KATATONIA und MESSENGER - München

22.05.2014 | 16:50

11.05.2014, Freiheiz

KATATONIA entkleidet sich

Turbulente Zeiten bei KATATONIA: In den letzten Monaten haben gleich zwei Mitglieder die Band verlassen. Zum einen verließ Gitarrist und Fred-Norrman-Nachfolger Per Erikson die Band und erst kürzlich erschütterte uns Fans die News, dass der langjährige Drummer Daniel Liljekvist die Band hinter sich lässt. Dabei schien KATATONIA musikalisch so stark und so erfolgreich wie nie zuvor zu sein, und mit "Dethroned & Uncrowned", der akustischen Überarbeitung des letzten Studioalbums "Dead End Kings" hat man tatsächlich etwas ganz Besonderes erschaffen. Die Musiker waren von dieser Idee so eingenommen, dass sie beschlossen haben, auch ältere Songs mit einem akustischen Gewand einzukleiden und diese in einem besonderen Ambiente auch live aufzuführen. Für einige Konzerte hat man Kirchen gebucht (Passionskirche Berlin, Christuskirche Bochum) und auch das Freiheiz in München (heute bestuhlt) ist ein exquisiter Veranstaltungsort mit herausragender Akustik. Es gibt also großen Anlass zu freudiger Spannung vor diesem KATATONIA-Gig.

Doch zuvor darf einer der hoffnungsvollsten Newcomeracts der progressiven Rockmusik zeigen, dass er nicht umsonst mit Lorbeeren gesegnet wurde ("Illusory Blues" war Album des Monats im ECLIPSED und bekam neun von zehn Punkten hier), sondern auch live zu überzeugen vermag. Wir reden von MESSENGER (UK). Sehr sympathisch wirkende Musiker betreten die Bühne, Blickfang ist hier Sänger und Rastamann Khaled Lowe. Ebenso auffällig wie die Frisur ist auch die eindringliche Stimme, die beim sehr gutem Sound und Mix noch besser zur Geltung kommt als auf CD. MESSENGER bietet seine exquisite Mischung aus Folk, Prog und Psychedelic Rock, die Fans und Kritiker sehr fasziniert hat, auch live gebührlich dar. Wobei man schon noch merkt, dass hier eine komplett frische Band auf der Bühne steht. Der sechste Gig ist das erst für MESSENGER und keiner darf erwarten, dass man schon so eingespielt und professionell agieren kann wie die alten Hasen von KATATONIA. Ein paar kleine Hakler bei den Gitarren, ein paar Zentimeter zu weit weg von Mikro, ein paar unrunde Töne, ja man hört alles bei dieser Akustik. Das sind eben die kleinen und feinen Nuancen auf dem Weg nach oben, die eine Band erst durch kontinuierliches Touren lernen wird. Mein Meckern ist jedoch auf hohem Niveau, MESSENGER ist nämlich jetzt schon toll, und reproduziert jedes Wabern, jeden Effekt, jede Rückkopplung ihres psychedelischen Sounds live und originalgetreu und besitzt jetzt schon die Laut/Leise-Dynamik der ganz großen Acts. Kein Wunder, dass nach dem Gig gleich eine Traube von Menschen am Merch steht und "Illusory Blues" als CD oder als sehr schicke Gatefold-LP kauft.

Nun aber KATATONIA, mein Herz, meine Seele, mein langjähriger Weggefährte. Wie viele schöne und wehmütige Gefühle an dieser Band hängen. Ich bin ihnen 2003 auf Tour zu "Viva Emptiness" gefolgt, ich habe danach auf jeder Tour mindestens einen Gig gesehen und liebe all ihre Alben ab "Tonight's Decision" abgöttisch. Jonas Renkse muss einfach nur irgendein Wort sagen und es packt mich, dazu schreibt Anders Nyström Songs, die immer berühren. Jeder! Solange diese zwei Virtuosen zusammen Musik machen, wird KATATONIA weiter leben, sie sind es, die die Band ausmachen. Dennoch erweist es sich heute als hilfreich, solche Profis wie Bruce Soord (THE PINEAPPLE THIEF) auf der Bühne zu haben. Jonas' "partner in crime" bei WISDOM OF CROWDS hat nämlich auch eine sehr gute Stimme und zusammen mit dem über die Jahre gesanglich enorm verbesserten Anders liefern die drei einen sehr guten Harmoniegesang ab. Doch von vorne.

Der Opener ist 'In The White' (von "The Great Cold Distance") und der Sound ist phänomenal. Gleich drei Akustikgitarren, ein Akustikbass, dazu Percussions und ein Mensch an den Tasten, das ist das Setup, das die nächsten knapp 75 Minuten faszinieren wird. Unter diesen Voraussetzungen rückt Jonas Renkse noch mehr ins Zentrum des Geschehens. In sich versunken sitzt er auf seinem Stuhl und sein Gesang geht unter die Haut. Ich beschließe, während des Gigs immer wieder die Augen zu schließen und diese Musik wirken zu lassen (Das habe ich in Bochum auch getan, bin dabei aber eingeschlafen - NM). Meine Musik. Ich habe das Gefühl, sie ist für mich gemacht. Die Gedanken schweifen ab, vieles geht durch den Kopf, die Schönheit der Musik ist überwältigend. 'Ambitions', 'Teargas', 'Gone'. Huch, 'Gone'? Das habe ich ja gar nicht mehr auf dem Schirm. Kenne ich das überhaupt? Alles klar, "Discouraged Ones", lang ist's her. 'A Darkness Coming' habe ich so gut noch nie gehört und auch 'One Year From Now', eher ein "Viva Emptiness"-Waisenkind, gewinnt ungemein durch die Überarbeitung. Sie sind heute einfach viel bessere und reifere Musiker als damals und lassen ihre alten Kreationen in ganz anderen Kleidern wiederauferstehen, erstrahlen, schillernd glänzen. Bei 'The Racing Heart' bin ich den Tränen nahe. Glück oder Schwermut, ich kann es nicht sagen, beides vielleicht. 'Tonight's Music' kommt vielleicht ein wenig träge, hier fehlt mir der kräftige Gesang, der den Refrain des "Last Fair Deal Gone Down"-Songs zu einem der besten von KATATONIA macht. Dafür schmettern die Schweden einen fabelhaften 'Sleeper' unters Volk. Hier müssen die Gitarristen richtig arbeiten, der Sound ist auf Anschlag. Gewaltig! Dann 'Undo You'. Bitte lass es niemals vorbei gehen. 'Lethean': umwerfend. Danach kündigt man eine Überraschung an. Ein Schmankerl für alte Fans. Es ist 'Day'. Huch, 'Day'? Ich krame im hintersten Winkel des Gehirns, ich komme nicht drauf, doch es ist natürlich "Brave Murder Day". Sicher zehn Jahre lang nicht gehört. Damals war KATATONIA noch ganz klein. 'Idle Blood' ("Night Is A New Day") ist wiederum ganz groß und ja im Original schon fast ein Akustiksong. Und dann soll es schon zu Ende sein, mit 'Unfurl'? Un-WAS? Kenn ich ned. Aha, das ist ein B-Seiten-Track der "July"-Single. Welch ungewöhnliches Ende eines solchen Gigs. Aber muss ich erwähnen, dass der Titel toll ist? Zur Sicherheit: Er ist toll! Brauch ich, sofort!

Und natürlich ist es noch nicht zu Ende. Frenetische Zugabenrufe lässt die Band nicht lange unerhört und kommt zurück. Jonas erwähnt Beschwerden von Fans bei den vorherigen Konzerten, weil die Band zu kurz spiele und erzählt, man habe am Nachmittag extra deswegen noch einen weiteren Song einstudiert. Es ist 'Omerta'. Sehr, sehr geil. Den finalen Schlag gibt es dann mit 'The One You Are Looking For Is Not There', KATATONIAs wunderschöner Ode and die Einsamkeit. Schnüff.

Fazit: Eigentlich ist es kaum möglich, dass ich noch größerer Anhänger dieser Truppe werden könnte als ich es ohnehin schon bin. Dennoch hat es KATATONIA geschafft, nach dem letzten, klanglich ziemlich verhunzten Clubgig (zum Bericht) heute schon wieder etwas zu veranstalten, von dem ich lange zehre und das so schnell nicht vergessen werde. KATATONIA: Eine Band der ganz großen Gefühle! Ich hoffe nun inständig, dass es von diesen "Unplugged & Reworked"-Gigs einen Tonträger geben wird.

 

 

Großer Dank geht an Alexander Fähnrich für die Fotos, die beim Gig in Bochum gemacht wurden.

Redakteur:
Thomas Becker
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