Rock Hard Festival 2010 - Gelsenkirchen

10.06.2010 | 15:51

21.05.2010, Amphitheater

Bei hellenischen Temperaturen, in hellenischer Theateratmosphäre zu metallischen Klängen schwelgen...

Es gibt irgendein ungeschriebenes Gesetz, nach dem der letzte Festival-Tag immer mit besonders vielen Bands aufwartet, die ich unbedingt sehen möchte. Was ungemein dabei hilft, die müden Knochen ein drittes Mal in Bewegung zu setzen, um schließlich wieder mit ungeahnten Energiereserven vor der Bühne zu stehen. Auf zum großen Finale!
[Elke Huber]

Es ist Sonntag, die Sonne scheint und wir erleben schon den letzten Tag. Ja, wie kann das denn sein? So schnell ging noch kein Festival vorbei. Ein Grund mehr, sich nach den tollen Erfahrungen der letzten Tage noch einmal so richtig die Birne aus der Rübe [Was woraus? - Anm. d. Red.] zu schütteln. Und wer kann da besser helfen als die selbsternannten Ritter des Heavy Metals? SACRED STEEL sind immer ein Garant für Spaß und große Freude, so auch heute. Schwer gezeichnet von zwei Nächten voller Metal und Bier, sehen die Kameraden auf der Bühne nicht viel besser aus als ihre Fans - und auch stimmlich ist Gerrit nicht ganz auf der Höhe. Doch das macht die Band mit einem phänomenalen Einsatz wett, inklusive Gerrits Ausflug ins Publikum mit Zwischenhalt auf den Stufen des Amphitheaters. Kult! Gespielt wird alles, was Rang und Namen hat, seien es Klassiker wie 'Metal Is War' oder 'Maniacs Of Speed', bei dem Gerrit sogar noch ein Original-Joey-DeMaio-Gedächtnis-Ding bringt, in dem er den Song abbricht (Falscher Text, falscher Rhythmus, was auch immer) und neu ansetzen lässt. Gekrönt wird der Auftritt durch original SACRED STEEL-Hundemarken, die ins Publikum geworfen werden und dem Kult-Song 'Wargods of Metal'.

Während sich die Sonne gerade von ihrem höchsten Stand entfernt, wird es auf der Bühne dunkler, schwärzer und so extrem, dass sich die CRASHDIET-Fans verstört ihre überdimensionale Sonnenbrille auf der gepuderten Nase hin und her schieben. Direkt aus Norwegen kommen die Exreme-Metaller von KEEP OF KALESSIN mit einem brandheißen und unglaublichen Album im Gepäck aufs Rock Hard. "Reptilian" stellt für mich definitiv einen der heißesten Anwärter für das Album des Jahres 2010 dar, und dementsprechend scharf bin ich auf den Auftritt der Band. Los geht’s mit Schlagzeuger Vyl, der zu den Tönen vom Opener 'Dragon Iconography' noch recht einsam auf der Bühne agiert. Angetrieben von den schnellen Drums der Band bricht dann aber ein düsterer Sturm über das verschlafene Rock Hard und macht klar: Hier werden keine Gefangenen gemacht. Weiter geht es mit 'Crown Of The Kings' von "Armada", bevor 'Judgement' die Kinnladen herunterklappen lässt. Die ersten Reihen vor der Bühne gehen ab, und anscheinend ist die Band attraktiv genug für die Anwesenden, so dass auch die Ränge immer stärker gefüllt werden. Dann greift sich Obsidian C. das Mikro und verkündet, dass Metal doch eigentlich schon immer gegen den Mainstream stand, gegen das Gewöhnliche und gegen Regeln. Das ist für ihn der Grund, warum sie sich mit 'The Dragontower' auch einem größeren Publikum gewidmet haben, eine Art Fuck-Off an all die Scheuklappen-Metaller. Die Wut über diese Mentalität merkt man dem Quartett förmlich an, der Drachenturm wird mit einer derartigen Wucht aus den Boxen geblasen, dass alle Kritik im Keim verstummt. Ja, das ist Metal, KEEP OF KALESSIN sind eine verdammte Macht.
[Julian Rohrer]

Die jungen Schweden von CRASHDIET, denen das Schicksal schon früh in der Karriere durch den Tod des ursprünglichen Frontmannes Dave Leppard böse mitgespielt hat, konnten vor zwei Monaten in unserem Soundcheck auf ganzer Linie überzeugen und kamen völlig überraschend aufs Treppchen, so dass wir natürlich auch vom Bühnenauftritt der Glam-und-Sleaze-Fetischisten einiges erwartet haben. Diesen Erwartungen werden die Jungs um Gitarrist Martin "Sweet" Hosselton und den neuen Frontmann Simon Cruz auch vollauf gerecht. Löchrige Jeans, Leder, Ketten und auftoupierte Haare, ein wasserstoffblonder Irokesenschnitt beim Fronter, jede Menge Glam, Hair Metal und Rotzrock, etliche augenzwinkernde Verneigungen darstellerischer und musikalischer Art vor Größen wie MÖTLEY CRÜE und BILLY IDOL, und der offentliche Spaß an Posertum mit eingängigen Hymnen, das sind die Attribute, die CRASHDIET zu einer vielleicht nicht beeindruckenden, aber auf jeden Fall unterhaltsamen Band machen. Dass die Showelemente sich im Wesentlichen auf das Outfit beschränken, mag für den einen oder anderen Genrefan einen gewissen Abstrich darstellen, aber ich für meinen Teil bin sehr zufrieden mit dem, was ich geboten bekomme: Doch das ist mit eingängigen, gute Laune verbreitenden Hymnen wie 'Generation Wild' oder 'Riot In Everyone' auch kein Problem.
[Rüdiger Stehle]

Die Meinungen über das neue Album von ORPHANED LAND gehen mächtig auseinander, und für einige - mich eingeschlossen - erreicht "The Neverending Way of ORWarrioR" die Qualitäten des Vorgängers bei Weitem nicht. Was allerdings nichts daran ändert, dass die Israelis mit zum Spannendsten gehören, was derzeit die Bühnen dieser Welt beackert. Ihre völkerverständigende Botschaft macht die Band einzigartig, ihre Spielfreude ist ansteckend, und die Tatsache, dass "Mabool" einen großen Teil der Setlist gestaltet, lässt auch diesen Auftritt wieder zu einem headbangenden und hüpfenden Erlebnis werden. Optisch präsentieren sich die Herren in den bereits von den Promofotos bekannten religiösen Outfits, welche das Christentum, den Islam und das Judentum symbolisieren. Musikalisch steigen sie mit 'Birth Of The Three' sehr gelungen in ihren 40-minütigen Auftritt ein, der anders in der Vergangenheit völlig auf die Hinzunahme von Samples verzichtet. "Ich hoffe, ihr trinkt genug, denn dies ist eine Party-Show", lädt Kobi Farhi zum Feiern ein. Aus dem Publikum werden Musikwünsche gen Bühne geschrieen und von dem sympathischen Sänger mit "das habe ich jetzt gehört" und "das spielen wir später" quittiert. Lediglich der Übergang zwischen den einzelnen Songs gestaltet sich etwas holprig, wenn sich die Musiker kurz in den Hintergrund zurück ziehen, um ihre Instrumente zu stimmen oder sich abzusprechen. Zu 'Sapari', einem der schmissigeren Titel der neuen Platte, von der es insgesamt drei Kostproben gibt, kommt eine Bauchtänzerin auf die Bühne, in 'The Kiss Of Babylon' wird der ausgiebige Mitsingteil zelebriert, 'Ocean Land' ist wie immer ein Ohrenschmaus, und zu 'Norra El Norra' springt zumindest das Publikum vor der Bühne wie ein Haufen Gummibälle. Warum man diesen gewohnt guten Auftritt fünf Minuten vor der zugedachten Zeit beendet, bleibt angesichts der lauten Zugabe-Rufe ein Rätsel.  
[Elke Huber]

So, jetzt stehe ich vor der schwierigen Aufgabe, einen fundierten Konzertbericht über eine alte und bei vielen hoch verehrte Referenzband für melodischen Power Metal zu schreiben, und habe zwei Probleme: Ich kenne die Band nicht wirklich gut und ich finde das Konzert obendrein grottenschlecht! Zwei Alben, hab ich mir sagen lassen, sind in der VIRGIN STEELE-Discographie besonders wichtig: Einmal "The Marriage Of Heaven And Hell" -  die habe ich abgespeichert unter „netter Metal mit vielen Längen“. Und dann "Noble Savage" - für mich überbewerteter 80er-"Kult". Also entschuldigt, liebe Traditionsmetall-Gemeinde, denn die erste relevante Information für euch ist sicher: Von den besagten Alben werden genau zwei Songs gespielt, nämlich 'Noble Savage' und 'A Symphony Of Steele'. Der Rest  stammt von aktuelleren Scheiben, was der Ankündigung, einen Old-School-Set zu spielen, wiederspricht und einige alte Fans sehr verärgert. Grundsätzlich gibt es verschiedene Meinungen zu dem Gig. Für mich ist der eindeutige Schwachpunkt Sänger David DeFeis, der eindrucksvoll aufzeigt, warum er sich in den letzten Jahren eher mit dem Schreiben von klassischer Musik und Opern beschäftigt hat. Meiner Meinung nach kann man die Geräusch-Palette, bestehend aus seltsam schräger Kopfstimme, spitzen Jauuuus und knarzigen Lauten, die nach Eric Adams mit zugenähtem Mund klangen, nicht als Gesang bezeichnen. Schon gar nicht als METAL-Gesang, aber bitte, das ist dann eben "Kult"! Und dass Meinungen verschieden sind, belegt die Aussage eines Freundes, dass gerade der Gesang "völlig genial" und "genauso authentisch wie auf CD" gewesen sein soll. Rein musikalisch wird, tja, netter Power Metal ohne Glanz geboten, der in dieser Form von einigen Bands mittlerweile deutlich besser in Szene gesetzt wird. Aber wie dem auch sei, viele Fans haben ihren Spaß, und die dürfen den das nächste Mal auch wieder sehr gerne ohne mich haben.
[Thomas Becker]

Thomas, da gehst du etwas hart mit dem Jungfernstahl ins Gericht, denn zumindest aus der Sicht eines langjährigen Fans kann man der Band eines nicht unterstellen, nämlich dass David DeFeis schlecht gesungen hab. Dass seine Stimme bisweile an Eric Adams erinnert ist richtig, aber schräg und knarzig war da für mein Empfinden gar nichts, und nach zugenähtem Mund klang es noch viel weniger. Und Kult? Ein Sänger dieser Klasse muss nicht kultig sein. Dass das Keyboard inzwischen vom Band kommt und nicht mehr von David selbst live gespielt wird, ist zunächst befremdlich, aber andererseits gibt es dem drahtigen Sänger mehr Bewegungsfreiheit. Aber sei's drum: In letzter Konsequenz war dieser groß als "Classic Metal Set" angekündigte Auftritt auch für die meisten alten Fans der Band eine gewisse Enttäuschung. Warum? Nun, weil ein vermeintlich "klassischer" VIRGIN STEELE-Auftritt ohne 'The Burning Of Rome', ohne 'Angel Of Light', ohne 'We Rule The Night', ohne 'On The Wings Of The Night' und ohne 'I Will Come For You' eben so klassisch ist, wie ein klassischer MANOWAR-Auftritt ohne einen einzigen Song von den Alben eins bis acht. Da mögen neuere Kracher wie 'Kingdom Of Fearless' oder 'Wings Of Vengeance' so gut sein, wie sie wollen, bei der Vorankündigung ist es letztlich doch ernüchternd, wenn kaum etwas von dem gespielt wird, worauf zumindest die langjährigen Wegbegleiter so sehnlich gewartet haben. Schade drum!
[Rüdiger Stehle]

Schon wieder so ein Kontrast: Hatte ich gestern das Pärchen EXHORDER vs. KREATOR, so zeigt diesmal der Vergleich VIRGIN STEELE vs. NEVERMORE, welch krasse Unterschiede es in Sachen Qualität auch anno 2010 noch gibt. NEVERMORE, so sagt selbst die Rock Hard-Broschüre, sind in ihrem Genre konkurrenzlos. Da toleriere ich ausnahmsweise mal keinen Widerspruch, denn schon allein der Einstieg könnte besser nicht gewählt sein. Der "Dreaming Neon Black"- Opener 'Beyond Within' lässt das Adrenalin bei mir von nahe Null auf Hundert schnellen und macht schnell vergessen, dass es doch ziemlich warm geworden und Sport in der bösen Sonne nicht gesund ist. Aber wer kann schon stehen bleiben, wenn der Flußdrache kommt? Ich nicht! Und danach gibt es Reis, Babies! Nicht dass Warrel Dane nun wie Helge Schneider aussieht (ganz ehrlich: er sieht viel schlechter aus, von seinen Drogen halb zerfressen …), nein, der Refrain des ersten Songs von "Obsidian Conspiracy", 'The Poison Throne', verlangt dreimal nach Reis. Wer's nicht glaubt, soll sich die neue Scheibe kaufen. Auch beim sperrigen 'Born', bei dem der bis dahin sehr gute (!) Sound unverständlicherweise lauter gedreht wird, gibt es viele fliegende Köpfe, die spätestens beim nächsten Höhepunkt, 'Inside Four Walls' eine kleine Pause verdient haben. Die kommt dann nach einem weiteren (starken) neuen Song ('The Termination Proclamation') bei 'This Godless Endeavor'. Dane brilliert im Anfangsteil dieses Longtracks und sorgt bei den sehr ruhigen Passagen nicht nur bei mir für Gänsehaut. Schade, dass das Lied sich am Ende, wie schon auf CD, in sich selber verliert. Hier auf dem Festival ist der thrashige Schlusspart nun fast unerträglich laut. Das vermiest mir auch a bisserl den Spaß an dem was folgen soll, nämlich zwei weitere neue Tracks: Das sehr viel versprechende 'Emptiness Obstructed' und der unglaublich laute und irgendwie gar nicht zündende Titelsong 'Obsidian Conspiracy'. Dem schließen sich ein dafür traumhaft schöner 'Heart Collector' an, bei dem alle noch mal alles bringen, was die Stimme hergibt, sowie der hymnische Schlusspunkt 'Enemies Of Reality'. Danke, NEVERMORE!
[Thomas Becker]

Bei NEVERMORE ist das Amphi-Theater zwar noch nicht voll, am Einlass bildet sich aber eine lange Schlange. Die Fans sind erwartungsvoll, schließlich dauert es nur noch eine Woche, bis die Amis mit "The Obsidian Conspiracy" das erste Album seit fünf Jahren veröffentlichen - einen kleinen Vorgeschmack soll es heute geben, das verrät schon das Banner, welches das Album-Cover zeigt. Zur Feier des Tages kommt Warrel Dane in schicken Klamotten und mit Hut auf die Bretter. Er hat offensichtlich wieder Spaß daran, auf der Bühne zu stehen, tanzt, springt herum und versprüht Energie und Lebensfreude, die sich sofort auf das Publikum überträgt. Mit 'Beyond Within' und 'The River Dragon Has Come' werden aber erst mal zwei alte Klassiker ausgepackt, bis mit 'Your Poison Throne' die erste neue Nummer kommt. Dane gibt den Fans Anweisungen, was sie im Refrain singen sollen und ab geht die Post! Sie feiern das neue Material ab und wohin man schaut, man sieht lachende Gesichter. Später gibt es mit 'Emptiness Unobstructed', 'The Termination Proclamation' und dem Titeltrack noch mehr Material von "The Obsidian Conspiracy". Dane heizt die Menge immer wieder an und fordert zum Stagediven auf. Gegen Ende widmen NEVERMORE 'Heart Collector' dem kürzlich verstorbenen Ronnie James Dio und fordern die Fans auf, laut mitzusingen, damit er sie hören kann. Eine schöne Geste.
[Pia-Kim Schaper]

Setlist:
Beyond Within
The River Dragon Has Come
Your Poison Throne
Born
Emptiness Unobstructed
Inside Four Walls
The Termination Proclamation
This Godless Endeavor
Heart Collector
The Obsidian Conspiracy
Enemies of Reality

SONATA ARCTICA hätten ihren Slot besser mit NEVERMORE getauscht, denn vor der Bühne ist kaum was los. Zum Instrumental von 'Everything Fades To Gray' kommen die Musiker auf die Bühne, und Tony Kakko begrüßt das Publikum mit: "Wie geht's, Rock Hard Festival?" Die Fans vorne klatschen eifrig mit, als die aktuelle Single-Auskopplung 'Flag In The Ground' ertönt. Überhaupt spielen die Finnen größtenteils Material des aktuellen Albums "The Days Of Grays". Zwar schieben sie mit 'Black Sheep' und 'Fullmoon' alte Klassiker ein, 'The Cage' lassen sie jedoch sträflich vermissen. Dafür bringen sie mit 'The Last Amazing Grays' und 'Deadskin' zwei mittelmäßige Nummern. Schade, wirklich schade, denkt sich wohl auch das Publikum, denn gerade die alten Lieder werden abgefeiert. Dazu kommt, dass SONATA ARCTICA mit Soundproblemen zu kämpfen haben: Der Bass ist viel zu laut, die Background-Mikros zu leise. Einzig Tony scheint den Auftritt so richtig zu genießen - er flitzt über die Bühne und macht seine Späßchen wie eh und je. Wenigstens den Spaßmacher 'Vodka' bringen die Finnen am Ende, bevor sie eine Viertelstunde zu früh die Bühne verlassen. Ein denkwürdiger Auftritt, der so nicht wiederholt werden braucht.
[Pia-Kim Schaper]

Ein trauriges Schauspiel bietet sich hier. SONATA ARCTICA waren immer mein persönlicher Gute-Laune-Garant. Egal wie böse der Kater, wie kurz die Nacht, wie mies die Stimmung, nach den ersten Klängen hatte ich stets ein fettes Grinsen im Gesicht und feierte den "Happy Metal" der Finnen bis zur letzten Note ab. Natürlich muss man jeder Band eine musikalische Weiterentwicklung zugestehen, aber seit dem Weggang von Gitarrist Jani haben sich SONATA ARCTICA derart weit von ihren Wurzeln entfernt, dass ich jedem neuen, immer bombastischer und damit seelenloser werdenden Studioalbum mit Grauen entgegen sehe. Den kürzlichen Headliner-Gig in New York habe ich mir wohlweislich geklemmt, und ein Blick auf die später im Netz gefunde Setlist hat mich darin bestätigt, dass mir dadurch eine weitere Untergangs-Episode erspart geblieben ist. Doch zunächst sieht es in Gelsenkirchen gar nicht mal so schlecht aus. Das noch einigermaßen an alte Melodic-Metal-Glanzzeiten anknüpfende 'Flag In The Ground' lässt mich auf meinem Sitzplatz beschwingt mit den Füßen wippen, und selbst der unvermeidliche Speed-Track 'Black Sheep' macht halbwegs Laune. Als ich zu 'Paid In Full' dann doch noch vor der Bühne stehe, setzt die Ernüchterung ein. Um mich herum ist Platz, sehr viel Platz - und das beim Co-Headliner. Und das anfängliche Tempo wird dank der eher mittelprächtigen neuen Werke auf Schrittgeschwindigkeit zurückgefahren. 'Fullmoon' lässt kurz erahnen, welchen natürlichen Charme die Suomis einst zu verbreiten wussten, und auch 'Don't Say A Word', mit dem der ganze Bombast-Quatsch seinerzeit seinen Anfang nahm, kommt noch ganz gut. Die restlichen, allesamt neuen Kompositionen sind jedoch live keinen Deut besser als auf Platte. Dass Sänger Tony Kakko gewohnt witzig durch das Programm führt, hat einen leichten "gute Miene zum bösen Spiel"-Beigeschmack, und was der dauergrinsende Fronter sich klammheimlich über die halbleeren, träge ausharrenden Reihen dachte, kann man nur spekulieren.
[Elke Huber]

Setlist:
Everything Fades To Gray (Instrumental)
Flag in the Ground
Black Sheep
Paid in Full
The Last Amazing Grays
Juliet
Fullmoon
Deadskin
In Black & White
Don't Say A Word
Everything Fades To Gray
Vodka

Um die lange Umbaupause von RAGE zu überbrücken, haben sich die Veranstalter ein Pausenprogramm ausgedacht. Zunächst kommen ROKKEN auf die Bühne, um den Sieger des Karaoke-Wettbewerbs zu küren. Deren Sängerin ist mittlerweile heiser, weshalb sie froh ist, das Mikro an Gewinner Patrick abgeben zu dürfen, der IRON MAIDENs 'Aces High' interpretiert. Doch bevor er loslegt, möchte er noch etwas ausprobieren: Er eifert Bruce Dickinson nach und fordert: "Scream For Me, Rock Hard!" Patrick meistert den schwierigen Song gut und läuft wie ein Großer über die Bühne. Zu Recht jubelt ihm das Publikum anschließend zu. Danach bedanken sich die Veranstalter für die Schweigeminute für DIO am Freitag und bitten die erste Rock-Hard-Karaoke-Siegerin Tanja auf die Bühne. Sie singt 'Holy Diver' und fordert alle auf, mitzusingen. Auch die Rängen machen mit und Tanja wird bejubelt.

Den wahrhaftigen Pausenclown gibt MAMBO KURT. Einige lieben ihn, einige hassen ihn, aber eines müssen ihm alle lassen: Er ist die Spaßgarantie für jede Party. MAMBO startet mit seiner Version von 'Killing In The Name Of' von RAGE AGAINST THE MACHINE. Vorne wird gefeiert, hinten tanzen einige. Danach muss der Organist sein Instrument drehen, weil der Hauptbestandteil des VAN HALEN-Klassikers 'Jump' die Fußarbeit ist, und diese soll das Publikum schließlich sehen. Doch so richtig interessieren sich die Fans nicht dafür - sie starten lieber eine Polonaise. Bei 'The Final Countdown' von EUROPE lässt MAMBO die Orgel einfach Orgel sein und springt in die Menge. Wieder auf der Bühne angekommen, folgt eine Anekdote: Egal, wo er spielt, er spielt immer 'South Of Heaven' von SLAYER. Und das darf er auch, denn die Amis haben ihn einmal auf einer Backstage-Party gesehen, als er eben jenes Lied spielte. Und sie haben sich sogar vor seiner Heimorgel fotografieren lassen - eine unheilig abgesegnete Sache also. Dann kann's ja weitergehen. RAMMSTEIN kündigt er als bekannteste Bossa-Nova-Band Deutschlands an. Seine Version von 'Engel' beweist, dass MAMBO damit gar nicht so falsch liegt. Nach 'Paradise City' von GUNS'N'ROSES fragt der Organist, ob er jetzt weiter Metal (AC/DC - 'Highway To Hell') oder HipHop spielen soll. Tatsächlich macht der HipHop mit VANILLA ICEs 'Ice Ice Baby' das Rennen, bei dem MAMBO KURT nicht die Orgel, sondern einen C64 zu Hilfe nimmt. Auf einen C64 passt schließlich auch nur HipHop. Das Publikum singt mit und feiert. Danach ist Schluss und alle warten auf das musikalische Kontrastprogramm mit RAGE und dem LINGUA MORTIS ORCHESTRA.
[Pia-Kim Schaper]

Setlist:
Killing In The Name Of (RAGE AGAINST THE MACHINE)
Jump (VAN HALEN)
The Final Countdown (EUROPE)
South Of Heaven (SLAYER)
Engel (RAMMSTEIN)
Paradise City (GUNS'N'ROSES)
Ice Ice Baby (VANILLA ICE)

 

Auf dieses Konzert habe ich zwölf Jahre gewartet. Denn als RAGE Ende der 90er mit ihrem LINGUA MORTIS ORCHESTRA unterwegs waren, wohnte ich gerade in Wien, das seltsamerweise nicht auf der damaligen Tour berücksichtigt wurde. Gut, die Klassik-Meets-Metal-Chose haben RAGE nicht erfunden, doch trotzdem gehören "Lingua Mortis" und "XIII" für mich immer noch zu dem Beeindruckendsten, was die Ruhrpott-Metaller hervorgebracht haben. Und nicht zuletzt dank Gitarrist Victor Smolski, der seit 1999 zusammen mit Peter "Peavy" Wagner den kreativen Doppelkopf der Band bildet, hat die Klassik zuletzt wieder stellenweise Einzug in die Alben gefunden. Mit ein Grund, die Orchester-Besetzung nochmals aufleben zu lassen in Form von über dreißig Musikern aus dem Pott, welche die Bühne bis in den hintersten Winkel in Beschlag nehmen. Da nimmt man die etwas längere Umbaupause gerne in Kauf.

Als einziger Headliner glänzen RAGE auch durch einen nicht zu lauten und recht gut abgemischten Sound. Victors Gitarre wird zwar stark in den Vordergrund gerückt, aber die Orchestereinsätze sind vor allem von den Rängen des Amphitheaters, kurz vor dem Mischpult, wunderbar klar auszumachen. Im Rahmen der Setliste gräbt man die Glanzeiten der Orchester-Phase wieder aus. Höhepunkte finden sich in der Form von 'From The Cradle To The Grave' (mit Gastsängerin), einem der RAGE plus Orchester-Songs schlechthin, der Peter Steele und Ronnie James Dio gewidmeten 'Suite Lingua Mortis' und dem 'Lingua Mortis Medley', in dem sich die Metaller über große Strecken zurück ziehen, um dem Orchester die Bühne zu überlassen, um dann zum 'Sent By The Devil'-Teil gemeinsam zu einer Einheit zu verschmelzen. Mit 'Empty Hallow' gibt es eine Live-Premiere, und zu den abschließenden Titeln 'Alive But Dead' und 'Higher Than The Sky' singt schließlich das komplette Amphitheater mit. RAGE und das LINGUA MORTIS ORCHESTRA liefern ein mehr als würdiges Finale, an das ich mich noch lange erinnern werde.
[Elke Huber]

Setlist:
Turn The Page
From The Cradle To The Grave
French Bourree
Suite Lingua Mortis
No Regrets
Lingua Mortis Medley
Empty Hallow
Alive But Dead
Higher Than The Sky

Redakteur:
Elke Huber

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