Scream-Festival # 3 - Lübeck
20.10.2005 | 00:3501.10.2005, Hukepackwiek-Halle
_J.B.O_ und _Running Wild_: Das 3. Scream-Festival in Lübeck trumpft mit Doppel-Headliner-Paket auf!
Das SCREAM-Festival in Lübeck fand am 01. Oktober dieses Jahres zum dritten Mal statt. Was im Herbst 2003 noch als reines Amateurfest begann, bekam im Jahr darauf schon erheblich professionellere Züge und ist in diesem Jahr ein Event, das mit seinem Programm noch einmal zum letzten Festival-Gefecht vor der langen und trüben Winterpause im hohen Norden animiert. Also machte sich ein kleines, unerschrockenes Team der besten Metal-Site im WWW auf den Weg, von einem - wie sich alsbald herausstellen sollte - Gute-Laune–Event der besonderen Art zu berichten:
AUDIOMILK / KING'S TONIC / LUCY'S DOLL
Als das POWERMETAL-Team (Martin Rudolph - Text, Oliver Loffhagen - Fotos, Matthias Machens - sichere Hin- und Rückfahrt ... ;-)) nur geringfügig verspätet in das Kerngebiet um das Veranstaltungszentrum eindringt, pilgern noch durchaus beeindruckende Scharen von Schwarzshirt-Trägern in Richtung des Lärmmittelpunktes. Vor und in der ehemaligen Industriehalle ist an diesem frühen und mittlerweile auch trockenen Oktoberabend die Stimmung an den Grill- und Bierständen bereits sicht- und hörbar gut.
An diesem Zustand nicht ganz unschuldig sind sicher auch die Bands, die bereits seit dem späten Nachmittag für die Vertreibung des ersten herbstlichen Trübsinns sorgen sollten und ihren Job allem Anschein nach auch gut erledigt hatten: Seit einem guten Jahr mucken die zwei Girls und drei Boys zusammen, die sich AUDIOMILK nennen und einen flotten Mix aus New Wave, Nu Metal und Alternative zelebrieren und den Auftakt zum Geschehen geben durften - schön für eine Party, die erst noch richtig losgehen soll! Das Bochumer Quartett KING'S TONIC legte mit einem Sound nach, der melodisch ist und auch durchaus der Surfgemeinde gefallen haben dürfte. Echte "True"-Metaller dürften in der Zeit eher den goldenen Oktober vor der Halle genossen haben. So wie es das Gros der Festivalbesucher tut, als wir vor der Halle aufschlagen. Ob es vielleicht doch an den Noise-Orgien der aus dem australischen Brisbane gestarteten und bis nach Lübeck herumgeirrten LUCY'S DOLL gelegen hat? Egal, denn zum Glück sind wir noch genau rechtzeitig da, um uns den ersten Höhepunkt des Abends einverleiben zu können...
CIRCLE OF GRIN
CIRCLE OF GRIN repräsentieren eigentlich genau das, was dieses Festival ausmacht: Harter Sound, Spielfreude, den Mut anders zu sein und...gute Laune! Dass dieser Kölner Lärmbolzen erst seit gut vier Jahren in dieser Formation besteht ist kaum zu glauben. In der Halle ist die Stimmung ausgesprochen gut und die fünf Kölsche Jungs spielen ebenso gut gelaunt drauf los. Irgendwo in der Schnittmenge von Alternative Rock, Stoner Rock und Nu Metal geht's frisch ab. Spontan kommt mir irgendwie der Gedanke an die jungen und ungestümen FARMER BOYS, was aber wohl eher am Sänger als am Gesamtsound der Band liegt. Leider ist der Hallensound, um beim Thema zu bleiben, heute etwas zu leise und zu matschig, aber das scheint den meisten Partywilligen nichts auszumachen, und wir verabschieden die Sympathieträger mit...na klar doch: einem breiten Grinsen!
DEIN FETER VATER
Nach einer bombastischen Fanfare, einer Orson Welles-mäßigen Ankündigung und hartem Discobeat-Stakkato betreten DEIN FETTER VATER die Bühne. Die vier Lübecker haben ein Heimspiel und werden entsprechend begrüßt. Die Jungs sehen in ihren weißen Oberhemden und schnieken schwarzen Anzügen aus wie die Enkel der COMEDIAN HARMONISTS oder Cousins der JUNGEN TENÖRE und spielen - oh Gott, welch origineller Kontrast! - irdendwie so etwas wie (Hard)-oder-so-Core. Zum Glück ist der Sound wenigstens genauso schlecht wie bei den Vorgängern im Billing, so dass uns Details erspart bleiben. Und nach einer guten halben Stunde ist sowieso Schluss...
CONTRADICTION
Mit den Wuppertaler Thrashern CONTRADICTION geht echter deutscher Stahl frisch aus dem Hochofen an den Start. Bereits 1993 beehrten uns die Herrschaften mit ihrem Tonträgerdebut "Rules Of Peace" und im Frühsommer dieses Jahres blubberte die Thrash-Core-Granate "The Voice Of Hate" aus den Schmelztiegeln. Das Teil wurde dann u.A. im Vorprogramm von OVERKILL europaweit unter das heißhungrige Volk geblasen und am heutigen Abend sollte die alt-ehrwürdige Hansestadt dran glauben.
Der brachiale Sound des Vierers kommt leider, wie bei den vorherigen Bands auch, nur sehr undifferenziert herüber. Vor allem die Vocals leiden und zu verstehen ist nichts. So muss es dann der Gesamteindruck machen: Extrem schnelle Parts wechseln sich mit fast doom-mäßigen, schleppenden Passagen ab und immer wieder werden kurz sehr harmonische Melodicparts eingestreut. Dieses Konzept ist nicht echt neu, wird aber gut und aggressiv umgesetzt. Und siehe da: das erste Crowd-Surfing des Abends ist zu vermelden! Alles in Allem also eine hervorragende Vorbereitung, langsam aber sicher den ersten Headliner des Festivals zu begrüßen.
RUNNING WILD
Wir schreiben das Jahr 1984, der Schreiber dieser Zeilen hat seit kurzem seinen Führerschein und wagt sich todesmutig mit einigen Gleichgesinnten in seinem klapprigen Wolfsburger Erstmobil (bitte keine Schleichwerbung) bis nach Hamburg, um seine neuen Helden livehaftig zu erleben. Der Ort des Geschehens liegt im dunklen Hafen und die Lokalmatadoren des Abends klettern in viel zu engen Spandexhosen und mit viel zu großen Spiegelreflex-Sonnenbrillen auf die Bretter, die die Welt bedeuten, um ihr Debüt-Vinyl "Gates To Purgatory" zu präsentieren...
Aber halt! Nein! Heute ist ja über zwei Jahrzehnte später und Rock'n'Rolf und seine Piratencrew stellen mit "Rogues On Vogue" ihr dreizehntes (!) reguläres Album in einer anderen Hansestadt vor! Kann das noch gut gehen? Ich nehm's vorweg: Verdammt ja! Mit soviel Bock auf Rock im Blut stürmt Bandchef Rolf Kasparek unvermittelt und dicht gefolgt von seiner rundum erneuerten Mannschaft (Matthias Liebetruth - dr., Peter Pichl - b., Peter Jordan - g.) auf die Bühne, so dass man die ersten Takte des brandneuen "Rogues On Vogue"-Smashers 'Draw The Line' noch völlig verdutzt kaum richtig registriert. Dass Piraten gewöhnlich keine Gefangenen machen, macht der bestens aufgelegte Chef auch gleich klar: 'Raise Your Fist' ist ein absoluter Live-Abräumer vor dem Herrn und wird heute Abend hammerhart und extraschnell in die Menge geschossen. Und das war nur der Auftakt zu einer Hitliste aus 22 überaus erfolgreichen Jahren des metallischen Piraten-Daseins. 'Riding The Storm' lässt die Hallendecke wackeln. Der 16 Jahre alte, aber bedauerlicherweise immer noch aktuelle Anti-Nazi-Song 'Bad To The Bone' oder die Hymne schlechthin, 'Little Big Horn', sorgen genauso wie 'Victory' oder die 'Prisoners Of Our Time' vom 1984er-Albumdebut "Gates To Purgatory" für Gänsehaut pur. Vom neuen Rundling wird 'Skeleton Dance' und anschließend das 1998er 'Kiss Of Death' nahtlos eingefädelt und beide genauso euphorisch von der bestgelaunten Masse abgefeiert.
Pyros und ähnlich feurige Effekte, die man sonst von RUNNING WILD-Shows gewohnt ist, kommen heute aufgrund rigider Auflagen der Lübecker Berufsfeuerwehr (warum eigentlich in einer nasskalten, ehemals industriell genutzten Betonhalle?) nicht zum Einsatz. Aber ein dermaßen agiler Rolf Kasparek, der sich selbst und das Publikum permanent anfeuert, eine exzellent aufeinander eingespielte Band in Topform und ein Drum-Solo von "Metalmachine" Liebetruth im Stroboskop-Gewitter lassen das völlig unwichtig werden! Schade, dass nach einer guten Stunde und einer Zugabe (das kultige 'Under Jolly Roger') schon Schluss ist. So kann man nur sagen: Setzt bloß bald wieder die Segel zu einer dann ausgiebigen (!) Tour und wartet nicht wieder so viele Jahre auf den nächsten Raubzug, den ihr im Handstreich für euch entscheidet!
Setlist RUNNING WILD:
Draw The Line
Raise Your Fist
Riding The Storm
Kiss Of Death
Skeleton Dance
Bad To The Bone
- Drumsolo -
Soulless
Prisoners Of Our Time
Little Big Horn
Victory
---
Under Jolly Roger
J.B.O.
Und dann ist es endlich soweit. Nach schier unendlicher Wartezeit für das Gros im Saale kündigt die kurze, aber vom heroischen Sieg über die dunklen Heerscharen des Trübsinns und der Langeweile kündende Fanfare den Einzug der einzig und wahren "Verteidiger des wahren Blödsinns" an, die ihrem (selbstverliehenen) Ehrentitel von nun an fast zwei Stunden lang alle Ehre machen werden. Der gleichnamige Opener in bester MANOWAR-Tradition ist denn auch der ideale Auftakt für eine Tour de Force genialer Hardrock- und Metal-Coverversionen, die chirurgisch präzise am Original und dennoch - nicht nur wegen der gnadenlos genialen deutschen "Übersetzungen" - wunderbar eigenständig, eben typisch J.B.O. sind.
Doch natürlich haben die ehemaligen "Krieger in Schwarz-Rosa-Gold", die mittlerweile martialisch in den Kampfanzügen der "Rosa-Armee-Fraktion" ihren Kreuzzug gegen Tristesse und das Grau des Alltags kämpfen, mehr zu bieten als eine bloße Covershow. Ohne Gnade wird in einer Achterbahnfahrt von Wahnwitz und Genialität Altes und Neues, Nachgespieltes und eigenes Material, Deutsches und Englisches gemischt, dass man kaum mehr aus dem Lachen und Moshen herauskommt. 'Bolle' ist ein alter Klassiker, dem die einemillionste Version des 'Kuschelmetal' folgt. 'Bounty' und 'Metdl-Gschdanzl' werden vom Publikum abgefeiert und LED ZEPPELINs 'Stairway To Heaven' geht wie selbstverständlich in den 'Der Hofnarr' über. Nach langer Pause wird, da die beiden "Neuen" Ralph Bach (b.) und Wolfram Kellner (dr.) nun endlich ihre Strophen fertig bekommen haben, sogar 'Könige (Rio Reisers König von Deutschland)' wieder dargeboten.
Apropos Deutschland: Das ist Hannes doch eine kleine Ansprache wert, dass J.B.O mittlerweile auch in Ländern, in denen man gar kein Deutsch versteht, echt gut ankommt. So bekommt die Band heutzutage sogar Fanpost aus Indien, Sibirien und der DDR (!). Auweia! Aber nicht einmal solche Provokationen werden den Erlanger Chaoten übel genommen an einem Abend, an dem natürlich auch eine ganze Menge Fans aus dem direkt benachbarten Mecklenburg-Vorpommern in die alte Hansestadt gepilgert sind. Der Reigen geht einfach munter auf der Überholspur weiter: 'The Kickers Of Ass’ vom aktuellen Langeisen "United States Of Blöedsinn", 'Wir ham ne Party' oder das bestürzend ehrliche 'Arschloch und Spaß dabei' (das in Wirklichkeit bestimmt die BLOODHOUND GANG gecovert hat und nicht umgekehrt, oder?) mit ausgedehntem Mitsingteil für die euphorische Gemeinde sind nur einige weitere Highlights des Programms.
Um zu beweisen, dass sie eine "...politische Protestrock-Band" sind, fordern sie in original Erlangen-Hate-Core-Sound nach 'Lärm', was von einem völlig daneben gehenden, mit einem Vibrator (!) vergewaltigten Gitarrensolo gekrönt wird. Vielleicht hätte doch jemand dem technisch restlos überforderten Vito vorher Handhabung und Funktion diese Gerätes erklären sollen...
Doch so bleibt ihm nach diesem Fiasko wieder einmal nur das Fazit, dies sei 'Ein guter Tag zum Sterben', was von den Fans derart frenetisch abgefeiert und bejubelt wird, wie ich es selten zuvor auf einem J.B.O-Konzert erlebt habe! Zur Belohnung gibt's dafür noch 'Ein Fest' und dann ist Schluss, schließlich geht es schon hart auf zwei Uhr morgens zu.
Schluss? Naja ... fast. Nach minutenlangen Sprechchören wird die Bühne eingenebelt wie London im September und vier Musiker in silberglänzenden Kettenhemden, getarnt mit Gasmasken und Schweißerbrillen entern die Bühne, ein Feuerspucker fackelt sich durch die gespenstische Szenerie. RAMMSTEIN als Surprise-Guest? Nein! Die Ernüchterung folgt auf dem Fuße. J.B.O. sind's bloß, die - wie Hannes gekonnt zerknirscht entschuldigt - für die Kollegen heute "einspringen", weil sie ja eh gerade da sind. Und deshalb spielen Sie auch der deutschen Härtner gößten Hit: 'Ein bisschen Frieden' ... hammerhart, brachial, zum Schreien komisch - eben echt RAMM... äh, 'tschuldigung J.B.O.
Das MANOWAR-Cover 'J.B.O. (=Carry On)', zwei Minipyros, Silberkonfetti und ein bis zur Hallendecke aufgeblasenes J.B.O.-Logo entlassen uns dann endgültig aus einem Ereignis, das des Headliners eines solchen Festivals mehr als würdig war!
Nachlese
Mit dem Scream-Festival # 3 ist dem Veranstalter ein rundum stimmiges Event gelungen. Amateurbands, langjährig kampferprobte Underground-Haudegen und ein Doppel-Headliner-Set, das sich mehr sehen lassen konnte, sorgten für ein ausgewogenes Billing. Die Ticketpreise waren genauso fanfreundlich wie die (Getränke-)Preise vor und in der Halle. Mit der Eintrittskarte noch eine extrem professionelle Promo-CD mit allen Bands des Abends mitzugeben und einen Gratis-Busshuttle von der Halle zum ZOB/Bahnhof bereit zu stellen sind mehr als tolle Gesten, die wirklich beweisen: Hier machen Fans ein Festival für Fans.
Nur an dem dröhnigen Sound in der Halle sollte, wenn es ein Scream # 4 gibt (und das wollen wir ja wohl stark hoffen!), gearbeitet werden. Und der Aushang der Running Order mit den geplanten Auftrittszeiten wäre ein netter Service, den sich viele Fans in der Halle gewünscht hätten. Aber was sind das für Kleinigkeiten im Verhältnis zu all den Pluspunkten, die dieses Festival auf der Habenseite verbuchen konnte?
In diesem Sinne: SCREAM for me Lübeck in 2006!
- Redakteur:
- Martin Rudolph