ROME und UTOPIAE - Hamburg

07.12.2025 | 15:26

03.11.2025, Nochtspeicher

20 Jahre ROME! 20 Jahre musikalische und lyrische Kunst in Vollendung!

Anfang November, der kalte Herbst klopft langsam an. Wahrlich nicht die allerschlechteste Zeit für einen Gig des luxemburgischen Ein Mann-Kollektivs ROME. Es ist aber heute nicht irgendein Konzert, sondern feierlicher Anlass für den 20-jährigen Bandgeburtstag unter dem Tourmotto "One Fire Worldwide". Dafür hat man sich als Spielort, wie auch schon bei den letzten Hamburger Gastspielen, für den Nochtspeicher entschieden. Hier finden in der Regel eher selten Bands aus dem Rock/Metal statt, als vielmehr Künstler aus den Bereichen Americana, Indie, Folk, Singer/Songwriter und Blues.

Einlass ist hier heute laut Veranstaltungskalender um 19.30 Uhr, Konzertbeginn eine Stunde später. Gut, dass meine Begleitung und ich uns allerdings bereits einige Minuten nach acht vor Ort einfinden, denn der Supporting Act UTOPIAE ist zu der Zeit bereits munter am Musizieren. Liebe Leute, im digitalen Zeitalter von Social Media und allem kann es doch nicht so schwer sein, etwaige Terminänderungen spontan und vor allem rechtzeitig auf den hierfür geeigneten Kommunikationskanälen mitzuteilen. 

Sei es drum, schnell ein kühles Bierchen besorgt und gucken, wie lange wir denn nun noch die Vorband genießen dürfen. Es handelt sich hierbei um ein musikalisches Projekt des Wahlleipzigers Konrad Schubert, der unter anderem bereits beim GOETHES ERBEN-Schwesterprojekt fetisch:MENSCH, dem Post Black Metal-Ensemble SEMEN DATURA und dem deutsch-italienischen Post Rock-Kollektiv EMPTY OCEAN erste musikalische Ausrufezeichen setzen konnte.

UTOPIAE - Tief (live at 'Himmelsfeuer' 02/08/25)



https://www.youtube.com/watch?v=DhplWB5PMGM

Ein kurzes Lugen auf die Homepage der Band verrät Klänge, die sich zwischen Darkfolk und Deathpop bewegen und sich dabei gezielt der vielfältigen Möglichkeiten der Popmusik bedienen. Akustische Klampfe, klassische und kraftvolle Zwei-Trommel-Percussion und tief geführter Sprechgesang (Schubert), sowie dunkle Synthesizerflächen und eine melancholische Grundatmosphäre, für die sein musikalischer Bühnenkompagnon und Sidekick verantwortlich zeichnet, bilden hierbei somit die zentralen Elemente seines Singer-Songwriter-Stils. 

Vertonte Schwermut meets Electro meets Dark Wave meets Dark Folk würde ich das Gehörte vielleicht zusammenfassen. Aber wie bereits erwähnt, hätte ich hier gerne noch ein bisschen mehr gehört, denn unterm Strich sind uns hier lediglich knappe zwanzig Minuten Zuschauen und Zuhören vergönnt. Und so verlässt das Duo die Bühne mit den Worten, dass das heute der vierte und leider letzte Support-Gig für die Band gewesen ist.

UTOPIAE - Rain



https://www.youtube.com/watch?v=7H7yrnzPVpM

Die Umbaupause nutzen wir für einen netten Plausch mit einem guten, alten Schulfreund und ehemaligen WG-Mitbewohner von mir und seiner reizenden Frau, die hier ebenfalls zugegen sind. Beide habe ich nun viel zu lange schon nicht mehr gesehen, desto größer die Freude über das am Ende viel zu knapp ausgefallene Wiedersehen.

Dann ist es soweit und wir suchen uns rechtzeitig ein halbwegs vernünftiges Plätzchen im mittlerweile sehr gut gefüllten Rund. Ich habe ROME nun schon ein paar Mal in den verschiedensten europäischen Städten live erleben dürfen. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, das Projekt jemals in ein und derselben Live-Besetzung gesehen zu haben. Mein letztes ROME-Konzert liegt zwar nun auch schon gute sechs Jahre zurück, aber ich kann mich beim besten Willen nicht entsinnen, die zwei heute anwesenden Mitmusiker damals oder bei einem früheren Auftritt schon einmal gesehen zu haben.

Bei dem unfassbar reichhaltigen, künstlerischen Output, den Reuter in der Zeit seiner Karriere an den Tag gelegt hat, möchte ich nur ungern in seiner Haut gesteckt haben, als es darum ging, für diese spezielle Tour eine repräsentative Setliste ausarbeiten zu müssen. Zwanzig Jahre Historie und wilde Ritte durch sämtliche Genres wie Neofolk, Chanson Noir, Martial Industrial (um nur mal einige zu nennen) sind das eine, die Anzahl an hochwertigen Veröffentlichungen, die Reuter in jener Zeit vorgelegt hat, wiederum das andere.

Selbst ich habe da zwischenzeitlich etwas den Überblick verloren, aber selbst, wenn wir "nur" EP's und reguläre Longplayer zugrunde legen, kommt man da schon locker auf gut zwanzig Releases. Ja, der gute Mann ist in all der Zeit künstlerisch alles andere als behäbig unterwegs gewesen, von daher dürfte es interessant sein, für welche Songs und Phasen er sich heute final entschieden hat. 
Eröffnet wird der Abend mit dem titeltechnisch an LEONARD COHEN angelehnten Song 'First We Take Berlin', welches auf die niemals endende Sinnlosigkeit aller Kriege dieser Welt aufmerksam macht. Der Sound ist, wie übrigens immer hier, wunderbar transparent und klar und lässt keinerlei Wünsche offen. Mit dem stark marschierenden Trommel-fokussierten 'Eagles Of The Trident' (vom Album "Gates Of Europe", 2023) und dem chansonartigen 'La France Nouvelle' (vom Album "Civitas Solis", 2025) bietet man dann auch sogleich weitere neuere Phasen des üppigen Backkatalogs feil, bevor man auch das opulente, dreigeteilte 2012er-Werk und von dem Dramatiker Peter Weiss beeinflusste "Die Aesthetik der Herrschaftsfreiheit" mit zwei starken Songs ('Sons Of Aeeth' und 'Families Of Eden', in welchen Reuter höchstselbst die Trommelstöcke schwingt) gedenkt. 

First We Take Berlin



https://www.youtube.com/watch?v=I5BSEeHJ-LU

Denn ROME-Fans wissen: Reuter ist nicht nur schaffender Künstler, sondern auch stets in allen Bereichen interessierter Suchender. Er bedient sich hierbei gelegentlich immer auch gerne bereits vorhandener (auch literarischer) Werke und anderer historisch-politischer Stoffe, welche er dann als Basis für eigene Bearbeitungen in eigene künstlerische Interpretationen gießt.

Das hier perfekte dargebotene Live-Klangbild schützt aber bekanntlich nicht vor technischen Problemen, die eben auch nicht vor bühnenerfahrenen Musikern haltmachen. Hier und heute ist es der Synthesizer von Bassist Yannick Dalscheid, der zwischenzeitlich den Dienst versagt. Der allzeit immer in sich ruhende Reuter lässt sich von derlei kleinen Pannen aber natürlich nicht den Abend vermiesen und setzt mit seiner musikalischen Begleitung nach behobener Klärung des technischen Problems an derselben Stelle einfach noch einmal entspannt und lässig-souverän an. 

Dann werden wir Zeuge eines neuen und starken Stücks mit dem Titel 'Stars And Stripes', welches vermutlich auch auf der im Dezember erscheinenden neuen Platte "The Hierophant" zu finden sein wird.

Im weiteren Verlauf lavieren sich die drei Herren kreuz und quer durch das breite und satte Œuvre des Künstlers. Nur wenige Alben wie beispielsweise "Nos Chants Perdus", "Hell Money" oder "Hall Of Thatch" werden hier nicht berücksichtigt.

Bei der beträchtlichen Anzahl an Tonträgern ist es aber natürlich auch schier unmöglich, jeden Release auch wenigstens nur mit einem Song zu berücksichtigen. Solange wir aber mittlerweile bereits zu Dark-Neo-Folk-Klassikern gewordene Songs wie 'Neue Erinnerung', 'Who Only Knew Europe' oder 'Ächtung, Baby!' (auf dessen Studioversion niemand Geringerer als Alan Averill von PRIMORDIAL den Gastgesang beigesteuert hat) genießen dürfen, hat hier vermutlich niemand ein wirklich großes Problem mit der Songauswahl. 

Neue Erinnerung



https://www.youtube.com/watch?v=QjA-YtBPeXI

Reuters' Ansagen zwischen den Songs sind selten, aber, so denn sie kommen, mitunter auch sehr humorvoll. Den Luxemburger, stets und immer in schwarze Hose, schwarzes Hemd und schwarze Schuhe gekleidet, umgibt eine intellektuelle und eloquente Aura. Man könnte meinen, man habe es mit einem durch und durch das Klischee lebenden Bohemian zu tun, auf den zweiten Blick allerdings offenbart er oft aber auch eine angenehm sympathische, komische Seite. Gelegentlich fühlt man sich dann bei einigen seiner sehr trockenen, aber eben auch sehr witzigen Ansagen an professionelle Spaßvögel wie Helge Schneider erinnert. Trotz aller gebotenen Feierlichkeit "soll man sich Konfetti und anderen Schnickschnack hier doch bitte ganz einfach noch dazu denken". Kein Problem, machen wir. Das von Teilen des Publikums lauthals mitgesungene 'One Lion's Roar' beendet dann den regulären und (wie wir am Ende zur Kenntnis nehmen) ersten Teil des Abends, denn Schlagwerker Michel Spithoven und Bassist Yannick Dalscheid verabschieden sich laut Reuter fürs erste "in die wohlverdiente Gewerkschaftspause".

One Lion's Roar



https://www.youtube.com/watch?v=M0nwVsztLRg

Den Mittelteil bewältigt der Mastermind somit ganz alleine auf sich und seine akustische Gitarre gestellt, was diesen selbstverständlich vor nicht allzu große Probleme stellt. Das kleine, sehr intime Zwischen-Set besteht aus vier Songs, von denen besonders das frei von jeglicher Pathetik vorgetragene 'Vaterland' einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlässt. Dass der Konzertabend im Übrigen auch für unsere Seite hier absolut relevant erscheint, wird mir bewusst, als ich einige Reihen vor mir eine kleine Gruppe Metalheads mit stattlich geschmückten Kutten (DARKTHRONE Backpatch!!!) erblicke, aber mehr dazu ein wenig später.

Mit zwei bedächtigen und besonnenen Akustikstücken in Gestalt von 'On Albion's Plain' und 'The Twain' vom 2020er "The Lone Furrow"-Album endet dann auch dieser Teil, bevor die beiden Bandgefährten aus ihrer wohlverdienten Gewerkschaftspause zurückkehren und den dritten und letzten Teil des feierlichen Abends mit einleiten.

On Albion's Plain



https://www.youtube.com/watch?v=Wc-_JKiYUIA

'Der Wolfsmantel' und 'Uropia O Morte' setzen den am Ende des letzten Teils eingeschlagenen, schwelgerischen Weg fort, bevor die Unterstützung des Publikums noch einmal erforderlich wird, denn auch das hymnenhafte 'One Fire' eignet sich ganz vortrefflich zum Mitwippen und Mitsingen.

Einen der bereits erwähnten Kuttenträger erkennt Reuter auf einmal als jenen Fan, der treu und ergeben "bisher bei jedem Hamburg-Gastspiel dabei gewesen ist." Er fragt diesen, ob er denn zwischenzeitlich alle zum Einsatz gekommenen Gitarrenplektren der letzten Auftritte abgegriffen habe und überreicht diesem dann feierlich gebührend ein rotes Plektrum. "Ich glaube, den dürftest du bisher noch nicht haben." Very amüsant. 

Dass mit dem als Closer perfekt passenden 'Swords To Rust - Hearts To Dust' nun auch endlich mein persönliches Inselalbum "Flowers From Exile" gewürdigt wird, dürfte wahrscheinlich nicht nur mir hier ein feuchtes Freudentränchen aufs Gesicht gezaubert haben.

Die Abschiedsfanfaren von 'Les Hirondelles' als Outro entlassen die gebannte Zuhörerschaft dann vollauf zufrieden in die Hamburger Nacht. Herr Reuter und Gefolgschaft: Wieder einmal kongenial abgeliefert, und das wie immer gewohnt auf höchstem Niveau. Bis zum nächsten Mal im bezaubernden Nochtspeicher.

Swords to Rust - Hearts to Dust (Revisited)



https://www.youtube.com/watch?v=9r-CNGG9uqU

Setliste: First We Take Berlin; Eagles Of The Trident; La France Nouvelle; Sons Of Aeeth; Todo Es Nada; Families Of Eden; Stars And Stripes; Neue Erinnerung; In Brightest Black; Kali Yuga Über Alles; Ächtung, Baby!; Submission; Who Only Europe Know; One Lion's Roar; Erste Zugabe (akustisch und solo): Celine In Jerusalem; Vaterland; On Albion's Plain; The Twain; Zweite Zugabe: Der Wolfsmantel; Uropia O Morte; One Fire; Swords To Rust - Hearts To Dust; Les Hirondelles (Outro)

Anmerkung: Da leider kein Fotograf abkömmlich gewesen ist, habe ich stattdessen das eine oder andere (Live)-Video der Künstler eingefügt. 

Text: Stephan Lenze

Redakteur:
Stephan Lenze

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