In Flames - Wiesbaden
11.10.2008 | 00:5505.10.2008, Schlachthof
Ein weißer Vorhang und leuchtende LEDs an Stelle der gewohnten Pyros. IN FLAMES rocken in Wiesbaden richtig die Hütte bzw. den Schlachthof und bringen die Fans zum kollektiven Ausrasten. Bis es soweit ist, holen sie aber erst noch SONYC SYNDICATE und GOJIRA aus dem Gepäck.
"Ausverkauft!" leuchtete schon vor Tagen auf der Homepage des Schlachthofs auf. Vielleicht nicht nur wegen dem allseits bekannten Headliner, sondern auch wegen der Ente, VOLLBEAT würden als Vorband spielen. Entsprechend stehen sich einige Gestalten vor der Halle mit hoch gehaltenen Karten die Beine in den Bauch, während es drin nach ein paar Metern schon recht kuschelig zur Sache geht. Erst recht, als die erste Band des Abends die Bühne entert. Obwohl die schwedischen Jungs und Mädels von SONIC SYNDICATE zumindest an mir bisher gänzlich vorbei gegangen sind. Zwar haben sie einen in den vergangenen Jahren des öfteren von Magazinen angegrinst und waren auf einigen Festivals vertreten, aber bewusst kam bisher noch keine ihrer Noten an mein Ohr außer vielleicht unbewusst in der Disco. Umso erstaunter sind meine Gehörgänge, dass die dargebotene Musik doch recht zu knallen weiß. Gleich zwei Sänger brüllen sich abwechselnd die Lunge aus dem Hals und feuern das Publikum unentwegt hab. Flankiert wird das Schauspiel von der dreiköpfigen Saitenfraktion: Zwei Jungs, bei denen glücklicher Weise nur die Frisur nach TOKIO HOTELs Bill aussieht, und ein (recht goldiges) Mädel, das unentwegt über die Bühne hüpft. Ehe man sich an das ordentlich Metalcore-Holz, das da von der Bühne kommt, gewöhnt hat, ist das Ganze aber auch schon wieder vorbei.
Carsten Praeg
Am Sonntagnachmittag sollen wir schon um 17 Uhr die gemütliche Sesselpuperhaltung aufgeben und uns in den Wiesbadener Schlachthof begeben, um IN FLAMES in Begleitung ihrer Landsleute SONIC SYNDICATE und der Franzosen GOJIRA zu genießen. Das ist Herrn K. aus M. und mir zu früh, so dass wir erst gegen sieben Uhr in der Location eintrudeln. Da ist es schon fürchterlich voll, und damit sind wir auch gleich beim unerquicklichen Thema des Abends, über das ich an dieser Stelle zunächst einmal kräftig Dampf ablassen muss, bevor ich mich den erfreulichen Aspekten des Konzertes zuwenden kann. IN FLAMES im Schlachthof? Wer hat sich das denn ausgedacht? Der Schlachthof mag als Kulturstätte geschätzt sein, aber für IN FLAMES ist er einfach schon zu klein. Und das war durchaus abzusehen! Da hätte man sich doch mutig für eine etwas geräumigere Location entscheiden können und den Fans damit einen Abend als Ölsardine erspart. Das schweißtreibende, völlig unnötige Geschiebe geht uns auf den Keks!
Nichtsdestotrotz – irgendwie wird's dann doch nett. Zunächst verpassen wir als zu spät Kommende erst mal den Auftritt der Nachwuchsschweden, mit der Folge, dass GOJIRA die erste musikalische Einlage des heutigen Abends für uns sind. Bisher sind mir die Franzosen unbekannt geblieben, aber ihr Gig im Vorprogramm von IN FLAMES könnte dazu führen, dass ich mich künftig näher mit ihnen befasse. Tatsächlich zeichnen sich GOJIRA durch eindrückliche Death-Metal-Riffs und vor allem fett ballernde Drum-Einlagen aus. Damit gelingt es ihnen, das überwiegend junge Publikum schon recht ordentlich in Stimmung zu bringen. Überhaupt, das Publikum: Herr K. aus M. hat sein "Reroute To Remain"-Tourshirt aus dem Jahre 2002 an. Man darf wohl annehmen, dass ein Großteil der Anwesenden zu dieser Zeit noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum gelaufen ist und vom Metal weit entfernt war. Und der Anteil weiblicher Fans im Publikum überrascht mich ebenfalls. Girlies mit Schleifchen im Haar hätte ich bei IN FLAMES nicht erwartet. Aber siehe da: Die Herren aus Göteborg scheinen eine gesteigerte Anziehungskraft auf zarte Häschen auszuüben. Eine interessante Entwicklung.
Erika Becker
Passte der junge Sound von SONIC SYNDICATE noch zum Durchschnittsalter des heutigen Abends, hinterlassen die Franzosen GOJIRA alsbald runter geklappte Kinnladen bei der Jungschar. Angefrickelter bis progressiver Death Metal gehört eben doch noch nicht in jedes Kinderzimmer. Die Herrschaften um den charismatischen Sänger und Gitarristen Joseph hauen Kunststücke à la 'Backbone' oder 'The Heaviest Matter Of The Universe' aus den Boxen, und während sein Axtmitstreiter Christian die meiste Zeit konzentriert auf seine verknoteten Finger äugt, streckt Basser Jean die Zunge raus und feuert das verdutzte Publikum an. Joseph selbst reckt seine Klampfe in die Höhe und stolziert immer wieder auf die breiten Boxen im Bühnengraben, während hinter ihm auch Schlagzeuger Mario einige Blicke auf sich zieht: Zuerst nimmt er bei einem Songintro ein hoch ragendes Metallstück neben sich ins Visier, dann überzeugt er mit einem ziemlich rhythmischen Drumsolo. Gelungener Auftritt, kann man uneingeschränkt weiter empfehlen.
Und nun kommen wir endlich zu der Stelle mit dem eingangs erwähnten Vorhang: Ein solcher wird vor die komplette Bühne gespannt, ähnlich, wie es beispielsweise die ONKELZ auch schon bei ihrer 2000er Tour machten. Nur, dass IN FLAMES den kompletten Opener 'The Chosen Pessimist' hinter dem weißen Gehänge bleiben und von hinten angestrahlt ihre Schatten auf das Tuch werfen.
Carsten Praeg
Gegen halb neun geht es nun aber nach all den Studien zu Ort und Zeit endlich los. Hinter dem weißen Bühnenvorhang bewegt sich was. Gestalten mit irren Frisuren – Anders Fridéns Dreadlocks machen sich gut als Schattenspiel – und langen Gitarrenhälsen wabern dort oben hin und her, und nach den ersten paar Takten fällt der Vorhang mit einem Mal zu Boden, und wir sind mittendrin. Sofort bildet sich vor der Bühne ein wildes Gemenge, und auch in den hinteren Reihen klemmen zwischen den Massen ein paar verzweifelte Mosher.
Erika Becker
Als der Vorhang gefallen ist, legen die Schweden nach dem ruhigen Anfang mit 'I'm The Highway' so richtig los. Sänger Anders verzichtet heute mal auf Schnickschnack wie Adidas-Klamotten oder geringelte Kniestrümpfe und präsentiert sich im schlichten schwarz wie seine Bandkollegen. Auffällig ist höchstens sein T-Shirt, mit denen er den Openern von SONIC SYNDICATE huldigt. Die Rückseite der Bühne erstrahlt komplett mit LEDs in den verschiedensten Farben. Davor ragt ein Balkon in die Höhe, der von den Schweden auch eifrig genutzt wird. So etwa von Anders bei 'Delight And Angers', während im Hintergrund in roten Lettern der Refrain mit läuft. Doch wer jetzt meint, die Band hätte nur noch neuere Songs auf Lager, der irrt gewaltig.
Carsten Praeg
In den kommenden fast zwei Stunden wirbeln IN FLAMES kreuz und quer durch einen Großteil ihrer bisherigen Alben. Nicht nur neues Material kommt zum Zuge, sondern die Songauswahl berücksichtigt in weitgehend gerechter Gleichmäßigkeit fast alle früheren Werke. Dabei sorgt natürlich der Wiedererkennungswert von Hits à la 'Pinball Map' vom "Clayman"-Album ebenso für Jubel wie 'Trigger' und 'Cloud Connected' aus der "Reroute To Remain"-Ära. Pfiffig gestaltet sich auch der Bühnenaufbau. Dass es bei IN FLAMES eher munter und schrill zugeht als düster und depressiv, sind wir ja gewohnt. Und so flimmert auch diesmal der Bandname als leuchtender Schriftzug in unterschiedlichen Farben und Formationen über der Bühne. Davor flitzen die Musiker auf einer Art Balustrade über ihrem Drummer hin und her und bringen so immer wieder Abwechslung in das Stageacting.
Irgendwann erkundigt sich Anders, wer heute Abend zum ersten Mal auf einem IN FLAMES-Konzert weilt und belehrt die Jugend dann über die geschichtsträchtige Bedeutung solcher Frühwerke wie "The Jester Race", von dem dann natürlich auch eine Kostprobe gegeben wird. Und dann wird selbstverständlich wie immer gehüpft. Das bisschen Sportprogramm darf auch an diesem Abend nicht fehlen. Dabei ist es schon erstaunlich, was die verschwitzte Masse bei 'Only For The Weak' noch so zusammenspringt. Adrenalin lässt den Menschen eben allerhand ertragen. Und adrenalinhaltig ist dieser Gig mit Sicherheit. (Vor allem, als 'My Sweet Shadow' nicht wie gewohnt als letzter Song des Abends gespielt wird, sondern auch noch das vorwärts bollernde 'Take This Life' hinterher geschoben wird. - Anm. v. Carsten) Lässt man die nervige Raumfrage einmal beiseite, dürfte hier heute jeder auf seine Kosten kommen, der Spaß daran hat, sich bei einem großen Rundumschlag durch die wesentlichen IN FLAMES-Scheiben auszutoben. Am Ende haben wir im Angesicht des stets gut gelaunten Frontsängers sogar unsere Aggressionen abgebaut und traben ebenfalls gut gelaunt nach Hause.
Erika Becker
- Redakteur:
- Carsten Praeg