Wacken Open Air 2009 - Wacken
19.08.2009 | 21:5304.08.2009, WOA-Wiese
Ein Wacken der Rekorde war es in jedem Fall. Und ein Wacken, bei dem das Wort "Schweinegrippe" eine besondere Rolle spielte. Dazu machten noch rund hundert Bands auf mehreren Bühnen so viel Alarm, dass unmöglich alle zu sehen waren. Das Ergebnis: ein grandioses Wochenende, das dennoch auch Makel hatte.
Der Freitag ist da. Das schöne Wetter auch langsam wieder. Und NAPALM DEATH "from Birmingham, England" sagen "Prost" zum frühen Morgen um elf Uhr. Die Party Stage an der Seite des Wacken-Geländes ist zu dieser Zeit die eigentliche Hauptbühne für den Frühschoppen, der solche Grunz-Cocktails wie 'Suffer The Children' bietet. Und die Grindcore-Frühstückchen wie 'Deceiver', 'The Kill', 'Life?' und 'You Suffer' verputzen sie sogar in weniger als zwei Minuten. Nur der Sound ist etwas gewöhnungsbedürftig, besonders das Schlagzeug blechert so vor sich hin, blechert wesentlich lauter als die Gitarren. 'Nazi Punks Fuck Off' ist dann aber dennoch ein furioses Finale.
[Henri Kramer]
Dennoch sind auch bei VREID auf der Black Stage schon zahlreich Fans zugegen. Die coolen Norweger im Einheitslook legen auch gleich mächtig los und reißen das Publikum mit Songs wie 'Pitch Black' aus dem Schlaf. Mit ihrer Art des Black 'n' Roll sollte das aber auch kein Problem sein, wissen die Herren Musiker doch durch qualitativ hochwertige Kompositionen zu überzeugen, die zwischen sphärisch und knarzig hin- und herpendeln. Hut ab!
Im Anschluss gibt es eher ruhige, rockige Klänge zu bestaunen, denn UFO bitten zum musikalischen Stelldichein. Genau die richtige Musik am frühen Morgen, wenn das erste Bierchen noch nicht so richtig den Hals runter will. Hits wie 'Too Hot To Handle' oder 'Loser' dürfen nicht fehlen und verbreiten gute Stimmung. Von tosendem Applaus zu sprechen, wäre bei den Alt-Rockern aber übertrieben - dennoch machen UFO ihre Sache grundsolide.
Nachdem diese leichten Klänge besänftigen, ist es nun Zeit, aus diesem Prinzessinnenschlaf gerissen zu werden. Und wer eignet sich da besser als Nordmänner mit dem Hang zur Kriegsthematik? Richtig, ENDSTILLE selbst stehen auf der Black Stage. Sänger Iblis ist heute nicht zugegen, wird aber adäquat von KOLDBRANN-Fronter Mannevond ersetzt. Wobei man sich fragt, wie der so schnell alle deutschen Texte lernen konnte. Egal, ENDSTILLE brettern wie immer durch ihr Set, 'Bastard' oder auch 'Endstilles Reich' sind die Titel der nächsten 45 Minuten. Entweder, man mag das, oder man mag das nicht. Den meisten Leuten vor der Black Stage scheint es zu gefallen, und so verlassen ENDSTILLE unter großem Jubel die Bühne.
[Philipp Halling]
Parallel dazu: RETROSPECT. So eine Art Emo-Rock aus dem fernen Osten. Abgefahren schon. Und jugendlich frisch dazu. Richtig süß wirkt überdies, wie sie über alle Backen grinsen und sich mehrfach dafür bedanken, bei ihrem ersten Gig in Europa gleich in Wacken gelandet zu sein. Eine Randnotiz, wenn auch eine feine.
Die Großen spielen woanders. GAMMA RAY zum Beispiel. Auch eine von vielen ehrwürdigen Bands, die im vollgestopften Billing unterzugehen drohen. Doch die Fans lassen sich von zu vielen Namen nicht irritieren und machen den Gig für die Mannen um Kai Hansen zu einem schönen Erlebnis ihrer Karriere. Die Songauswahl für dieses Ereignis ist aber auch toll: 'New World Order', ein Medley von 'I Want Out' bis 'Future World' oder 'Somewhere Out In Space' sind nur einige der Titel, die deutsche Heavy-Metal-Geschichte geschrieben haben und hier von einer riesigen Menschenmenge abgefeiert werden. Da kann die Sonne auch noch so auf die Köpfe brennen. Zumindest Kai Hansen schützt sich mit einem Cowboyhut. Alles richtig gemacht. Und nun rüber zur Party Stage.
[Henri Kramer]
Bei TRISTANIA hat sich das Besetzungskarussell in den letzten Jahren dermaßen schnell gedreht, dass einem schwindelig wird. Im vergangenen Jahr spielte die Band beim WGT in Leipzig, als Frontfrau Mariangela Demurtas relativ neu war und so die Show hinter den Erwartungen blieb. In der Zwischenzeit wurden die Positionen am Schlagzeug und am Bass sowie der Gesangspartner neu besetzt, wenn teilweise auch nur übergangsweise. Also ist vor dem Wacken-Gig wieder alles anders als vor einem Jahr.
Bevor es richtig losgeht, herrscht in den ersten Reihen eine gute Stimmung. Scheinbar hat Ole Vistenes, der neue Mann am Bass, eine große französische Fangemeinde. Die ruft nicht nur lauthals seinen Namen, sondern stimmt einige landestypischen Weisen an. Gestartet wird mit 'World Of Glass', und schnell spürt man, dass die Sängerin viel mehr Selbstbewusstsein aufgebaut hat, als es noch vor einem Jahr der Fall war. In ihren Pumphosen wirkt sie lächerlich, ansonsten agiert sie aber souverän, heizt die Masse an und fährt schnell viele Sympathiepunkte ein, wobei der Sound nicht sonderlich toll ist, was aber nicht an der Band selbst liegt. Mit ihrem neuen Gesangspartner Kjetil Nordhus harmoniert sie gut. Und da ist es nicht weiter schlimm, dass die älteren Stücke 'Shadowman' oder 'Sacrilege' nicht so klingen, wie man sie von CD kennt. Das neue Soundgewand wirkt keinesfalls peinlich, nur bei den hohen Passagen wie beispielsweise 'Angellore' hält sich die Sängerin vornehm zurück. Getreu der Devise: lieber etwas weglassen, als es schlecht darzubieten. Der Großteil der Fans sieht das genauso und geht bei den Stücken gut ab, wobei sicherlich viele dem alten Sound nachtrauern. Mit 'The Emerald Piper' spielen sie einen neuen Song, und selbst der kommt ordentlich an. Bevor das letzte Stück erklingt, stachelt Bassist Ole die Menge noch einmal an, in kollektiven Jubel zu verfallen. Die kommt dem Wunsch nach, und er kann von der Bühne aus noch ein schickes Erinnerungsfoto des Gigs machen.
[Swen Reuter]
Die aus Detroit stammenden WALLS OF JERICHO reißen derweil auf der Black Stage mit der Brachialröhre Candace Kucsulain jede Wand ein, und so wird das Publikum mit freudebringenden Ansagen "Let's have a great time" animiert. Die springenden Fans toben sich vor der gesamten Bühne aus, so dass bei Songs wie 'The American Dream' und 'All Hail The Dead' parallel verlaufende Circle Pits entstehen, die karussellartig über das Gelände verteilt verwirbeln. Hardcore-Schüsse ins Genick fallen bei 'A Trigger Full Of Promises', es folgen von Candace angestachelte "Fuck!"-Sprechchöre. WALLS OF JERICHO beenden ihre knallende Liveshow mit 'Revival Never Goes Out Of Style'. Yeah!
[Irina Sarkissow]
Einen durchwachsenen Auftritt legen NEVERMORE hin. Nach anfänglichen Soundproblemen läuft es technisch glücklicherweise einwandfrei. Warrel Danes Stimme klingt zwar leicht angeschlagen, trotzdem sorgt die A-cappella-Einleitung zu 'Dead Heart In A Dead World' für Gänsehaut. Leider sinkt die Stimmungskurve mit jedem Lied weiter nach unten. In den ersten Reihen wird zwar noch gefeiert, aber nach hinten wird es immer weniger. Immerhin bringen die Fans von NEVERMORE einen Circle Pit zustande. Den von Dane gelobten Stagediver-Andrang des vergangenen Wacken-Auftritts toppen sie allerdings nicht. Nur wenige lassen sich zu 'Born' über die Menge tragen.
[Pia-Kim Schaper]
Aber, aber, aber: NEVERMORE sind dennoch die heimlichen Stars dieses Festivals - und auch ein wenig überraschende Gewinner. Denn der Sänger und seine Ausnahmestimme sind nach Jahren der alkoholischen Selbstzerstörung - inzwischen haben sie zum Glück aufgehört - längst keine Selbstverständlichkeit. Und so rührt es einen zu Tränen, wenn dieser hässliche, inzwischen auch verbraucht wirkende Typ auf der Bühne steht und plötzlich mit einer Stimme singt, die in dieser Art einmalig im Metal ist. So klingen Titel wie 'The Heart Collector' oder 'Enemies Of Reality' einmal mehr außergewöhnlich, wie hörbar gewordene Diamanten, die in sich Geschichten von Dramatik und großem Pathos bergen. NEVERMORE geht immer.
[Henri Kramer]
Die australischen AIRBOURNE, die stets den Vergleich mit ihren Landskollegen AC/DC standhalten müssen, hauen danach so richtig auf die Kacke. Schon im Vorjahr bewiesen sie, dass sie aus dem Holz des wahren Rock 'n' Roll geschnitzt sind. Keine Kompromisse, keine Beschönigungen und einfach reine Lebenslust, welche schier zu explodieren droht, als Sänger und Gitarrist Joel O' Keefe mitsamt seiner Stromaxt das Bühnengerüst hochklettert. Es ist einfach toll, inmitten von gelangweilt-routinierten Acts eine frische junge Band zu erleben, die noch zu hundert Prozent Feuer unterm Arsch hat und ihre Körper zur Musik bewegt, als hätten sie einen ganzen Laster voll Batterien gefressen. Ganz so cool und crazy wie Altmeister Angus Young agieren die Saitenbediener zwar nicht, aber dass sie Leidenschaft und Drive antreibt, merkt man ihnen ohne weiteres an. Das Publikum zeigt sich auch angetan, und ohne Tomaten auf den Augen zu haben, wird geschunkelt und verinnerlicht - schließlich muss man sich noch an die Musik herantasten, viele sind schließlich noch nicht so mit AIRBOURNE vertraut. Nichtsdestotrotz können Songs wie 'Runnin' Wild', 'Stand Up For Rock 'n' Roll' oder 'Too Much, Too Young, Too Fast' für kräftig Beschallung am späten Nachmittag sorgen - egal ob an der Fressbude, auf dem Campingplatz oder direkt vor der Bühne in den ersten wie hinteren Reihen.
[Markus Sievers]
Parallel geht's auf zur rasanten Sause mit DRAGONFORCE! Die Briten haben wieder mal eine große Show mit Podest, vielem Hin- und Herrennen und natürlich ordentlichen Posen. Diese Energie springt sofort auf das Publikum über. Die Party-Stage wird ihrem Namen endlich gerecht: hüpfende und segelnde Körper, soweit das Auge reicht - und zwischendrin hochgereckte Hörner. Auch in punkto Styling liegen DRAGONFORCE vorne, allenfalls die GWAR-Kollegen können ihnen vielleicht noch Konkurrenz machen: Sänger ZP Theart trägt einen schicken Cowboyhut, Keyboarder Vadim Pruzhanov eine enge, neongelbe Hose, und auch der Rest der Band hat sich rausgeputzt. Bei einem so hohen Partyfaktor sehen die Fans gerne darüber hinweg, dass eigentlich ein Song wie der andere klingt und DRAGONFORCE die Bühne ein bisschen zu früh wieder verlassen.
[Pia-Kim Schaper]
Vor drei Jahren spielten die Drachentöter von HAMMERFALL mal wieder auf dem Wacken Open Air - und konnten damals nicht wirklich überzeugen. Mit einem neuen starken Album im Gepäck und dem schon am Vortag prima gelaunten Oscar (zu meinem Erstaunen total erblondet) soll nun aber doch die Eroberung der True Metal Stage gelingen. Schon das Intro sorgt für Gänsehaut, die sich beim Opener 'Blood Bound' in reine Ekstase verwandelt. Die Stimmung ist sofort auf dem Siedepunkt, was nicht nur an den heißen Temperaturen liegen kann. Nach dem darauffolgenden 'Renegade' richtet sich Frontmann Joacim ans Publikum, da er sich unglaublich freut, zum fünften Mal auf dem Wacken Open Air spielen zu dürfen, und kündigt 'Hallowed Be My Name' an, in dessen Verlauf sich Drummer Anders mal eben die Hose herunterzieht und seinen weißen Hintern in die Kamera hält. Yo, jetzt haben mal eben 50.000 Leute deinen Arsch gesehen. Darauf Prost! Doch die Party kennt keine Grenzen, und so surfen bei 'Last Man Standing' mal eben vier Typen in Strahlenschutzanzügen über die Köpfe der Leute hinweg. Sicher ist eben sicher in Zeiten der Schweinegrippe.
HAMMERFALL triumphieren heute und zeigen den Jungs von MANOWAR mal eben, wie eine Live-Show zu sein hat. Als dann auch noch 'Glory To The Brave' gespielt wird, ist es endgültig um mich geschehen. Wie geil ist das denn? Wohl nur die besoffenen Optimisten hätten diesen epischen Oberhammer heute in der Setlist vermutet. Wacken feiert die erste richtige Metal-Party des Tages, so dass es sich auch der Weihnachtsmann nicht nehmen lässt, bei 'Riders On The Storm’ eine Crowdsurfeinlage zu vollziehen.
Nachdem sich Joacim bei allen Fans für den tollen Charteinstieg von "No Sacrifice, No Glory" bedankt hat und das wunderbare 'Any Means Necessary' aus den Boxen jagt, fordert er die alten Fans, den neuen beim folgenden 'Let The Hammer Fall' kraftvoll zu zeigen, wo der Hammer wirklich hängt. "Zugabe!"-Rufe erfüllen im Anschluss das weite Rund, mit dem abschließenden 'Hearts Of Fire' wird der Wunsch auch stimmungsvoll erfüllt. Ob an diesen Auftritt heute noch jemand heranreichen kann? Einfach großartig!
[Enrico Ahlig]
Setlist HAMMERFALL
Intro
Blood Bound
Renegade
Hallowed Be My Name
Last Man Standing
Heading The Call
Glory To The Brave
Life Is Now
Riders On The Storm
Any Means Nessecary
Let The Hammer Fall
Hearts On Fire
Auf der Wet Stage schwingen derweil WHIPLASH die Old-School-Thrash-Keule und bringen das zum Zerbersten gefüllte Zelt gut in Wallung. Partystimmung macht sich breit, und das Auditorium löst die Haargummis, um kräftig die Matte zu schwingen. Gewöhnungsbedürftig ist sicherlich die enorm hohe Stimme von Sänger Tony Portaro. Doch so war das nun mal in den Achtzigern; da wurde halt nicht gegrunzt, sondern möglichst schrill gesungen. WHIPLASH macht es sichtlich Spaß, vor dem abgehenden Publikum zu spielen, und so geben sie alles, um den Pegel zu halten, was ihnen auch gelingt. Verschwitzt und vergnügt beenden sie nach fünfzig Minuten einen formidablen Gig.
[Philipp Halling]
Fast parallel dazu wird das Wikinger-Areal von Piraten in Atem gehalten. Solche Songs wie 'Cruise Ship Terror' lassen die Thrash-Bolzen auf die große Fanschar vor der Bühne los. Und selbst hier schaffen es ein paar verrückte Zuschauer, eine Wall Of Death anzuzetteln. Sollten diese Typen keine Eintagsfliege sein und weiter so qualitativ hochwertige Metal-Kracher schreiben, könnten sie irgendwann einmal die Enkel-Anträge bei RUNNING WILD unterschrieben bekommen. Bis dahin müssen sie aber noch viel Spaß verbreiten. Ranhalten! Und wohl keiner vor der Wiki-Bühne denkt in diesen Augenblicken an die Hauptband, die sich auf der Black Stage beginnt zu vermarkten.
[Henri Kramer]
Waren BULLET FOR MY VALENTINE mit ihrem Debüt "The Poison" noch bedingt durch üble Mund-zu-Mund-Lästerei und Falschklassifizierung verkannt, gehasst und verschrien unter klassischen Metalheads, konnten sie mit dem 2008er Werk "Scream Aim Fire" zumindest bei einigen dem Vorwurf "Emo meets Metal" entkommen. Meine Wenigkeit konnte an dieser Combo noch nie etwas Derartiges entdecken, und hört man tatsächlich aufmerksam zu und richtig hin, stößt man eher auf extrem traditionelle NWOBHM-artige Gitarrenstrickmuster und Neo-Thrash-Riffs (und gewiss noch auf diverse poppige Anbandelungen), statt auf musikalische Elemente des emotionalen Hardcore. Umso verwunderlicher erscheint mir der Emo-Vorwurf, wenn man bedenkt, dass Sänger Matt Tuck meist METALLICA-Shirts trägt und ab und an auch mal seine Spandex aus der Garderobe holt. Natürlich wollen das weder Emokids noch Metaller bemerken - was wirklich schade ist, legt die Band auf dem diesjährigen Wacken Open Air doch einen höchst bruchfesten und kraftvollen Gig hin, der zwar unerqicklicherweise nicht an die Qualität der Club-Shows heranreicht, aber trotzdem noch genug Dampf macht, um als waschechter moderner Metal durchgehen zu können. Zwar hält sich die Anzahl der vor der Bühne positionierten Fans in Grenzen, aber nichtsdestotrotz kann man mit 'Eye Of The Storm' und 'Waking The Demon' schon punkten, heben besagte Nummern ja auch klar die Neo-Thrash-Schlagseite der Waliser hervor. Die Ausrufezeichen müssten nur noch von den Traditionalisten deutlicher wahrgenommen werden, ganz vorurteilsfrei und ohne schmähende Wutausbrüche.
[Markus Sievers]
Der wahre Meister der treibenden Gitarren-Bass-Musik tritt trotzdem erst danach auf. "We are MOTÖRHEAD and we play Rock'n'Roll", schnäuzt Lemmy Kilmister in das Mikro, das vor ihm steht. Nachdem er diese eherne Feststellung getroffen hat, folgt ein Gig, der für all die positiven Eigenschaften steht, die das Image von MOTÖRHEAD prägen: rotzig, immer noch frech, der alte Bastard unter den Bands. Songs wie 'Another Perfect Day' schallen weithin über den Acker, die Fans verleben ausgelassene Viertelstunden vor Bierständen, in der Nähe von mobilen Bierliefernaten mit dicken Tanks auf dem Rücken oder mit einem Bier in der Hand, nebenan die besten Kumpels. MOTÖRHEAD-Konzerte sind eigentlich schon Kuschel-Events. Hier prostet, was zusammengehört, etwa beim obligatorischen wie genialen Drum-Solo von Mikkey Dee. Dabei ist die Show in Wacken gleichwohl eine besondere, etwa als bei 'Killed By Death' viele leichtbekleidete Mädchen die Bühne entern und ein anerkennendes Grinsen von Meister Lemmy ernten. Selbst SKEW SISKIN-Sängerin Nina C. Alice darf noch mitsingen. 'Overkill', im besten Sinne des Wortes. Zeitgleich wird aber auch anderswo gefeiert.
[Henri Kramer]
Ab und an soll man ja auch mal etwas Neues ausprobieren. An NERVECELL kann man diesen Vorsatz ausprobieren, und wenn es schon eine unbekannte Band sein soll, dann bitte etwas wirklich Exotisches. Heavy Metal aus den Vereinigten Arabischen Emiraten präsentieren uns die Jungs - zumindest wird das so im Programmheft angepriesen. Das Wet-Zelt ist nur gut zu einem Viertel gefüllt, als die Herrschaften loslegen. Wirklich schlimm ist das nicht, denn damit bleibt für den Rest mehr Bewegungsfreiheit. Schon beim ersten Song zeigt sich, dass das hier ein schweißtreibender Auftritt werden wird und mit Heavy Metal nicht wirklich viel zu tun hat. Der Sound des Quartetts entpuppt sich vielmehr als gepflegter Death Metal mit einem Schuss Hardcore und aggressiven Growls. Sehr fein! Weiter geht es mit 'Human Chaos' und Sänger Rajeh Khazaal ruft die Anwesenden zu einem Circle Pit auf, dem selbige sofort folgen. Vor der Bühne geht es nun zur Sache, und selbst die, die weiter hinten stehen, sind von der Stimmung beeindruckt, sie klatschen begeistert. Nach und nach feuern NERVECELL so einige Nackenbrecher ab, bevor mit 'Demolition' das letzte Stück erklingt und ein kleiner, aber feiner Auftritt zu Ende geht, der sich als ein richtiges Highlight des Festivals entpuppt.
[Swen Reuter]
Eine echte Super-Allstar-Death-Metal-Gruppe entert die Wet Stage danach. INSIDIOUS DISEASE bestreiten ihren ersten offiziellen Gig, auch ein Album haben die Jungs noch nicht vorzuweisen. Aber das angekündigte Star-Aufgebot um Silenoz (DIMMU BORGIR), Shane Embury (NAPALM DEATH) und Marc "Groo" Grewe (ex-MORGOTH) am Mikro lässt ja nur Gutes hoffen. Und was da von Anfang an aus den Boxen hämmert, ist dann auch erste Sahne. Schnelle Riffs, Blastbeats allerorten, es ist eine wahre Freude. Die Künstler haben gute Laune, die kommt rüber, und das Publikum dankt es mit massenweise Applaus und Headbangen. Da stört es auch nicht, dass 'Bloodshed' zweimal angekündigt wird. Weitere Highlights: 'Nuclear Salvation' und 'Boundless'. Bleibt nur, sich auf das Album und eine Tour zu freuen.
[Matthias Köppe]
Zurück zu den Großen. 'Only For The Weak' sind die schwedischen Melodic-Deather von IN FLAMES sicher nicht. Nach einem Video-Intro aus der Augenperspektive eines verplanten Dudes, der nach passender Musik im Radio sucht und endlich auf IN FLAMES stößt, beginnt die Sause mit einer Pyroshow, die sich durch den gesamten Gig ziehen wird. Visuell beeindruckend strahlen auch die Pixelwände, hinter denen die Silhouetten der Bandmitglieder zu erkennen sind. Mit Hüpfknüllern wie 'Cloud Connected' und 'Disconnected' bieten IN FLAMES, die leider etwas defensiv und geschwächt wirken, ein sicher dargebotenes Set. Für Überraschung sorgt das durch ein Akustikgitarren-Intro balladesk eingeleitete Meisterwerk 'Alias'. Und ein Highlight ist mit Sicherheit der wohl langsamste Circle Pit des Festivals, der zu der herzzerreißenden Ballade 'The Chosen Pessimist' ausgerufen und umgesetzt wird. Sogar hartgesottene Metalheads müssen da heulen. Nach einem Comic-Minimalvideo folgt eine augenschmeichelnde Rotlichtshow, und letztendlich erstrahlt beim Abschlusssong 'My Sweet Shadow' ein dem Jubiläums-Festival würdiges Feuerwerk.
[Irina Sarkissow]
Mit den gleichzeitig spielenden IN FLAMES haben EPICA eine starke Konkurrenz. Gut, was da gerade auf der Black Stage geboten wird, ist musikmäßig komplett anders, doch gegen solch eine Größe anzukommen, scheint schwer. Dennoch ist es vor der Party-Bühne sehr voll. Wer sich für diesen Auftritt entschieden hat, soll nicht enttäuscht werden, denn die Holländer liefern eine feine Show ab. Sängerin Simone Simons scheint von ihrer schweren Krankheit gut erholt zu sein und legt mit einer enormen Power los. Es ist schon erstaunlich, welch gewaltige Stimmkraft in diesem zarten Persönchen steckt.
Über die Fans legt sich eine Stunde lang ein Gewitter aus bombastischem Sound, krachenden Gitarren, gepaart mit dem Wechselgesang von Opernstimme und tiefen Growls. Zum Intro 'Indigo' kommen erst einmal die Jungs auf die Bühne und werden sofort von den Fans gefeiert. Ein paar Mal schießen die Flammen in die Höhe, und weiter geht es mit 'The Obsessive Devotion'. Erst jetzt kommt Simone auf die Bühne, dabei bricht erneut ein großer Jubelsturm aus. Im Anschluss stellt sie ihre Band noch einmal vor, und danach rockt 'Sensorium'. Später gibt es eine kleine Verschnaufpause zu dem ruhigen 'Cry For The Moon', das bei den ersten Tönen bereits begeistert empfangen wird. Simone rührt danach die Werbetrommel für das neue Album, welches im Oktober erscheint, und schon geht es weiter mit 'Quietus' und kollektivem Haareschütteln, sowohl auf der Bühne als auch davor. Immer wieder heizen die Musiker die Stimmung im Publikum an, das sich das nicht zweimal sagen lässt. Der Gig wird mit 'Consign To Oblivion' beendet, die Band fordert die Fans noch einmal zu Höchstleitungen heraus, die bis zum Ende durchhalten und noch lange frenetisch jubeln.
[Swen Reuter]
Es geht pünktlich mit DORO weiter. Nach dem Intro kommt nicht etwa ein schneller Gassenhauer, sondern es geht zur kurzen Verwunderung mit der tollen Ballade 'Für immer' los, die zum Mitgrölen animiert. Man merkt schnell, dass die deutsche Metal-Queen sehr viel Spaß an dem Auftritt hat, denn sie feiert mit dem Publikum das zwanzigste W:O:A-Jubiläum wie ihr eigenes. Als dann noch die alten Lieder wie 'Burning The Witches' zum Besten gegeben werden, ist das Publikum nicht mehr zu halten.
[Wolfgang Kuehnle]
Und nachdem sie am Vortag die Metal-Hammer-Awards auf der Black Stage verlieh, gibt sich nun Sabina Classen von HOLY MOSES noch einmal die Ehre und singt mit DORO den zum Jubiläum passenden Song 'Celebrate'. Feierstimmung kommt auch bei dem JUDAS PRIEST-Cover 'Breaking The Law' auf, wonach DOROs Vorzeigesong 'All We Are' folgt.
[Irina Sarkissow]
Mit SARKE hat nun die nächste Allstar-Gruppe das Zepter übernommen. Mastermind Sarke (KHOLD, TULUS) und Sänger Nocturno Culto (DARKTHRONE) stehen ja für geschmackvolle Gitarrenunterhaltung. Doch was dann geboten wird, ist eher uninspiriert und langweilig. Die Songs des Debütalbums "Vorunah" kommen eher schleppend daher, auch der wohl geistig abwesende Nocturno Culto ist kein Ausbund an Freude. Einziges wirkliches Highlight: der Gastauftritt von Tom Gabriel Warrior (ex-CELTIC FROST). Er performte mit der Band den CELTIC FROST-Klassiker 'Dethroned Emperor'. Alles in allem aber ein enttäuschender Auftritt. Wirklich schade, man hätte mehr erwarten können.
[Matthias Köppe]
Zum Abschluss des Freitagabends hagelt es noch einmal richtig Pyros: ASP rocken auf der Party Stage, AMON AMARTH nehmen die Black Stage auseinander. Wieder einmal wird mir bewusst, wie groß die Wacken-Bühnen sind: Füllt das Wikingerschiff der Schweden manch andere Bühne komplett aus, ist in Wacken noch ordentlich Luft auf den Brettern. So bleibt Platz für reichlich Dekoration in Form von Soldatenfiguren und Schaukämpfern.
Das Set der Death-Metaller besteht zur Hälfte aus Songs des aktuellen Albums "Twilight Of The Thunder God". Hier ist besonders hervorzuheben, wie die Band im Cello-Part von 'Live For The Kill' andächtig in blauem Nebel steht. Doch auch 'Guardians Of Asgaard' rockt und sorgt für gute Stimmung. Natürlich kommen aber auch Hits wie 'Victorious March' (leider nicht wie erhofft in Deutsch) oder 'Cry Of The Black Birds' nicht zu kurz.
[Pia-Kim Schaper]
Geisterstunde in Wacken. Es ist zwei Uhr morgens, und die Gothic-Rocker von ASP entern die Party Stage. Und es hat seine Gründe, warum ich die Frankfurter den tobenden Wikingern von AMON AMARTH, die parallel ihre Death-Metal-Bolzen in die Menge schießen, vorziehe. Denn das letzte Album "Zaubererbruder" war ein musikalischer Genuss höchsten Grades, welcher in der jetzt erscheinenden neuen DVD "Von Zaubererbrüdern" gipfelt. Also ab dafür.
Mit 'Ich bin ein wahrer Satan' legen die Frankfurter stimmungsvoll los. Doch für Mastermind Asp nicht stimmungsvoll genug. "Seid ihr noch wach?", fragt er, worauf er ein lautes "Jaaaaa!" vernehmen kann. "Dann bewegt euch!" Leider leidet das gute Konzert an einem miserablen Sound, so dass man sich gut zwanzig Meter vor der Bühne noch in normaler Lautstärke mit seinem Nachbarn unterhalten kann. Die Gitarren sind ebenfalls viel zu leise, so dass der Gig soundtechnisch extrem leidet. ASP versuchen, das Beste aus der Lage zu machen, und bieten mit 'Denn ich bin dein Meister' sowie 'Krabat' zwei Songs der aktuellen Scheibe. Der Rest ist ein bunter Songstrauß aus den zahlreichen älteren Werken wie die Blumen 'How Far Would You Go?', 'So viel tiefer' und dem abschließenden und wahnsinnig abgefeierten 'Ich will brennen'. Guter Auftritt, der aber unter einem sehr schlechten Sound gelitten hat. Wer die Band bereits bei gutem Sound gehört hat, wird wissen, was ich meine. Gute Nacht!
[Enrico Ahlig]
- Redakteur:
- Henri Kramer