Rock Hard Festival - Gelsenkirchen

18.05.2008 | 13:01

09.05.2008, Amphitheater

Oida

Samstag:
Der Samstag beginnt Gott sei Dank besser, als der Freitag aufhörte: ein stocksteifer Buck Chilly, ein fehlender Alex Skolnik, "weil er keine Zeit hatte", ein Tontechniker, der wohl eher Lichttechniker war (zumindest blinkten alle Lämpchen am Mischer sowie Summengruppe knallrot) - nee, "Test, Test, TESTAMENT" waren nix. Oder wie unsere einhellige Meinung ist: "A wie arm, S wie Scheiße, T wie TESTAMENT". Da lobe ich mir doch eine Ladung saftiges Schädelbrummen und vierzig Grad Celsius um sechs Uhr morgens im Zelt.
[Alex Straka]

Samstagmorgen, kurz vor dreizehn Uhr. THE SORROW ballern ihren Metalcore in das weite Rund, das sich nur sehr langsam füllen möchte. Das muss aber eher am Frustbier wegen TESTAMENT liegen, denn das Quartett aus Österreich kracht bei gutem Sound (nach dem Soundfiasko beim Headliner des Vorabends muss das an dieser Stelle noch einmal explizit erwähnt werden) wie ein Orkan auf die etwas kopfschmerzgeplagten Metaller ein. Man merkt deutlich, dass THE SORROW in den vergangenen Monaten fast durchgehend "on the road" waren, denn die Band ist fantastisch aufeinander eingespielt, wirkt locker und kommt verdammt sympathisch rüber. Da überrascht es im weiteren Verlauf auch nicht, dass sich erste Moshpits bilden und die Band für diese Uhrzeit auch beachtliche Zuschauerreaktionen einfahren kann. Der Innenraum füllt sich, auf den Rängen wird anerkennend mitgewippt, und auch die ersten Österreichflaggen werden geschwenkt.

Ich denke, THE SORROW können diesen Auftritt als klaren Erfolg verbuchen und dürften sich einige weitere Freunde erspielt haben. Ich kenne zumindest viele, die das Quartett abschließend zusammen mit den später folgenden EXODUS als Gewinner des Samstags gesehen haben. Mit dem Doppelwhopper 'Knights Of Doom'/'Her Ghost Never Fades' packen Sänger/Gitarrist Mätze und seine Mannen zum Abschluss noch einmal zwei fette Kracher aus, die natürlich nachhaltig in den Köpfen hängen bleiben. Einzig, dass sich die Band noch einmal für eine Zugabe zurück auf die Bühne rufen lässt, finde ich etwas daneben (was aber nichts mit dem Song 'Numbers Of Failure' zu tun hat), wenn man Status und Uhrzeit des Auftritts miteinbezieht. Starker Beginn des Tages, der im weiteren Verlauf für mich leider immer mehr an Qualität verlieren soll.
[Chris Staubach]

Das erste Mal schaffe ich es am Samstag aus dem Zelt, um MOONSORROW zu sehen. Dabei ist es doch beachtlich, wie viele Leute sich um die frühe Uhrzeit bei den Finnen eingefunden haben. MOONSORROW betreten während eines Intros die Bühne, und man kommt bei dem lächerlichen Outfit leider nicht um ein Schmunzeln herum. Die Jungs haben sich mit Blut eingeschmiert, um wohl etwas fieser zu wirken, aber gerade der Drummer hat es damit ein wenig übertrieben. Er sieht eher aus wie ein Indianer und nicht wie ein furchteinflößender Wikinger. Außerdem sieht getrocknetes Blut in der Hitze eher aus wie Scheiße. Wie auch immer. Trotz eines etwas verhaltenen Starts zündet die Musik nach ein paar Minuten bei den Fans. Es gibt die ersten dicken Moshpits des Tages zu sehen.

Spieltechnisch sind MOONSORROW absolut in Ordnung, der Sound ist auf jeden Fall akzeptabel. Über die Musik lässt sich natürlich (wie immer) streiten. Für meinen Geschmack steht bei MOONSORROW das Keyboard viel zu sehr im Vordergrund. Warum die Jungs nicht statt der Keyboardsoli mal Gitarrensoli einbauen, warum die Finnen klingen, als hätten sie nur eine Gitarre dabei, obwohl zwei Gitarristen auf der Bühne stehen, und warum Bands wie MOONSORROW oder PRIMORDIAL abgefeiert werden wie Helden und ENSLAVED nicht, weiß ich nicht. Der Menge gefällt es, und das ist das Wichtigste.
[Hagen Kempf]

Spezial-Gigs im nostalgischen Original-Dideldadeldum-Line-up und mit schmückenden Retro-Schrammen an Knie, Kopf und Achselhöhle sind überflüssig, müffeln stark nach Geldmacherei, werden aber für Festivals gerne anberaumt, um das Publikum anzulocken. Die Ausführung solcher Späße kann dann auch mal granatenpeinlich werden, aber nicht bei HELSTAR, die in der Besetzung des 1986er "Remnants Of War"-Albums in Gelsenkirchen auflaufen. Die Texas-Metaller machen nicht den Eindruck, als hätten sie sich zum Abkassieren von ein paar Dollar unter Mobilisierung der letzten Kraftreserven auf die Bühne des Amphitheaters schleppen müssen. Kollegin Elke zieht zwar nach ein paar Nummern des Quintetts von dannen, was aber nur daran liegt, dass der Sound für ihren Geschmack zu old-schoolig ist und die Herren nicht aus Finnland oder Schweden kommen [klar, vor allem Letzteres - wo ich auf diesem Festival auch alle Finnland- und Schweden-Bands rezensiere ... - stirnrunzelnd, Elke]. Die Vorstellung der Amis ist energetisch und überzeugend. Insbesondere Basser Jerry Abarca, der seine Na-ja-Matte demnächst absäbeln lassen muss, genießt es sichtlich, 'Suicidal Nigtmare', 'Baptized In Blood', 'Harker's Tale' oder die beiden neuen, nicht ganz an die alten Schoten heranreichenden 'Tormentor' und 'Caress Of The Dead' in die gut mitgehenden Zuschauer zu schicken.

Dass James Riveras perfekte Gesangsleistung dem Auftritt den entscheidenden Schub gibt, ist fast als Randnotiz zu verbuchen. Niemand hatte etwas Anderes erwartet. Und so kann es auch gerade noch verschmerzt werden, dass der kleine Fronter heute nicht die geilen weißen Nuttenstiefelchen aus den Achtzigern trägt, für die Julia Roberts seinerzeit in "Pretty Woman" Kleinstädte ausgerottet hätte. Vielleicht beim nächsten Mal. Und dann sollte es auch ausreichen, nur den Namen "HELSTAR" auf die Plakate zu drucken - ohne irgendeinen nervigen, aber womöglich werbeträchtigen Zusatz.
[Oliver Schneider]

Nachdem ich von TESTAMENT, meinem ersten Höhepunkt des Festivals, so dermaßen enttäuscht wurde (A wie arm, S wie Scheiße, T wie TESTAMENT), habe ich fast Angst, zu meinen Lieblingen von ENSLAVED zu gehen. Ich glaube, wäre der Sound so dermaßen schlecht gewesen wie bei TESTAMENT, hätte diesmal ich versucht, den Mann am Pult zu erwürgen. Zum Glück ist das nicht der Fall. Der Sound ist glasklar. Einzig die cleanen Vocals von Keyboarder Herbrand Larsen sind bei den ersten paar Liedern leider einen Tick zu leise. Beim Gig selbst lassen die Norweger nichts anbrennen. Grutle Kjellson (Bass und Vocals) glänzt sogar mit fast akzentfreiem Deutsch.

Die Setlist ist einfach geil. ENSLAVED verwöhnen die Fans beispielsweise mit dem göttlichen 'As Fire Swept Clean The Earth', dem epischen 'Return To Yggdrasil' oder 'Path To Vanir'. Aus der frühen Schaffensperiode hören wir leider nichts, was aber aufgrund der kurzen Spielzeit verständlich ist. Das Publikum nimmt ENSLAVED allerdings sehr verhalten auf, was wohl auch daran liegt, dass die progressiven Strukturen der Norweger für Leute, die die Musik nicht kennen, sehr schwer zu durchschauen sind. Wer Partymusik sucht, ist hier schlecht aufgehoben. Dass ENSLAVED zusätzlich noch einen viel zu kurzen Slot um kurz vor vier bekommen haben, trägt sicher auch dazu bei. Sehr schade, dass eine der prägenden Bands einer ganzen Szene (Zitat Carsten: "Alter, DA haben sich PRIMORDIAL ihre Musik zusammengeklaut!) über solch eine miese Popularität verfügt. Nichtsdestotrotz ein toller Gig, das erste Mal seit Festival-Beginn bin ich wirklich glücklich bei einer Band.
[Hagen Kempf]

Setlist:
Path To Vanir
Fusion Of Sense And Earth
Bounded By Allegiance
Violet Dawning
As Fire Swept Clean The Earth
Isa
Return To Yggdrasil
Ruun

Na ja, nun dann. Ich kannte ja von EXCITER bislang nix, habe mich aufgrund des Legendenstatus auf den Rezislot beworben und immerhin ganze fünf Nummern durchgehalten. Sound gut, Stage-Acting auch, aber die Mucke? Okay, ich bin ja durchaus Old School ohne Ende, aber die völlig nervige Quiekerei des Sängers hat mir regelrecht die Unterbuchse zerrissen. Dermaßen hoch kommt kein Space-Shuttle! Zudem ist die Lalla sehr an Motörhead in ihrer Frühphase angelehnt, ohne Klampfenläufe, ohne anständige Hooks, behäbig und völlig ohne Arsch. Wer geilen Straight-forward-Metal hören will, sollte lieber zu den ähnlich gelagerten GUN BARREL greifen, die nicht nur den Arsch sondern auch den passenden Eimer dazu haben. Ach ja, der Sänger war aber trotzdem lustig: ein wandelnder Kubikmeter, der den Größenvergleich mit der Monitorbox knapp gewinnt und wie ein Flummi über die Bühne hüpfte.
[Alex Straka]

Wo wir gerade bei Körpergrößen sind: Gott ist nur 1,60 Meter groß und hört auf den Namen Tomi Joutsen. Wie dieser charismatische Ein-Mann-Chor den Finnen AMORPHIS wieder zu alter Stärke verholfen hat, ist der Hammer! Rastas bis zu den Kniekehlen, da kann selbst die arschlange Dauerwelle von CLAWFINGER-Klampfer Andre nicht mithalten. Unentwegt wuselt der kleine Sänger über die Bühne und meißelt sowohl Publikum als auch Bandkollegen ein breites Grinsen ins Gesicht. Schlagartig bietet das gefüllte Amphitheater eine Kulisse, die einem Headliner würdig wäre. Ob neueres Material wie 'Silent Waters' und 'The Smoke' oder ebenfalls perfekt intonierte Klassiker à la 'The Castaway' und 'Drowned Maid', die sonnenbestrahlte Stimmung ist einfach nur prächtig und lässt beim gemeinsamen Bangen kollektiv die Glückshormone tanzen. Selbst ein Death-Metal-Hauer vom Debüt "The Karelian Isthmus" schleicht sich in die Setlist, während daneben auch Growl-freie Songs vom umstrittenen "Tuonela"-Album wieder Spaß machen. Eine solche Intensität erzeugen sonst nur Ausnahme-Bands wie DARK TRANQUILLITY oder OPETH.

Doch selbst die schönsten Momente müssen einmal zu Ende gehen, und noch ehe Tomi den letzten Song lange ankündigen kann, bekommen die Sechs einen Wink vom Bühnenrand. Keine große Zugabenpause, schnell wieder die Gitarre über die Schulter geschmissen, während im Hintergrund schon das Backdrop halb runter gefahren wird und Keyboarder Santeri mit einem flink dahingefingerten Intro gerade noch die Kurve zur Bandhymne 'Black Winter Day' bekommt. Doch selbst wenn sich einer seiner Gitarrenkollegen ebenfalls ziemlich verzockt, wird's von den Fans in bester Honigkuchenpferd-Manier toleriert. Ein geniales Konzert findet sein Ende und hinterlässt nichts außer glücklichen Gesichtern und heißgetanzten Fußsohlen.
[Carsten Praeg]

Fett, fett, fett!!! Ich hab ja schon einiges an extremer Musik konsumiert, aber was EXODUS an diesem herrlichen Abend für ein Sperrfeuer auf die Menschheit loslassen, ist dermaßen aggressiv, dass sich sogar die Staubkörner im Innenraum des Amphitheaters gegenseitig auf die Fresse hauen. Die Gitarristen Altus und Holt duellieren sich schulbuchmäßig und spielen sich im Sekundentakt die Bälle zu, während im Hintergrund ein völlig entfesselter Tom Hunting seine Kiste ins Nirwana böllert. Dazu gesellt sich an vorderster Front ein sichtbar angepisster Rob Dukes (was für eine Hassfresse der Gute hat ...), der wie ein fleischgewordener Kühlschrank über die Bühne stapft und wie von 'ner Tarantel gestochen keift und brüllt. Warum so energetisch, die Herren? Ach ja, EXODUS filmen die Show für eine DVD. Dementsprechend genial ist die Setlist: 'Funeral March', 'Children Of A Worthless God', 'And Then There Was None', 'Blacklist', 'War Is My Shepherd', 'In Palace', 'Toxic Waltz'. Es fehlt wirklich an nix! Oder doch? 'Strike Of The Beast' kann nur noch halb gespielt werden, weil AMORPHIS zehn Minuten überzogen haben und EXODUS demnach unter dem Zeitdruck kapitulieren müssen. Allerdings räumen die Amis nicht freiwillig das Feld. Während im Hintergrund das Banner entfernt wird und der Stage-Manager wild fuchtelnd versucht, Mr. Dukes zum Schweigen zu bringen, nimmt dieser zunächst die Setlist, zerknüllt sie, wirft sie ins Publikum, zerschmettert sein Mikro voller Inbrunst auf der Bühne und versucht sogleich den Stage-Manager im Rhein-Herne-Kanal zu ersäufen. Sein Glück, dass er ein wenig windschnittiger ist als Rob. Heidewitzka, war das ein Abgang! Hoffentlich auf der DVD zu sehen.
[Alex Straka]

Pyros, Explosionen, Nebelschwaden – ein eisiger Wind pfeift durch die warme Frühsommernacht. Die Black-Metal-Legende IMMORTAL schickt sich an, dem weiten Rund reihenweise Schauer über den Rücken zu jagen. Und das noch eine ganz Ecke intensiver als vergangenen Sommer bei der Reunion in Wacken. Zwar kann man sich meiner Meinung nach auch einfach eine Auszeit nehmen, ohne einen Seiten füllenden Abschied und kurz danach eine ebenso breitgetretene Rückkehr – sei's drum. Und welche andere Band kann die Massen schon derart in ihren Bann ziehen, ohne seit sechs Jahren auch nur ein Album herausgebracht zu haben?

Bandkopf Abbath wirft sich in seinem schwarzen Leder/Nieten-Kostüm mehr denn je in Pose, versieht das Ganze aber auch mit einem großen Augenzwinkern. "These are the real Pandas of Northern Darkness", meint er grinsend, den Zeigefinger auf ein paar hochgehaltene Teddy-Pandas in der ersten Reihe gerichtet. Oder er geht immer wieder in die Hocke und animiert die Zuschauer immer schneller zur Welle, wie man es sonst nur vom Fußball kennt. Abbaths Saitenmitstreiter macht mit der zum Teufelshörnchen geformten Hand seltsame Verrenkungen, während Horgh wie ein Eisberg in der Brandung hinter seiner Schießbude sitzt. Mit stoischer Ruhe feuert er seine Doublebass mit einer Präzision ab, dass man sich fragt, ob die drei Norweger den Tonmischer bestochen haben, um den bis dato besten Sound des Festivals zu bekommen - egal ob bei Klassikern wie 'Blashyrkh Mighty Ravendark' und 'Battles In The North' oder 'One By One' und 'Sons Of Northern Darkness' vom letzten Album.

Mitten in 'Tyrants' wird mal wieder auf die Sekunde genau ein Pause eingelegt, um dann eine Minute die Eier zu schaukeln. Und ganz ohne Anzählen geht's einfach weiter im Takt, als sei nichts gewesen. Blindes Verständnis. Dann wird die mit Nebel überzogene Bühne in rotes Licht getränkt, ehe das Trio zur Bandhymne 'Damned In Black' bittet. Auch 'At The Heart Of Winter' darf als Zugabe nicht fehlen, während sich Abbath natürlich noch in seiner Lieblingsdisziplin Feuerspucken übt. Eine letzte nervenzerreißende Explosion, ein letztes Riff - ganz großer Eissport!
[Carsten Praeg]

Redakteur:
Hagen Kempf

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