CEMETERY SKYLINE - Nordic Gothic
Auch im Soundcheck: Soundcheck 12/24
Mehr über Cemetery Skyline
- Genre:
- Gothic Rock / Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Century Media / Sony Music
- Release:
- 11.10.2024
- Torn Away
- In Darkness
- Violent Storm
- Behind The Lie
- When Silence Speaks
- The Darkest Night
- Never Look Back
- The Coldest Heart
- Anomalie
- Alone Together
Der hohe Norden versammelt sich und präsentiert seine Version, wie Gothic Rock 2024 klingen muss.
Wenn man der Pandemie etwas zu Gute halten kann, dann ist es die schiere Fülle an Musik, die in dieser ungewissen Zeit entstanden ist. Ein Produkt dieser Zeit ist auch CEMETERY SKYLINE. In den Wirren des Lockdowns gründete der Gitarrenhexer Markus Vanhala (INSOMNIUM, OMNIUM GATHERUM und noch viele mehr) gemeinsam mit Santeri Kallio (AMORPHIS) die Band und hat sich zusätzlich noch echte Veteranen am Bord geholt, wie beispielsweise Ex-SENTENCED-Schlagzeuger Vesa Ranta, für den es nach THE MAN EATING TREE und seinem anderen Projekt THE ABBEY wieder auf eine größere Bühne geht. Komplettiert wird die Band von DIMMU BORGIR-Bassist Victor Brandt und Sympathieträger und Szeneikone Mikael Stanne von DARK TRANQUILLITY, THE HALO EFFECT und auch GRAND CADAVAR
Das ist doch mal ein Line-up, das sich perfekt für zünftigen Melo Death Metal eignet, oder? Doch die Wahrheit könnte nicht weiter davon wegliegen. Oben links lauert da wohl für den einen oder anderen das Grauen. Das stimmungsvolle und düstere Artwork nimmt es eventuell schon vorweg: Hier es geht es eher in Richtung Gothic Rock, inspiriert von Bands wie THE SISTERS OF MERCY, TYPE O NEGATIVE und FIELDS OF THE NEPHILIM. Nur: Können die genannten Protagonisten diese leicht in Vergessenheit geratene Stilrichtung mit Leben und Authentizität füllen? Man merkt sehr schnell: Hier sind Vollprofis am Werk. Kein Song fällt ab, alle haben einen gewissen Qualitätsstandard, der zu keiner Zeit unterschritten wird. Es scheint für die Musiker auch ein Herzenswerk zu sein, das nun endlich realisiert werden konnte.
Das Album wird zackig von 'Torn Away' eröffnet, das eine gewaltige THE SISTERS OF MERCY-Schlagseite hat und auch auf "Vision Thing" gut gepasst hat. Der Einstieg ist entsprechend flott und man braucht hier quasi keinerlei Anlaufzeit. Die Zutaten für eine schmackhafte Gothic-Suppe sind bereits beim ersten Song perfekt dosiert. 'In Darkness' ändert daran nichts, zieht allerdings die Daumenschrauben für "Dunkelheit" und "Trockeneisnebel" ein wenig stärker an. Dieser Song ist relativ poppig, regt zum beschwingten Mitwippen ein, und ich ertappe mich immer wieder, beim Einsetzen des Refrains zustimmend zu nicken. Ein wenig mehr Gain auf den Gitarren hätte nicht schaden können, aber das tolle Solo reißt das wieder raus. Zweiter Song, zweiter Volltreffer.
Die erste Single 'Violent Storm' eignet sich an der Stelle perfekt zum Einstieg, die Trademarks werden hier bereits gebündelt und in einen eingängigen Tanzflächenabräumer kondensiert. Ihr wisst schon, diese Tanzflächen, wo man vor Nebel nicht mal die Hand vor Augen sieht und das Tragen einer Sonnenbrille unabdingbar ist. Es geht wieder flott zur Sache, alles ist auf den Punkt und macht großen Spaß. Wem es bis hier hin noch nicht aufgefallen ist: Die Arbeit von Santeri Kallio an den Keyboards ist einfach nur komplett überragend. Er versteht es zu jeder Zeit, den passenden Sound zu verwenden und mehr als einmal Markus Vanhala die Show zu stehlen.
'Behind The Lie' im Anschluss ist wie eine Trotzreaktion der Saitenfraktion, braten hier doch die Gitarren plötzlich stärker als zuvor und auch der warme Bass drängt sich hier prominenter in den Vordergrund, was dem Song einen ruppigeren Charme verleiht, ohne allerdings komplett aus der Reihe zu tanzen. Ich finde es schwierig, bei einem stilistisch derartig kohäsiven bzw. geschlossen klingenden Album von musikalischer Härte zu sprechen, da es nicht fair gegenüber den Musikern wäre. Kurz: Ja, 'Behind The Lie' hat am meisten Schmackes, ist aber nicht unbedingt deswegen einer meiner Lieblingssongs auf "Nordic Gothic", sondern weil es viele tolle Details beinhaltet. Der Refrain, der sehr clever noch einen Haken vor dem Ende schlägt, die vielen kleinen Melodien, die subtil eingestreut werden oder das gekonnt eingestreute Break.
Mit 'When Silence Speaks' verringert die Band die Schlagzahl und stimmt die erste Ballade von "Nordic Gothic" an. Für mich kulminieren hier die jeweiligen Stärken der Musiker und schaffen einen emotionalen Höhepunkt. Das reduzierte Drumming, das zurückhaltende Bassspiel, die herrlichen Melodien, die Markus Vanhala seinem Instrument entlockt und nicht zuletzt, da er hier am meisten begeistert: dieser umwerfend leidenschaftliche Gesang von Mikael Stanne, der für mich noch nie besser wie auf diesem Album geklungen hat. Er brilliert hier vor allem im Refrain mit einer emotionalen Melodie, die mir immer und immer wieder eine dicke Gänsehaut besorgt. Nun bin ich auch ein großer Fan des "Protector"-Album von DARK TRANQUILLITY und habe mir schon immer mehr davon gewünscht: mehr von seinem Klargesang, der im herrlichen Kontrast zu seiner harschen Vokalarbeit steht und dennoch problemlos dagegen bestehen kann. Auch wenn dieser Anteil immer kontrolliert zurückgehalten wurde, wirkt der Verzicht auf jegliche harsche Vocals auf "Nordic Gothic" wie eine große Geste, ein Pleasure, wo man das Wörtchen guilty direkt streichen kann.
Nun könnte ich weiter jeden Song genüsslich auseinander nehmen, doch möchte ich euch an dieser Stelle einladen, falls ihr interessiert seid, das Album selbst aufzulegen und zu entdecken, was diese Herren aus dem Norden hier geschaffen haben, und nur noch punktuell auf die anderen Songs eingehen. Mit den folgenden 'The Darkest Night' und 'Never Look Back', die beide aus der Feder von AMORPHIS-Tastenmann Santeri Kallio stammen, finden sich immer wieder herrlich durcharrangierte Songs, die mit ein paar überraschenden Passagen daher kommen und aufhorchen lassen. Während 'The Darkest Night' (wonach auch das bandeigene Black-IPA-Bier seinen Namen bekommen hat) ein recht straighter Rocker ist und sich Zeit lässt, im Gehörgang hängen zu bleiben, ist 'Never Look Back' wesentlich nachdenklicher, erinnert stark an die finnischen Landsmänner von HIM, ohne aber den Pace dabei zu verlieren. Dabei haut es mich jedes Mal um, wie im letzten Drittel ein sagenhaft guter Part so mühelos aus dem Ärmel geschüttelt wird. Einer der besten Momente der ganzen Platte.
Ganz gewaltig TYPE O NEGATIVE-Worship wird mit 'The Coldest Heart' betrieben, alleine das ikonische Bass-Intro lässt bei mir unweigerlich Peter Seele (RIP!) vor meinem geistigen Auge erscheinen. Der Green Man wäre sicherlich stolz. Kurz vor dem Ende gibt 'Anomalie' nochmal ein wenig mehr Gas. Diese Nummer ist von den Songs der "zweiten Reihe" einer meiner Favoriten. In den Monaten vor dem Erscheinungsdatum wurde bereits die Hälfte von "Nordic Gothic" als Singles ausgekoppelt, was ich als suboptimal empfinde, also wenn man einen Großteil eines Albums bereits vor dem eigentlichen Release hören kann. Eventuell bin ich da auch wenig Generation Spotify und zu viel Albumromantiker.
Der Abschluss 'Alone Together' verdient allerdings nochmal Beachtung. Ging es davor schon nicht um Sonnenschein oder bunte Blumen, hat dieser Song eine ganz eigene Wirkung. Mit Abstand der dunkelste, deprimierendste und auch dennoch versöhnlichste Song, zeichnet 'Alone Together' ein Bild, was direkt aus dem Winter von 2021 stammen könnte, als ein Großteil der Welt allein mit sich selbst war. Mikael Stanne sagte zum Konzept von "Nordic Gothic": Es handelt sich um die in Skandinavien verbreitete Angewohnheit, sich in selbstgewählte Isolation zu begeben. Weg von all den Menschen draußen vor der Tür. Nur alleine mit den eigenen Gedanken. Passend zu dieser Thematik wirkt dieser Song trist, fast schon scheu, wagt sich nur behutsam aus der Deckung und versprüht gerade gegen Ende Doom-Metal-Feeling.
Es ist eine müßige Frage, ob es noch mehr Supergroups geben muss. Doch im Fall von "Nordic Gothic" von CEMETERY SKYLINE hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich diese Platte so sehr gebraucht habe. Mit jeder veröffentlichten Single dachte ich: "Das ist mein Lieblingssong!", doch schon kam die nächste Single und das Spiel begann von vorne. Am Ende ist "Nordic Gothic" ein handwerklich großartiges Stück Musik geworden, was nicht wirklich etwas Neues mit sich bringt, doch in dem gesteckten Rahmen so viel richtig macht, so viel Spaß und Atmosphäre mitbringt, aber auch die nötige Emotionalität liefert und für mich ein Genre entstaubt, was in den letzten Jahren völlig aus der Wahrnehmung verschwunden ist. Eventuell ist das ja ein Startschuss für ein Revival dieser Stilrichtung. Mit CEMETERY SKYLINE an der Spitze. Wer also auch nur ansatzweise etwas mit den eingangs erwähnten Bands anfangen kann und hören möchte, wie diese Art Musik 2024 klingen kann, sollte hier unbedingt ein Ohr riskieren.
Anspieltipps: Violent Storm, When Silence Speaks, Never Look Back
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Kevin Hunger