Napalm Death - München
29.12.2000 | 06:2629.11.2000, Backstage
Ein hochinteressantes Package, das in diesen Wochen durch deutsche Lande eiert: die uneingeschränkten godz of grind von NAPALM DEATH und dazu die aufstrebenden Grindcore-Schweden NASUM, abgerundet vom Newcomer BUTAL DELUXE.
Als letztere pünktlich die Bühne betraten, war das Backstage bereits sehr gut gefüllt. Mehr als Höflichkeitsapplaus war für die Londoner aber trotzdem nicht drin, denn ihr Stilmischmasch aus Hardcore, New Metal, Alternative, einem Spritzer RHCP und zahllosen anderen Komponenten hatte zwar einen gewissen Groove, krankte aber auf Dauer an mangelnder Abwechslung. Insofern war es mir ganz recht, als die Herren dann nach einer halben Stunde die Bühne verliessen. Richtig punkten konnte das Trio allenfalls mit seinem verwegenen Bodypainting sowie der Schlagwerker auch mit locker-wuchtigem Spiel. Kann man insgesamt unter \"ganz nett\" einordnen; wie die Jungs jedoch stilistisch auch nur annähernd zu den beiden anderen Bands passen sollen, das bleibt mir ein Rätsel.
Da waren die nachfolgenden NASUM schon von einem ganz anderen Kaliber. Mit starken Scheiben wie \"Inhale, Exhale\" und dem aktuellen \"Human 2.0\"-Werk haben die Skandinavier mächtig was in der Hinterhand und ich war sehr gespannt, ob sie dies live würden umsetzen können. Um es vorwegzunehmen: jawollja! Wenngleich die Schweden -im Gegensatz zu BRUTAL DELUXE übrigens- mit einem ausgesprochen mässigen Sound geschlagen waren, so konnten sie dennoch in allen Belangen überzeugen. Präzisisionsschlagwerker Anders bearbeitete sein minimalistisches Kit selbst bei halsbrecherischer Geschwindigkeit mit fast schon provozierender Lässigkeit und Frontmann Mieszko Talarczyk beeindruckte mit seinem patentierten Batteriesäuregesang. Recht viel mehr war denn aber auch nicht zu hören, insbesondere die Klampfe ging nahezu völlig unter. Schwache Arbeit vom Soundmann, denn der Club-PA des Backstage lässt sich erwiesenermaßen auch für derart extreme Bands ein adäquater Sound entlocken.
Unter diesen Umständen war es mir natürlich so gut wie unmöglich, auch noch einzelne Songs zu erkennen, was ja bei NASUM -Hand aufs Herz- schon auf CD schwer genug ist. Allerdings, soviel liess sich dann doch feststellen, die Schweden legten das Hauptaugenmerk auf ihren aktuellen Longplayer, was dank zahlreicher betont rhythmischer Passagen der Abwechslung sehr zugute kam. Entsprechend gut war auch die Stimmung; ein mehr als respektabler Teil des Publikums ging voll mit, bildete immer wieder ansehnliche mosh pits und slammte leidenschaftlich. Daumen hoch für NASUM!
So sehr das Trio aber auch zu gefallen wusste, der Headliner toppte ihre gute Leistung mühelos. Denn nach einer quälend langen Umbaupause enterten die Götter des Grindcore, the one and only NAPALM DEATH die Bühne und heizten dem mittlerweile proppenvollen Backstage gleich gewaltig ein. Schon das Eröffnungstrio mit \"Taste The Poison\", \"Next On The List\" und \"Constitutional Hell\" vom fabelhaften aktuellen \"Enemy Of the Music Business\"-Album versetzte das Publikum in helle Begeisterung; als die Engländer danach mit dem Brecher \"Suffer The Children\" vom \"Harmony Corruption\"-Album tief in die Klassikerkiste griffen, verwandelte sich das Auditorium in ein wahres Tollhaus. Alles bangte, moshte, slammte, daß es nur so eine Freude wahr und ein unablässiger Regen von Stagedivern ging auf das Publikum herab.
Szenenapplaus ernteten dabei zwei junge Herren, die doch glatt in der Luft kollidierten, sowie der allzu enthusiastische Diver, der im Eifer des Gefechts eine lehrbuchhafte Bruchlandung im Zentrum eines slam circles hinlegte. Wo sich Niemand länger als ein paar Sekunden am selben Fleck aufhält, kann Dich auch keiner auffangen, Junge! Böse Schimpfe aber für den Idioten in der ersten Reihe, den die Roadies an die 10 mal von der Bühne schmeissen mussten, weil er sie partout nicht mehr verlassen wollte. Stell Dich das nächste mal lieber auf einen der Faschingswagen bei der Love Parade, Du Narr! Da kannst Du rumzappeln, solange Du willst.
Aber genug geschwafelt, zurück zum eigentlichen Gig: NAPALM DEATH liessen auch im weiteren Verlauf ihrer Show keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie zu den verheerendsten Livebands des Planeten gehören und mischten geschickt neues Material (u.a. \"Vermin\", \"Cant Play, Won´t Pay\", \"Necessary Evil\") mit Standards wie \"The World Keeps Turning\" von der \"Utopia Banished\"-Scheibe oder dem RAW POWER-Cover \"Politicians\" von der \"Leaders Not Followers\"-EP.
Glücklicherweise zimmerte der Mann am Mischpult den Jungs einen akzeptablen Sound zurecht und so ging es denn dahin. Das Backstage-Publikum rastete aus und stellte einmal mehr unter Beweis, daß es in München den Spitzenrang in Sachen Stimmungspegel bekleidet, was wiederum auch den Herren Musikern offensichtlich gefiel. Sir Barney, Britanniens sympathischster Bomber, tapste á la Tanzbär Balou auf der Bühne herum und glänzte zwischen den Songs mit ungekünstelten Ansagen in hundsgemeinem Birmingham-Dialekt; Tiefton-Waldschrat Shane Embury symbolwirkte still vergnügt vor sich hin; Rhythmusklampfer Mitch Harris, einer Beinverletzung wegen auf einem Barhocker thronend, bangte nichtsdestotrotz vehement und steuerte gelegentlich mörderische Schreie bei; Schlagwerker Danny Herrera verdrosch sein Kit, als ginge es um sein Leben; lediglich der amerikanische Leadgitarrist Jesse Pintado gab den Zurückhaltenden.
Zu meinem nicht gelinden Erstaunen gaben die Briten gegen Ende des regulären Teils ihrer Show en bloque gleich 5 Nummern ihrer Debütscheibe \"Scum\" zum Besten, nämlich den Titeltrack, \"Life?\", \"The Kill\", \"Deceiver\" und das unvermeidliche \"You Suffer\" , letzteres kurz wie eh und je.
Und weil insgesamt 55 Minuten Mucke für alle Beteiligten zu wenig sind, warfen ND nach einer kurzen Pause noch 4 zusätzliche Brandbomben ab: \"Mass Appeal Madness\", einen Song, den ich beim besten Willen nicht erkannte habe, das DEAD KENNEDYS-Cover \"Nazi Punks Fuck Off\" (von Mr.Greenway kurz aber treffend als \"very important\" angekündigt) und \"Siege Of Power\". Damit fand der insgesamt 70-minütige Gig dann sein Ende. Barney schüttelte noch jede Menge Flossen, während diverse Getränkepullen unter dem Volk verteilt wurden, wobei Bass-Unikum Shane Embury besonders glänzen konnte, indem er zwei dürstenden Anhängern mit würdevoller Miene seine restlichen Bierflaschen verehrte.
Das völlig ausgepowerte Publikum trat sichtlich zufrieden den Heimweg an und auch meine Wenigkeit hat sich gar vortrefflich amüsiert. NAPALM DEATH rule!
- Redakteur:
- Rainer Raithel