ACCEPT - Humanoid
Auch im Soundcheck: Soundcheck 04/24
Mehr über Accept
- Genre:
- Heavy Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Napalm Records
- Release:
- 19.04.2024
- Diving Into Sin
- Humanoid
- Frankenstein
- Man Up
- The Reckoning
- Nobody Gets Out Alive
- Ravages Of Time
- Unbreakable
- Mind Games
- Straight Up Jack
- Southside Of Hell
Keine Überraschungen? Ja, aber stimmig und mit bärenstarken Hooks!
ACCEPT geht in die siebzehnte Studiorunde, und der Rezensent fragt sich, ob Mark Tornillo zusammen mit dem Spiritus Rector der Band irgendwann noch den Punkt erreichen wird, an dem er sich wie Brian Johnson, Andi Deris oder Bruce Dickinson fühlen darf: als der Neue, der die meisten Alben der Band eingesungen hat? Das wäre eine wackere Leistung, und die ist es bereits jetzt, denn sechs Alben am Stück waren nicht allzu vielen Menschen in dieser Band vergönnt. Die Chemie scheint also zu stimmen, und so skeptisch ich um das Schicksal ACCEPTs war, als sich Wolf Hoffmann in den letzten Jahren nach und nach von nahezu allen einstigen Weggefährten trennte, so muss ich doch zugeben, dass sich die neue Version etabliert hat und dass sie trotz all der Umbesetzungen funktioniert.
Natürlich ist jenen zahlreichen Kritikern nicht grundlegend zu widersprechen, die in der Nachfolge des sehr starken Tornillo-Einstiegs "Blood Of The Nations" eine zunehmende Schematisierung der Werke sehen und die sich darüber beklagen, dass eine ACCEPT-Scheibe im dritten Jahrtausend ein bisschen wirkt wie ein professionell arrangiertes Werk aus dem zielgruppenorientierten Baukasten des Erfolges. Doch auf der anderen Seite kann man exakt dasselbe eben vielen Bands vorhalten, die seit Jahrzehnten unterwegs sind. Das ist bei AC/DC und JUDAS PRIEST nicht anders, und ihre letzten Veröffentlichungen werden weithin als große Spätwerke gefeiert.
Legen wir an ACCEPT dieselben Maßstäbe an, und lassen uns von den ganzen Diskussionen darüber nicht irritieren, welche Fraktion nun die Fackel würdiger weiterträgt, dann lässt "Humanoid" einfach nicht allzu viele Wünsche offen. Die Scheibe enthält elf neue Tracks, die zeitgemäß aber nicht zu laut oder steril produziert wurden, und mit Spielzeiten von dreieinhalb bis fünf Minuten weitgehend als typische Teutonenstahlrocker durchgehen, vom gediegenen Stampfer bis zum angezogenen Uptempo-Banger. Der Abwechslungsreichtum ist demnach weithin überschaubar. Dennoch schafft es die Band, das Aufmerksamkeitsniveau des Hörers durchgehend hoch zu halten. Dies liegt letztlich daran, dass hier und da ein gelungener Farbtupfer gesetzt wird, und dass zudem durchgängig mit starken, widerhakelnden Melodien gearbeitet wird.
So steigt bereits der Opener 'Diving Into Sin' mit sitarartigen Klängen ein und entwickelt sich als harter, im Riffing durchaus an schmerztöterische JUDAS PRIEST erinnernde Nackenbrecher, während das folgende Titelstück sich hymnischer und dramatischer gibt, mit den typischen Teutonenstahlchören in der Bridge. 'Frankenstein' ist demgegenüber schlicht solide und spielt gelungen mit melodischen Selbstzitaten, doch ein weiteres Paradebeispiel für wirkungsvolle kleine Effekte mit starker Wirkung ist 'Man Up'. Ein simpler, geschmeidiger, atmender Rocker, der durch sein sehr lässiges Gitarrenspiel mit Slide-Elementen ein amerikanisches Südstaaten-Flair versprüht, und einfach cool drauflos rockt, so dass die fünf Minuten wie im Flug vergehen.
Mit angezogenem Tempo, das aber längst nicht so schnell ist wie dereinst der Haifisch, bedient 'The Reckoning' weitaus metallischere Gelüste, doch auch hier sitzt der Refrain ebenso zielsicher wie die Hoffmann-Soli. Diese haben immer mal wieder natürlich die neoklassischen Trademarks, die sich jedoch nicht so dominant ausbreiten wie seinerzeit auf "Metal Heart" oder "Stalingrad". Auch der Rock'n'Roll steckt im Detail, wie etwa beim coolen 'Nobody Gets Out Alive', und natürlich darf mit 'Ravages Of Time' auch eine melancholische, klassische Ballade nicht fehlen, die sich auf den ersten beiden ACCEPT-Alben ähnlich gut gemacht hätte, wie auf einem Mittachtziger-Werk der SCORPIONS. Klar, das ist irgendwie vorhersehbar - wie später auch der gefühlt zweihundertste Metalsong, der 'Unbreakable' heißt -, aber halt auch richtig gut. In den Gitarrensoli kann man ebenso schwelgen, wie in Tornillos starker und emotionaler Performance.
Im letzten Drittel begegnen uns dann weitere Reminiszenzen an frühere ACCEPT-Phasen, wie etwa die marschierende Dynamik von 'Mind Games', die sehr gut auch zu "Russian Roulette" gepasst hätte, oder der an AC/DC und STATUS QUO gemahnende Boogie-Ansatz von 'Straight Up Jack', bevor uns das mit neoklassischen Gitarrenzitaten gespickte 'Southside Of Hell' in die Nacht entlässt. Wie ihr seht, lässt sich an "Humanoid" wenig kritisieren, das sich nicht bei nahezu jeder Band mit ähnlich umfangreicher Vergangenheit kritisieren ließe. Daher fällt es mir hier leicht, mich auf die Songs einzulassen, denn immerhin schafft es Wolf Hoffmann mit seinen Jungs hier, wirklich nahezu jeden Song durch zwingende Hooks an allen Enden zu veredeln, und das ist eine absolut bemerkenswerte Leistung. Wer die bisherigen Alben der Tornillo-Ära mag kann mit "Humanoid" nichts falsch machen.
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle