SEPULTURA, JINJER, OBITUARY und JESUS PIECE - Offenbach am Main

06.11.2024 | 11:22

31.10.2024, Stadthalle

Die Brasilianer auf Abschiedstournee.

Ich Amateur. Als wäre ein Konzert unter der Woche nicht schon eine Herausforderung genug und Einlass um 17 Uhr sehr sportlich, so habe ich auch noch den Feierabendverkehr und die klassischen Nadelöhre komplett unterschätzt. So kann dann auch mal eine eigentlich 20-minütige Fahrt gut über eine Stunde dauern. Dass dann auch noch der offizielle Parkplatz bereits voll ist, da einige Brüder und Schwestern ziemlich chaotisch im Freestyle geparkt haben, macht die Lage nicht unbedingt besser. So steht JESUS PIECE bereits auf der Bühne als ich die Halle betrete. Wer braucht schon eine Akklimatisierung, auch das erste Bier zur Einstimmung wird tatsächlich überschätzt. Ich benötige aber einen altersgerechten Platz auf der Tribüne, was selbst trotz Verspätung kein Problem ist. Die Band aus Pennsylvania hüpft, schreit und groovt ordentlich und ihr 90er-Groove-Metalcore passt zum heutigen Abend. Es gibt musikalisch definitiv unpassendere Vorgruppen. Leider sind die Anwesenden noch nicht richtig im Hier und Jetzt und lassen das Treiben eher über sich ergehen.

Das sieht bei OBITUARY dann natürlich schon komplett anders aus. Die Halle ist gut gefüllt und die "Slowly We Rot"-Shirts fast allgegenwärtig. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass die gesamte Death-Metal-Welle Anfang der Neunziger komplett an mir vorbeigerauscht ist, so auch das Quintett aus Florida. Die SLAYER-Riffs schieben amtlich und verfehlen ihre Wirkungen tatsächlich nicht, auch wenn das Publikum noch immer etwas müde wirkt. So richtig will der Funke bei mir nicht überspringen. Mag sein, dass es an der non-verbalen Kommunikation liegt, denn die Band steht zwischen den Songs mit dem Rücken zum Publikum teils über eine Minute lang im Dunkeln, ehe sie ohne Ankündigung mit dem nächsten Song beginnt. Der Applaus ist dann meist schon abgeflaut und Stille eingekehrt. Merkwürdig. Auch die enorm statische Performance der Amerikaner lässt zumindest meine Augen nicht vor Ekstase funkeln. Die Band hat jedoch einen großartigen Sound und mit Songs wie 'Threatening Skies', 'Deadly Intentions', 'By The Light', 'Chopped In Half', 'Turn Inside Out' oder 'Slowly We Rot' können Brüllwürfel John Tardy und Konsorten natürlich nicht viel falsch machen. Ordentlicher Auftritt.

Setliste: Redneck Stomp; Threatening Skies; By The Light; The Wrong Time; Deadly Intentions; Chopped In Half; Turn Inside Out; Solid State; War; Dying Of Everything; Slowly We Rot

Und dann das genaue Gegenteil: JINJER. Die ukrainische Band ist nicht Old-School, sondern vor allem eins: modern. Ultra-tiefe Klampfen, Polyrhythmiken en masse, Breakdowns und ein gelungener Wechsel zwischen Growls, Screams und Klargesang. Schon mit den ersten Tönen von 'Sit Stay Roll Over' wackelt die Offenbacher Stadthalle. Der Sound ist glasklar und drückt mich von Beginn an in meinen Sitzplatz, mir gefällt es. Immerhin gibt es viel zu sehen, zu hören und zu entdecken. Blickfang ist natürlich Sängerin Tatiana Shmayluk, die heute ihren Trainingsanzug in der Garderobe gelassen hat und für ihre Verhältnisse sogar eher schlicht gekleidet ist. Sie springt und tänzelt lasziv über die Bühne, brüllt dabei aber noch aus allen Rohren und hat das Publikum fest im Griff. Bassist Eugene Abdukhanov tut ihr es noch dezent gleich, während sich Gitarrist Roman Ibramkhalilov so gut wie gar nicht bewegt. Hier könnte gerne noch mehr kommen. Eine musikalische Augenweide ist aber auch Schlagzeuger Vladislav Ulasevich, der präzise wie ein Uhrwerk sein Kit bearbeitet. Mit gleich vier Songs ('Fast Draw', 'Someone's Daughter', 'Kafka' und 'Rogue') gibt das Quartett bereits einen umfassenden Ausblick auf das neue Album, das im kommenden Jahr erscheinen wird. Mich holt JINJER vor allem in den härteren Momenten ab, während der etwas ruhigere Mittelteil zwar eine dringend benötigte Verschnaufpause bietet, dabei aber nicht ganz so zwingend daherkommt. Eine Anmerkung noch: Die Lichtshow ist zwar durchaus beeindruckend, aber durch die enorm vielen Wechsel und Stroboskope definitv nichts für Epileptiker. Guter Auftritt einer aufstrebenden Band, die in diesem Package sicherlich keinen leichten Stand hat.

Setliste: Sit Stay Roll Over; Ape; Fast Draw; Retrospection; Teacher, Teacher!; Colossus; Someone's Daughter; Kafka; Copycat; Perennial; Rogue

Klar, die Lager OBITUARY und JINJER finden an diesem Abend nicht wirklich mehr zueinander, dafür steigt aber gemeinsam die Vorfreude auf SEPULTURA. Da mich die Brasilianer Anfang der Neunziger durchaus begleitet und beeinflusst haben, muss ich ihnen einfach auf ihrer offiziellen Abschiedstour meinen Tribut zollen - auch wenn selbstverständlich die Cavalera-Brüder nicht mit von der Partie sind. Auch die Setliste wurde im Vorfeld heiß und kontrovers diskutiert, denn Andreas Kisser und Kollegen haben in den vergangenen Jahren vermehrt auf die Post-Max-Ära gesetzt, was allen Fans der ersten Stunde bereits Schweißperlen auf die Stirn treibt. 'Refuse/Resist', 'Territory' und 'Slave New World' gleich zum Einstieg und 'Troops Of Doom', 'Inner Self' und 'Arise' zum Abschluss des regulären Sets - muss ich da noch mehr sagen? Die sehr gut gefüllte Stadthalle Offenbach (Fassungsvermögen: 4.500) geht direkt steil. Auch SEPULTURA hat einen druckvollen Sound und die Band genießt den Zuspruch sichtlich. Einzig Fronthüne Derrick Green ist gewohnt statisch und auch seine Stimme geht streckenweise im Mix ein wenig unter. Das macht aber nichts, denn das Publikum frisst ihnen aus den Händen und brüllt voller Inbrunst mit.

Gut, es gibt auch die sechzig Minuten dazwischen, in denen das Quartett all seine Schaffensphasen Revue passieren lässt. Doch egal ob neueren Datums, wie beispielsweise 'Phantom Self', 'Means To An End', 'Choke', 'False' oder 'Agony Of Defeat', sowie ältere Werke der Marke 'Escape To The Void', 'Dead Embryonic Cells', 'Attitude' oder 'Breed Apart' - SEPULTURA hat alles im Griff. Ein bisschen nervt dagegen die Verzögerung der Live-Bilder auf der Leinwand, hier sollte noch einmal an der Synchronisation gearbeitet werden. Ein Sonderlob erhält Neuzugang Greyson Nekrutman am Schlagzeug, der wie ein Wirbelwind und zum Zungeschnalzen die fettesten Grooves und Tribals auf den Punkt nagelt. Zu Beginn des Zugabenteils bekommt der ehemalige SUICIDAL-TENDENCIES-Trommler dann auch noch seinen verdienten Solospot, ehe 'Ratamahatta' und das frenetisch abgefeierte 'Roots Bloody Roots' einen großartigen Konzertabend beschließen. Schade finde ich nachträglich nur, dass mit keinem einzigen Wort, keinem einzigen Bild auf der Leinwand an irgendeinem Punkt während der Show ihren ehemaligen Mitgliedern gedankt wurde. Vielleicht bin ich da zu romantisch, aber das gehört für mich bei einem Abschiedskonzert einfach irgendwie dazu. Trotzdem natürlich ein würdiger Abschluss einer atemberaubenden und einflussreichen Karriere. Mein Respekt.

Setliste: Refuse/Resist; Territory; Slave New World; Phantom Self; Attitude; Means To An End; Kairos; Breed Apart; Guardians Of Earth; Choke; False; Escape To The Void; Kaiowas; Dead Embryonic Cells; Agony Of Defeat; Orgasmatron; Troops Of Doom; Inner Self; Arise; Ratamahatta; Roots Bloody Roots

Text: Chris Staubach
Fotos: Jan Heesch - www.rock-genuine.com

Redakteur:
Chris Staubach

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