SÓLSTAFIR, MONO und THE OCEAN - Köln/München

27.11.2015 | 19:42

26.10.2015, Live Music Hall/Backstage Werk

Double-Feature zu einem erlesenen Triple.

SÓLSTAFIR ist mit Sicherheit eine der Bands der Stunde. Spätestens seit ihrem (noch aktuellen) Album "Ótta" sind die Isländer in aller Munde – und auch erfolgreich. Bei ihrem letztjährigen Besuch platzten die Clubs aus allen Nähten, so auch in München und Köln. Auf dieser Rundreise hat man folglich gleich größere Clubs gebucht, in Köln die Live Music Hall statt der Werkstatt und in München das Backstage Werk statt des kleinen Strom-Clubs. Doch nicht nur SÓLSTAFIR sorgte dafür, dass auch diesmal wieder voll wurde. Denn das Vorprogramm bestehend aus den japanischen Post-Rockern MONO und den Berliner Art-Corelern THE OCEAN konnte sich mehr als sehen lassen. Powermetal.de war in Köln (Oliver Paßgang) und München (Thomas Becker) mittendrin statt nur dabei.

Der Ozean eröffnet diesen spannenden Kölner Abend und präsentiert sich dabei – auch wenn die Vergleiche im Prinzip zu sehr auf der Hand liegen – mal rau und stürmisch, unkontrolliert und unberechenbar, mal sanft und fließend, ruhig und friedlich. Von den zahlreichen Akteuren auf der Bühne, heute inklusive Cello-Spielerin, sieht man zwar nicht viel (der ausschließlichen Beleuchtung von hinten sei Dank) und eine Visualisierung gibt es anders als in den letzten Jahren ebenfalls nicht, aber dennoch erschafft THE OCEAN ganz fantastische Bilder. Die Lieder erscheinen wie tolle, und immer wieder neu wirkende Gemälde, egal wie gut man sie kennt. Die Truppe bedient sich unterschiedlichster Stilmittel und Stimmungen, fährt dabei ihr ganz eigenes, unkonventionelles Ding und hat am Ende doch nur Songs parat, die aus einem soliden Guss erschaffen wurden. Das gilt auch für 'The Quiet Observer', den neuen Song der just veröffentlichten Split-EP mit MONO. Performance-technisch ist die THE OCEAN wie immer gut dabei, denn so ein Energie-Level schon ab dem ersten Song ist alles andere als alltäglich. Dies wird auch vom zahlreich vertretenden Publikum wohlwollend honoriert. Verständlicherweise, denn de facto sollten für SÓLSTAFIR später nicht mehr allzu viele Leute hinzukommen und wer sich THE OCEAN heute Abend hat entgehen lassen, der ist selber Schuld.

[Oliver Paßgang]

Nun, auch in München war es schon von Beginn an gut gefüllt und ich habe große Vorfreude für THE OCEAN übrig. Denn ich verfolge die Berliner schon seit den "Fogdiver"-Anfangstagen und kenne sie seit jeher auch als intensive Live-Band, die gerade bei aggressiverer Stimmungslage so einiges aus dem Publikum heraus kitzeln kann. Meisterwerke wie "Precambrian" zählen für mich obendrein zu den Schmuckstücken progressiver Tonkunst. In den letzten Jahren habe ich dieses zumindest damals als "Kollektiv" arbeitende Musiker-Ensemble jedoch etwas aus den Augen verloren. Zu Unrecht zeigt sich auf dem Live-Konzert, denn THE OCEAN legt für mich - nach kurzer Gewöhnungsphase - einen überzeugenden Gig hin. Klar basiert die Show auf jüngeren Songs, die einen größeren Fokus auf atmosphärische Ausgestaltung legen, zu der auch das Cello gut passt. Doch seine Stärke in der brachialen Dekonstruktion vom Harmonie und Takt hat THE OCEAN weiß Gott nicht verloren und die corigen Screams von Sänger Loic Rosetti sind wie bei allen anderen THE OCEAN-Shoutern zuvor absolut "in your face". Was THE OCEAN sonst so besonders für mich macht, hat aber Oli schon erklärt. Chapeau!

[Thomas Becker]

Waren die Hauptstädter eher der raue Teil dieses Abends, so sind die Japaner von MONO im Anschluss wohl der leicht-verdauliche Gegenpart. Was beide Bands verbindet, ist ihr Hang zu großen Klanglandschaften und ausschweifenden Song-Strukturen. Die Unterschiede wiegen jedoch mindestens genau so schwer: MONO fährt einen sanfteren Sound, präsentiert sich äußerst eigenwillig – und ist (leider) völlig berechenbar. Dass die beiden Gitarristen auf Stühlen sitzen (dort aber immerhin entsprechend abgehen) irritiert zwar, ist aber schnell als gegeben abgehakt. Abseits davon schwanke ich mit meiner Einschätzung, auch jetzt, ein paar Tage nach dem Konzert, irgendwo zwischen "großartig" und "langweilig". Was die drei Herren und die Dame tun, das tun sie verdammt gut: Songs ruhig einleiten, langsam entwickeln, anschließend langsam weiterentwickeln, danach aufbauen, immer weiter bis zum Höhepunkt, nur um ihn kurz abfallen zu lassen, damit nochmal ein zweiter Höhepunkt gesetzt werden kann, bevor es schließlich ein friedliches Ende gibt. Post-Rock in Perfektion, könnte man meinen. Ja. Und nein. Denn obwohl ich MONO von daheim kenne und schätze, wird mir das obige Schema bereits ab Song drei zu aufdringlich. Immer wieder das gleiche, Hauptsache die zehn Minuten werden voll. Bin ich dafür zu wenig Briefträger? Oder gerade einfach nicht in der perfekten Stimmung, um mich ewig zu wiegen? Das Ausschlachten eines Motivs kann äußerst reizvoll sein und nicht wenigen Anwesenden scheint genau das zuzusagen; mir persönlich bietet MONO in den für einen Support-Slot bemerkenswert langen 70 Minuten bei all den wunderbaren Klängen zu wenig Abwechslung, um bei der intensiven Konzertauseinandersetzung dauerhaft und nachhaltig zu fesseln.

[Oliver Paßgang]

Hier ging es mir anders als Oli. Recht hat er zwar mit dem immerselben Schema der Songs, recht hat er auch, wenn er sagt, die Musik sei einfacher zu fassen, und recht hat er, wenn er sagt, dass man in Stimmung dafür sein muss. Aber ich habe dies gebraucht, das sich Hineinfallenlassen in die immerfort gleichbleibende und dennoch sich bei jedem Durchgang steigernde Melodie, das Gefühl zu erleben, wie ein ein leises Bach-Plätschern sich in einen reißenden Strom verwandelt. Und die Sound-Orkane waren laut und massiv wie eh und je. Doch noch nie ist mir so sehr aufgefallen, wie wichtig Bassistin Tamaki für diese Musik ist. Sie hält das vermeintliche Chaos aus Tönen zusammen und sorgt dafür, dass der Geist nicht in der Musik zerfließt. Auch wird mir bewusst, wie nahe MONOs Musik der von GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR ist. Nur dass GSY!BE in den Abgründen des Menschseins wühlt, während die Erhabenheit von MONOs Musik eher gutmütig und reinigend  wirkt.

[Thomas Becker]

Nun, ganz gefüllt ist die Live Music Hall am Schluss nicht, aber dennoch markiert diese Tour zumindest in Sachen Zuschauerzuspruch einen weiteren Meilenstein für die schrägen Isländer. Irgendetwas umgibt und durchdringt SÓLSTAFIR seit jeher; etwas Anziehendes, Faszinierendes, aber nicht näher Greifbares. Allein die Beteiligten (inklusive Neudrummer) strahlen dies schon aus, die Musik allerdings noch umso mehr. Die eindringlichen, teils wunderschönen neuen Sachen verfehlen ihr Ziel keineswegs, nicht weniger trifft das mystische, härtere alte Material ins Ziel. Das gewisse Etwas entsteht hier mit einer ähnlichen Formel wie bei den beiden Vorgruppen, denn ein Song braucht schließlich Platz und will atmen. Entspannt-treibend ist SÓLSTAFIR heute Abend einmal mehr – und Sänger Aðalbjörn Tryggvason fügt sich mit seiner charakteristischen Stimme immer wieder elegant in die Songs ein. Die Lieder sind breit und doch auf das Wesentliche reduziert. Ein Highlight lässt sich da kaum ausmachen: 'Òtta' regelt genau wie 'Fjara' und 'Goddess Of The Ages', das Publikum ist sichtlich angetan. Die Band selbst allerdings ebenfalls, denn auch wenn es quantitativ möglicherweise nicht der Realität entsprechen mag, so wirkt sie in jedem Fall zunehmend kommunikativer. Hier kann das Fazit also nur lauten: Dranbleiben, meine Herren! SÓLSTAFIR macht anno 2015 so ziemlich alles richtig.

[Oliver Paßgang]

Mein letztes SÓLSTAFIR-Konzert war, ehrlich gesagt, kein Genuss, weil ich mich wie ein Bürger von Ölsardinenhausen gefühlt habe. Und auch das Backstage ist wieder rappelvoll. Zudem hat der sehr lange MONO-Auftritt schon etwas an den Ohren gezehrt. Doch jede Minute Musik dieser einzigartigen Band ist des Hinhörens wert und ich finde es durchaus nicht negativ, dass die Band heuten einen kürzeren, aber nur mit Gold-Talern bestückten Headliner-Gig hinlegt. Und nach MONO ist auch die gesteigerte Kommunikations-Bereitschaft von Sänger Aðalbjörn Tryggvason herzlich willkommen. Das Publikum versucht, die eingängigen, isländisch gesungenen Lyrics lautmalerisch mitzusingen und im Gegensatz zu MONO und THE OCEAN gibt es hier auch endlich auch Anlass für rhythmische Bewegungen. Ich freue mich besonders über 'Ljós Í Stormi' und das gigantische 'Fjara', möchte aber auch allzu gerne geistig mit 'Otta' oder der 'Goddess Of Ages' verschmelzen. So bin ich hier auch wieder voll auf Harmonie-Kurs mit meinem Kollegen. Alles richtig, Oli, alles im Lot, SÓLSTAFIR, ich freue mich auf die Zukunft!

[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

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