AMOS, TORI - Night Of Hunters
Mehr über Amos, Tori
- Genre:
- Klassik / Songwriter / Alternative Pop
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Deutsche Grammophon
- Release:
- 20.09.2011
- Shattering Sea
- SnowBlind
- Battle Of Trees
- Fearlessness
- Cactus Practice
- Star Whisperer
- Job's Coffin
- Nautical Twilight
- Your Ghost
- Edge Of The Moon
- The Chase
- Night Of Hunters
- Seven Sisters
- Carry
<strong>Klassik/Songwriterpop-Crossover der Extraklasse</strong> <br />
Seit ihrem zweiten Soloalbum "Under The Pink" [1994] bezog die Pianistin / Sängerin / Songschreiberin TORI AMOS zunehmend weitere Instrumente in den Sound ihrer Musik ein. Ab "The Beekeeper" [2005] trat das Piano als Leitinstrument zugunsten der Bandbgeleitung weiter zurück. Nicht, dass Tori nicht zuvor schon einige Singlehits gelandet hätte, die fortan diverse Radio- & TV-Programme veredeln durften; doch was zuvor einzelne Songs betraf, galt nun für ganze Alben: Frau Amos war popkompatibel geworden. "Night Of Hunters" kehrt diesen Trend um. Zwar hören wir hier nach wie vor reichhaltige Arrangements, doch scharen sich diese deutlich erkennbar rund um das Piano, welches wieder stärker gen Mittelpunkt des Geschehens rückt. Toris Stimme schmiegt sich dem an oder steht im Vordergrund. Ihre Gesangslinien klingen klar und deutlich, lassen die Lieder als alternative Popsongs wirken; und das, obschon TORI AMOS sich auf diesem Album zahlreicher Motive aus der klassischen Musik der letzten vierhundert Jahre bedient, welche sie für ihre Zwecke umarrangiert hat. Doch bei dieser Komponistin wirkt nichts erzwungen, vielmehr hat sie sich die Stücke anverwandelt und daraus interessante Hybriden aus klassischem Kunstlied und gediegenem Edelpop erwachsen lassen. Anstatt der zuletzt gewohnten Rockbandbegleitung sind es nun eben klassische Instrumente, die ihr den musikalischen Hintergrund bereiten, doch zu TORI AMOS wirkt dies keineswegs fremd. Meines Erachtens ist "Night Of Hunters" sogar ihr tiefgehendstes Werk seit "Scarlet's Walk" [2002] geworden.
Während das erste der eingängigeren Stücke auf "Night Of Hunters", das agitierte Eröffnungsstück 'Shattering Sea', auch auf "Under The Pink" (etwa neben 'Yes, Anastasia') oder auf dem düsteren "From The Choirgirl Hotel" [1998], den beiden dramatischsten Alben TORI AMOS', passend hätte Platz finden können, sind die übrigen Ohrwürmer und zugänglichsten Glanzlichter anders gefärbt: 'Snowblind', eine Variation von 'Añoranza' aus ENRIQUE GRANADOS' "Seis Piezas Sobre Cantos Populares Españoles" mit Nigel Shore an Oboe und Englischhorn, erinnert noch am ehesten an 'China' (von "Little Earthquakes" [1992]); jedoch haben wir es hierbei mit einem Duett zwischen Tori und ihrer Tochter Natashya Hawley zu tun, deren Stimme noch etwas samtener als die ihrer Mutter wirkt. Auch klingt das Stück noch gediegener als frühere Songs von Ms Amos. 'Fearlessness' ist ein sentimentaler Slow Burner von gleicher Klasse wie 'Hey Jupiter' ("Boys For Pele" [1996]) und 'Josephine' ("To Venus And Back" [1999]), jedoch zunehmend üppiger arrangiert; nach der 'Orientale' von ENRIQUE GRANADOS ("12 Danzas Españolas"). ROBERT SCHUMANNs "Geistervariationen" inspirierten 'Your Ghost', ein wunderschönes, melancholisches und zartes Lied mit Piano- und Streicherbegleitung. Im Titelstück 'Night Of Hunters' gelingt die Verquickung von Klassik und Moderne besonders flüssig. Hier singt Tori Amos im Duett mit Kelsey Dobyns, wobei die Gesangslinien beider bisweilen fast schon kanonartige Züge annehmen, so gut greifen sie ineinander. Begleitet werden die Sängerinnen vom APOLLON MUSAGÈTE QUARTET, desweiteren von vier Bläsern, und natürlich spielt Tori auch hier wieder Bösendorfer. Als Vorlage dienten DOMENICO SCARLATTIs "Sonate in f-Moll, K.466" sowie der Gregorianische Choral "Salve Regina". 'Night Of Hunters' ist eines der wenigen Stücke, anhand dessen ich die häufigen Vergleiche zwischen TORI AMOS und KATE BUSH halbwegs nachvollziehen kann, doch könnte man hier ebensogut NICK CAVE zum Vergleich heranziehen.
Kniffliger wird es bei 'Battle Of Trees', wo Ms Amos mit Buchstaben- und Baum-Mystik hantiert. Abermals fühle ich mich an "Under The Pink" erinnert, und ein einfaches Strophe-Refrain-Muster wie bei Popmusik braucht man in diesem progressiven Stück erst gar nicht zu suchen, auch wenn einige Zeilen und Takte durchaus wiederkehren. Naturmysterien haben es Tori ohnehin angetan. So findet sich nach 'Dātura' ("To Venus And Back") auf "Night Of Hunters" mit 'Cactus Practice' eine weitere vertonte Drogenzeremonie, hier zu einer Variation von FRÉDÉRIC CHOPINs 'Nocturne Op.9 No.1'. Und auch FRANZ SCHUBERTs 'Andantino'-Part aus der "Klaviersonate Nr. 20 in A-Dur, D.959" treibt unter der Ägide von TORI AMOS neue Blüten: 'Star Whisperer' besticht durch sehr fein nuancierten Gesang zu tiefromantischer Begleitung, die bereits für sich genommen problemlos bestehen könnte. Wenn der musikalische Schöpfer der "Winterreise" [1828] und die Pianistin der "Little Earthquakes" [1992] aufeinandertreffen, hätte man freilich auch nichts weniger Zauberhaftes erwartet. Hier erhält man quasi drei Lieder in einem. Wunderschön!
Eingängiger klingt 'Job's Coffin', ein abermals von Natashya Hawley verschöntes Lied, welches als Vorspiel für 'Nautical Twilight' dient, welches wiederum auf ein 'Venedisches Bootslied' von FELIX MENDELSSOHN zurückgeht. Noch klassischer als 'Nautical Twilight' mutet das auf 'Siciliano' aus JOHANN SEBASTIAN BACHs "Flötensonate, BWV 1031" aufbauende 'Edge Of The Moon' an, ein, wie die Titel verraten, nächstlich gestimmtes Stück mit Flötenbegleitung, welches jedoch im Finale noch einmal gefühlvoll aufwallt. In 'The Chase' liefern sich Mutter und Tochter ein magisches Verwandlungsspruchduell zu einer Variation von MODEST MUSSORGSKYs 'Das Alte Schloss' aus seinen "Bilder einer Ausstellung". Darauf folgen der bereits erwähnte Titelsong sowie das von JOHANN SEBASTIAN BACHs 'Präludium in c-Moll' inspirierte Instrumentalstück 'Seven Sisters', welches lebensbejaend und leicht melancholisch zugleich klingt. An CLAUDE DEBUSSYs 'La Fille Aux Cheveux De Lin' erinnert das finale Glanzlict 'Carry', mit welchem uns Tori sanft aus dem Album geleitet.
Insgesamt ist TORI AMOS mit "Night Of Hunters" ein abwechslungsreiches, anspruchsvolles Album gelungen, welches vortrefflich Klassik und alternativen Edelpop miteinander verbindet und die Songschreiberin, Sängerin und Pianistin ins beste Licht rückt. Dank klassisch geschulter Mitmusiker und nicht zuletzt auch Töchterlein und Stimmtalent Natashya Hawley scheinen darauf neue Facetten auf, die man so nicht erwartet hätte, und zugleich knüpft die Künstlerin damit nahtlos an frühe Meisterwerke wie "Little Earthquakes" und "Under The Pink" an - was in den letzten Jahren wohl kaum noch jemand für möglich gehalten hätte. Als weiblich gesehenes, mythologisch gefärbtes Konzeptalbum greift "Night Of Hunters" zudem wieder einen Themenkomplex auf, mit dem sich Tori Amos seit "Boys For Pele" beschäftigt. Für einige Fans stellt diese Trias das Nonplusultra in ihrer Diskographie dar, sodass sich hier ein neuer Klassiker im Anflug befinden könnte. Auch im Ablauf der Stücke ist das neue Werk brillant aufgestellt: Niemals schleichen sich Langeweile oder Ermüdungserscheinungen ein, niemals verstören die Stücke durch zu abrupte Wechsel, und kein einiger Song wirkt im Albumkontext als Fremdkörper.
Anspieltipps:
Shattering Sea, Snowblind, The Battle Of Trees, Fearlessness, Your Ghost, Night Of Hunters, Edge Of The Moon, Carry.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Eike Schmitz