LONG DISTANCE CALLING, SÓLSTAFIR und AUDREY HORNE - Köln
30.03.2013 | 13:5506.03.2013, Essigfabrik
Die Tour des Jahres.
Man könnte meinen, der Veranstalter hätte dieses Package zwischen Tagesschau und Wetterkarte zusammengeschustert, denn so richtig zueinander passen tun die drei Acts, die heute die Kölner Essigfabrik erobern werden, nicht wirklich. Da wären zum einen die oftmals hochgelobten, bisher aber nichtsdestotrotz so beschämend unerfolgreichen AUDREY HORNE mit ihrer ganz besonderen Variante des Hard Rock, zum anderen SÓLSTAFIR mit ihren entrückten Klangbildern aus dem hohen Norden und zuletzt LONG DISTANCE CALLING, die Post-, Instrumental- Aber-mittlerweile-doch-einen-Sänger-habenden Rocker, deren Erfolgskurve nur die positive Richtung zu kennen scheint. Die Veröffentlichung ihrer neuen Platte "The Flood Inside" dient als Anlass zu dieser Reise.
Jede Band für sich genommen würde den Besuch einer Headlinershow mehr als rechtfertigen. Funktioniert dies jedoch auch in Kombination?
AUDREY HORNE lassen da jedenfalls keinen Zweifel aufkommen. Die Gruppe um Torkjell Rød und Ice Dale fegt von der ersten Sekunde an mit einer solchen Selbstverständlichkeit über die Bühne, die einen für einen Opener schon mal verwundern darf – aber man hat es hier schließlich auch mit erfahrenen Musikern zu tun. Man bekommt über die Hälfte des aktuellen Albums "Youngblood" präsentiert und kann dabei nicht anders, als irgendwie mitzugehen, denn die sichtliche Freude der Jungs auf der Bühne ist ansteckend. Ich stelle mir häufig die Frage, was genau AUDREY HORNE eigentlich richtig machen, um sich so von der Masse abzuheben. Nur Killersongs im Gepäck zu haben, das ist sicherlich schon mal eine gute Grundvoraussetzung. Es stimmt primär aber einfach auch die Präsentation. So posiert die Klampfenfraktion um die Wette (Ice Dale gewinnt mit knappem Vorsprung) und man schaut in Gesichter voller Freude und Leidenschaft für ihr Tun.
Die Magie der Band kanalisiert sich aber vor allem in Sänger Torkjell Rød. Dieser Typ ist der blanke Wahnsinn. Eine solche Ausstrahlung und ein derartiges Charisma – ich möchte hier schon fast von einer Aura sprechen – sind in der Szene nahezu einmalig. Und dabei sind die Ausflüge ins Publikum fast schon eine Randnotiz. Rød lebt, was er liebt und lässt alle daran teilhaben. Danke dafür. Die Band verlässt die Bühne nach etwa 35 Minuten mit dem (aus meiner Sicht) Übersong 'Blaze Of Ashes' und kann sich gewiss sein, heute mehr als gut auf sich aufmerksam gemacht zu haben. Es ist der Band nur zu wünschen, dass diese Tour ihnen endlich einen ordentlichen Karriereschub verpasst. Dieser ist nämlich längst überfällig.
Setlist: Redemption Blues, Youngblood, Pretty Little Sunshine, This Ends Here, There Goes A Lady, The King Is Dead, Straight Into Your Grave, Blaze Of Ashes
Und wie sieht der größtmögliche Kontrast zu einer heiteren, energiegeladenen und rockenden Band im Metalsektor aus? Richtig, man nimmt eine kühle, wirre und irgendwie unnahbare Truppe aus einem relativ durchgängig eingeschneitem Land von irgendwo ganz weit weg; man nimmt SÓLSTAFIR aus Island. Und obwohl es einen eigentlich wundern dürfte, kommt diese musikalische 180-Grad-Drehung ganz natürlich daher. Die Leute vor der Bühne sind den ganzen Abend die gleichen, keiner geht früher. Vielleicht auch einfach deshalb, weil die verzausten Männer aus dem Norden schon in der Umbaupause faszinierend sind.
Noch viel faszinierender ist dann allerdings das, was sie auf der Bühne abliefern. 'Ljós Í Stormi' startet das nur vier Songs, aber dennoch 40 Minuten dauernde Set. Die Isländer verstehen es dabei, wabernde, leise Klänge über Minuten unauffällig aufzubauen, so dass man direkt wohlig in diese hineinfindet, nur um sich dann irgendwann zu wundern, wie man in diesen brausenden Strom geraten ist, der einen nicht mehr loslässt. Schuld daran ist sicher auch der wunderbar emotionale, ausdrucksstarke und dadurch tiefschürfende Gesang: Hypnose pur. Man versteht kein Wort (oder kann irgendwer deren Sprache?), die Botschaft kommt dennoch an. Ist das nun Metal? Post-Rock? Folk? Unwichtig. Auch die in sich gekehrte und doch so expressive Performance unterstützt dies – massiver Alkoholkonsum seitens der Band inklusive.
Die beiden folgenden "Svartir Sandar"-Tracks schließen sich nahtlos an, zuerst der Titelsong und anschließend der "Hit" 'Fjara'. Auch wenn zwischen den Liedern sogar pausiert wird, wirkt alles wie in einem Fluss, weshalb die Unterbrechungen kaum ins Bewusstsein gelangen. Dort ist nur Platz für diffuse Bilder von Landschaften, Farben und Emotionen. Die Begeisterung der gesamten Essigfabrik zeigt mir, dass ich nicht er einzige mit dieser Wahrnehmung bin. 'Goddess Of The Ages' beendet ein Konzert, was noch viel länger hätte andauern dürfen.
Setlist: Ljós í Stormi, Svartir Sandar, Fjara, Goddess Of The Ages
Der Sprung zu LONG DISTANCE CALLING ist dann auch nicht mehr ganz so groß. Die Klänge sind andere, die Atmosphäre jedoch ähnlich. Es ist wirklich erstaunlich, wie groß die vier, fünf Burschen aus der Fahrradstadt Münster mittlerweile geworden sind. Abgefeierte Alben, ausverkaufte Touren: Sie scheinen den Nerv vieler Rock-/Metal-Fans zu treffen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Heute ist dieser Ort die rechtsrheinische Seite Kölns. Eine großartige Show erwartet jeder (allen voran diejenigen, die LONG DISTANCE CALLING schon einmal live gesehen haben), spannend ist daher insbesondere, wie sich der neue Sänger Martin Fischer (PIGEON TOE, ex-FEAR MY THOUGHTS) auf den Brettern machen und sein Einsatz überhaupt aussehen wird.
Es stellt sich heraus, dass er primär als DJ für die Soundsamples im Hintergrund verantwortlich ist, ganz ähnlich zu Reimut van Bonn früher, was er mit voller Hingabe tut. Man merkt Fischer an, wie viel Freude er an der Sache hat – und den anderen Jungs, wie froh sie sind, ihn an Bord zu haben. Gesanglich gibt es seine drei Nummern von "The Flood Inside" zu hören. Interessanterweise bleibt er bei zweien davon auf seinem DJ-Posten. Dieses Sichzurücknehmen spiegelt sich auch musikalisch wieder, denn im Klangbild von LDC sind die Vocals irgendwie auch "nur" ein Instrument. Dies sorgt allerdings dafür, dass Fischer trotz einer ordentlichen Leistung keine Farbtupfer in die Landschaften, welche die Band in jeder ihrer Nummern eröffnet, setzen kann. Es ist dabei schwer zu beurteilen, ob das an der Stimme, der Darbietung oder der Gesangslinie liegt. Der Eindruck, dass die Songs auch instrumental wunderbar, vielleicht sogar besser funktioniert hätten, bleibt bis zuletzt.
Der Löwenanteil der 100 Minuten besteht jedoch natürlich aus Songs gesangsfreier Natur. Und die beherrschen LONG DISTANCE CALLING. Es gibt Material aller Veröffentlichungen auf die Lauscher - selbstverständlich mit einem leichten Fokus auf das gerade veröffentlichte Werk "The Flood Inside". Man merkt den Liedern eigentlich immer an, aus welcher Phase sie stammen, seine Wirkung verfehlt dabei aber keiner von ihnen (heute überragend: 'Arecibo (Long Distance Calling)', 'Metulsky Curse Revisited' und die Zugabe 'Apparitions'). Die Welten, welche die fünf Jungs aufspannen, lassen Raum für so allerhand. Da versinkt das Mädel neben mir mit geschlossenen Augen in irgendwelchen Tagträumen und der Metalhead vor mir schraubt sich vollkommen unrhythmisch die Rübe ab, einfach weil er Lust darauf hat. Und das Tolle ist, dass beide vollkommen Recht haben. Vielleicht erklärt dies auch den Erfolg von LDC: Rockige Oberfläche, (mehr oder minder) subtile Tiefe.
Dass die Band dabei super sympathisch agiert und mindestens genau so viel Spaß hat wie jeder einzelne Besucher, das ist nicht zu übersehen. Die Band bedankt sich auch tausendmal, wirkt dabei herzlich und coolerweise kein Stück abgeklärt. Frenetischer Jubel, ein Gewinn auf ganzer Strecke.
Über den neu eingesetzten Gesang mag man sich streiten, bezüglich der Instrumentalmusik herrscht jedoch Einigkeit: LONG DISTANCE CALLING bewegen sich nahe der Perfektion.
Setlist: Nucleus, The Figrin D'an Boogie, Inside The Flood, Black Paper Planes, Ductus, Tell The End, Arecibo (Long Distance Calling), Aurora, The Man Within, Metulsky Curse Revisited. Zugabe: Apparitions
Und um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja, die Kombination dieser Bands funktioniert ausgezeichnet. Meine Damen und Herren, ich lege mich bereits im März fest: Die Tour des Jahres.
- Redakteur:
- Oliver Paßgang