und auch der eine oder andere Schwinger trifft mich wie am Vorabend Dereck Chisora. Das ist nicht unbedingt innovativ, aber unterhaltsam. Die Kalifornier freut es, das Publikum auch. Da schmeckt die Grillwurst im Anschluss umso besser.
Denn mit Wurst und Bier bewaffnet schaue ich mir danach in aller Ruhe BREAKER an. Natürlich treffe ich da auch erwartungsgemäß Freunde von mir vor der Bühne, die mir gleich die ganze Lebensgeschichte der Amerikaner erzählen und sich wie kleine Kinder freuen. Ich kann ihre Begeisterung nicht ganz teilen, lasse mich aber gerne überraschen. Netter US-Metal, der einen Haufen Old-School-Fans vor die Bühne zieht und die Metalbörse für fünfzig Minuten leergefegt haben dürfte. Alles in allem ein gelungener Auftritt, den ich mit einem Latte Macchiato für vier Euro ausklingen lasse.
Jetzt ist es Zeit für TANKARD. Die Frankfurter haben wieder einmal die Shirt-Macht auf dem Festival, denn jeder Zweite scheint mit einem Baumwollhemd der Band bekleidet zu sein. Somit werden Gerre und seine Mannen bereits beim Eröffnungsstück 'Zombie Attack' frenetisch gefeiert, was sich bis zum Schlussakkord auch nicht ändern sollte. Im Gegensatz zum "Rock Hard Festival" stimmt hier der Sound und die charmant rumpeligen Thrashstücke verfehlen ihre Wirkung nicht. 'The Morning After', 'Sleeping From Reality', 'Chemical Invasion', 'Rectifier', 'A Girl Called Cerveza', 'Minds On The Moon' und das unvermeidliche 'Empty Tankard' bringen richtig Stimmung in die Hütte. Dafür sorgt auch wie immer Frontmann Gerre, der sich allerhand Späße mit Fotografen, seinen Bandkollegen, den Kameraleuten, dem Publikum und der eigens mitgebrachten Tänzerin Nicole erlaubt. Zum Abschluss lädt der schon leicht angeschlagene Lockenkopf alle Damen aus dem Publikum auf die Bühne ein, sodass sich Gitarrist Andi Gutjahr zur Belustigung der männlichen Schaulustigen mehrfach in Sicherheit bringen muss. TANKARD – immer wieder schön.
Anmerkung des Fotografen Frank Hameister: Die Happy Hippos in Gerres Hausfrauengruppe werden beim nächsten Wiegen sicherlich über dieses Foto begeistert sein.
Nun folgen AXXIS. Von vielen im Vorfeld belächelt, meistert die Band um Sänger Bernhard Weiß seine Aufgabe professionell gut. Mit ihrem klassischen Hardrock wissen die Jungs zu begeistern, wobei sich seit über zwanzig Jahren die Geister am Gesang scheiden. Das ändert sich auch 2012 nicht, denn während viele lauthals mitsingen, verdrücken sich die anderen mitleidig lächelnd zu einem der vielen Getränkestände. Mir gefällt es, wenn auch Bernhard seine durchaus amüsanten Ansagen etwas kürzer halten könnte – man hätte sogar bis zu zwei Songs mehr spielen können, garantiert. Wirklich putzig ist die Aktion, wie er einen kleinen Jungen mit aufblasbarer Gitarre und Perücke bewaffnet aus dem Publikum auf die Bühne holt und das Publikum ihm im Anschluss wie einen Rockstar feiert und "Singalong"-Spielchen mitmacht. Großes Kino, vor allem weil der Star von morgen selbst bei der Akustikversion von 'Touch The Rainbow' auf der Bühne bleiben darf und das Tamborin spielt. Süße Aktion.
Anmerkung des Fotografen Frank Hameister: Es war schön Bernie mal wieder ohne Wollmütze auf dem Kopp zu sehen.
Ebenfalls belächelt, aber aus einem ganz anderen und nicht ganz so nachvollziehbaren Grund, werden auch die Schwaben von PRIMAL FEAR. Das ist gut gemachter Power Metal aus deutschem Lande, Randy Black ein grandioser Schlagzeuger und auch Ralf Scheepers ein gnadenlos guter Sänger, wenn man denn auf "eierlosen Gesang" (O-Ton Angela Gossow) steht. Matt Sinner und seine Mannschaft passen auf dieses Festival wie die Faust aufs Auge. Ein Song wie beispielsweise 'Metal Is Forever' könnte – trotz leichtem Fremdschämen – zu einer wahren Festivalhymne werden. In ein paar Jahren, wenn JUDAS PRIEST endgültig und vollkommen zu Recht abgedankt haben, dürften wir froh sein, wenn noch jemand den Metal God mimen kann.
Bis dahin sind PRIMAL FEAR halt nur die Zweitbesetzung und ich kann in Ruhe meinen ersten Jacky des Tages trinken. Der haut mich dann aber auch erst einmal um. Somit muss ich mal aus der Sonne raus und statte der Metalbörse meinen zweiten Besuch ab. Deutlich weniger los, dafür aber eine etwas entspanntere Stimmung. Und ich gebe es zu: Nachdem ich zwanzig Minuten um die erste CINDERELLA für 5 Flocken herumgeschlichen bin, habe ich sie –nach gutem Zureden eines Freundes- dann doch noch mitgenommen. Wie war das mit der Therapie für "collecting mania"?
Anmerkung des Fotografen Frank Hameister: Die Scheibe darf in keiner ordentlichen Sammlung fehlen. "Shake me, Baby!"
In der Zwischenzeit verpasse ich PRIMORDIAL, die ich immer als Black-Metal-Band abgestempelt hatte und muss beim Herauskommen kurzfristig feststellen, dass der weißgeschminkte Sänger Alan A. Nemtheanga sogar richtig singt und die Iren gar nicht so böse sind wie angenommen. Autsch.
Im VIP-Bereich herrscht Aufbruchsstimmung. "Wir kapitulieren niemals!"- (copyright by UNLEASHED) oder "Wir ziehen in den Krieg"-Sprechchöre werden laut. Das deutet darauf hin, dass SABATON sich aufmachen, dem Publikum den ultimativen Metal zu präsentieren. Diese Band ist schon ein Phänomen. Vor fünf Jahren spielten sie noch in den kleinsten Klubs Europas und wurden von den größten Teilen der Metalanhänger nur müde belächelt. Mittlerweile füllen sie schon die mittelgroßen Hallen alleine, haben ein erfolgreiches eigenes Festival in Schweden aus dem Boden gestampft und werden von vielen Festivalbesucher/innen als heimlicher Headliner gehandelt. Deswegen machen Joakim Brodén und seine neue Hintermannschaft auch von Anfang an keine Gefangenen. Es kracht an allen Ecken und Enden (sogar so laut, dass die Bierbecher im VIP-Bereich von den Tischen fallen), sekündlich steigen Feuersäulen dem Bühnendach entgegen und musikalisch haben die Schweden alles und jeden im Würgegriff. So voll habe ich das Festivalgelände an diesem Wochenende noch nicht gesehen. Die Karriere und die Konsequenz der Band würdigt mir uneingeschränkte Hochachtung ab, mit der Musik kann ich leider noch immer nichts anfangen. Da scheine ich einer der wenigen zu sein, denn als ich nach fünf oder sechs Songs wieder ein kühles Plätzchen aufsuche, habe ich dort die absolut freie Sitzplatzwahl.In der Folgezeit rutschen vor allem die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts leicht unruhig auf ihren Bänken hin und her, denn GOTTHARD kündigen sich an. Punkt 19:40 Uhr sind sie von ihren Männern auch nicht mehr zu halten, denn die Schweizer steigen mit 'Dream On' und 'Gone Too Far' in ihr Set ein. Ich glaube kaum, dass es irgendjemanden auf dem Gelände gibt, der dem Quintett auf Grund des Schicksalsschlags nicht die Daumen drückt – egal ob Fan oder nicht. Natürlich steht der neue Sänger Nic Maeder im Fokus der Aufmerksamkeit, zu übermächtig scheint der Schatten des tragisch verunglückten Steve Lees. Doch Nic meistert gesanglich seine Aufgabe sehr gut, wirkt nur zu Beginn etwas zu schüchtern. Im Laufe des Sets taut der Australier etwas auf und geht auf sein Publikum zu, was dieses ihm mit ehrlicher Anerkennung zurückzahlt. Diese Kombination könnte tatsächlich funktionieren. Und auch die hohe Hürde 'One Life, One Soul' nimmt er bravourös. Die ersten Tränchen fließen. Der Sound ist perfekt. Sehr laut, aber noch angenehm, und egal wo man steht, ob rechts oder links, vorne oder hinten, er ist sensationell ausbalanciert. Respekt. Es folgen 'Hush', 'Mountain Mama', 'Starlight', 'Anytime Anywhere', das Steve gewidmete 'Remember It's Me', 'Right On', 'Master Of Illusion', 'Fist In Your Face', 'Top Of The World' und als Zugabe 'Mighty Quinn'. GOTTHARD sind mein persönlicher Höhepunkt, der Appetit auf die anstehende Hallentournee macht. Nur mein Festivalbegleiter mosert und ist beleidigt wie ein Kind, weil sie 'What I Like' nicht gespielt haben. Vielleicht ja im Herbst.
Irgendwann merkt man die zwei langen Festivaltage dann halt doch in den mittlerweile alten Knochen. Hat man schon das schmale Zeitfenster von nur zwanzig Minuten verpasst, in dem man sich hätte die griechischen Thrasher von SUICIDAL ANGELS in der Halle hätte ansehen können (als wir uns im Schneckentempo über das Messegelände in Richtung Halle gequält haben, beginnen bei Erreichen dieser gerade GOTTHARD auf der Hauptbühne), verzichten wir nach dem Schweizer Hauptgewinn freiwillig auf Peter Tätgrens PAIN ("Hammer!" O-Ton einer Begleiterin) in der sicherlich überfüllten In-Door-Variante. Schade, aber an diesen zeitlichen Überschneidungen sollte das Organisationsteam für die Zukunft wirklich noch einmal arbeiten. Das ist ja unmenschlich.
Pünktlich zu EDGUY spült es uns dann wieder vor die Bühne und wir feuern unsere hessischen Kollegen stillschweigend an. Doch das Quintett benötigt unseren lautstarken Zuspruch auch gar nicht, denn trotz Müdigkeit (die Band hat am Vortag in Tschechien gespielt und fast überhaupt keinen Schlaf in der Zwischenzeit abbekommen) wirkt die Band aus Fulda gewohnt agil und spielfreudig – eventuell ein bisschen zu routiniert, wenn man das unbedingt negativ auslegen möchte. Musikalisch einwandfrei feuern sie Songs wie 'Nobody's Hero', 'Tears Of A Mandrake', 'Spooks In The Attic' und 'Rock Of Cashel' ab und auch Frontkasper (lieb gemeint) Tobi Sammet treibt seine gewohnten Späßchen. Nur Veranstalter Horst Franz bringt ihn kurzzeitig aus der Fassung, als er den bekennenden Bayern-München-Fan auf der Bühne fragt, wer denn Deutscher Meister geworden ist. Tobis Antwort: "Der VFB Stuttgart war es glaube ich nicht". Der ganze Spaß findet dann beim folgenden '9-2-9" ein jähes Ende als Tobi im Spurt auf dem Mittelgang ins Publikum stolpert und mit voller Wucht in den Fotograben fällt. Dabei bricht sich der Sänger das Nasenbein und prellt sich die Hüfte und einige Rippen. Kurzzeitig steht das Konzert vor dem Abbruch, denn die Blutung der Nase möchte partout nicht stoppen. Die Band, vor allem aber Mr. Sammet, entscheidet nach kurzer Unterbrechung inklusive Behandlung, weiterzumachen. Die folgenden 'Lavatory Love Machine' und 'Superheros' werden dann auch mit absolut verständlicher Handbremse vorgetragen und mit fortlaufender Spieldauer sind die Bewegungsabläufe immer mehr eingeschränkt und auch im Gesangsbereich geht Tobi weitestgehend auf Nummer Sicher. Dass dies gesanglich noch weit über dem liegt, was andere im Normalzustand abliefern, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen. Egal ob man die Band mag oder nicht, die Blödmänner, die Tobi ständig die ausgestreckten Mittelfinger entgegenrecken und sogar verbal beschimpfen, gehen gar nicht. Ich bin auch kein großer EDGUY-Fan, aber ein wenig Anerkennung und vor allem Respekt haben sie (und alle anderen Bands auch) verdient. Die Band bringt den Auftritt noch souverän nach Hause, auch wenn sich gegen Mitte des Sets die Reihen etwas lüften, was vor allem am Beginn der Hallenshow von EXODUS gelegen haben dürfte. Denn hier zählt: nur die Schnellen kommen in den Thrashgarten. Mit 'Ministry Of Saints', 'Out Of Control' und dem unvermeidbaren 'King Of Fools' geht zeitgleich mit dem Feuerwerk eine gute und auf Grund des Unfalls unvergessliche Show zu Ende.
Im Anschluss wollen überschlagene fünftausend Menschen noch in die Messehalle, was aus Platzgründen absolut nicht möglich ist. Deshalb hat man schon während der EDGUY-Show den Eingang zur Halle weiträumig abgegittert, was natürlich für einigen Unmut und Tumulte sorgt. Wir verzichten schweren Herzens darauf und lassen ein weiteres "Bang Your Head" bei einem Sambuca (Pfui Teufel) ausklingen. Bis zum nächsten Jahr.
[Christ Staubach]- Redakteur:
- Frank Hameister