WUCAN, LEE HARVEY & THE OSWALDS - München
05.03.2023 | 14:3128.02.2023, Backstage Club
Immer noch erste Sahne!
Über die Corona-Zeit habe ich meine Lieblinge von WUCAN ein wenig aus dem Fokus verloren. Erstaunlich, dass das selbst bei Bands mit zwei fetten Zehner-Alben ("Sow The Wind" und "Reap The Storm") passiert, die ich in der zweiten Hälfte der letzten Dekade wirklich sehr oft gehört habe. Doch das schon 2022 erschienene aktuelle Album "Heretic Tongues" ist tatsächlich erst vor Kurzem zur Erstbelauschung in meinem Player gelandet, quasi als Vorbereitung auf dieses Konzert. Und sagen wir mal so: Das Feuer wurde schnell wieder entfacht, und die Freude auf ein Wiedersehen mit Francis Tobolsky und ihren Boys entzündete sich demnach rapide.
Relativ kurzfristig wurde für den München-Gig auch ein Support names LEE HARVEY & THE OSWALDS angekündigt. Die Lokalmatadoren starten dann auch recht vielversprechend, wir hören eine ziemlich krude Mischung aus Experimental, Blues, Hard, Progressive und Psychedelic Rock, sauber gespielt und mit klarem Sound. Einzig die etwas quäkige Stimme von Frontmann Florian Bätz stört ein wenig im Gesamtbild. Doch eben jener wird es in der Folge auch sein, an dem sich die Geister scheiden sollen. Der Mann liefert eine skurrile, psychopathisch anmutende Bühnenperformance, die ich mit zunehmender Dauer unausstehlicher empfinde und am Ende will ich den Typen eigentlich nimmer sehen und sein gepresstes Resonanzorgan nicht mehr hören. Auch die Musik verliert sich nach dem guten Start; die Band zerstückelt ihre Songs mit "progressiven" und dissonanten Passagen, die ziemlich wahllos aneinander gereiht wirken und auf der Bühne passiert auch nicht allzu viel. Ich komme aber gegen Ende des Sets, als es heißt, "zwei Songs noch und ihr habt uns los", wieder etwas besser in die Musik rein und schaffe es sogar, ein paar Passagen zu genießen, allerdings nur mit geschlossenen Augen.
Aber jetzt WUCAN! Die Band legt los wie die Feuerwehr mit 'Kill The King', dem Opener ihres neuen Fegers "Heretic Tongues", der mir nach nur wenigen Spins so bekannt vorkommt, als würde ich ihn schon ewig kennen. Klassischer WUCAN-Sound! Und Francis' Stimme haut mich gleich bei den ersten Strophen mal wieder voll von den Socken. Sie hat sehr viel Power in den Höhen. Und klar, Fran ist natürlich nach wie vor der Hingucker der Band, ein Tausendsassa der eilig wie der Wind zwischen Gesang und Querflöte hin und her wechselt und später auch noch Theremin, Gitarre und Keyboard spielen wird. Und das alles mit einer Leichtigkeit, als wäre es ihr angeboren. Mit 'Father Storm' als zweitem Song haben sie mich dann wieder völlig in ihrer Hand. Der Song kam auch schon 2014 beim Hammer Of Doom-Festival, wo ich die Band das erste Mal sah. Ist das wirklich schon wieder neun Jahre her?
Ganz großes Kino ist dann auch 'Ebb And Flute'. Die schnellen Passagen laden zum hemmungslosen Zappeln ein, während das alles zusammenhaltende quergeflötete Doom-Riff nach Moshpits auf Sommerfestivals schreit. Aber nein, Metal ist WUCAN natürlich nach wie vor nicht, auch wenn der nächste Song 'Don't Break The Oath' heißt. Das ist eher High Energy Rock mit ganz vielen Proto-Metal-Vibes. Ach, ein Liebeslied soll das sein?
Die Band bleibt mit 'Far And Beyond' beim neuen Album, das ich wahrscheinlich bald ähnlich hoch einschätzen werde wie die Vorgänger. Was bitte ist das für ein großartiger Refrain? Und diese zweistimmigen Soli sind auch ein Novum im WUCAN-Sound, die sehr gerne weiter ausgebaut werden dürfen. An den zweiten Teil mit den Disko-Parts muss ich mich allerdings noch ein wenig gewöhnen. Weiter geht es dann mit zwei weiteren aktuellen und vergleichsweise straight rockenden Songs, bei denen man einmal mehr bewundern kann, wie tight und trotzdem verspielt die Rhythmus-Sektion von WUCAN ist. Basser Alexander Karlisch steht zwar immer ein bisschen im Dunkeln, haut aber mit einer Seelenruhe die coolsten Bass-Licks raus und hält mit Philip Knöfel die bisweilen etwas zappelig wirkende Musik zusammen. Und Francis nimmt einen großen Schluck von der Jägermeister-Flasche.
Eine kleine Überraschung gibt es dann bei 'Zwischen Liebe und Zorn', einem Coversong der KLAUS RENFT COMBO, einer alten ostdeutschen Rockband, die WUCAN gemäß der Ansage sehr beeinflusst hat. Ich höre gerade das Original und bedanke mich bei WUCAN für diese tolle kleine Geschichtsstunde. Toller Rock mit Flöte, Orgel und intelligenten Texten, der von WUCAN aber auch sensationell ins eigene Klanguniversum transportiert wird. Ach ja, die Überraschung: Tim George übernimmt hier einen Teil der Vocals, was ziemlich cool rüberkommt, vor allem wenn Francis ihn noch mit der zweiten Stimme unterstützt.
Und dann kündigt man nach nicht mal einer Stunde auch schon den letzten Song an. Wer aber schon mal bei WUCAN war, der weiß, dass das Konzert noch lange nicht vorbei sein wird, denn die Flötenrocker haben so einige Longtracks im Gepäck. Leider ist es diesmal nicht mein geliebter 'Wandersmann', aber man kann das ja nicht immer spielen. Diesmal fällt die Wahl auf 'Physical Boundaries', einmal mehr vom neuen Album, und eine gekürzte Version von 'Aging Ten Years In Two Seconds' im Zugaben-Part. Schade, dass hier der auf CD stets massiv gänsehäutende 'Melinda'-Part (Fans sollten wissen, was ich meine) gestrichen wurde. Ich muss gestehen, dass ich dem Song ganz am Ende nicht mehr ganz folgen kann und ich auch nicht sicher bin, ob danach noch ein weiterer kommt, denn es werden hier viele verschiedene Parts durcheinander gemischt und der Flow geht ein wenig verloren. Ich hätte zum Ausklang lieber noch 'King Korea' oder den 'Dopetrotter' gehört. Aber es ist ja kein Wunschkonzert und mein extrem guter Endruck von der Band wird dadurch keinesfalls geschmälert. Gerne bald wieder!
Setliste: Kill The King; Father Storm; Ebb And Flute; Don't Break The Oath; Far And Beyond; Fette Deutsche; Night To Fall; Zwischen Liebe und Zorn; Physical Boundaries; Aging Ten Years In Two Seconds (gekürzte Version)
Fotos: Nives Ivic (Powermetal.de)
- Redakteur:
- Thomas Becker