Kreator - München

13.03.2009 | 16:28

05.03.2009, Backstage Werk

Mille und seine Chaos-Horde brennen München nieder. Mit dabei: EMERGENCY GATE, ELUVEITIE und CALIBAN.

Das Herz klopft, der Schweiß fließt in Strömen, und die Stimme verabschiedet sich für mehrere Tage zu einem All-Inclusive-Urlaub außerhalb des Körpers, der sie gemeinerweise sehr gefordert hat. Der Nacken schmerzt wie schon lange nicht mehr, und die Glieder sehnen sich nach horizontaler Erholung. Ja, kein Zweifel, über diesen Körper ist gerade die Thrash-Legende KREATOR gewalzt - und das mit allem, was dazu gehört. Und doch waren die Helden des deutschen Thrash-Dreigestirns nur die Spitze des metallischen Eisbergs an diesem Abend, denn schließlich haben vorher die Jungs von EMERGENCY GATE, die schweizerischen Folker von ELUVEITIE und die modernen Sub-Bass-Groover von CALIBAN das Ihre dazu beigetragen, den willigen Körper auf Mille und seine Jungs und damit auf die totale Vernichtung vorzubereiten.

Was wurde im Vorfeld nicht alles gesagt über diese Tour: Melodic Death, Folk, Metalcore und Thrash – geht das denn überhaupt? Gibt's da nicht Mord und Totschlag vor, auf und neben der Bühne? Die erste Antwort auf diese Frage liefern die Münchner Lokalmatadoren von EMERGENCY GATE, welche mit der aktuellen Platte "ReWake" im Gepäck den Reigen im Backstage Werk eröffnen dürfen. Ein bisschen leer ist die Halle zwar noch, doch das hält die Jungs nicht davon ab, alles zu geben. Mit 'Gold & Glass', 'Slave' und 'Trust In Me' haben die Herren aber auch Songs für die konzertante Ewigkeit geschaffen, welche abgehen wie Metal-Schmidts Edelmetall-Katze.

Bewegung für die Augen gibt es ebenso satt wie coole Show-Einlagen. Hervorzuheben ist dabei das Jointventure von Sänger Matthias Kupka und Gitarrist Udo Simon, welche – als wäre es normal – ein gemeinsames Solo auf EINER Gitarre spielen.

Den Anwesenden gefällt der Mix aus klassischen Arrangements und modernen Tönen. Kaum zu glauben, dass hier eine Art Newcomer auf der Bühne steht. Wie mir die Jungs im Nachhinein versichern, kommt das neue Material eigentlich überall derart gut an, dass man sich mit einer positiven Prognose der Marke "aus denen wird noch was ganz Großes" mit Sicherheit nicht allzu weit aus dem Fenster lehnt.

Nach dreißig Minuten ist der Spaß leider schon viel zu früh vorbei, denn gerade als sich die Halle richtig zu füllen beginnt, müssen EMERGENCY GATE das Schlachtfeld räumen, um dem Helvetisch-Keltischen den Platz zu überlassen.

ELUVEITIE heißt das Abrisskommando, das sich anschickt, das Publikum in nicht enden wollende Rage zu versetzen. Anfangs noch von Soundproblemen geplagt, hauen die sympathischen Folk-Metaller in Tasten, Saiten und Felle, was das Zeug hergibt. Diese unbändige Spielfreude zieht das Publikum sofort in den Bann, so dass der erste Moshpit des Abends nicht lange auf sich warten lässt. Auch die Schweizer haben eine gute Antwort auf die Frage nach der Zusammenstellung des Tour-Pakets parat: Aufgrund des Studiums des einen und weiterer Probleme des anderen Gitarristen musste man sich ohne die zwei Stammgitarristen auf diese Tour begeben. Kurzerhand wurden ein Techniker und die zwei - jetzt kommt's - CALIBAN-Gitarristen auf diese Posten gestellt, welche die ihnen zugedachte Rolle alle toll ausfüllen. Für alle Scheuklappenmetaller ist dies der notwendige Schlag ins Gesicht und für die gute Bandkonstellation auf der Tour einfach das beste Beispiel. Darüber hinaus hat jeder der anwesenden Musiker von der guten Atmosphäre zwischen den Bands geschwärmt, was nicht unbedingt gewöhnlich auf solchen Touren ist.

Mit 'Slanias Song', 'Bloodstained Ground' und 'Spirit' wird genug Tanzstoff für alle anwesenden Subkulturen geboten, das Meer voller Fans wogt im Bassin des Werks hin und her. 'Inis Mona' und 'Tegernakô' läuten einen zweiten Konzerthöhepunkt ein, bevor ELUVEITIE die Bühne für die modernste Band des Abends, CALIBAN, freimachen. Die Schweizer haben trotz widriger Umstände mal wieder alles gegeben, was ihnen nicht nur von ihren Fans, sondern eigentlich von den meisten Anwesenden mehr als gedankt wurde.

Am schwierigsten haben es auf dieser Tour wohl CALIBAN, und ja, auch ich stand dem Quintett sehr skeptisch gegenüber. Das Präteritum zeigt es schon: Die Jungs können mich an diesem Abend überzeugen. Mit dem Mix aus brutal-groovenden Parts, welche der Subwoofer-Anlage aber auch das letzte Quäntchen Leistung abfordern, und schnellen Metalcore-Attacken treffen die Essener anscheinend genau den Nerv der Anwesenden. Neben den erwarteten Cap-Trägern sieht man im Circle Pit, der sich mit der ersten nach dem Intro angespielten Note bildet, das eine oder andere ELUVEITIE-Shirt aufblitzen und sogar zwei, drei Jeanskutten in der Menge, die den Jungspunden zeigen wollen, wie richtig gemosht wird. Das Spannende an CALIBAN ist - neben dem unnachahmlichen Groove - mit Sicherheit die klare Stimme von Gitarrist Denis Schmidt, welche den Songs im Kontrast zu den Screams von Andy Dörner eine interessante Tiefe gibt.

Leider kenne ich mich mit dem Backkatalog der Band überhaupt nicht aus, meine aber Songs wie 'It's Our Burden To Bleed', 'Life Is Too Short' und den offensichtlichen "Wall Of Death"-Klassiker 'I've Sold Myself' herausgehört zu haben. Und tatsächlich: Vergeht ansonsten so manche Aufforderung zu einer Wall Of Death im Suff des Publikums, lassen sich die Damen und Herren im Werk heute nicht lumpen und rennen gar zweimal aufeinander zu. Von schräg oben: ein Bild für die Götter.

Von dem im Laufe des Jahres erscheinenden neuen Album wird ein Song gespielt, dessen Name mir leider nicht im Gedächtnis blieb. So viel sei allerdings verraten: Der Song schallt ein Stück schneller als das andere Material aus den Boxen. Außerdem darf Basser Marco Schaller öfter mal ins Mikrofon grunzen, was dem Song einen ganz eigenen Groove gibt.

Ohne Zugabe müssen die Metalcoryphäen schlussendlich die Bühne verlassen; jaja, der Zeitplan ist straff, um Punkt zwölf muss die Veranstaltung am heutigen Donnerstagabend schließlich beendet sein. Ich für meinen Teil kann nur feststellen, dass die Bandbreite der Bands heute Abend schon bis jetzt sehr unterhaltsam war und auch CALIBAN nicht zu unrecht auf dieser Tour sind.

Kaum sind CALIBAN von der Bühne verschwunden, machen sich die Kuttenträger auf, in die Mitte des Werk-Bassins vor der Bühne zu expandieren. Dort angekommen werden ein letztes Mal die Stimmbänder geölt, bevor man sich mit "KREATOR!"-Sprechchören auf das Highlight des Abends einstimmt. Mit dem 'Choir Of The Damned' von "Pleasure To Kill" geht das Spektakel auch schon los und die Leute vor der Bühne auf die Barrikaden. Angestachelt von dem energiegeladenen Ober-Revoluzzer Mille Petrozza kennen die Fans kein Halten mehr. 'Hordes Of Chaos' und 'Warcurse' von der aktuellen Platte werden mit Hilfe eines Beamers visuell untermalt und laufen anschmiegsam wie warme Butter in die lechzenden Gehörgänge. Schon auf Platte strotzen die Songs ja vor Energie und Aggression, was live nochmal potenziert wird.

Das zuletzt recht volle Backstage Werk gibt sich dem Sound voll hin, und nachdem es mit 'Extreme Aggression' und 'Phobia' ein wenig in die Vergangenheit von KREATOR geht, reift so langsam die Erkenntnis, dass die heutige Setlist eine ganz große werden kann. Und in der Tat, Klassiker um Klassiker reiht sich aneinander, und gerade für mich, der ich die Legende noch nicht live gesehen habe, sind live gespielte Songs wie 'Voices Of The Dead', 'Enemy Of God' oder 'Coma Of Souls' derart atemberaubend, dass sich der Kopf in Dauerrotation verabschiedet. Vollendet wird die Thrash-Vollbedienung durch 'People Of The Lie', 'Violent Revolution' und 'Betrayer', welche von allen Beteiligten mit einer derartigen Spielfreude und vollendetem Posing dargeboten werden, dass es eine wahre Freude ist. Perle an Perle gereiht nimmt der Abend seinen Lauf und explodiert in einer wahren Metal-Ekstase.

Die großartigen Soli von Mille und Sami laden zum Mitgrölen, Staunen, Abgehen ein. Ein paar Unverwüstliche ziehen das Moshpit-Ding wirklich von Anfang bis Ende durch, und die unzähligen fliegenden Matten erzählen von dieser denkwürdigen Party. Kaum verwunderlich bei diesem Feedback schimpft uns Mille im einen Moment "Ihr Penner!", nur um im nächsten Moment vom besten Publikum in Deutschland zu sprechen. Viel zu schnell wachen wir im Zugabenblock auf, eingeleitet durch das kultige 'Flag Of Hate' und triumphal beendet durch den Kracher 'Tormentor'.

Was für Abend! Vier großartige Bands, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, und dennoch mit einer Mission auf der Bühne: dem Publikum ordentlich einzuheizen. Und das haben die vier Kandidaten definitiv geschafft. Von Altersschwäche ist bei den KREATORen nichts zu bemerken, so manch junger Hüpfer ist auch dreißig Minuten nach dem Konzert noch damit beschäftigt, den Kiefer wieder einzuhaken, der ob der unbändigen Energie und Spielfreude der Legende heruntergeklappt ist. Und so geht es auf den Nachhauseweg, mit dem Wissen, ein denkwürdiges Konzert erlebt zu haben, an das man sich gerne erinnert.

Setlist KREATOR:
Choir Of The Damned
Hordes Of Chaos
Warcurse
Extreme Aggression
Phobia
Voices Of The Dead
Enemy Of God
Destroy What Destroys You
Pleasure To Kill
People Of The Lie
Coma Of Souls
The Patriarch
Violent Revolution
Terrible Certainty
Betrayer
Amok Run
Riot Of Violence
Reign Of Fire
Flag Of Hate
Tormentor

Ein besonderer Dank für die tollen Fotos geht an [Andrea Friedrich]http://www.deceitful-tranquillity.de/ .

Redakteur:
Julian Rohrer

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