Volle Kraft Voraus Festival - Neu-Ulm

10.07.2017 | 20:47

08.07.2017, ratiopharm Arena

Gelungenes Debüt im Neuland.

EISBRECHER ruft - und sie alle kommen. Die ratiopharm Arena in Neu-Ulm wird zur Premiere des "Volle Kraft Voraus"-Festivals spontan zum Treffpunkt der Schwarzen Szene umfunktioniert. Wo sonst Basketballspiele ausgetragen werden, findet hier an diesem Tag das Indoor-Festival der NDH-Band um Alex Wesselsky statt. Eine Premiere, die sich gewaschen hat, mausert sich neben den auftretenden Acts auch die Location selbst zum Überraschungs-Star des Tages...

Den Anfang macht dabei AND THEN SHE CAME mit ihrer Interpretation des Modern Rock: Dem Adrenalectica. Ein Wort, das auf die treibende Livegewalt, welche die Band um Frontsängerin Ji-In Cho auf der Bühne darstellt, wie die Faust aufs Auge passt. In ihrer koreanischen Heimat ein Star, beweist die zierliche Sängerin von Anfang an, dass sie sich an diesem Abend hinter den nachfolgenden Bands nicht zu verstecken braucht. Im düsteren Zwielicht und mit dem Baseballschläger wirken Titel wie 'Who's Gonna Save You?' umso atmosphärischer und bombastischer; mit routinierter Gelassenheit sorgen die Musiker mit 'Hellfire Halo' oder 'Public Enemy #1' gleich zu Beginn für eine ordentliche Schlagzahl. Die Routine kommt dabei nicht von ungefähr: So steht mit AND THEN SHE CAME schließlich die Reinbesetzung der ehemaligen Symphonic-Metal-Band KRYPTERIA auf der Bühne. Ein Abklatsch alter Zeiten zu sein, davon ist AND THEN SHE CAME jedoch weit entfernt - beide Daumen nach oben für diesen Raketenstart ins Festival.

Danach starten wir einen kleinen Rundgang über das "Festival-Gelände". Denn tatsächlich haben auf dem Außengelände der Sportarena einige Essensbuden einer kleinen Food-Meile gleich ihre Stände aufgeschlagen. Dazu die Met-Lounge, bei der es neben dem beliebten Honigwein auch einen EISBRECHER-Spezial Bärenfang gibt - und es kommt wirklich richtiges Festival-Feeling auf. Ein Vorteil, den die ratiopharm Arena jedoch den gängigen Locations gegenüber hat: Auf den Oberrängen der Sporthalle lässt sich das Geschehen auch aus weiterer Ferne problemlos genießen. So etwa auch der Auftritt der nachfolgenden Herren.

Denn die UNZUCHT ist mit Ankunft in Neu-Ulm eigentlich schon auf Festival-Temperatur warmgespielt, beehrten die Dark Rocker doch tags zuvor das ROCKHARZ Festival in Balingen. Von Ermüdung jedoch keine Spur, ziehen die Unzüchtigen mit ihrem Opener 'Der dunkle See' den Härtegrad und Düster-Faktor des Tages ordentlich an. Das mag auch an der raffinierten Beleuchtung liegen, die zu den ruhigeren Klängen des Songs nur Sänger Daniel Schulz ausleuchten, ehe die Instrumental-Fraktion um Daniel DeClerq, Toby Fuhrmann und Alex Blaschke ordentlich Dampf machen. Mitgebracht hat UNZUCHT ein buntes Festival-Set aus härteren Nummern wie 'Widerstand' oder 'Kettenhund', bei denen Daniel DeClerq nicht nur an Gitarre, sondern auch am Gesang brilliert, ebenso wie Stimmungsknaller ('Engel der Vernichtung oder 'Deine Zeit läuft ab'), bei denen das Publikum auch ohne Aufforderung zum Krachmachen den Lautstärkepegel nach oben hin ausschlagen lässt. Ein heißes Vergnügen, bei dem auch die Klimaanlage nichts mehr ausrichten kann. So verwundert es kaum, dass nach der UNZUCHT die Ersten den Bühnenbereich schon ein wenig abgekämpft zum Frischluft-Tanken verlassen.

Weiter geht es wesentlich industrieller: LORD OF THE LOST entert die Bühne mit 'Drag Me To Hell' zu futuristischer Ausleuchtung und teils besonders ausgefallenen Bühnenkostümen. Heraus sticht dabei vor allem Keyboarder Gared Dirge mit seiner Huldigung an Freddy Mercury, mit seinem unverkennbaren Schnauzbart und den schrillen Outfits. Abseits solcher Überraschungen präsentiert sich LORD OF THE LOST jedoch mit einer Live-Setliste, die sich in diesem Jahr schon auf einigen Open-Airs bewährt hat und auch in Neu-Ulm die Fans sichtlich zufriedenstellt. An die Ausläufer des synth-lastigen Finales von 'Drag Me To Hell' heften sich so weitere Stücke des aktuellen Albums "Empyrean", ehe zu 'Die Tomorrow' das erste Mal das Publikum zum Mitklatschen aufgefordert wird. Gekrönt wird der Auftritt der Hamburger von ihrer Samba-Kreation 'La Bomba', dem Party-Song der Schwarzen Szene überhaupt. Der Auftritt der Jungs in Neu-Ulm zusammengefasst: Das musikalische Wirken von LORD OF THE LOST in komprimierter Form. Respekt.

Bleiben wir gerade bei den elektronischen Klängen, doch beamen wir uns einige Jahre zurück in die Vergangenheit: Mit WELLE:ERDBALL hält der Retro-Charme Einzug in Neu-Ulm. Als riesiger Engel inszeniert, startet Lady Lila mit '1000 Engel-Tax-5 Remix 10' in das Programm, ehe Honey stilgerecht und mit viel Charme das Publikum mit den mittlerweile berühmten Worten "Meine Damen und Herren, sie hören WELLE:ERDBALL!" willkommen heißt. Den Gastgebern und ihrer Sturmfahrt angepasst, geht es mit den beiden charmanten Matrosinnen, Lady Lila und Fräulein Venus, und ihren blinkenden Rettungsringen unter der musikalischen Leitung von Kapitän Honey tief hinab: '20.000 Meilen unter dem Meer' lautet der zweite Titel ihrer neuen EP, die sie an diesem Abend unter das Publikum bringen. Ob Ovationen an den Commodore 64 mit dem Tanzbein-Trigger '23' oder die Liebeserklärung an die Vespa, 'Vespa 50N Special' - in Sachen Aufwendigkeit und Detailliebe lässt sich WELLE:ERDBALL an ihrem Auftritt aber auch gar nichts nehmen.

Zurück in härtere Gefilde lenkt schließlich COMBICHRIST das VOLLE KRAFT VORAUS Festival. Der Aggrotech der Jungs geht direkt in die Beine und ins Ohr, von Sänger Andy bis hin zum Schlagzeuger Joe Letz stehen hier mit der ganzen Band Profis auf der Bühne, die eine solch beeindruckende Live-Performance hinlegen, dass die kollektive Eskalation vorprogrammiert ist. Mit ihrer direkten und offensiven Art knallen sie einen Song nach dem anderen in die Halle. Ohne aufdringlich oder aggressiv zu wirken, bewahrt COMBICHRIST sich von Anfang an eine entspannte Coolness, die brachiale Nummern wie 'Skullkrusher' umso beeindruckender wirken lassen. Wer nach diesem Slot nicht außer Atem ist, ist selbst schuld: COMBICHRIST als letzter Act vor dem Gastgeber des Abends heizt unter anderem mit dem Ohrwurm 'Throat Full Of Glass' so ordentlich ein, dass spätestens jetzt in der ratiopharm Arena die Luft steht.

Zeit, wieder runterzukühlen, denn nun wird es eisig: Die Hausherren spielen zum krönenden Abschluss ihres Festivals schließlich mit anderthalb Stunden eine Full Show, die sie mit allerlei Leckerbissen gespickt haben. Ob dies nun die Geldschein-Kanone zum eröffnenden 'Verrückt' ist, bei dem Alex stilecht mit Zigarre und am Rednerpult den Geschäftsmann gibt oder seine emotionale Kehrseite zu 'Ohne Dich' - EISBRECHER spielt an diesem Abend auf der kompletten Klaviatur der Gefühle und adelt die Premiere des VOLLE KRAFT VORAUS Festivals mit einer Headliner Show, bei der wirklich ALLES stimmt. Von der grandiosen Lichtshow von Martin am Techniker-Pult bis hin zur Band selbst, die an diesem Abend wirklich in Top-Form ist. EISBRECHER setzt sich selbst mit diesem Auftritt ein Denkmal, an das man sich in Ulm noch lange erinnern wird. So etwa auch an die Premiere des neuen Songs  'Was Ist Hier Los?' vom neuen Album 'Sturmfahrt', mit dem Alex und Co ihre Fans vollkommen ausrasten lassen.

Mit dem VOLLE KRAFT VORAUS Festival setzt EISBRECHER in der Festival-Landschaft gleich beim Debüt ganz oben an. Ob beim Line-Up, der Logistik oder der Location - es gibt rein gar nichts zu meckern. Ich freue mich schon auf das nächste Jahr.

Redakteur:
Leoni Dowidat

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