Full Force - Gräfenhainichen

18.07.2022 | 22:18

24.06.2022, Ferropolis

Vor malerischer Ferropolis-Kulisse bewegt sich das einstige Kultfestival in der "Stadt aus Eisen" einen deutlichen Schritt weg von urigem Metall.

Ach ja, "Full Force". Einst der selbsternannte "härteste Acker Deutschlands" und in Sachen Metal die Nummer 2 gleich hinter Wacken. Seit jeher Schnittmenge aus Metal und Hardcore bzw. später Metalcore. Nach rückläufigen Besucherzahlen vor ein paar Jahren dann der Umzug nach Ferropolis, was dem Festival ein ganz eigenes Flair verschaffte. Und nun? Waren für den ersten Pandemie-Ausfall ursprünglich noch Kaliber wie AMON AMARTH oder MESHUGGAH gebucht, muss man beim Neustart namhaften Schwermetall mit der Lupe suchen. Keiner der Headliner geht als waschechte Metal-Band durch, die traditionsreiche Knüppelnacht wird erstmals ersatzlos gestrichen. Stattdessen schlägt das Pendel zu Metalcore à la HEAVEN SHALL BURN, THE GHOST INSIDE und (mit Abstrichen) BULLET FOR MY VALENTINE aus. Ein ausgewogenes und gleichberechtigtes Billing sieht anders aus. Wir entscheiden uns aus zwei Gründen, dem Full Force dennoch eine weitere Chance zu geben:

1. Tradition. Bei POWERMETAL.de wird schon seit der Jahrtausendwende vom Force berichtet und das soll auch erstmal so bleiben.

2. Das einmalige Ambiente. Die Museumshalbinsel Ferropolis bietet mit ihren Riesenbaggern eine Kulisse wie definitiv kein zweites Festival. Verbreiten die über 100 Meter langen Ungetüme tagsüber schon eine apokalyptische Stimmung, werden sie bei Einbruch der Dunkelheit stimmungsvoll angestrahlt und dienen zudem als Stützpunkt für Nebel und Pyros. Neben der dazwischen eingebetteten (und nach dem gegenüberliegenden Bagger benannten) Mad-Max-Mainstage und der Hardbowl-Tentstage lockt die Medusa-Seebühne an den benachbarten Badestrand am Gremminer See. Erstmals gibt es am Ende der zahlreichen ins Industrie-Ambiente passenden Stände mit der Backyard-Stage zudem eine vierte Bühne, auch wenn wir die getrost links liegen lassen. Zudem scheint über Ferropolis einfach immer die Sonne zu strahlen und hinter den Kulissen wird das Festival top organisiert.

Die Skepsis geht allerdings soweit, dass mein freier Mitschreiber als jahrzehntelanger Force-Gänger nur unter seinem bei Insidern bestens bekannten Pseudonym "Oibert Ginnersen" schreiben mag. Der Mann hat schließlich einen Ruf zu verlieren. Dafür muss er bei unserem Versuch, die wenigen verbliebenen Perlen herauszusuchen, als erster ran. Immerhin steht die einzige Goregrind-Band des Wochenendes auf dem Plan. Herr Professor Ginnersen, übernehmen Sie!
[Carsten Praeg]

Es ist schon eine mittelgroße Herausforderung, über die Show von GUTALAX zu schreiben. Denn viel Variation zum vergangenen Full Force-Gig ist nicht auszumachen. Die tschechischen Grindcore-Veteranen grooven, rumpeln und grunzen sich in ihren weißen Ganzkörperoveralls durch das bekannte Potpourri an Fäkalhumor. Was gibt es abseits der erstaunlich innovativen Variabilität an Songtiteln 'Fart Fart Away', 'Fart And Furious', 'Diarrhero', 'Total Rectal' und nicht zu vergessen dem 'Shit Hit' nun zu berichten? GUTALAX kommt wieder mal gut an. Mich erstaunt das aufgrund der Simplizität der Songs und des echt albernen Gesamtkonzepts immer etwas, aber es stimmt schon: Live macht es irgendwie Spaß. Der Circle Pit ist heute aufgrund der Quietschtiere, Klopapierrollen, Schwimmnudeln, Saugglocken und dem aufblasbaren Allerlei verdammt bunt. Nach einer obligatorischen Wall of Shit – die zum Glück ihrem Namen keine Ehre macht, sondern der bekannten Wall of Death gleicht – hat Sänger Maty den wunderschönen Wunsch: "I wanna smell you!" Vielleicht sollte man nächstes Jahr einen späteren Slot erbitten, dann sind die Chancen sicherlich deutlich höher. Zum Mitsingen lädt der abschließende Ohrwurm 'Strejda Donald' ein und da braucht es auch keine großen Aufforderungen. So ganz kann ich den Ausfall der nun vorgesehenen Doom-Girls von KONVENT nicht verschmerzen, auch wenn sich die Herren von GUTALAX auf ihre Weise sicherlich Mühe geben.
[Oibert Ginnersen]

Leider müssen die vier Däninnen kurzfristig wegen einer plötzlichen Erkrankung absagen (seit zweieinhalb Jahren wünscht man instinktiv gute Genesung). Bis auf die Schweden ORBIT CULTURE, die mit groovig treibendem Death Metal und Songs wie 'Carvings' den Strand zum Beben bringen, ergibt sich dadurch für uns bis in die Abendstunden erst einmal etwas Leerlauf.

Wir nutzen die Zeit und bereiten uns instinktiv auf einen kleinen Schock vor: Das soll tatsächlich ein Co-Headliner auf dem neu ausgerichteten Full Force sein? Zugegeben, bislang ist AMARANTHE trotz des bisherigen Erfolgs anscheinend komplett an mir vorbeigegangen. Zurecht, wie sich bald herausstellen soll, doch der Reihe nach. Offiziell firmieren die Schweden unter dem Stempel "Modern Melodic Death Metal". Dass eine gewisse Metal-Enzyklopädie mit bekannt strikter Marschroute sie aber nicht mal aufführt, könnte ein erstes Warnzeichen sein. Obendrein wirkt das, was da auf der Bühne die Tritterhöhungen besteigt, auf den ersten Blick ziemlich zusammen gecastet. Sängerin Nummer 1, die dem Ganzen einen NIGHTWISH-Touch geben soll. Sänger Nummer 2, der als Powermetal-Tenor daherkommt. Und der (jüngst ausgetauschte) Sänger Nummer 3 mit seinen grün-blauen Haaren, der mit kurzen Growl-Parts das "Death" rechtfertigen soll. Davon sind wir hier aber meilenweit entfernt. Zwar beherrschen die drei durchaus ihre Stimmen, Sängerin Elize sieht mit ihren Netzstrümpfen recht ansehnlich aus und Songs wie der Opener 'Fearless' wissen zunächst auch ganz gut loszudrücken – spätestens beim kitschig-jaulenden Refrain kringeln sich mir aber die Fußnägel. Kollege Oibert fällt vor lauter Schreck tatsächlich sein Bier aus der Hand. Wie hat ein anderer Kollege vor Jahren passend getitelt? "Maximal kommerzieller Pop-Metal." Das kann man direkt unterschreiben. Die ersten Reihen hingegen scheinen tatsächlich Spaß zu haben und so geben wir dem Treiben für ein paar Songs eine Chance. Aber es wird in unseren Ohren einfach nicht besser. Ohne mir auch nur eine einzige Notiz zu machen, flüchten wir in Richtung Medusa-Stage.

Der dortige Härtegrad ist dann schon eher nach unserem Geschmack, als die Pagan-Metaller EQUILIBRIUM mit ledernen Schulterklappen und 'Renegades - A Lost Generation' die mit kahlen Bäumen verzierte Seebühne stürmen. Zwar hat die bayerisch-brandenburgisch-norwegische Formation mit partytauglichen Melodien wie in 'Born To Be Epic' inzwischen ebenfalls eine bedenkliche Richtung eingeschlagen. Doch dank Robses Dauergrunzen und dezent eingestreuter Blast-Parts ist man hier meilenweit von dem entfernt, was uns zuvor auf der Hauptbühne geboten wurde. Und zu 'Path Of Destiny' kommt diesmal glücklicherweise auch kein HipHopper auf die Bühne, wie schon mal auf Tour geschehen. Zudem hat die Band ihre Keyboarderin nicht mit dabei, stattdessen ertönen die epischen Klänge vom Band. Nach drei Songs darf der norwegische Basser dann auf Englisch über Corona herziehen, das HOOTERS-Cover 'Johnny B' ankündigen und größtenteils selbst schmettern. "Seid ihr noch da?", hakt Sänger Robse nach und will gleich noch ein paar Sympathiepunkte sammeln: "Als alter Ossi bin ich natürlich genau richtig hier!" Zwischendurch wird's aber auch kurz ernst, als 'Prey' Wladimir Putin und seinem Ukraine-Krieg gewidmet wird. Zum Ende des Gigs wünscht sich Robse noch eine Wall of Death, was in dieser Umgebung natürlich zur sandigen Angelegenheit wird. "Wir schlagen jetzt alles kurz und klein!", kündigt der muskulöse Sänger einen alten Song an. 'Unter der Eiche' steht inzwischen zwar leider nicht mehr im Programm, aber 'Blut im Auge' tut's ebenso. Trotz kleineren Abstrichen für uns der Höhepunkt des Tages.

Zum Abschluss des heutigen Bühnenprogramms wird's vor der Mainstage nochmal richtig voll. BULLET FOR MY VALENTINE soll unter den drei Headlinern dieses Wochenendes zumindest für etwas Metal-Anstrich sorgen, wurde von einem großen Teil der Szene allerdings nie so wirklich ernst genommen. Dabei legen die teils etwas Metalcore-lastigen Waliser mit 'Your Betrayal' recht thrashig los, der erste Haufen Crowdsurfer schwimmt in Richtung Bühnengraben und die Arme recken sich bis zum Mad-Max-Bagger in die Höhe. Der bärtige Frontman Matthew Tuck trägt seine Baseball-Mütze zwar immer noch verkehrt herum, hat sich über die Pandemie aber immerhin die Haare wieder langwachsen lassen. Außer 'Knives' bleibt das aktuelle Album erstmal außen vor, stattdessen werden vor allem die alten Durchbruch-Hits wie 'All These Things I Hate' oder 'Tears Don't Fall' gespielt. Gerade bei letzterem zeigt sich seit jeher der Spagat zwischen thrashigen Anleihen und massenkompatiblen Refrains. Dabei können die Vier, wenn sie denn wollen, auch mal einen kompletten Song durchprügeln. Etwa beim passenden Titel 'Scream Aim Fire'. Na also, geht doch! Moshpit, Circlepit, Pyros. Unterm Strich Thrash Metal für Einsteiger und man wünscht dem vor der Bühne abfeiernden Jungvolk, dass es darüber auch mal auf Bands wie MACHINE HEAD aufmerksam wird. Ein letztes kollektives Hüpfen, dann ist schon um ein Uhr für heute Schicht im Schacht mit Livemucke.

Das war auf dem Full Force bislang nicht der Fall. Gerade freitags stand traditionell die Knüppelnacht auf dem Programm, bei der Black und Death Metal einst bis zum Sonnenaufgang geprügelt wurde. Stattdessen wird das Zelt nun zumindest zur Disco. Aber was ist Metalcore aus der Dose im Vergleich zu Livebands wie MARDUK, BLOODBATH und DARK FUNERAL bis in die frühen Morgenstunden? Zudem hat die vorherige Open-Air-Disco mit Strandflair doch etwas mehr hergemacht. Immerhin servieren die DJs Lana und Eric nicht nur neueren Metalcore, für eine halbe Stunde gibt's auch mal Hardcore-Klassiker von AGNOSTIC FRONT oder PENNYWISE. Da stürzen auch wir uns rein in den Pogopit. Um drei ist dann endgültig Schluss und wir trotten geschafft zurück zum Campground.
[Carsten Praeg]

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Redakteur:
Carsten Praeg

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