A PERFECT CIRCLE - Thirteenth Step
Mehr über A Perfect Circle
- Genre:
- Progressive Rock
- Label:
- Virgin / EMI
- Release:
- 15.09.2003
- The Package
- Weak And Powerless
- The Noose
- Blue
- Vanishing
- A Stranger
- The Outsider
- Crimes
- The Nurse Who Loved Me
- Pet
- Lullaby
- Gravity
Sobald Geräusche wohlgeformt den Äther durchdringen und uns in ihren Bann ziehen, keine Bewegung mehr erlauben, bis auf ein leises Lächeln auf den Lippen, dann sprechen wir von Musik. Wenn diese im Grunde genommen profane Ansammlung koordinierten Krachs nun bis an unser Innerstes, unser Kostbarstes dringt und uns für eine kleine Ewigkeit schwerelos zurücklässt, so mag man es Kunst nennen. Einige Stücke werden mehr Menschen beeinflusst haben als es die Gesellschaft oder die Familie getan hat. Manche Lieder begleiten uns als Stück unseres Selbsts, untrennbar vom Ganzen nehmen sie teil an unserem Leben. Zurückblickend erlaube ich mir ohne Hohn zu sagen, dass diese angesprochenen Fragmente mich zu dem machten, was ich jetzt bin. Musik kann, sofern Gefühl mit Virtuosität gepaart, Augen öffnen. Musik kann, sofern sich Geist hinzugesellt, Bewusstsein erweitern. Diese euch vorliegende Schrift ist keine banale Rezension, auch keine möglichst objektive Erarbeitung eines vergänglichen Informationsträgers. Andere können das besser und wissen sich sicher auch dabei geschickter auszudrücken als ich es jemals vermag. Was folgt, ist ein vollkommen subjektiver, platonischer Liebesbrief, vordergründig getarnt als Besprechung von A PERFECT CIRCLEs "Thirteenth Step", indirekt an einen der größten Künstler unserer Zeit. Meine Schlussfolgerung dürftet ihr nach dieser Einleitung bereits erahnt haben. Lasst mich trotzdem fortfahren.
Gut, und um vom Gesäuselpedal ein wenig herunterzusteigen, schreiten wir voran in ein feines Kapitel der jüngeren Musikgeschichte. A PERFECT CIRCLE sind nach ihrem Debüt, wenn man das bei einer Gruppe, welche aus größtenteils bereits mehr oder minder erfolgreichen Musikern besteht, überhaupt so bezeichnen kann, wohl fast jedem bekannt, der sich mit Musik ein wenig intensiver auseinandersetzt. "Mer De Noms" war das Ergebnis einer fruchtenden Zusammenarbeit zwischen Billy Howerdel, seines Zeichens Gitarrentechniker für Größen wie die SMASHING PUMPKINS oder die NINE INCH NAILS, und Maynard James Keenan, welcher sowohl durch seine herausragende Stimme als auch durch seine grandiosen songwriterischen Fähigkeiten bei TOOL mehr als einmal sein Talent beweisen konnte. Besagte Herren begegneten sich bei den Aufnahmen zu TOOLs Meilenstein "Aenema". Howerdel präsentierte während einer Pause unserem Gesangskönig Maynard seine Ideen und dieser war begeistert. Unbedingt wollte er bei dem zu vollziehenden Projekt dabei sein. Neben den beiden formierten sich noch Josh Freese (dr), Paz Lenchantin (b) und Troy Van Leeuwen zu A PERFECT CIRCLE. Das Erstlingswerk "Mer De Noms" entstand und fiel als intelligente Mischung irgendwo zwischen den SMASHING PUMPKINS und härterem Rock aus und wurde von Presse wie Musikliebhabern stürmisch gefeiert, zudem war es auch kommerziell ein einträglicher Spaß für Band als auch Label.
Nun haben sich seit dem Jahre 2000 ziemlich viele Zeitpartikel davongemacht und auch an der Besetzung ist es nicht spurlos vorbeigegangen. Paz Lenchantin turtelte mit Billy Corgan und ZWAN durch die Weltgeschichte, nur um Jeordie White, besser bekannt als MARYLIN MANSONs ex-Bassist Twiggy Ramirez, ihren Platz anzubieten. Als Ersatz für Troy Van Leeuwen zupft nun James Iha den Sechssaiter … ja, richtig gehört, DER James Iha, ehemaliger Gitarrero von den Smashing Pumpkins. Die Komposition an sich stammt wie beim Vorgänger in so gut wie allen Fällen von Billy Howerdel und Maynard, aber auch die ehemaligen Mitglieder plus Josh Freese haben noch auf 'Gravity' ihre Spuren hinterlassen. Auch 'Crimes' ist eine Gemeinschaftsarbeit von den beiden Hauptschreiberlingen, dem seeligen Drummer und Neu-Bassist Jeordie White. Zudem befindet sich auf dem optischen Flachteller eine Coverversion von 'The Nurse Who Loved Me', welche ursprünglich von FAILURE, also der ex-Band von ex-Gitarrist Van Leeuwen, in die Welt gesetzt wurde. Die Auswahl der Stücke und deren Qualität darf man ohne Lobhudelei als erlesen bezeichnen. Zu erkennen ist von Anfang an, dass auch "Lateralus" bei der Konzeption seine Redeminuten hatte. Solche Härte, welche einige Lieder bestimmt, fand man beim Vorgänger höchstens mit 'Judith' und auch dieser Song bildete dort die große Ausnahme. Lassen wir den heißen Brei mal beiseite und begeben uns auf eine kleine Reise in das, was vielleicht die beste CD des Jahres sein könnte. Ob der Albenname übrigens auf einem Witz alteingesessener anonymer Alkoholiker oder auf dem Programm der Church of Christ basiert, müsst ihr selbst herausfinden. Zumindest habt ihr jetzt ein paar Suchwörter für Google zum Nachforsten.
"Thirteenth Step" beginnt bedächtig mit 'The Package'. Wer sich an die Live-Acoustic-Version von '3 Libras' erinnert, trifft nun ihren großen Bruder. Düster-melancholische Arrangements und das angesprochene hypnotische TOOL-Element bauen sich zu einem heftigen Intermezzo an den Rhythmushölzern auf. Eine unglaublich abwechslungsreiche Songstruktur mit vielen Hochs und Tiefs, wobei interessanterweise im Gegensatz zu "Mer De Noms" der Bass (Twiggy sei Dank) aktiv als Gerüst fungiert, das hervorragende, tribaleske Drumming von Josh Freese und der keine Kritik duldende Gesang von Maynard bieten einen grandiosen Auftakt. Dem schließt sich nahtlos 'Weak And Powerless' an und hierbei ist die Fusionierung vom A PERFECT CIRCLE-Vorgänger und "Lateralus" vielleicht am ehesten zu spüren. Überirdische Gesangslinien und vielspuriger Refrain (Keenan in jeder Hirnwindung) sitzen an einem Tisch mit wummernder Untermalung und spielen Skat. Einmal mehr müssen wir Gott/Satan/Kanzler Schröder dafür danken, dass er Geordie White auf die Welt brachte. Dies wird im Übrigen auch die erste Single-Auskopplung sein. 'The Noose' ist dann schon wieder APC, wie man sie gewohnt war. Verspieltes Songwriting richtet sich kurz zu voller Größe auf, um wenig später wieder da zu enden, wo es begann. Und die ist ein weiterer Punkt, welcher auf der Positivliste zu vermerken ist. Kaum ein Lied lässt sich vorhersehen, der Hörer bekommt Überraschungen wie beim ersten Kindergeburtstag geboten. Und wo wir gerade wieder auf der traditionellen Schiene sind, gibt es mit 'Blue' auch gleiche etwas auf die Ohren. Große Atmosphäre und ... ja, ja, ich weiß, dass das nervt ... MAYNARD! ..., aber auch Howerdels Gespür für den Song geben uns Einsicht in die Vielschichtigkeit dieses Langspielfrisbies. Von einigem Kreischen der Gitarren gefolgt, endet dies fließend in 'Vanishing' und dieses Stück lässt einem die Kinnlade auf den Boden klatschen. Mit einem einzig und allein von Maynard gesungenen Choral und der exakt zum Gesang passenden hämmernden Untermalung beginnt es, färbt sich hiernach ein wenig blasser, um seine ganze Persönlichkeit in einer träumerischen Sequenz zu entfalten. In die selbe Kerbe schlägt 'A Stranger', offeriert eine Akustikgitarre sowie eine schwebende Streicheruntermalung. Kurze Zeit droht das Stück auszubrechen, wird hingegen von Keenan (ich bin verliebt!) und einem einsamen Piano in Zaum gehalten. Das vorab veröffentlichte 'The Outsider' erlaubt einmal mehr beizeiten den TOOL-Vergleich, solch eigenständige Lyrics, begleitet von ... JA! ... MAYNARD! ... sucht man weit und breit. Vielleicht ist dies der brachialste Track auf "Thirteenth Step", aber nicht anbiedernd, sondern das Konzept umrahmend. 'Crimes' beginnt mit einer Nachhilfestunde in Mathematik. Wir bekommen erst einmal alle Zahlen von eins bis zehn aufgezählt, plötzlich stoppt die Musik und Proberaumgespräche, zumindest kann man das denken, sind zu hören. Strange, aber so lieben wir sie. "Opiate"-Erinnerungen an den Hidden Track weckt dann 'The Nurse Who Loved Me'. Abgedrehtes fügt sich mit dem nicht minder wirren Text zu einem Puzzle zusammen, welches so schnell nicht aus dem Gehörgang verschwinden will - überwältigend. Ein weiterer Knaller ist mit 'Pet' vertreten. Wenn ihr das Wort Dissonanz noch nicht kennt, dann wisst ihr nach dem Genuss dieses Songs ganz sicher, was das ist. Oberflächlich ein Wiegenlied, bringt es so viele Emotionen mit sich, dass ich das Gehörte nicht in Worte fassen kann. Das Brückenstück zu 'Gravity' stellt 'Lullaby' dar, ein kurzes Instrumental, dessen Titel ja für sich sprechen dürfte. Den Abschluss kann man vielleicht als kleines Dankeschön an die ehemaligen Mitglieder verstehen, muss man aber nicht. Atmosphäre, Atmosphäre, ATMOSPHÄRE! "I am surrendering to the gravity and the unknown", zum Schweben schön.
Viele Einflüsse haben "Thirteenth Step" zu einem, kurz und knapp, Meisterwerk gemacht, das seinesgleichen sucht. Nach dem TOOL-Überalbum "Lateralus", an welchem viele Fans auch A PERFECT CIRCLE messen, solch grandiose Kunst zu erarbeiten, das verdient nicht nur Respekt, sondern aufrichtige Verehrung. Zudem ist eine Tendenz zur Verschmelzung von Musik und Gesang zu erkennen, welche den Hörer alles vergessen lässt. Definitiv ein Kopfhöreralbum zum Erschließen und darin Verlieren. "Thirteenth Step" ist ein unumwindbares Muss für jeden, der von Musik Schönheit und mehr als nur die nackte Fassade erwartet. Wer ein Wort findet, welches "grandios" ungefähr tausendfach potenziert, der möge es mir bei Gelegenheit mitteilen. Durch dieses Album sind A PERFECT CIRCLE zu einer eigenständigen Band gereift, welche sich aus dem Schatten von TOOL befreit hat. Maynard James Keenan ist zwar kein Garant für Erfolg, jedoch eine außergewöhnliche Person. Wenige spielen auf einer selben lyrischen Ebene, kaum welche können dies auch noch anschließend würdevoll präsentieren. Ein Mensch, welcher Gefühl in alles bringt, was er anfasst.
Schlussfolgernd bleibt zu sagen: Der Einfluss, den Musik auf uns nimmt, beschränkt sich nicht auf Alter oder Erfahrung. In solchen Zeiten, in welchen ein jeder um die Gunst der anderen wirbt, sei es in der Politik oder in der Werbung, erfährt Musik für so manchen wohl die Aufgabe einer Tür in Welten, die ansonsten verschlossen blieben. Wer sich die Zeit nimmt und das Interesse dafür aufbringt, kann sich zu diesen Zeiten glücklich schätzen, da eine weitere kleine Offenbarung in einer ebenfalls kleinen, dünnen Plastikschachtel auf ihre Entdeckung wartet.
Anspieltipp: Die "Play"-Taste an einem Musikabspielgerät eurer Wahl
- Redakteur:
- Lasse Rosenberger