Rotten Sound - Berlin

18.01.2006 | 12:21

15.01.2006, Knaack-Club

Bush ist ein guter Mensch. Linke und rechte Gewalt sind dieselben Seiten einer Medaille. Nationalstolz haben andere Länder auch, warum soll das Deutschen verboten sein. Es sind solche politischen Ansichten, die an diesem Sonntag im Berliner Knaack-Club wohl auf Widerstand stoßen würden. Auf entschiedene Gegenwehr sogar. Denn die vier Grindcore-Bands, die kurz nach dem Ende der ARD-Tagesschau auf der Bühne stehen, sind nicht nur unheimlich kraftvolle Baller-Gruppen. Vielmehr verbinden sie ihre Musik auch mit einer klaren Ansage, die deutlich links-alternatives Herzblut trägt - und auch solch eine Gesinnung braucht ihre Vereinfachungen, ihre Klischees, ihre Stammtischsprüche, um zu Songtiteln zu werden...

Den Anfang der Vierer-Bande machen WHO'S MY SAVIOUR. Die drei Jungs aus Rostock sind kurzfristig für die ausgefallenen ENTRAILS MASSACRE eingesprungen - und bieten mehr als ein würdigen Ersatz-Gig. Sie spielen eine Art hochtechnischen Apokalyptic Grindcore mit deutlicher Death-Metal-Schlagseite - was dazu führt, dass der Gitarrist gleich nach dem ersten Song seine gerissene Saite repariert, statt einfach weiterzuschreddern. Perfektionisten also. Diese Band scheint einen Anspruch zu verfolgen, der über bloßes Geprügel hinaus geht: Selbst dezenten Melodien sind in dem alles zermalmenden Sound zu hören. So spielen sie Musik, die direkt in den Labelstall von Relapse Records passen würde und zu der theoretisch ein ordentlicher Moshpit entstehen könnte. Allein, es ist noch zu früh. So kommt aber vom Publikum wenigstens sehr angetaner Applaus für die dynamische Darbietung, bei der die krasse Rastapracht des Sängers und Bassisten nachdrücklich in Erinnerung bleibt. Und viele, viele coole Geschwindigkeitswechsel. Dafür sind die Ansagen denkbar sparsam.

Mehr Gequatsche gibt es da bei CYNESS. Die Potsdamer Band hat gleich ein paar Fans aus ihrer nahen Heimatstadt mitgebracht. Zusammen feiern sie die bald erscheinende Split-LP mit SKITSYSTEM und besonders das ebenfalls noch nicht veröffentlichte Album "Our Funeral Oration For The Human Race". Bei beiden Scheiben können sich die Fans auf ein totales Death-Grind-Massaker freuen, denn live klingen CYNESS schlicht brutal und roh. Mittelpunkt ist der riesige und kräftige Sänger, dessen kerzengerade stehender Iro sich trotz exzessiven Stageactings um keinen Millimeter zu verschieben scheint. Wie viel Haarspray da wohl verbraucht wurde? Der Frontmann stellt solche Fragen nicht, er sucht andere Antworten. Etwa die, was mit Nazis passieren soll? Die Lösung erhellt der Song 'Nazis rein' - in den Knast nämlich, wie der Sänger grinsend brüllt. Weitere Stücke der energetischen Show heißen 'Arbeitszwang' oder 'Neues Europa', es geht gegen die Macht des Kapitals, gegen den Staat, gegen die USA. Die ersten Besucher des Knaack-Clubs werden von diesen Botschaften samt der Musik mitgerissen, Haare fliegen durch die Luft. Der Sänger motiviert die Zuschauer immer wieder mit seiner guten Laune und den kurzen Ansagen, der Spaß an dem Gig ist ihm deutlich anzusehen. Auch die anderen Musiker des Quintetts steigern sich in den Auftritt hinein, wohl noch einen Zacken schneller als geplant saust der mörderische Sound aus den Boxen. Sauber! Eine noch kaum bekannte Band wächst hier in Potsdam heran, eine Empfehlung für jeden Krachfetischisten, der auch ein wenig punkiges Feeling ertragen kann - denn die zum Teil deutschen Texte von CYNESS scheinen all die Sichtweisen von Politik, der Globalisierung und der Welt als solcher zu verbreiten, die so viele andere "linke" Bands ebenso kritisch wie oft auch dumpf in ihren Songs verarbeiten.

In eine ähnliche Kategorie schlagen die unaussprechlichen SAYYADINA. Die Schweden haben neben mehreren standesgemäßen 7er-Vinyls bisher das Album "Fear Gave Us Wings" herausgebracht, dass mit Songtiteln wie 'The Holy War' oder 'Homegrown Terrorism' die politische Marschrichtung deutlich vorgibt: Auch bei den Skandinaviern scheint George 'Double-U' Bush nicht allzu beliebt. Ihre Wut kanalisiert vor allem Sänger Ove, der markerschütternd keift und brüllt. Die Restmusik erinnert an eine Mischung aus NAPALM DEATH und den leider verblichenen NASUM; der Druck aus den Boxen ist immens, geht bis tief in die Eingeweide. Es ist Grindcore in seiner ursprünglichen Form, den das Quartett bietet - und den inzwischen rund 100 bis 150 Zuschauern im Knaack-Club gefällt es. Inzwischen hat sich der CYNESS-Sänger vom Auftritt seiner Gruppe erholt und steht bangend vor der Bühne, auch anderswo werden Köpfe geschüttelt. Die Band aus Stockholm freut sich, der massige Bassist Andy schickt mit seinem Gitarrenkollegen Jon immer wieder tonnenschwere Anfangssalven durch die Boxen, die alsbald nieder geknüppelt werden: Nicht besonders innovativ, aber für etwas mehr als eine halbe Stunde sehr effektiv.

Der Hammer des Abends kommt aber erst noch. ROTTEN SOUND, die schon 2003 das Fuck The Commerce in Schutt und Asche legten, sind wieder einmal in Deutschland, diesmal mit dem neuen Album "Exit", dem Nachfolger des genialen "Murderworks"-Kloppers. Die Finnen um ihren wahnsinnigen Drummer Kai Hahto kloppen von Beginn an drauflos, völlig entfesselt, völlig irre, völlig extrem. Und sie haben eben einen Schlagzeuger in ihren Reihen, der in seiner Schnelligkeit und Technik in Europa nur wenig Konkurrenz besitzt. So sind die Klangorgien fast schon zu schnell zum Moshen - wenn da nicht noch die eingestreuten langsameren Riffs wären, die von einem unbarmherzigen Doublebass-Teppich unterlegt sind. Dazu growlt sich glatzköpfige Sänger Keijo Niinimaa die Stimmbänder wund, wie ein wildes Tier stapft er dazu über die Bühne. Wieder werden schmerzliche Erinnerungen an NASUM wach, die mit ähnlicher Intensität ihre Form des brachialen Aggressionsabbaus betrieben. Der Vergleich drängt sich auch auf, weil ROTTEN SOUND wie die nach dem Tsunami-Tod ihres Sängers aufgelösten Schweden auf der Bühne ähnlich adrette Kleidung tragen wie NASUM bei ihren früheren Liveshows. Es ist eben eine perfektionierte Form des Grindcore, den ROTTEN SOUND spielen, technisch perfekt und durchdacht bis in das wüsteste Geballer hinein - ein Punk-Image oder verlotterte Shirts würden einfach nicht zu dieser komplexen Hassattacke passen. Die Botschaften in ihren Songs unterscheiden sich gleichwohl nicht von den anderen Auftritten des Abends, es geht um Krieg, auch um den umstrittenen Wahlsieg von George W. Bush vor seiner ersten Amtszeit als US-Präsident. Es sind eben die ewig gleichen Themen, die die vier Bands im Knaack-Club in ihren wütenden Songs ansprechen. Im Publikum schert das freilich niemand. Zum brachialen Angriff von ROTTEN SOUND bildet sich ein Mini-Moshpit, der wilde Tanz um den Pfosten in der Mitte des kleinen Konzertsaals beginnt - und endet relativ abrupt, als die schon ziemlich verschwitzte Band nach rund 45 Minuten Spielzeit feststellt, dass es schon kurz vor 12 Uhr Mitternacht ist. Megaschnell spielen sie noch eine Zugabe und verabschieden sich karg vom Publikum. Auch Anarcho-Bands müssen sich eben manchmal an Regeln halten. Auch wenn die Fans in diesem Fall gern noch viel, viel länger dieser Brachialkur voll spielerischer Extremkunst lauschen würden. So gerät der Abgang ein zu wenig abrupt. Doch ernstlich unzufrieden scheint trotzdem niemand in den Zuschauerreihen: Ein kurzes Grindcore-Gewitter zwar, aber ein um so heftigeres. Mit kritischem Auge hat auch DESTRUCTION-Drummer Marc die Show begleitet. Er ist nach dem Gig ebenfalls von seinem ROTTEN SOUND-Kollegen Kai überzeugt: "Ein super Schlagzeuger!"

Redakteur:
Henri Kramer

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