Rock Hard Festival 2023: Der Bericht - Gelsenkirchen
04.06.2023 | 00:4026.05.2023, Amphitheater
Ein rundum geglücktes Pfingstwochenende
SCREAMER: 15:00 Uhr - 15:40 Uhr
Wenn man das Amphitheater betritt, ist das irgendwie wie Heimkommen nach einem harten Arbeitstag, vor allem wenn - wie meistens der Fall - das Wetter mitspielt. Man schnappt sich das erste Bier, setzt sich bei strahlendem Sonnenschein auf die Stufen und freut sich auf die nächsten drei Tage, während hinter der Bühne die Schiffe über den Rhein-Herne-Kanal schippern und eine Art Urlaubsflair vermitteln. Dazu größtenteils geile Bands, die bei gutem Sound (meistens zumindest, geht aber auch anders, wie wir noch feststellen werden) den perfekten Soundtrack zum Wochenende liefern. Den Anfang machen heute die Schweden von SCREAMER, die motiviert mit dem Titeltrack ihrer letzten Scheibe "Kingmaker" in den Set einsteigen und mit ihrem klassischen Heavy Metal von Beginn an musikalisch ziemlich viel richtig machen. Man promotet neben der neuen Scheibe auch den Vorgänger "Highway Of Heroes" mit den drei Songs 'Ride On', 'Shadow Hunter' und dem Rausschmeißer 'Out Of The Dark', vergisst dabei aber auch keineswegs die alten Platten. 'Can You Hear Me' von der 2011er-Scheibe "Adrenaline Distractions" fügt sich genau so gut in den Set ein wie der Rest. Während die Songs zumeist spritzig wirken, agiert die Band auf der Bühne meines Erachtens etwas hüftsteif, so dass die ganz große Begeisterung leider ausbleibt. Für den Auftakt ist der Gig aber okay, auch wenn man zugegebenermaßen schon Besseres erlebt hat.
MOTORJESUS: 16:00 Uhr - 16:40 Uhr
Es gibt einfach Bands, die auf Festivals perfekt funktionieren – und manche eben auch nicht, wie wir im weiteren Verlauf noch erfahren werden müssen. Die Mönchengladbacher Rotz-Metal-Kapelle von MOTORJESUS gehört definitiv zur ersten Kategorie. In der prallen Nachmittagssonne des ersten Festivaltags haben sich schon zahlreiche Fans eingefunden, die das weite Rund und den Bereich direkt vor der Bühne sehr gut füllen. Sänger Chris Birx und seine Kollegen starten mit 'Drive Through Fire', 'Dead Army' und 'Fist Of The Dragon' auch gleich energiegeladen in ihr Set und fegen den von der Anreise noch gestressten Anwesenden den ersten Staub von der Hose. Die Jungs haben aber etwas mit äußeren Umständen zu kämpfen, da sie kurzerhand krankheitsbedingt den Klampfer wechseln mussten und Sänger Chris auch leicht angeschlagen ist. Das fällt aber überhaupt nicht ins Gewicht, wenn auch der Fronthüne nicht ganz so leichtfüßig und locker wirkt wie sonst. Spätestens ab 'King Of The Dead End Road' und 'Motor Discipline' sind sie jedoch komplett in Gelsenkirchen angekommen. Zahlreiche Menschen tanzen oder stehen breitbeinig mit gen Himmel gestreckter Faust im Amphitheater und singen zu 'The Howling', 'A New War' oder dem abschließenden SACRED REICH-Cover 'Independent' mit. Vielleicht habe ich die Band schon einmal noch zwingender irgendwo gesehen, trotzdem aber ein toller Auftritt, den sie definitiv auf der Habenseite verbuchen kann. Wie gesagt: MOTORJESUS ist einfach eine Festivalband, die man zu jeder Tages- oder auch Nachtzeit bringen kann und die sofort für gute Laune und Betriebstemperatur sorgt. Für mich ein super Start in ein wahrlich heißes Pfingstwochenende.
MOTORJESUS-Sänger Chris gesteht mir vor dem Gig, dass er immer etwas Bammel hat, nach schwedischen Bands aufzutreten. Braucht er in diesem Falle aber nicht, denn mit SCREAMER war zuvor eine Band auf der Bühne, die es - anders als viele andere Acts aus dem skandinavischen Metal-Land - nicht geschafft haben, den Nachfolgern die Butter vom Brot zu nehmen. Und wer MOTORJESUS schon mal live erleben durfte, weiß, dass es keinen schlechten Auftritt von Chris Birx und seinen Mannen gibt. Nicht umsonst darf die Band bereits zum vierten Mal auf der "Rock Hard"-Bühne ran. Und wie immer steht die Meute auch heute hinter der Band, die nach dem Starten der Motoren mit 'Drive Through Fire' die Bühne betritt und von Beginn an Alarm macht. Die Jungs führen durch einen starken Set und können auch den krankheitsbedingt ausgefallenen und daher ersetzten Gitarristen Andreas und die stimmlichen Probleme des Frontmanns gut kaschieren, hauen dabei Hits am Fließband raus (auch wenn ich persönlich statt 'King Of The Dead End Road' lieber einen anderen Song gehört hätte) und scheuen sich nicht davor, mit dem "The Shitheadz"-Track 'A New War' und 'The Howling' ("Deathrider") tief in der Mottenkiste zu wühlen. Bevor man zum Ende kommt, überrascht Jesus noch mit unangekündigtem Besuch und verteilt Pfingsten-gerecht den heiligen Geist in Form von Dosenbier an das Publikum, ehe man mit einer verdammt coolen Version des SACRED REICH-Tracks 'Independent' die Bühne schließlich an HOLY MOSES übergibt.
HOLY MOSES: 17:00 Uhr - 17:50 Uhr
Stilecht mit 'Careless Whisper' kündigt sich der nächste, besondere Act an und lässt den fast jetzt schon aus allen Nähten platzenden Vorplatz schmunzeln, schunkeln und in Vorfreude schwimmen. Doch auch die Ränge sind bereit für Sabina Classen und HOLY MOSES. Eines der letzten Konzerte dieser geschichtsträchtigen Band ist es also nun, zum letzten Mal legt das Aachener Abrisskommando das Amphitheater in Schutt und Asche. Und es kommt, wie es kommen musste: HOLY MOSES rasiert von Beginn an! Ein geiler, drückender Sound, eine knallende, drückende Sonne und eine ursympathische, drückende Band gibt sich jetzt nochmal die Ehre und nach einem stimmungsvollen, verzerrten Intro rennt Sabina auf die Bühne, lehrt allen Jungspunden das Headbangen und zeigt mit ihren Mitstreitern dem Publikum in Form von 'Def Con II', 'Panic' und dem bockstarken 'SSP (Secret Service Project)', wer auf der Bühne die Thrash-Metal-Hose der alten Schule trägt. Sabina lebt jeden einzelnen Ton, röhrt in ihrer typischen Manier ins Mikro, während ihre Jungs schreddern, riffen und grooven. So verfolge ich meinen insgesamt vierten HOLY MOSES-Gig mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Songs wie der brandneue Titeltrack 'Invisible Queen', 'Cult Of The Machine' oder auch die Klassiker 'World Chaos' und 'Hellhound' sind einfach tolle Live-Brecher und die Band ist in bestechender Form. Doch darf ob der baldigen Auflösung auch die eine oder andere Träne vergossen werden. Zum vorletzten Bolzenschneider gesellt sich mit Andy Classen auch ein alter Weggefährte zu der emotional aufgeladenen Sabina, der mit ihr 30 Jahre nicht auf der Bühne stand, aber für die ersten wegweisenden Alben HOLY MOSES' maßgeblich verantwortlich war. Gemeinsam rockt das Classen-Duo 'Finished With The Dogs' wie in der Frühphase, ehe das nicht minder wunderbare 'Current Of Death' diesen Gig zum Abschluss bringt. Sabina, liebe HOLY MOSES-Jung, ihr habt euch in bester Old-School-Manier verabschiedet und hinterlasst eine große musikalische Lücke. Schön, dass ich euch nochmal sehen konnte!
VICIOUS RUMORS: 18:15 Uhr - 19:15 Uhr
Nach dem Inferno von HOLY MOSES geht es jetzt nominell etwas ruhiger zur Sache. Die amerikanische Power-Metal-Legende VICIOUS RUMORS entert nun die Bretter. Nach bedächtigem Intro legen die Jungs um Geoff Thorpe direkt flott los mit 'On The Edge'. Der Song kann als Indikator für die folgenden 75 Minuten gesehen werden. Neues Material sucht man vergebens, dafür werden die großartigen Werke "Soldiers Of The Night", "Digital Dictator", "Vicious Rumors" und "Welcome To The Ball" zum Besten gegeben. Dabei machen natürlich die Songs des Überwerks "Digital Dictator" (nach der Nummer hat man das Publikum im Sack) eine superbe Figur. Das Volk ist dankbar, dass die Band auftritt und nicht noch eine weitere US-Band die Reise nicht angetreten hat. Bei 'Minute To Kill' fliegen die Fäuste gesammelt Richtung Sänger Ronny Munroe (ex-METAL CHURCH), der natürlich einen Carl Albert nicht ersetzen kann, dafür aber eine sehr starke Leistung zeigt. Allerspätestens nach 'Soldiers Of The Night' kennt der Jubel keine Grenzen mehr und VICIOUS RUMORS kann den Gig als Erfolg verbuchen. Mit dem abschließenden 'Don't Wait For Me' macht die Band eindrucksvoll klar, dass sie eines der Highlights des Festivals ist.
BENEDICTION: 19:45 Uhr - 21:00 Uhr
BENEDICTION aus Birmingham ist ein Death-Metal-Urgestein und die Szene ist froh, dass die Band wieder zurück ist. Auch wenn sich wieder einige Stimmen am Gesang von Dave Ingram stören, muss man sagen, dass Ingram schon eine ganze Weile dabei ist und trotzdem vermutlich immer gegen seinem großen Konkurrenten Barney Greenway (NAPALM DEATH, hat das Debüt eingesungen) den Kürzeren ziehen wird. Dabei ist BENEDICTION heute gut drauf und präsentiert ein formidables Potpourri. Neben Krachern/Klassikern wie 'I Bow To None' (Killer!) oder 'Jumping At Shadows' kommen auch neuere Songs wie 'Scriptures In Scarlet' oder 'Progentors Of A New Paradigm' zum Zug, die ebenfalls von der Masse wohlwollend aufgenommen werden. Das Highlight des Sets ist aber 'Subconscious Terror' vom Debüt, welches das Publikum gierig aufsaugt. Ebenso motiviert agiert auch die Band. Auch für BENDEDICTION läuft der Gig gut und kann unter Erfolg verbucht werden.
Colin trifft es auf den Punkt, BENEDICTION beweist Klasse und versetzt das gesamte Amphitheater in ein Death-Metal-Tollhaus. Bei wunderbarstem Freitagabendsonnenschein ballern die Briten einen Brecher nach dem nächsten ins Publikum, das steil geht und die einzelnen Death-Metal-Dampfwalzen wie einen Schwamm aufsaugt. Ich selbst tue mich mit dem Todesblei vor allem live etwas schwer, doch BENEDICTION belehrt mich heute eines Besseren und zeigt, wer die Hosen im Amphitheater an hat. Dazu ein wuchtiger Sound, eine ausgelassene Stimmung und eine Band, die spielfreudiger nicht agieren kann. Ein Rundum-sorglos-Paket am frühen Freitagabend also!
TRIPTYKON: 21:30 Uhr - 23:00 Uhr
Als das "To Mega Therion"-Banner hochgezogen wird, muss ich kurz an ein Ereignis aus früher Kindheit denken, als ich mit etwa 12 Jahren das erste Mal "Morbid Tales" gehört hatte: Es war bereits später Abend, das Zimmer dementsprechend dunkel, als die Nadel des Plattenspielers das Vinyl berührte und nach dem Intro mit 'Into The Crypts Of Rays' die ersten Töne erklangen. Ich war wie erstarrt, fasziniert und gleichzeitig verängstigt von der bisher noch nie in dieser Form gehörten Musik. Ein Ereignis, das mich nie mehr losgelassen hat. Und genau diese Erinnerung stellt sich heute ein, als in der späten Dämmerung 'Danse Macabre' erklingt und in den "Morbid Tales"-Opener 'Into The Crypts Of Rays' übergeht. Bei bester Lightshow knallen die CELTIC FROST-performenden Schweizer von TRIPTYKON die komplette "Morbid Tales" runter, biegen in die Straße zu "To Mega Therion" und machen auch mal kurz in der "Emperor's Return"-Ecke halt ('Visual Aggression', 'Suicidal Winds'). Dem Anschein nach hat die Band dabei ebenso viel Spaß an der Show wie das Publikum und zockt die Songs mit einer fast schon punkigen Art in HELLHAMMER-Manier. Frontmann Tom G. Warrior oder alternativ Thomas Gabriel Fischer wirkt bei den Ansagen wie ein sympathischer Alm-Öhi (was bei dem Mann definitiv positiv gemeint ist!), während man bei Bassistin Vanja Slajh immer Angst haben muss, dass sie beim Bangen irgendwann ins Schlagzeug fällt. Tatsächlich scheint die Dame nicht eine Sekunde stillzustehen und pusht mit ihrer Art die anderen immer weiter voran. Und so vergehen die 90 Minuten wie im Flug, und nach dem Rausschmeißer 'Necromantical Screams' kann man sich sicher sein, hier und heute Zeuge von etwas ganz Besonderem gewesen zu sein. Martin Eric Ain (von Tom zu Beginn des Sets gewürdigt) hat bestimmt von irgendwo zugesehen und ein ebenso breites Grinsen im Gesicht gehabt wie der Verfasser dieser Zeilen.
Hier kommt ihr zum Samstag.
- Redakteur:
- Marcel Rapp