Tarja - Wiesbaden
19.05.2008 | 21:2714.05.2008, Schlachthof
Tarja Turunen. Live. Allein. Ohne NIGHTWISH. My Winterstorm!
An einem erquicklichen Maitag machen wir uns auf zum Wiesbadener Schlachthof, um die ehemalige NIGHTWISH-Frontfrau Tarja Turunen auf ihrer ersten Tour als Solokünstlerin jenseits des Klassik-Metiers zu bewundern. Nachdem ich im Februar in der Frankfurter Jahrhunderthalle für mich geklärt habe, dass mir Anette Olzons Stimme als neues NIGHTWISH-Organ eben nicht reicht, sind meine Erwartungen, Frau Turunen wieder zu hören und auch zu sehen, durchaus hoch. Entsprechend überrascht bin ich bei der Feststellung, dass die Erwartungen einer Reihe anderer offensichtlich nicht mehr hoch sind. Sie sind gar nicht erschienen - und so ist der Schlachthof heute Abend alles andere als gut besucht. Ein anderes als das gewohnte Publikum sehen wir heute: Die Metalszene trifft sich hier nicht mehr, die Gothicszene ebenso wenig. Vereinzelte Seelen in einschlägigen Motivshirts. Stattdessen eher die Fußwipperszene, gesetzte Ehepaare, von denen einige ihre Kinder im Teeniealter begleiten. So ist das also. Die Zeiten ändern sich.
Zu Beginn müssen wir wie gerne üblich zwei Supportacts über uns ergehen lassen. Schon beim ersten scheiden sich die Geister: Der Tourbassist von Tarja, Doug Wimbish, erscheint auf der Bühne und präsentiert mit kunstverzerrtem Gesicht bizarre Töne auf seinem Instrument. Dieser Mann mag ein begnadetes Talent sein – mir geht er auf die Nerven und so beschließe ich, mich mit ein paar Freunden auf der sonnigen Wiese vor der Konzertstätte niederzulassen und im sanften Frühlingsabend abzuwarten, bis Wimbish sich ausgetobt hat.
Angeblich verpassen wir Maßgebliches, aber das passiert wohl im Leben ständig. Sicher nichts Maßgebliches erleben wir dann im Anschluss mit THE DOGMA, dem zweiten Support des Abends. Die italienische Power-Metal-Band tut uns nicht weh, bringt aber auch nichts wirklich Interessantes hervor. Sänger Daniele Santori scheint mir mit seinem Versuch eines coolen Posing einfach zu hölzern und die Songs klingen zwischendurch irritierend nach ABBA. Ach, vielleicht bin ich einfach zu satt ...
Dann ist es endlich so weit: Die Frau, dessen obertonreich schillernde Stimme ich so sehr bewundere, betritt endlich die Bühne. Ein bisschen hat sie sich verändert. Haare kürzer, blonde statt rote Strähnchen, und ein erstes Kostüm, das mich ein wenig an eine David-Copperfield-Show erinnert. Passend zu diesem schwülstigen Glamourumhang beginnt Tarja den Abend nicht gerade mit knallenden Hits, sondern zwei eher schwächeren Songs, die das Publikum nicht sogleich erreichen. Und so bleibt die Stimmung im Fußwipperraum auch zunächst verhalten, bis die sanfte Diva sich ihrer Vergangenheit einer namhaften Symphonic-Metal-Band erinnert und die Fans mit einem kleinen NIGHTWISH-Medley entzückt. Da bricht das Eis und vor mir flippt jemand zu den Koloraturen von 'Passion And The Opera'. völlig aus.
Eine Besonderheit dieser ansonsten wenig bombastischen und damit eher bescheiden aufgemachten Show sind Tarjas Kostümwechsel. Das Copperfield-Modell legt sie recht bald ab, um zu 'I Walk Alone', das schon im ersten Teil des Abends gebracht wird, in eine weiße Kapuze gehüllt aufzutreten. Zuckersüß! Leider fehlt bei dem Single-Hit das Mozart'sche Requiem-Intro, durch das der Song meiner Auffassung nach nochmals gewinnt. Die Umkleidepausen füllt Tarjas Tourband, in der neben dem bereits erwähnten begnadeten Doug Wimbish auch das altbekannte Tier Mike Terrana sein Plätzchen gefunden hat. Selbstdarstellerische Solo-Orkane a la RAGE und AXEL RUDI PELL müssen wir heute Abend nicht ertragen, dafür ist Tarja im Garderobenwechsel offensichtlich zu flott. Und so überrascht sie dann auch irgendwann unter Abstreifung des Copperfield-Schmalzes mit einer schwarzen Korsage zu engem Lederrock und schwarzen Lackhandschuhen. Wow! So geht es also auch. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass Tarja mit diesem Rollenwechsel endlich auftaut. Langsam merkt sie, dass das ihr Abend und das Publikum wegen ihr gekommen ist. Sie geht aus sich heraus, wird lockerer in der Hüfte, bangt, wie man es gar nicht kennt von ihr und scheint sich endlich vollends zu identifizieren mit dem, was sie da auf die Bühne bringt. Aus dem vergangenen NIGHTWISH-Programm hat sie dann noch des alten Gary Moores 'Over The Hills And Far Away' mitgebracht, das die Band mit viel Spaß an der Freude präsentiert. Den männlichen Gesangspart übernimmt hier der Künstlerin Bruder Toni Turunen, ein stimmungsvoller, freundlicher, kleiner muskulöser Kerl. Und 'Wishmaster' dürfen wir noch genießen, an dem Anette Olzon mit ihrer mangelnden Höhe ja nun leider auch scheitert. Herrje, aus dem Vergleichen kommt man einfach nicht heraus. Die Musik ist dann doch zuweilen auch ein Wettstreit.
Und so streicht der Abend dahin und bereitet uns nach den etwas hölzernen Anfangsminuten doch noch ein liebliches Vergnügen. In der Gesamtbewertung konnte zwar atmosphärisch im Vergleich mit wirklichen Metalkonzerten kein emotionaler Höhepunkt erreicht werden und leider erweisen sich die Songs aus Tarjas "Winterstorm" live nicht als ganz so überzeugende Knaller wie ich es nach dem Hörgenuss der gleichnamigen CD erwartet hätte. Dennoch: Der Trumpf des heutigen Abends ist und bleibt Tarjas bestechende Sopranstimme, die aus meiner Sicht auch weiterhin jegliche Konkurrenz aussticht. Ihre Livepräsentation verspricht hingegen Entwicklungsfähigkeit. Tarjas Rockattitüde scheint noch wachsen zu können - ich verbleibe gespannt auf kommende Werke.
- Redakteur:
- Erika Becker