VANAHEIM, VERA LUX und KEOPS - Hannover
29.05.2024 | 11:0417.05.2024, SubKultur
Ein neuer Pagan-Metal-Triumphzug oder alles Käse?
Es ist wahrscheinlich mehr als nur eine subjektive Wahrnehmung, aber die großen kommerziellen Zeiten des Pagan-, Viking- und Folk-Metals scheinen vorbei. Insbesondere im Zeitraum 2007 bis 2015 erlebte diese Nische eine entsprechende Hochphase, welche grade von "Rock the Nation" als Veranstalter sehr intensiv angefeuert wurde. Die beiden Musikfestival-Touren Paganfest und Heidenfest sorgten für eine unfassbare Omnipräsenz solcher Bands und gaben diesen Truppen auch die Möglichkeit sich durch ein starkes Tourpackage einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Diese Phase ist mittlerweile lange vorbei und aufstrebende Bands aus diesem Sub-Genre müssen ihre Live-Auftritte anders koordinieren und in wirtschaftlich angespannten Zeiten höllisch genau planen, damit daraus kein purer Alptraum wird. Eine Band wie VANAHEIM wäre im Rahmen der Paganfeste nicht nur gesetzt gewesen, sondern zwischen Vertretern wie ENSIFERUM, EQUILIBRIUM und TURISAS ohne Zweifel durch die Decke gegangen. Somit müssen die Holländer heute ohne diese Zugkraft auskommen, was umso bitterer ist, wenn man sieht, wie eine Band wie ALESTORM diese damalige Starthilfe genutzt hat. Wie es sich für echte Wanen gehört, verzichtet man auf endlose Supporting-Slots und wagt stattdessen das volle Risiko und geht mit nur einem Album in der Hinterhand direkt auf eigene Headliner-Tour. Da man den Wanen die Fähigkeit assoziiert in die Zukunft zu sehen, werden sich die Jungs dabei schon etwas gedacht haben. Die Klasse von "Een Verloren Verhaal" rechtfertig es definitiv und so freue ich mich auf einen Besuch der "Aus Stein geschlagen"-Tour um festzustellen inwieweit die Band auch live überzeugen kann.
Unsere Wahl der Location für dieses Unterfangen fällt auf das SubKultur in Hannover. Dieser kleine Musikclub hat ein Fassungsvermögen von geschätzten 100 Personen, wobei es dann auch ordentlich voll wirkt. Laut VANAHEIM-Bassist Mike ist der Publikumsdurchschnitt der Tour bisher immer so bei 70-80 Personen und ich denke auch heute Abend, liegen wir genau in dieser Range. Der Club sitzt in einem ehemaligen Kino und wurde über die letzten Jahre stark modernisiert und aufgemotzt. Insbesondere im Deko-Bereich gibt es jeden Quadratzentimeter neue Absonderlichkeiten zu entdecken und besonders bei Fans von Rockabilly sollte das SubKultur auf die Merkliste. Also nicht zwingend die offensichtlichste Wahl für eine epische Folk Metal-Sause, aber ich gehe davon aus das die Tilburger ihre Wahl mit Bedacht getroffen haben und alles unternehmen werden, um uns mit ihren Geschichten so weit in den Bann zu ziehen, dass das Sammelsurium an Skurrilitäten um uns herum nicht vom Wesentlichen ablenkt.
Doch bevor wir uns in die neun Welten begeben, geht die Reise erstmal nach Ägypten und zwar zur Cheops-Pyramide. Dort verordnet sich nämlich KEOPS, eine kroatische Metalband, welche direkt mit ihrem modernen, melodischen Sound einen deutlich anderen Schwerpunkt legt als der Hauptact. Positiv fällt sofort auf, wie tight und stimmig die Band agiert und das, obwohl sie stilecht mit dem PKW just in time aus Kroatien eingetroffen ist. Selbst gefahren natürlich. Das ist der echte Metal-Spirit, welchen man immer weniger zu Gesicht bekommt. Großartig! Aber auch ungeachtet von Sympathiepunkten hat die Band einiges zu bieten. Ob nun Sänger Zvonimir Špacapan, welcher nicht nur ein beeindruckendes Gesangsspektrum an den Tag legt und die abwechslungsreichen Songs weiter aufwertet, auch seine Hintermannschaft ist alles andere als Durchschnitt. Wer mit einem 5-Saiter-Bass und einer 7-saitigen Gitarre auf die Bühne kommt, sollte abliefern und das tut die Band aus Rijeka definitiv.
Auch wenn die leicht progressive Mischung aus ALTER BRIDGE, MASTADON und IRON MAIDEN ("Powerslave" ick hör dir trapsen) ohne Vorkenntnisse des Songmaterials schwer greifbar ist, werde ich definitiv den aktuellen Langdreher "Road To Perdition" zuhause antesten. Das erste englischsprachige Album ist auch die Basis für 90% der Setliste und dürfte einen guten Indikator geben, wohin die Reise der Band noch gehen könnte. Schöner Einstieg in den Abend. Osiris ist gnädig mit euch.
Setliste: Unconscious Mind; The Machine; Road To Perdition; My Soul Released; Rise Again; Trauma; She Sells Sanctuary (The Cult Cover); Keops
Wer jetzt denkt, dass KEOPS mit seinem modernen Anstrich eine Exotenstellung am heutigen Abend einnehmen wird, sieht sich nur bedingt bestätigt. Denn auch die Nürnberger Mittelalter-Metal-Combo VERA LUX flirtet völlig ungeniert mit einem sehr modernen Rocksound. Um es etwas besser einzugrenzen, könnte man sich SUBWAY TO SALLY zur "Schwarz in Schwarz"- Phase zu Rate ziehen. Also ein Folkrock/-Metal-Hybrid mit einem guten Schuss radiotauglichem, deutschsprachigen Gothic. Wobei VERA LUX in ihren Songs noch gefälliger klingt, als die Potsdamer. Ich muss jedenfalls häufiger auch mal an SILLY denken, was per se nicht schlecht sein muss, wobei den Nürnbergern noch das Songmaterial fehlt, um dort oben mitzuspielen. Das ist musikalisch noch nicht griffig genug und es fehlt an kontinuierlicher Härte, um sich erfolgreich zwischen den schwarzen Flaggschiffen zu positionieren. Wenn es dann doch mal etwas schroffer wird und es sogar Growls gibt, dann wirkt das auf der anderen Seite noch nicht wirklich harmonisch, passend und auch handwerklich nicht gut ausgearbeitet. Das ist schade, da die Band selbst von ihrem Material zu 100% überzeugt ist und insbesondere Felix (Drehleier, Sackpfeife) und Anni (Violine) eine fast ansteckende Spielfreude an den Tag legen. Auch Frontfrau Inara hat eine vernünftige Präsenz und eine angenehme Stimmfarbe, um solche Rocksongs zu veredeln. Eigentlich sind somit alle Voraussetzungen für kleine Genre-Hits schon vorhanden. Was jetzt noch fehlt, ist die eine zauberhafte Melodie oder die echten Hooks im Chorus, welche zum Mitsingen animieren und das noch feinere Ausarbeiten der einzelnen Songs. Die Band steht am Anfang ihrer Karriere und ich finde, das hört man noch deutlich heraus. Das Potential für mehr ist auf jeden Fall vorhanden und ich bin der Meinung, dass schon mit dem Zweitwerk ein signifikanter Sprung nach oben möglich sein müsste. Heute fängt mich das "wahre Licht" noch nicht ein.
Setliste: Insomnia; Eiskalt; Himmelhoch; Königin der Nacht; Aus der Asche; Das Spiel; Verblasste Bilder; Labyrinth; Mein Licht; Zombies; Maskenball
Wenn es irgendwelche Zweifel geben sollte, für welche Band heute die meisten Herzen schlagen, dann besteht direkt mit dem VANAHEIM-Opener 'Onbevangen' Gewissheit. Ungehemmt ist auch das Stichwort und die Tilburger preschen mit reinster Spielfreude und puren Wahnsinn los. Klar muss die Truppe mit Backing-Tracks arbeiten, aber zum einen geht die Band sehr offensichtlich damit um und zum anderen bekommen alle Songs eine neue ungewöhnliche Dynamik, da ab 2022 mit Rikke Linssen eine feste Violine-Spielerin mit an Bord ist. Und die Dame ist bockstark! Das ist bereits mit dem zweiten Song 'Domovoi' klar. Dieser slavische Hausgeist rockt sich in der 2024er Version noch deutlich nachhaltiger in mein Stammhirn als auf der Debüt-EP "The House Spirit". Das liegt zum einen and der fantastischen Performance von Rikke, als auch den Chören, welche für eine solche Live-Situation geschrieben scheinen. Aber auch der Rest der Band ist großartig mit drei Ausrufezeichen. Denn spätestens mit dem Titeltrack ist das komplette SubKultur vollkommen außer Rand und Band. Während eine Hälfte wie wildgewordene Trolle durch den Raum fliegt, befinden sich andere in purer Trance und versinken bis zur Stirnkante im perfekten Epic-Pagan-Orkan. Das mag fast bizarr wirken, da man davon ausgehen kann, dass die wenigstens Besucher die komplett holländischen Texte auch nur ansatzweise verstehen. Doch hier geht es einzig und allein um Atmosphäre und wenn Sänger Zino mit seiner Laterne wie ein vollkommen durchgeknallter Nachtwächter seine Runde zieht, dann möchte man ihm für jeden Meter Luftküsse zuwerfen.
Somit frisst das Publikum VANAHEIM auch schon zu so einem frühen Zeitpunkt der Show komplett aus der Hand. Pogo, Circle-Pit, Wall-Of-Death und jede Menge Chöre sind da nur die Spitze des Eisbergs. Da trägt die Front-Row auch einfach mal ein überdimensioniertes Märchenbuch und wird so schnell zum interaktiven Bestandteil der Show. Selbst das balladeske 'Verloren' wird nicht der befürchtete Stimmungskiller, sondern avanciert sogar zu einem Höhepunkt einer mit Highlights nicht geizenden Setliste. Wenn man etwas kritisch anmerken möchte, dann nur das man bei einer solchen wilden Mischung deutlich erkennt, wie viel besser die Band in den letzten Jahren geworden ist (Direkter Vergleich von 'The Dwarven Chant' zu 'Reuzenspraak'). Da krieg ich jetzt schon Bock auf das nächste Album. Bei so einer grandiosen Stimmung ist es nicht verwunderlich, dass, als nach nicht mal 60 Minuten der letzte Song angekündigt wird, die Menge maßlos enttäuscht ist. Aber VANAHEIM hat noch einen Joker auf Lager, der 'Gevallen in de Nacht' lautet und in knapp 12 Minuten genau zeigt, wie man diese Musik spielen muss. Episch as Hell und mit einer Reihe an Parts die zu dem Besten gehören, was ich in dieser Richtung lange Zeit gehört habe. Aber egal wie großartig dieser Song ist, das kann doch noch nicht das Ende sein. Das Publikum fordert vehement eine Zugabe, welche die Band so nicht eingeplant hat, da sie bis jetzt bis auf die Instrumentalen Tracks der beiden Veröffentlichungen alle Songs gespielt hat. Da sie auch nicht ihre herrliche Gaga-Version von 'Mourning Palace' mit im Gepäck hat, hilft es nix und es kann nur die Wiederholung einer bekannten Nummer sein. Die Wahl fällt auf 'Reuzenspraak' und auch die zweite Version ist erstklassig und kommt natürlich noch etwas chaotischer rüber als beim ersten Mal.
Was für ein geiler Auftritt! Nicht nur mein Kollege Norman ist nach dem Gig windelweich und schwärmt vom Jahreshighlight, auch ich muss noch schnell zum Merchandise-Stand und mir ein Shirt mit dem slavischen Hausgeist besorgen. Ich liebe so knuffige Gesellen, da kann ich nichts gegen machen. Aber was sehe ich zwischen all den CDs, Patches und Shirts? Die Band verkauft Käse! Eine holländische Pagan-Metal-Band verkauf eigenen, lizenzierten Käse. Was für eine wahnsinnig geile Idee ist denn das bitte schön? Hiermit reiche ich schon jetzt meinen Kandidaten für das beste Merch 2024 ein. Ihr stellt euch die Frage, ob ich ihn gekauft habe? Selbstverständlich und mit mir gefühlt 60% aller Gäste. Und ja ich habe ihn auch gegessen (ein Archivieren im Regal hat sich als nicht ganz angemessene Alternative nicht durchgesetzt) und das Teil schmeckt richtig lecker. Das ist nicht nur die Aussage von einem echten Fanboy, der ich seit Hannover bin, sondern auch von meiner Frau. Ihr ist es nämlich egal, ob da VANAHEIM oder sonst was draufsteht. Ihr braucht noch ein Fazit? Also, wann immer ihr die Chance habt diese Band kurzfristig zu sehen (z.B. Sternenklang Festival, Wacken, Roosendaal Open Air) nutzt sie und falls VANHEIM wieder Käse im Sortiment hat, holt euch diesen Schatz nach Hause. Diese Truppe hat eine große Zukunft und das vollkommen verdient.
Setliste: Onbevangen; Domovoi; Uit Steen geslagen, Daughter Of The Dawn, Verloren, Reuzenspraak, The Dwarven Chant, Gevallen in de Nacht; Zugabe: Reuzenspraak
Foto-Credits: Norman Wernicke
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal