AMOS, TORI - Under The Pink
Mehr über Amos, Tori
- Genre:
- Songwriter / Alternative
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Warner Music
- Release:
- 28.01.1994
- Pretty Good Year
- God
- Bells For Her
- Past The Mission
- Baker Baker
- The Wrong Band
- The Waitress
- Cornflake Girl
- Icicle
- Cloud On My Tongue
- Space Dog
- Yes, Anastasia
Songwriting vom tiefen Ende her: Come on little darlin' we'll see how brave you are...
Alleine schon, wie sanft 'Pretty Good Year' per Bösendorfer Piano heranperlt, wie tastend Toris Stimme sich in den Song einfindet, der subtile erste Streichereinsatz darunter sich zart erhebt und aufscheint, so mild und doch kräftig wie ein Sonnenaufgang, später dann das bassstarke, schwere Dröhnen in der fast schon doomig aufbegehrenden Steigerung, nach welcher der zweite Streichereinsatz nachhaltiger und melancholischer ertönt, und wie Toris stimmliche Intensität in kleinen Schüben nach und nach anschwillt, schließlich das versöhnliche Ausklingen - "still, pretty good year..." - alleine schon wegen dieser perfekten Eröffnung liebe ich "Under The Pink".
Wundervoll in Musik gegossene, evokative Formulierungen wie "heard the eternal footman bought himself a bike to race" (ebenfalls aus 'Pretty Good Year'), "time, thought I'd make friends with time, thought we'd be flying, maybe not this time" ('Baker Baker'), "I believe in peace, bitch!" ('The Waitress'), "the man with the golden gun thinks he knows so much" ('Cornflake Girl'), "if you know me so well then tell me which hand I use" ('Yes, Anastasia') und viele mehr, über die ein ganzes Buch zu schreiben wäre (und in Comicform auch wurde, aber das ist eine eigene Rezension wert...), bleiben hier noch außen vor. Alleine der Klang bereits verzaubert zur Genüge. Erwähnt werden muss hier jedoch, wie quirlig, rhythmusorientiert, unterschwellig funky, als zweite Perle in diesem erlesen gefüllten Schmuckkästchen, der schräg arrangierte, ja sagen wir es ruhig: Popsong 'God', aus verzwirbelter Gitarrenunterstützung, shmoovem Basslauf, überragend dynamischem Klavierspiel und TORI AMOS' souveräner Stimme arrangiert, eine charmant feministische Perspektive auf männlich geprägte Glaubensvorstellungen wirft, ernsthaft humorvoll ein Thema angeht, mit dem sich die Künstlerin auch nach Vollendung dieses wahrlich vollendeten Albums auch langfristiger immer wieder einmal beschäftigen wird.
Ihre Stimme wirklich zum Tragen bringt Tori im ungleichen Schwesternpaar 'Bells For Her' (einem noch am ehesten an ihr ruhigeres aber nicht minder emotionales Solo-Debut-Album "Little Earthquakes" erinnernden, von zurückhaltend tröpfelndem Pianospiel begleiteten und wie vorsichtig sich vorantastend wirkenden Stück) und dem selbstbewussten 'Past The Mission'. Wie auch schon in 'God' ist es hier wieder ein subtiler doch grooviger Basslauf, an dem die Songwriterin das rhythmische Gerüst aufhängt, um welches herum sie ein luxuriöses Arrangement aus wunderherrlicher Klavier- und dezenter Bandbegleitung entwirft. Gastsänger Trent Reznor (NINE INCH NAILS) klang auf Platte selten so zahm und hintergründig wie hier.
Das scheinbar einfache Konzept, auf jeden ruhigen, doch gefühlvollen, einen auch äußerlich bewegteren Song folgen zu lassen (und umgekehrt), geht vorzüglich und gänzlich unkalkuliert wirkend auf, wenn mit 'Baker Baker' die dritte Innerlichkeit durchscheint, wobei dies zugleich auch der erste Song auf "Under The Pink" ist, bei dem die Streicher nahezu gleichberechtigt neben die behutsam unter und zwischen die nachdenklichen Gesangszeilen gesetzten Klavierklänge treten. Statt danach wieder geradewegs in gefühlsstarkes Aufbegehren zu fallen, stellt TORI AMOS mit dem sinnierenden, doch bereits wieder dynamischer angelegten 'The Wrong Band' ein leicht retardierendes Moment auf "Under The Pink", bevor die überraschend abgründige Rachephantasie 'The Waitress' dann emotional so richtig tief geht: Katzenhaft, auf Samtpfoten, aber mit unverhohlenen Aggressionsgelüsten und bereits ausgefahrenen, messerscharfen Krallen schleicht das Stück umher, in lauernder Erwartung des einen Moments, in dem ein gefährlicher Ausbruch seines stets bedrohlich präsenten Gewaltpotentials unvermeidlich wird; eines Moments, der gerade - aber bloß um ein Haar - noch ausbleibt. Erst danach darf die perlende, in mutigerer Zeit als der heutigen knapp radiotauglich gewesene Single 'Cornflake Girl' für alternativ pop-rockigen Flair und eine luftigere Gefühlswetterlage sorgen. Doch auch hier zieht sich eine gewisse Unruhe, um nicht zu sagen: Hibbeligkeit, wie ein roter Faden durch den Song; der Tank ist jedenfalls randvoll mit Emotionen, und unter der Haube stehen zahlreiche Pferdestärken parat - so "where'd you put the keys, girl?"
Was darf man noch erwähnen, ohne vollends der Versuchung zu erliegen, in haltlose obschon wohlbegründbare Schwärmerei zu verfallen? Dass 'Icicle' möglicherweise der schönste und reinste Song über die erwachende Sexualität mit der einzigen Person ist, die einen lebenslang begleitet; dass im sehnsüchtigen 'Cloud On My Tongue' die unendlich einfühlsam vorgetragenen, mantraartigen Worte "in circles and circles and circles again" ihre perfekte Entsprechung in Toris spiralisierendem Pianospiel finden; dass 'Space Dog' in Sphären abhebt, die sich sonst allenfalls ein Kind in den visionärsten Träumen ausmalen könnte? Freilich! Doch wird man "Under The Pink" damit noch lange nicht gerecht. Man könnte mehrere Bände füllen alleine über 'Yes, Anastasia', diese so eigene Welt in der ohnehin eigenen Welt von "Under The Pink", welches selbst als vollkommenes Album, das es zweifelsohne ist, doch lediglich eine Facette im vielschichtigen künstlerischen Lebenswerk von TORI AMOS bleibt. Doch nun genug geschwärmt, man sollte die Musik lieber für sich selbst hören. Wer eigenwillige Klaviermusik und ausdrucksstarken Gesang mindestens genauso liebt wie gelegentliche Ausflüge in eigenständigen Pop und ungewöhnlichen Rock (die hier allerdings eher im Hintergrund mitlaufen), kann mit "Under The Pink" nichts falsch machen.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz