TUSKA FESTIVAL - Helsinki
20.07.2024 | 12:0328.06.2024, Suvilahti
Eine unvergessliche Reise.
Zugegeben, wir sind traurig. Traurig, dass wir ein letztes Mal einen vollen Tag in diesem Land verbringen können. Dieses Land, dass uns mit offenen Armen, einer einzigartigen Natur und so wunderbarem Charakter der Menschen begrüßt hat. Am nächsten Tag wird uns das Taxi gegen 11 Uhr morgens – also direkt nach dem Frühstück – Richtung Flughafen bringen, wo wir letztendlich drei Stunden später zwar mit traumhaften Eindrücken und so viel Lebensfreude, aber eben auch mit diesem weinenden Auge der Wehmut zurück nach Deutschland fliegen werden. Gebt zu, da kann man ruhig einen Augenblick innehalten und versuchen, den Moment einzufangen. Dennoch – oder gerade deshalb – machen wir aus diesem Tag das Beste, stärken uns erneut nach erholsamem Schlaf mit einem leckeren Frühstück und da in Helsinki auch sonntags die Geschäfte geöffnet haben, decken wir uns noch mit Souvenirs, CD-Raritäten aus dem Plattenladen und den letzten, köstlichen Karhu im Supermarkt ein, um das letzte Mal den langen, aber so schönen Hinweg zum Tuska Festival anzutreten. Durch die Unterführung, links Richtung See, über die Brücke am Hilton Hotel vorbei und dann stramm geradeaus, bis irgendwann die beiden Kamine zu sehen sind, die uns den Weg zum Festival weisen. Und, wie sollte es anders sein, begleitet uns das beste, sonnigste Wetterchen mit einigen Quellwolken, viel Sonnenschein, warmen Temperaturen und einem frischen Wind. Einfach herrlich.
So haben wir – zugegeben – drei, vier Bierchen schon intus, als wir das Gelände betreten und uns die erste Band des heutigen, letzten Festivaltages von der Bühne begrüßt. Nachdem auf der Radio City Stage der Synth-Wave von NIGHTSTOP den Anfang und so manch müden Mann munter macht, fällt um 15 Uhr der Vorhang für BEYOND THE BLACK. Richtig, auch am heutigen Tag sind deutsche Bands im Herzen Finnlands sehr gern gesehen und Jennifer Haben und ihre Musiker erobern die Hauptbühne im Sturm. Im leichten Wind und mit jeder Menge Symphonic Power weiß die Band zu begeistern und dürfte mit tollen Live-Darbietungen von 'Songs Of Love And Death', 'Is There Anybody Out There?' und dem finalen Doppelschlag 'Lost In Forever/In The Shadows' ein paar neue, finnische Fans gefunden haben. Nun geht es aber schnurstracks wieder ins Zelt, denn mit WARMEN hat sich ein absolutes Highlight an diesem Nachmittag angekündigt. Das einst von CHILDREN OF BODOM-Keyboarder Wirman ins Leben gerufene Projekt wurde spätestens mit dem Gewinn des ENSIFERUM-Sängers Petri zur vollständigen Band und brettert hier und heute aus vollen Rohren. Ein geiler Sound, ein stimmlich wie instrumental bestens aufgelegter Neuzugang und so manch schöne Anekdoten von Janne selbst passen ebenso ins wahnsinnig gute Bild wie 'Warmen Are Here For None', 'A World Of Pain' und 'Night Terrors'. Als dann aber mit 'Sixpounder' und 'In Your Face' zwei weitere CHILDREN OF BODOM-Klassiker gleich nach 'Hate Me!' angekündigt und durchgezockt werden, kennt die Stimmung im Zelt kein Halten mehr. Ein absoluter Siegeszug, der mit dem ROCKWELL-Cover zu 'Somebody's Watching Me' abgerundet wird.
Was soll hier noch folgen? Richtig, mehr Energie! Und die gibt es in Form von LOST SOCIETY. Die Jungs sind erst kurz vor Torschluss für BAD OMENS eingesprungen, waren auch schon im vergangenen Jahr zu Gast und wissen auf der Main Stage das Publikum durch Stimmung, Power und druckvollen Songs wie 'Blood On Your Hands' und '112' auf Betriebstemperatur zu bringen. Insbesondere Frontmann XY agiert charmant und wortreich mit den Zuschauern, rifft und screamt sich souverän durchs Set und selbst die thrashige Frühgeschichte der Band wird mit 'N.W.L.' sehr gelungen berücksichtigt. Einzig der Titeltrack der letzten Scheibe hätte dem Auftritt noch die Kirsche aufgesetzt. Für diese Kirsche sorgt um 18 Uhr jedoch meine musikalische Jugendliebe: STRATOVARIUS. Eine Band, die ich vor 20 Jahren so gemocht, leider etwas aus den Augen verloren habe, auf ihren Auftritt ich mich im Vorfeld aber sehr gefreut habe. Und ich sollte nicht enttäuscht werden, obwohl es gestern bei den stilistischen Brüdern von SONATA ARCTICA doch deutlich voller war. Aber auch dieses Melodic-Power-Metal-Flaggschiff mit Kotipelto als Kapitän weiß die Stimmung auf der Open Air II Stage sicher in den Hafen zu bringen. Stimmlich können ihm weiterhin nur wenige das Wasser reichen und selbst wenn die blonde Mähne ein wenig angegraut ist, passen Stimmung, Spielfreude und Enthusiasmus sowohl auf als auch vor der Bühne, wenn 'Speed Of Light', 'Eagleheart', aber auch neuere Eindrücke der Marke 'World On Fire' und 'Unbreakable' begeistern. Abschließend durch 'Hunting High And Low' darf ich zumindest das Fazit für finnische Bands auf dem diesjährigen Tuska Festival ziehen, dass man ihnen anmerkt, ein Heimspiel zu haben. Sie wirken befreiter, ausgelassener – was vielleicht auch am mit sich und der Welt im Reinen befindlichen, so zufriedenen Publikum liegt.
Doch wir haben noch einige Bands vor uns, um jetzt schon das Fazit zu ziehen. Also ran an den Speck und genau um 19 Uhr vor die Main Stage, wenn sich OPETH und ein wie eh und je sehr redseliger Mikael die Ehre geben. Wenn die Schweden eine 75-minütige Spielzeit haben, weiß der OPETH-Fronter einige Geschichten, wie in diesem Fall über die verschiedenen Metal-Genres, zu erzählen und immerhin sechs Stücke werden zum Besten gegeben. Nein, ich bin kein sonderlich großer Freund von OPETH-Live-Shows, da selten der Funke überspringen mag, muss jedoch sagen, dass bei 'Demon Of The Fall', 'Heir Apparent' und dem selbstverständlichen 'Deliverance'-Finale das Publikum meine Meinung anders sieht und den progressiven Death Metal der Jungs mit großem Beifall von der Bühne schickt. Habt ihr noch Bock? Ja und ob! Doch nun müssen wir eine schwierige Entscheidung fällen, denn obwohl sich mit BURY TOMORROW exquisiter Metalcore im Zelt die Ehre gibt, tendieren wir zum Kraftstahl aus dem Hause BROTHERS OF METAL auf der Open Air II Bühne.
Die Wahl hätte nicht besser sein können, ist der Auftritt von Ylva und ihren Mannen doch eine absolute Wonne. Die Songs drücken, die Stimmung könnte nicht besser sein und da frisch und unbekümmert die Klischees in Gänze bedient werden – Wetttrinken, Bühnenoutfit, etc. – machen wahnsinnig gute Ohrwürmer wie 'Prophecy Of Ragnarök', 'Powersnake' oder auch 'Defenders Of Valhalla' und vor allem 'Ride Of The Valkyries' einfach Spaß. Vor der Bühne ist es gerappelt voll, was die Band ziemlich ehrt, die sich wiederum mit einem richtig tollen, unterhaltsamen Auftritt bedankt. So langsam sind jedoch auch die letzten Energiereserven aufgebraucht und nach dem für heute finalen Hamburger und einem vielleicht finalen Karhu geht es zum letzten Mal auf dieser Tuska-Festival-Ausgabe vor die Hauptbühne. Noch einmal volle Konzentration, noch mehr Vorfreude und sämtliche Ohren gespitzt für PARKWAY DRIVE. Habt ihr schon einmal einen schlechten Auftritt der Australier gesehen? Richtig, ich auch nicht – so auch heute nicht, denn Springinsfeld Winston und Co. geben von der ersten bis zur letzten Sekunde Vollgas. Erneut drückt ein voluminöser Klang von der Bühne, erneut befinden wir uns in dieser einzigartigen Atmosphäre des warmen Mittsommersabends, erneut schauen wir auf eine so agile, quirlige, aber auch hungrige und stets das Publikum animierende Band. Es geht noch einmal, ein letztes Mal, rund in den Zuschauermengen, die 'The Void', 'Karma' und Winston in ihrer Mitte während 'Idols And Anchors' total abfeiert. Es wird geheadbangt, gegrölt, die Pommesgabel gen Himmel gestreckt – es stimmt von vorne bis hinten.
Wenn mit 'Crushed' und 'Wild Eyes' die wirklich allerletzten Töne des Tuska Festivals ertönen, wir das nun wirklich finale Karhu trinken, darauf anstoßen, welch wunderschöne Zeit wir hatten, wir ausgepowert und glücklich, melancholisch aber reicher um einzigartige Eindrücke sind, dann möchten wir uns an dieser Stelle für drei unvergessliche Tage im Herzen Helsinkis bedanken. Die Orga hätte besser nicht sein können, die Menschen waren so genügsam, ausgelassen und fröhlich, die Ordner einfach freundlich, haben uns jeden Tag mit einem breiten Lächeln begrüßt und dieses Festival einfach zu einem ganz besonderen Ereignis gemacht. Direkt an der Mall gelegen gab es auch reichlich Gelegenheiten, dort zu verweilen, zu dinieren, Kräfte zu mobilisieren, um dann lediglich über die Ampel zu gehen und sich neuen Eindrücken hinzugeben. Die letzte Nacht im Hotel ist kurz, der Schmerz groß, dieses so prachtvolle, tolle Land wieder verlassen zu müssen, doch wir versprechen dem Tuska Festival 2025: Wir kommen wieder! Danke für alles!
- Redakteur:
- Marcel Rapp