HOLLYWOOD VAMPIRES, CIRCUS ELECTRIC - München

17.07.2023 | 10:13

24.06.2023, Olympiahalle

Joe, Alice und Johnny machen mit ihrer Coverband die Olympiahalle (fast) voll.

Die Entscheidung, diesen Bericht zu verfassen, fiel bei mir recht kurzfristig. Deshalb will ich meine traditionell meist üppige Einleitung diesmal gleich zu Beginn auf zehn Spiegelstriche eindampfen:

- An diesem Samstag bis 15:00 Uhr auf Kinderfest gearbeitet
- Frau vom Zug abgeholt (war Volunteer bei den Special Olympics in Berlin)
- Nach München in unter 90 Minuten
- Der Olympia-Park ist nach wie vor voll (und) toll
- Herrliches Wetter
- Noch herrlicheres Bier
- Verkehrte Welt beim Einlass (Männer müssen auf männliche Security warten)
- Schlange stehen, für was auch immer, ist blöde! (Merch, Getränke, Essen)
- Johnny Depp-Fans sind speziell
- Geschlechterverteilung im "Golden Circle" 90% männlich und 10% weiblich (Schpässle, genau umgekehrt natürlich!)

Und schon ist es 20:00 Uhr! Meine Frau und ich stehen munter vor uns hinschwitzend vorne rechts vor den Boxen. Eben dort, wo meine bessere Hälfte nach Betreten des Innenraums sofort wie von unsichtbaren Fäden gezogen hingerannt ist und stehenblieb. "Wenn ich schon einmal die Chance habe, dann will ich den auch aus der Nähe sehen!" Wer mit "den" gemeint ist, kann sich jeder selbst denken, Alice Cooper oder Joe Perry sind es jedenfalls nicht… . Eine Johnny Depp hinterherreisende Frau um die 40 hat uns in den letzten 90 Minuten mit Informationen rund um ihr Idol, die Tour der HOLLYWOOD VAMPIRES und das nicht immer von sozialen Grundsätzen geprägte Verhaltensspektrum der J.D.-Fans versorgt.

Doch nun stapfen zunächst drei Berliner namens Oskar, Leo und Adrian auf die Bühne und retrorocken ein wenig unter dem Bandnamen CIRCUS ELECTRIC "umanander", wie der Süddeutsche im Allgemeinen dazu so zu sagen pflegt. Das tun sie gar nicht schlecht. Mit hip gekräuseltem (minipliertem?) Haupthaar sind der Schlagzeuger sowie der Gitarrist und Leadsänger zumindest modisch schon einmal ganz vorne dabei! Ich habe mir sagen lassen, dass die (Männer-)Dauerwelle speziell bei Schuljungen momentan wieder ganz groß im Kommen ist…. Nun, aus dem Alter sind die drei Männer aus Berlin - die genauen Sonnenumrundungen können durch die derzeit übliche Gesichtsbehaarung im retrorockenden Szenebereich nur schlecht geschätzt werden - gewiss heraus. Durch die Hüte und die dunkle, eher seriös wirkende Kleidung sehen sie aus wie Amish-People, die einem ihnen verbotenen Hobby nachgehen und die um der perfekten Tarnung willen gleich im Vorprogramm der Zweitcombo von Amerikas bekanntestem Schockrocker aufspielen, wo sich bestimmt kein amischer Gemeindevorstand hin verirren wird. Es groovt, es rockt, es macht durchaus viel Spaß, was das schon anwesende Publikum in der Olympiahalle bei zunächst okayem, dann recht ordentlichem Sound zu hören bekommt. Entsprechend wohlwollend fällt demnach zumindest im vorderen Bereich des Innenraums auch der Applaus zwischen den Liedern aus. Für mich klingt die Mucke nach zahmen LED ZEPPELIN, die ein wenig mit stark betrunkenen DEEP PURPLE ohne ihren Richard in "Perfect Strangers"-Tagen jammen. Diese Soundmelange wird mit einem großzügigen Schuss undefiniertem harten 70er Rockblues und etwas funkigem "Gebobber" abgerundet. Die soulige, manchmal raue Rockröhre des Sängers passt gut dazu. Wie bei vielen anderen Konzertbesuchern, fangen auch meine Gliedmaßen an zu zucken, aufgrund der Hitze kann ich mich jedoch zügeln. CIRCUS ELECTRIC wird von den Rockfans nach etwa 30 Minuten mit mehr als Höflichkeitsapplaus verabschiedet und darf stolz sein: Die Berliner haben den nach ihnen auftretenden Musiklegenden ALICE COOPER und JOE PERRY einen würdigen und passenden musikalischen Empfang bereitet.

Setliste CIRCUS ELECTRIC (Dank dafür an Oskar!): Cheap Love; My Magic Medicine; All The Way; Where The Wind Blows; Sugar Glider; What Are You Waiting For (unreleased); Rolling On; Looking For Love

Nun nehmen die holden Weiblichkeiten in meiner unmittelbaren Nähe Tuchfühlung auf, sprich es wird ein wenig enger vor der Bühne. Aber nur wenig, keine Angst beim Lesen, es wird nicht schlüpfrig! Der mit vier Videoscreens ausstaffierte Bühnenhintergrund zeigt ein nettes animiertes Introfilmchen, das mit den etwas seltsam rockenden Klängen des BAUHAUS–Songs 'Bela Lugosi`s Dead' unterlegt wird. Dies endet etwas abrupt, hinter rot angestrahlten Nebelsäulen laufen die Musiker auf die Bühne und die Johnny Depp-Fans kreischen zu 'I Want My Now' schon einmal zaghaft ihre Stimmen in Form, obwohl jener noch gar nicht auf der Bühne ist. Natürlich kommt er als letzter und steht selbstredend auf der anderen Bühnenseite; so viel zu den unsichtbaren Fäden meiner Frau… !

Mit 'Raise The Dead' legen die drei bekannten Gesichter mit ihrem vierten festen Bandmitglied Tommy Henriksen, den man unter anderem aus der Hauskapelle von ALICE COOPER selbst kennt, samt Glen Sobel am Schlagzeug von ebendort und zwei weiteren Musikern an Bass und Keyboards nach. Licht- und Visual-Show-mäßig ist alles vom Allerfeinsten, als Alice Cooper an dritter Stelle gleich einen Hit aus dem eigenen Schaffen kredenzt: 'I'm Eighteen'. In der Mitte der Bühne auf dem Drumriser neben dem Schlagzeug steht übrigens bereits eine ominöse weiße Gitarre in einem Lichtkegel, doch dazu später noch mehr.

Alice Cooper morpht im Laufe des Abends so manchen, aus den Originalen der vorgetragenen Coverversionen bekannten Stimmansatz zu seinem eigenen, so auch beim THE DOORS- Mini-Medley 'Five To One/Break On Through (To The Other Side)'. Die Eigenkomposition der VAMPIRES, 'The Boogeyman Surprise' groovt etwas langsamer, die Begleitmusiker der Legenden Cooper und Perry werden immer agiler. Bereits zu so früher Stelle im Set begeistert mich immer wieder Joe Perrys leidenschaftliche, präzise und voluminös vorgetragene Leadgitarre. Der Blues 'My Dead Drunk Friends' lässt Herrn Furnier zu sangestechnischer Hochform auflaufen und ich meine, dass die riesigen Vampirzähne vor der Lichttraverse über der Band nun aufgeblasen werden: ein standesgemäßer Hingucker für eine derart prominent besetzte Showband mit einschlägigem Namen.

Nach einer kurios unverständlichen Ansage singt Joe "Mr Bean" Perry nun das Johnny Thunders-Cover 'You Can´t Put Your Arms Around A Memory', während Alice Cooper eine Gitarre schnappt und sich am Rhythmusriff probiert. Ein stets sehr ungewohntes Bild für Cooper-Fans. Fragt mich an dieser Stelle bitte nicht, ob man ständig drei Gitarren hört, ich müsste dies eher verneinen. Eines der richtig tollen Cover der Vampire aus Hollywood folgt: 'Baba O‘ Riley' begeistert mich bei THE WHO, wie auch bei Alice und Co. durch die wabernden Keyboardschwaden und das simple, aber kraftstrotzende Riff. Wenn der dreiundsiebzigjährige Opa Alice vom "Teenage Wasteland" singt, darf er das wie kein anderer, er kommt ja auch schon seit Jahrzehnten mit 'School's Out' und dem bereits vorgetragenen 'I'm Eighteen' durch. Bei 'Who's Laughing Now' handelt es sich wieder um eine Eigenkomposition der HOLLYWOOD VAMPIRES, die von einem kleinen Bass-Solo auf dem mittigen Steg vor der Bühne eingeleitet wird.

Nun kommt einer der großen Momente von Johnny Depp, der mittlerweile ans Mikrofon in der Bühnenmitte getreten ist und den größten Cover-Hit seiner Band, 'People Who Died' gesanglich zum Besten gibt, während Perry und Cooper überaus kräftig die Backings im Refrain shouten. Beim Singen stoppt Johnnys linke Anschlaghand manchmal auffällig, aber egal: der Song ist einfach cool, im Original von der JIM CARROL BAND. "Die teuerste Cover-Band der Welt", ein Titel den Alice Cooper sich wahrscheinlich demnächst schützen lässt, geht jetzt zum Setlistenlücken-füllenden Tagesgeschäft über und zieht tatsächlich 'The Jack' von AC/DC aus dem Portfolio, ein Coverband-Klassiker schlechthin! Unglaublich eigentlich, Alice Cooper dieses Lied singen zu hören! Die nächste Eigenkomposition, sogar von Johnny Depp meine ich, steht an, es handelt sich um 'As Bad As I Am', eine solide Rocknummer, bei der Herr Cooper mal wieder den Steg vor der Bühne betritt. Nun werden viele der Damen, der Begriff darf benutzt werden, sie benehmen sich alle ganz ordentlich, in meiner Nähe wieder etwas unruhiger, weil Johnny wieder auf das Mikrofon in der Bühnenmitte zustapft. Dort gibt er das seit 2016 gefühlt meist gecoverte Stück der Welt zum Besten: 'Heroes' von DAVID BOWIE. Die solide rockende Version, die der Herr Depp in meinen Ohren ganz ordentlich intoniert (meine Frau ist nicht so zufrieden), kommt sehr gut in der Olympiahalle an. Hierbei fällt zum wiederholten Male die Qualität der Leads von Joe Perry auf, zum Niederknien!

Und genau das tue ich nun anschließend (fast): Als Johnny Depp nach einer kurzen Ansage, in der er auflöst, dass die ominöse, angestrahlte weiße Gitarre jene weltbekannte des im Januar dieses Jahres verstorbenen JEFF BECK ist, und der bei dieser Tour dabei gewesen wäre, diese Gitarre an Joe Perry überreicht, wird vielen älteren Konzertbesuchern wohl klar, dass nun etwas Bedeutendes, Einzigartiges folgt. Gut, das folgende Tribute–Medley spielen die HOLLYWOOD VAMPIRES auf dieser Tour sicherlich an jedem Abend. Aber eben nicht jeden Abend am Geburtstag von JEFF BECK! Ja, dieser wurde am 24. Juni 1944 geboren, wie die Google-Suche ergab. Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich bisher wenig bis keine bewusste Berührung mit dem Schaffen des berühmten Gitarristen hatte, also gewiss kein ausgewiesener Spezialist zur Beurteilung des nun Folgenden bin. Doch was Joe Perry vier Minuten lang an Gitarrenkunst auf Becks Instrument erklingen lässt, verleiht der lodernden Flamme der Begeisterung für Gitarrenmusik in meinem Inneren einen wahren Windstoß und jagt mir mindestens den zweiten Schauer Gänsehaut aus Joe Perrys Händen an diesem Abend über den Rücken.

Ein Schmankerl aus dem Schaffen von Joe Perrys Hausband AEROSMITH folgt. Alice Cooper hat sich während des instrumentalen Tribute-Medleys hinter der Bühne einen neckischen schwarzen 70er Jahre Ninja-Suit, so nenne ich sein aus der Zeit gefallenes Kleidungsstück jetzt einfach mal, angezogen und singt mit zwei Maracas bewaffnet vor dem Steg posierend 'Bright Fright Light'. Kurz, rockig-flott, toll! Die Band KILLING JOKE wird Johnny Depp-Fans jetzt eher nicht so sehr geläufig sein, der Song 'The Death And Resurrection Show' doch wohl, zumindest spätestens seit dieser Tour. Das anfänglich stilistisch und klanglich ziemlich aus dem Rahmen fallende Stück bringt unerwartet Abwechslung und industrial-metallische Power in die Olympiahalle. Auf den kommenden Moment habe ich mich gefreut, seitdem ich in die Setlist gespickelt hatte: 'Walk This Way' ist einfach eines der großartigsten Stücke von AEROSMITH und Joe Perry gibt dazu alles, der "Entenparka" des Kollegen Andrae ist bei mir wieder für fünf Minuten gebucht und es ist mir ein Fest! Die nächste Nummer von selber Stelle folgt mit 'The Train Kept A-Rollin' und bringt den Hauptteil des Konzerts grandios rockend zum Ende. Und Joe Perry…, dazu muss ich eigentlich echt nichts mehr schreiben, der Mann kann es einfach! Nach dem Verlassen der Bühne und dem triumphalen, kurz darauf erfolgenden Wiedererscheinen latzen die HOLLYWOOD VAMPIRES dem tobenden Publikum mit vielen aus ALICE COOPER-Konzerten bekannten Showelementen noch 'School’s Out' in der Version mit 'Another Brick In The Wall'-Snippet vor die Brüste, pardon Brust, um sich dann mit vielen Verbeugungen zu verabschieden. Meine Frau ist übrigens auf dem Klo, als Johnny Depp sich doch noch am Anfang des klassischen ALICE COOPER Rausschmeißer-Liedes auf unserer Seite blicken lässt.

Setliste HOLLYWOOD VAMPIRES: I Want My Now; Raise The Dead; I'm Eighteen; Five To One / Break On Through (To The Other Side); The Boogieman Surprise; My Dead Drunk Friends; You Can't Put Your Arms Round A Memory; Baba O'Riley; Who's Laughing Now; People Who Died; The Jack; As Bad As I Am; Heroes; Jeff Beck Tribute; Bright Fright Light; The Death And Resurrection Show; Walk This Way; The Train Kept A-Rollin; Zugabe: Schools Out

Ein tolles, mehr als zweistündiges Konzert ist vorüber und es bleibt für mich festzuhalten, dass diese "Coverband" eine ist, die ihr Handwerk über die Maßen versteht und in der heutigen Musiklandschaft, zumindest in meinen Ohren und nicht zuletzt Augen, ihre Berechtigung hat. Meine Frau und ich fühlten uns jedenfalls hervorragend unterhalten von Alice, Joe, der Band und ihrem Goldjungen!

Redakteur:
Timo Reiser

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