Euroblast-Festival 2017 - Köln
08.10.2017 | 23:0629.09.2017, Essigfabrik
Das Euroblast-Festival 2017 öffnet mit den Headlinern TEXTURES, TWELVE FOOT NINJA und DEVIN TOWNSEND PROJECT zum 13. Mal seine Pforten in der Kölner Essigfabrik. Hier wird an drei Tagen, vom 29.9.-1.10.2017, der Progressive Metal gelebt, wie kaum woanders!
Den zweiten Festivaltag darf ATLANTIS CHRONICLES (Foto) aus Paris auf der Hauptbühne eröffnen. Mit ihrem technisch astrein vorgetragenen modernen Death Metal sorgen sie zu früher Stunde für erste Kopfrotationen in den noch relativ lichten Reihen. Die Jungs beherrschen ihr Handwerk und streuen immer wieder schöne Melodien oder Blast-Beat-Attacken in ihre Songs ein. Leider besitzt der Sänger beim shouten wohl nur eine Stimmlage, so wirkt er leider recht monoton. Für diese Uhrzeit liefern die Franzosen aber echt eine sehr engagierte Performance ab, allerdings klingt ihre Interpretation von Death Metal auf die Dauer relativ austauschbar und wie schon tausendmal gehört. Da ist noch Luft nach oben. [Für mich war Death Metal mit neoklassischem Gefrickel und Hyperblast-Attacken ein Highlight des Tages; JE]
[Christian Stricker]
Manchmal ist es schön, wenn der erste Eindruck täuscht. Denn als ich den Kellerraum betrete und mir die postapokalyptischen Outfits von CALL THE MOTHERSHIP anschaue und dann auch noch die ersten Töne vernehme, bin ich gedanklich schon wieder auf dem Weg nach oben. Gut, dass ich geblieben bin, denn irgendwie, so ganz heimlich, steigert sich die Band im Laufe ihres Sets immens. Ich kann kaum ausmachen, woran das genau liegt, aber die Grooves sitzen dann irgendwie doch, wenn das Gas (oder sogar alles) mal rausgenommen wird, dann wirkt auch das - und ultraschnelle Vocals, wie sie zumindest einer der beiden Sänger immer mal wieder zelebriert, gewinnen bei mir sowieso. Am Ende gucke ich mir tatsächlich den gesamten Gig an und kann CALL THE MOTHERSHIP nur zu einer richtig starken Leistung gratulieren – für mich eines der Highlights hier unten in diesem Jahr!
[Oliver Paßgang]
Mit HEMINA (Foto) steht die nächste australische Band des Festivals auf der Bühne und ist vielleicht die "klassischste" Progband des gesamten Festivals. Ihr aufgeräumter, klarer Sound wirkt zumindest schon fast old school auf diesem modernen Festival, was nicht abwertend gemeint ist. Im Gegenteil, denn HEMINA setzt statt auf Komplexität auf Melodie, was eine willkommene Abwechslung ist. Erstaunlich ist das Gesangsspektrum Douglas Skenes, der von tiefem Bass a la Ville Valo bis zu höchsten Tonlagen alles abdeckt. Die gemeinsamen Gesangsparts mit Bassistin Jessica Martin könnten meines Erachtens gerne ausgebaut werden. Für meinen Geschmack fehlt es dennoch heute an irgend einer Zutat, um mich von den Socken zu hauen. So bleibt ein ordentlicher Auftritt einer Band mit viel Potential.[Jakob Ehmke]
Zwei Schlagzeuger und ein Saxophonist? Die Bandbeschreibung lässt einen erstmal optimistisch aufhorchen. Solche wilden Acts sind beim Euroblast normalerweise immer sehr unterhaltsam - COLONEL PETROV’S GOOD JUDGEMENT beweist das genaue Gegenteil. Beide Drummer spielen synchron, nichts Extravagantes, da würde auch ein Mann an den Kesseln ausreichen. Die Saitenfraktion dudelt relativ wirsch vor sich hin, während der Sänger und gleichzeitig Saxophonist, sich mit nacktem Oberkörper auf dem Bühnenboden wälzt. Ob es sich hierbei um eine besondere Form des Yoga oder Selbstkasteiung aufgrund der schlechten Musik handelt, bleibt mir schleierhaft. Das bisschen rumgegrowle ist auch fern von jeglichem Talent anzusiedeln. Nicht weiter verwunderlich, dass das zwischenzeitlich immer wieder einsetzende Saxophonspiel, die Nummer hier nicht mehr retten kann. Experimenteller Rock soll es sein, totalen Schrott bekommt man serviert.
[Christian Stricker]
Mathcore steht auf der Packung namens FRONTIERER und genauso chaotisch und wild legen die Schotten auf der Hauptbühne los, dabei sind sie nicht so gnadenlos chaotisch, wie diverse Genre-Kollegen à la THE DILLINGER ESCAPE PLAN. FRONTIERER verpasst der djent-lastigen Schleudertrommel immer wieder auch ruhigere, atmosphärische Parts, um im nächsten Moment direkt wieder zu explodieren. Für den geneigten Musikgourmet ist das hier sicher nichts, denn die Band liefert den Beweis, dass nicht nur Black Metal Krieg sein kann. Nervige quietschende Gitarrenelemente und das eintönige geshoute vom Sänger geben einem endgültig den Rest. Man muss schon wirklich auf diese Art von Musik stehen, um sie abfeiern zu können. Ich bin jedenfalls relativ froh, dass dieses Soundgewitter nach vierzig Minuten ihr Ende findet.
[Christian Stricker]
Der Bär kommt mal wieder aus seiner Höhle. Wie schön. Und mir sei ein Vergleich erlaubt, um den gesamten Gig auf den Punkt zu bringen: Würde das Publikum im gleichen Maße abgehen wie die Band, müsste die Theke in Einzelteilen durch die Halle fliegen – während sich noch jemand anschickt, aus diesen perfekte Biere zu zapfen. Die Faszination darüber, dass BEAR (Foto) auf der Bühne dermaßen eskaliert und den Mathcore-Djent-Mix dennoch so maschinenpräzise darbietet, wird wohl auch beim zehnten Konzertbesuch der Belgier nicht geringer werden. Der Sound ist auch heute dermaßen dick, die Show so energiegeladen, da verkommt jede Reaktion der Meute zu einem lauen Lüftchen. Trotzdem wirkt die Gruppe um Sänger Maarten Albrechts so bescheiden und dankbar, hier schräge, groovige und brutale Töne vom Stapel lassen zu dürfen. Ein beeindruckender Aufritt, wohl der stärkste der Band zumindest in der Essigfabrik, der keine Fragen offen lässt. Der unsachgemäße Umgang mit dem eigenen Instrumentarium am Ende des letzten Songs erscheint da auch nicht als unnötiges Showelement, sondern vielmehr die logische Konsequenz zu sein.
[Oliver Paßgang]
Zwischen all dem technischen und progressiven Metalbands bildet DEITY'S MUSE eine willkommene Abwechslung im Rahmenprogramm des Euroblast. Auf die Lauscher gibt es eingängigen Alternative Rock mit einer leichten TOOL-Schlagseite. Auch die Australier von KARNIVOOL sollten den Jungs geläufig sein. Der atmosphärische Gesang von Wayne Boucher rundet das Soundbild ab. Was den Johannesburgern noch zum Durchbruch fehlt, sind die ganz großen Riffs und Refrains. Talent ist jede Menge vorhanden und Wille sowieso, sonst würde man den weiten Weg aus Südafrika nicht auf sich nehmen.
[Christian Stricker]
Wenn vier Musiker auf der Bühne stehen, denen man zwischenzeitlich fest überzeugt attestieren würde, dass sie gerade vollkommen unabhängig voneinander jeder einen eigenen Song spielen, dann spreche ich natürlich von EXIVIOUS (Foto). Diese (tatsächlich nur kleine) Übertreibung sei mir erlaubt, aber dem Songmaterial der Holländer zu folgen, ist wohl nur dann möglich, wenn man es wirklich bis in die Tiefe studiert hat. Das habe ich nicht – und dennoch meinen Spaß! Der Klang ist nämlich so astrein, dass man sich einfach auf eine instrumentale Reise mitnehmen lassen kann. Hängen bleibt da stets wenig, aber in den vielen schicken Momente wirkt das schon in ganz großem Stile. Und wenn's dann tatsächlich mal eingängig(er) wird, freut sich der verknotete Kopf ob der Erleichterung, die er gerade erfährt, und schwingt sieben Sekunden lang rhythmisch mit. Dass EXIVIOUS im Vergleich zum Durchschnitt des Festivals eine eher softe Band ist, bemerkt sie in einer Ansage selbst und bedankt sich daher fleißig für den extrem großen Support über all die Jahre. Denn der Weg der Band endet bald – geht aber mit exakt den gleichen Musikern unter der Flagge OUR OCEANS weiter. Immerhin. [Musikalisch aber eine komplett andere Baustelle. - PK]
[Oliver Paßgang]
Immer wieder erstaunlich aus welchen Ecken der Welt doch relativ unbekannte Bands zum Euroblast angekarrt werden. DUKATALON hat den weiten Weg aus Israel auf sich genommen, um die Gewölbe der kleinen Bühne im Keller zum erzittern zu bringen. Ihr recht schleppender Doom Metal eignet sich hierfür ausgezeichnet. Im Stile alter MASTODON, versehen mit einem Schuss CROWBAR, drückt das Trio ihre Songs durch die Boxen. Gitarrist Zafrir muss heute auch bei den Vocals einspringen. Der eigentliche Sänger hat wohl entweder keine Zeit oder ist nicht mehr Teil dieser Band. Und so müht sich der Gitarrist am Mikrofon ab, besitzt aber leider nicht das brachiale Organ des ursprünglichen Sängers. Für solide und kurzweilige Unterhaltung sorgt DUKATALON mit ihrem eher Euroblast-untypischen Sound aber auf jeden Fall.
[Christian Stricker]
CAR BOMB (Foto) dürfte dieses Jahr der heiße Geheimtipp sein, denn die New Yorker sind spätestens seit ihrem aktuellen Album "Meta" stark im Kommen. Einen MESHUGGAH-Vergleich müssen sie nicht scheuen, wenngleich die Musik doch ganz anders ist, nämlich vor allem eins: Unberechenbar. Das Zusammenspiel der vier Musiker lässt die Kinnlade auf den Boden knallen, denn mit rechten Dingen geht das nicht zu. Die kryptischen Pattern wirken wie zusammengewürfelt, werden aber arschtight gespielt. Wenn ich es nicht sehen würde, würde ich es wohl kaum glauben, dass man diese Musik so spielen kann. Why are you doing this? ruft ein Besucher, scheinbar verzweifelt mit sich und dem Chaos. Einziger Schwachpunkt sind die Shouts Michael Dafferners, die etwas mehr Volumen gebrauchen könnten. Das ändert jedoch nichts daran, dass CAR BOMB wie ein Headliner abgefeiert wird. Abriss!
[Jakob Ehmke]
Das letzte Mal 2013 auf dem Euroblast gespielt, schlägt der FAITH NO MORE des Djent, aka TWELVE FOOT NINJA (Foto), nun zurück und lässt die Halle füllen - voll mit unterschiedlichsten Leuten, die alle auf ihre Art den Crossover der Australier ausgelassen abfeiern. Als erstes fällt die einheitlich dekorierte Bühne auf, welche in den Farben des aktuellen Albums "Outlier" geschmückt ist. Das macht schon was her! Im Festivalvergleich kommt die Musik der Ninjas geradezu gelassen und entspannt daher, obwohl sich vollkommen selbstverständlich dick groovende Djent-Parts mit Reggae-, Fusion-, oder Alternative-Arrangements die Klinke in die Hand geben. Und immer gibt es große Melodien zum Mitsingen und -tanzen. Sänger Kin trägt das Publikum mit seiner charismatischen Stimme durch sämtliche Musikwelten. Das ist wie immer nicht nur ganz großartig, sondern vor allem einzigartig. Die Songauswahl hätte ich allerdings etwas anders getroffen, härtere Nummern wie 'Invincible', 'Sick' oder 'Coming For You' kommen erst spät. 'One Hand Killing' ist gar erst der Rauswerfer. Trotzdem: Ein toller Abschluss des zweiten Tages, Tag drei könnte das allerdings nochmal toppen…
[Jakob Ehmke]
- Redakteur:
- Jakob Ehmke