BECK, JEFF - You Had It Coming
Mehr über Beck, Jeff
- Genre:
- Rock
- Label:
- Epic / BMG
- Release:
- 15.11.2000
- Earthquake
- Roy's Toy
- Dirty Mind
- Rollin' and Tumblin'
- Nadia
- Loose Cannon
- Rosebud
- Left Hook
- Blackbird
- Suspension
Moderner und doch zeitloser Rock vom Feinsten wird uns hier geboten, und dazu noch eine wundervolle Geistreise mit Bikerfeeling: Diese Scheibe bläst den Gehörgang mit Kraftstoffabgasen durch, spült mit Benzin nach, sprüht extra feines Motoröl ein und lässt verchromte Schraubenmuttern in der Schädeldecke kreisen. Jeff Beck (ehemals THE YARDBIRDS) ist ein begnadeter Gitarrist: Mit minimalem Einsatz und virtuoser Technik erreicht er auf diesem Album stets den maximalen Effekt. Die verdichtete Produktion von Andy Wright röhrt kompakt und kesselt präzise. Technoid anmutende Riffabfolgen, ein satter Rocksound und treibende Rhythmen lassen die Luft vibrieren. Im von Co-Gitarristin Jennifer Batten geschriebenen 'Earthquake' flexen rotierende E-Riffs einen schwarzglänzenden Bassklumpen zu einem hochgetakteten Motorblock zurecht. Feinen Feilspänen gleich stieben die Feedbacks davon, fortgeblasen von verzerrten Gesangsstößen und dicht treibender Percussion.
Neben einem begnadeten Maestro und einer virtuosen Begleitband gibt es auf dem Album noch einiges mehr zu hören, so etwa im Intro zu 'Roy's Toy' das Motorengeräusch eines aufgemotzten 1932er Fords. Das dem Hot-Rod Konstrukteur Roy Brizzio gewidmete Stück lässt das Schlagzeug rasseln, während ein fetter Bass tief im Inneren des Tracks saugt und schmatzt. Die Gitarre röhrt hochgezüchtet und lehnt sich wuchtig in die Kurven, während die Verstärker mächtig Gas geben. Zwingende Groovekräfte drücken die schwere Maschine auf den ausdünstenden Asphalt und heißen sie Kurs halten. Jeff Becks Gitarrenarbeit auf "You Had It Coming" wird zudem von Elektronikkünstler Aiden Love äußerst geschickt, organisch und zweckdienlich unterstützt. Dieser saß unter anderem auch schon für Madchesters DanceRock-&-AcidHouse-Pioniere 808 STATE als Toningenieur an den Reglern ("Thermo Kings", 1996). An 'Roy's Toy' und dem darauf folgenden Stück 'Dirty Mind' hat er sich auch kompositorisch beteiligt. Letzteres rührt hochprozentig psychedelische, flüchtige Bluesriffs in einen hart geschüttelten Rhyhtmus mit hoher Bassoktanzahl. Hyperventilierende, heiße Atemstöße treiben den Track in zeitlupenartig verzerrtem Geschwindigkeitsrausch Richtung O(h)rgasmus.
Danach erwartet uns ein Stück, auf dessen Verwirklichung in dieser Form Jeff Beck 25 Jahre lang gewartet hat: Das klassische Bluesthema von 'Rollin' and Tumblin'' pocht mit wuchtig rollenden Drums von unten an die Bauchdecke, während das Rasseln in den Ohren zu einem gesichtsmuskelverzerrenden Fahrtwind anschwillt. Dicke Tropfen schwermetallisch gesättigter Riffs peitschen stürmisch durchs Blickfeld, während das Fahrgestell über sleazige Licks schlittert. Eine sauer-soulige Gesangsmelodie sickert durch die gespaltene Schädeldecke und ätzt sich tief ins Gehirn: "Well, I rolled and I tumbled, cried the whole night long ... Well, if the river was a whiskey, I was a-diving down ..." - gesungen von der Sängerin/Songwriterin Imogen Heap (auch bekannt als eine Hälfte des Elektropopduos FROU FROU), welche Schnipsel ihrer Stimme auch zu anderen Stücken wie etwa 'Dirty Mind' beisteuerte. Heiß!
Nitin Sawhneys Komposition 'Nadia' dagegen gleitet sanft durch eine malerische Keyboardebene dahin. Eine orientalisch angehauchte Melodie und klackernde Breakbeats laufen rund und sorgen per Geschwindigkeitsbegrenzer für entspanntes Touring Gefühl. Dann schaltet 'Loose Cannon' das orientalische Thema erstmal einen Gang zurück. Mit vollem Klang zieht Jeff Becks Vehikel "You Had It Coming" nun mit gemächlich röhrender Gitarre und pumpendem Bass eine immer steiler werdende Serpentinenstraße hoch. Die Carbonverstrebung beginnt unter der enormen Belastung zunächst noch verstohlen zu knarzen, während die Zylinderköpfe motiviert und ohne Murren schnurren. Und weiter geht es über die Passstraße Richtung Wolkengrenze.
Das von Bassist Randy Hope-Taylor mitkomponierte 'Rosebud' pluckert und frickelt auf verworren taumelndem Kurs über wulstige Bassbodenwellen und rappelnden Perkussionskies. Drummer Steve Alexander schrieb am nächsten Stück mit: 'Left Hook' schickt uns mit Tunnelblick durch einen nächtlichen Trip. Die vorbeiziehenden Schemen links und rechts scheinen sich in psychedelischem Benzinrausch aufzulösen. Ich erzähle euch nicht von den Fledermäusen; ihr werdet sie noch früh genug sehen. 'Blackbird' und 'Suspension' fangen zum Ausklang das Erwachen im Zelt am Rande eines klaren, tiefen Sees in den Hochlanden ein. Man schüttelt den Tau aus den Haaren, brüht den Kaffee auf, hört den Vögeln zu und genießt den Sonnenaufgang. Perfekt. Wie auch das gesamte Album, welches auf einzigartige Weise klassischen Rock mit modernster Studiotechnik verbindet und so einen Wahnsinnssound aufweist, der offenherzige Fans von progressivem Blues- und Bikerrock sicher ebenso begeistern wird, wie er andrerseits geeignet sein sollte, Anhänger elektronischer Klänge von der zeitlosen Modernität virtuoser Gitarrenriffs zu überzeugen. Und das, ohne sich jemals auf deren kleinsten gemeinsamen Nenner herabzuwürdigen. Auch nach bald sieben Jahren klingt "You Had It Coming" noch immer so frisch wie eine fabrikneue Kupplungsscheibe. Rolling stones gather no moss. In diesem Sinne: Ride On!
Anspieltipps: "You Had It Coming".
- Redakteur:
- Eike Schmitz