Cradle Of Filth - Berlin
18.03.2005 | 09:4015.03.2004, ColumbiaClub
Dekadenz, Dekadenz, Dekadenz - das Wort von dem kulturellen Niedergang und den damit einhergehenden typischen Entartungserscheinungen im Alltag müsste eigentlich auch groß auf den Karten der diesjährigen CRADLE OF FILTH-Europatour stehen. An diesem Dienstagabend im Berliner Columbiaclub wird nämlich deutlich, warum die britischen Düsterlinge so immens viel Erfolg haben: Sie schaffen es, das pubertierend-negative Lebensgefühl vieler heranwachsender Schwarzkittelträger in ihrer Bühnenshow und in ihrem Habitus, schlicht in ihrem gesamten Image aufzufangen. Dies mag gestandene Metaller nerven, in Berlin werden CRADLE OF FILTH für ihren Auftritt jedoch gefeiert.
Dekadent ist in gewisser Weise schon die Wahl der Vorband, allerdings im negativen Sinne. Denn THE HAUNTED werden auf dieser Tour schlicht und einfach verheizt. 19.30 Uhr müssen sie in Berlin schon auf die Bühne, eine halbe Stunde vorher, als eigentlich geplant. Die Änderung wurde erst ein paar Tage vorher bekannt. Noch am Tage des Konzerts kommen hektische Anrufe vom Label Century Media an akkreditierte Journalisten, ob auch wirklich jeder von der Vorverlegung erfahren hat. Kein Wunder, denn bei der kurzen Spielzeit von rund einer halben Stunde ist an zu spätes Eintreffen nicht zu denken. Während ihrer dreißig Minuten spielen THE HAUNTED ein durchaus gefälliges Thrash-Brett schwedischer Machart und beweisen mit ihren SLAYER-mäßigen Riffs, dass sie durchaus zur Oberklasse der Drescher-Bands zählen. Nur: An diesem Abend interessiert sich niemand wirklich dafür. Das Publikum - eine zumeist junge Mischung aus geschminkten Gothics, Zylinderträgern und Schwarzmetallern - lauscht zwar ganz interessiert, spendet jedoch eher müden Applaus. Daneben kommen während des Auftritts viele überhaupt erst in dem Saal an und haben zunächst genug damit zu tun, ihre Sachen in der Garderobe abzugeben oder krasse vier Euro in ein 0,5 Bier der Marke Heineken zu investieren. Kenner wissen, dass bei Heineken-Gesöff nur der rote Stern positiv ist...
Und so bleibt der THE HAUNTED-Auftritt trotz guten Sounds eher ein laues Lüftchen, auch wenn sich Front-Antreiber Peter Dolving mit seinem tollen Thrasher-Organ noch so müht, die Zuschauer anzufeuern. Da hätten die Schweden lieber auf der gerade beendeten Tour mit KREATOR spielen sollen und dafür DARK TRANQUILITY mit CRADLE OF FILTH - die beiden Bands kommen schließlich vom selben Label Century Media. So bleibt für THE HAUNTED nur ein Wort: Schade...
MOONSPELL sagen da dem hauptstädtischen Publikum schon eher zu. Angeführt von ihrem zumeist in rotes Licht getauchten Frontteufel Fernando verbreiten sie ab Sekunde eins ihres Auftritts eine wunderbar düstere Atmosphäre, wie sie eben auch nur diese Portugiesen zustande bringen. Völlig vergessen scheint die Zeit vor drei, vier Jahren, als MOONSPELL nur noch vor sich hin dümpelten - anno 2005 wirken die fünf Musiker frisch und spielfreudig. So werden die Songs der aktuellen Scheibe "The Antidote" ebenso frenetisch von den Fans gefeiert wie alte Klassiker der Marke 'Vampiria' oder 'Mephisto'. Im Mittelpunkt des Jubels steht Fernando, der am Mikro allerlei Tänze aufführt und zwischendurch wieder einmal mit seinem herrlichen Totenkopfstab spielt. Dies ist vielleicht auch das einzig Negative an dem knapp einstündigen Gig, denn viel Neues bieten MOONSPELL nicht - selbst das mit einem weißen Totenschädel verzierte Shirt von Fernando ist dasselbe wie bei der vergangenen Tour. So gleicht das Konzert eher einem Wiedersehen mit alten Bekannten, was bei Gothic-Metal-Hits wie 'Opium' durchaus Spaß macht und die Halle immer wieder zum Beben bringt. Am Ende eines begeisternden Auftritts steht der Übersong 'Full Moon Madness', den Fernando leicht schleimig so ankündigt: "Berlin is our city." Die Fans reißen die Arme dennoch hoch und schreien mit dem charismatischen Frontmann um die Wette. So wird das Stück zum endgültigen Triumphzug für MOONSPELL, an dessen Ende Fernando höchstpersönlich ein paar Trommelstöcke in die Hand nimmt und zusammen mit Schlagzeuger Mike auf die Becken des Drumsets eindrischt. Ein makelloser Auftritt findet an dieser Stelle schon gegen 21 Uhr seinen krönenden Abschluss - bei der nächsten MOONSPELL-Tour sollte aber endlich ein neues Album mit dabei sein.
Auch das aktuelle CRADLE OF FILTH-Album "Nymphetamine" hat nun schon ein wenig Zeit auf dem Buckel. Doch CRADLE haben Deutschland lange nicht mehr beehrt, für viele im Saal ist es sichtlich das erste Konzert der Band. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen nach der rund halbstündigen Umbaupause. Als die Band zu den dunklen Keyboard-Klängen von 'Satyriasis' auf die Bühne schreitet, hört es sich in den ersten Reihen an wie auf einem Pop-Konzert - Stichwort: wilde Mädchenschreie...
Eine Stimme ertönt, kündigt "the world's ugliest band" an. Unvermittelt bricht das Inferno los, mit 'Gilded Cunt' schaffen CRADLE OF FILTH den perfekten Einstieg. Doch schnell wird auch klar, dass an diesem Abend nicht alles rosig sein wird. Besonders der Sound der Briten fällt im Vergleich zu MOONSPELL zwar lauter aus, klingt aber eben auch deutlich matschiger. Besonders die rasenden Trommelschläge scheinen von den Wänden des Columbia-Saals abzuprallen, so dass sie wie Ping-Pong-Bälle von einer Ecke in die nächste geschleudert werden und dadurch hässlich im Ohr nachhallen. Dieser Effekt wird um so unangenehmer, je weiter die Bühne entfernt ist. Für eine musikalisch vielschichtige Band wie gerade CRADLE OF FILTH ist dies natürlich tödlich. So entwickeln auch Klassiker wie 'The Black Goddess Rises' in den hinteren Reihen längst nicht die Sprengkraft, die sie auf Platte besitzen. Direkt vor Bühne ist das Schauspiel dafür umso packender, das die Briten abziehen. Allesamt sind in schwarzes Leder gepackt und tragen relativ dezentes Corpsepaint. Frontzwerg Dani ist der Energiepol in der Band und bleibt ständig in Bewegung. Im Vergleich zu früheren Auftritten hat sich der Stimmgeber von CRADLE OF FILTH ziemlich verändert: Pummeliger ist er geworden, dazu trägt er jetzt schwarze Dreadlocks. Doch die Stimme ist dieselbe geblieben, Danis spitze Schreie klingen immer noch sensationell und einzigartig. Doch die Black-Metal-Stars verlassen sich nicht nur auf ihre Musik, nein, ihr Publikum soll schließlich auf dieser Tour eine Extraportion Theatralik geboten bekommen. So flimmern bei fast jedem Song die Videos der Band im Hintergrund mit, visuell-düstere Sinfonien aus Blut und atmosphärischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Show-Elemente wie gleich zu Beginn plötzlich umher wandelnde Gargoyle-Statuen oder eine an einem Seil hängende, leicht bekleidete Schönheit bei 'The Black Goddess Rises' ziehen die Blicke der Fans magisch an, viele vergessen dabei ihre Haare zu schütteln. So bleibt es während der Show recht ruhig im Fanpulk, der Jubel zwischen den Songs ist dafür umso größer. Denn mit der Bühnenshow gelingt es CRADLE OF FILTH ihrem Image mehr als gerecht zu werden. Von ihren Black-Metal-Ursprüngen ist dabei nur noch wenig zu merken, düsterer Gothic gepaart mit viel Sex und ein wenig MARILYN MANSON-Ästhetik trifft es da schon eher. Randbemerkung zum Thema Erotik: Die Tänzerin, die bei 'The Black Goddess Rises' so anmutig an dem Seil hängt, wird kurz vorm Schluss des Stückes wie wild von einem als Faun verkleideten Typen hin- und her geschwungen, gedreht. Als sie wieder zum Boden zurückgleitet, schafft sie es dort, völlig schwindelfrei und ohne Drehwurm grazil und lasziv weiterzuschreiten. Respekt! Eine andere Dame hat später beim genialen 'Nymphetamine' noch einen Auftritt am Seil: Ohne Sicherung zeigt sie waghalsige Kunststücke und endlos lange Beine - sehr schick. Doch CRADLE OF FILTH wären nicht CRADLE OF FILTH, wenn es nicht noch etwas größenwahnsinniger ginge: Während der Show stapft zum Intro von 'The Promise Of Fever' plötzlich ein etwa drei Meter großes Knochenmännchen auf die Bühne, das wie IRON MAIDENs Eddie völlig tapsig hin und her eiert. Inzwischen dauert das Konzert gut eine Stunde. Die Reihen der Fans sind schon längst nicht mehr so dicht wie am Anfang, der schlechte Sound tut zum Teil seine Wirkung. Doch mit einem völlig genialen 'Thirteen Autumns And A Widow' können CRADLE OF FILTH ihre Fans noch einmal packen, genau wie vorher schon mit dem nicht minder göttlichen 'Tortured Soul Asylum'. Irgendwann ist Schluss. Überaschenderweise kommen aber nur wenige Zugabe-Rufe. Trotzdem erscheinen die Musiker noch einmal, um als Zugabe noch 'From The Cradle To Enslave' zu zocken. Dazu betreten noch einmal die Tänzerin vom Anfang und der Faun die Bühne und versprühen dort mit einer Art Schlauch Funken. Dani hat sich in der Pause einen Rock über das Leder-Outfit gezogen, der ihm extrem gut steht. So keift er sich ein letztes Mal seine Seele aus dem teuflischen Leib, während im Hintergrund das von alten italienischen Horrorfilmen inspirierte Video von 'From The Cradle To Enslave' läuft. Diese Szenerie ist es auch, die sich am deutlichsten in die Erinnerung hineinfrisst: CRADLE OF FILTH, eine immer an der Grenze zum totalen Kitsch-Klischee stehende Band, die aber auch 2005 noch nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat, jedoch dringend nachdenken sollte, wie ihr Sound bei Konzerten mächtiger und druckvoller rüberkommen könnte. Dennoch: Den meisten Fans steht die Freude nach dem Konzert gegen 23.15 Uhr ins Gesicht geschrieben, dementsprechend umlagert ist auch der Merchandise-Stand mit astronomischen Preisen von 28 bis 35 Euro je T-Shirt - wenn das mal nicht der Gipfel der Dekadenz ist...
- Redakteur:
- Henri Kramer