EPICA - The Phantom Agony
Mehr über Epica
- Genre:
- Epic Symphonic Metal
- Label:
- Transmission Records / Alive
- Release:
- 21.07.2003
- Adyta
- Sensorium
- Cry For The Moon
- Feint
- Illusive Consensus
- Facade Of Reality
- Run For A Fall
- Seif Al Din
- The Phantom Agony
Meine Ohren sind frisch verliebt, und zwar in "The Phantom Agony" von EPICA, und ihr müsst nun darunter leiden und meine romantisierten Gefühlsbefindlichkeiten lesend ertragen. Dafür müssen meine Mitbewohner das auch noch auditiv mitmachen. Dieses Baby hat zwar schon vor einigen Monaten das Licht der Welt erblickt, ist mir aber erst kürzlich selbst unter die gierigen Griffel gekommen und seither eine Symbiose mit meinen Krachmachanlagen eingegangen. Zugegeben, beim ersten Durchlauf dachte ich mir: Das hast du doch schon einmal in ähnlicher Form irgendwie gehört und gewöhnungsbedürftig ist es auch noch. Aber wie das zumeist gerade bei den nicht sofort zugänglichen Alben ist – sie entwickeln sich zu wahren Dauerbrennern, die nie langweilig werden. EPICA haben dies mit ihrem Debüt bei mir auch nach der dreißigsten Rotation noch nicht geschafft und laufen und laufen...
Dass mich die Mucke stilistisch gleich so an AFTER FOREVER erinnerte, kommt nicht von ungefähr: Gitarrist und Vokalist (in Sachen Grunts und Screams) Mark Jansen – seines Zeichens Psychologiestudent, Psychologen sind ja bekanntlich selbst ihre besten Kunden – hatte anno dazumal die niederländische Prachtkombo AFTER FOREVER aufgebaut, verließ die Band dann aber, um sich mit einem neuen Team und anderen Schwerpunkten weiterzuentwickeln. Markant sind die orientalischen Einflüsse, die nun auch bei EPICA zum Tragen kommen, und die neben südamerikanischen Anleihen von Marks Weltenbummlerei herrühren. Zuerst nannte er die Band noch passend SAHARA DUST, aber der Wechsel zu EPICA ist ganz klar eine gute Entscheidung gewesen, da griffiger und angesichts der epischen Breite der Kompositionen mehr als stimmig.
In der Anfangsphase war auch noch Helena Michaelsen von TRAIL OF TEARS die weibliche Hauptstimme, aber dann entschied man sich für das junge Stimmtalent Simone Simons (ja, Eltern können grausam sein). Und jetzt kommt's: Die optische Perle ist süße achtzehn und noch Schülerin, hatte außerdem bis auf ein paar schulische Musikerfahrungen kein professionelles Training durchlaufen, aber singt hier einen variabel eingesetzten Mezzosopran, dass es eine Wonne ist. Eigentlich kam sie zu dieser Gesangsrichtung vor allem, weil sie mit 14 angefangen hatte, fröhlich zu Klängen von NIGHTWISH mitzuträllern und das ganz begeisternd fand. Jetzt singt sie neben EPICA allerdings auch in einem Chor und will diese Wegrichtung verstärkt beschreiten. Sachen gibt's, die gibt's gar nicht. Aber Michael Bolton hatte ja auch nur aus Spielerei mal versucht zu singen und schmettert jetzt das "Nessun dorma", die Arie aller Arien, aus vollem Tenor.
Ergänzt wird das Sextett durch: Ad Sluijter an der Gitarre, seines Zeichens angehender Mathelehrer (keine blöden Kommentare, bitte), ehemals bei CASSIOPEIA; Jeroen Simons an den Drums, ehemals bei CASSIOPEIA, X-PROOF und weiteren Bands in Diensten; Coen Janssen, der sich seit 1989 dem Pianospiel widmet und nebenher noch Gitarre, Bass und Drums beherrscht, bearbeitet die Synthies; Bassist Yves Huts, Wirtschaftswissenschaftler (was ne akademische Truppe), hat nebenher noch ein Faible für Piano und Keyboards (die er schon etliche Jahre vor seiner Bass- und Gitarrenarbeit erlernte) und bastelt damit ebenfalls diverse Kompositionen, ehemals AXAMENTA und gelegentlich bei GURTHANG.
Uff; so, das war jetzt eine Nummer ausführlicher, aber ich muss euch ja mit den Protagonisten meiner lautstark durchlebten letzten Tage etwas näher bekannt machen, nech. Und was gibt's bei EPICA nun so alles auf die Ohren? Also erstmal satt epischen Bombast, komponiert von der ausgesucht vielseitigen Truppe in Teamarbeit, unterstützt von einem großzügig eingesetzten klassischen Chor, drei Violinen, zwei Violas, zwei Celli und einem Kontrabass. Ach ja, den Zuckerguss gab die Produktion von Sascha Paeth (RHAPSODY, KAMELOT, ANGRA uswusw., muss man eigentlich kaum noch erwähnen). Die klassischen Kompositionen werden harmonisch und sehr integral kombiniert mit verschiedenen Stilen härterer Gangart wie Speed, Death, Black, Gothic Metal, aber auch Elemente von Rockopern und Melodic Rock kommen zum Einsatz. Kontrapunktion ist dabei ein wesentliches Stichwort: Streicher und Gitarren, Chor und Mezzosopran zusammen mit wirklich exzellenten Growls, Grunts, Screams und was es derlei mehr gibt, und die ausgezeichnet verprügelten Drums packen auch gerne mal die Doublebass aus. Die Synthesizer halten sich übrigens überraschend dezent im Hintergrund. EPICA setzen übrigens deutlich mehr symphonische Strukturen und melodische Harmonien ein als dies bei AFTER FOREVER der Fall ist, dafür sind sie härter als die letzten NIGHTWISH-Produktionen, und natürlich haut der aggressiv-männliche "Gesang" (der tatsächlich melodisch genug ist, um noch als Gesang durchzugehen) so einiges raus; Mark gehört für mich ohnehin zu den besten Grunzern der Szene.
Neben den oben aufgezählten Bands, die in der Tat das musikalische Schaffen von EPICA beeinflusst haben, wären vornehmlich neben NIGHTWISH noch PENUMBRA, TRISTANIA, DRACONIAN (noch so ein Wunderdebüt diesen Jahres, das mich begeistert) und ein wenig THERION sowie AYREON als Vergleichspunkte zu benennen. Wie bei diesen spielen Komponisten wie Wagner und Orff, vor allem aber Filmkomponisten wie Jerry Goldsmith ("Omen", "First Knight", "Star Trek"), Basil Pouledoris ("Conan The Barbarian", "Conan The Destroyer"), Danny Elfman ("Nightmare Before Christmas", "Batman's Return", "From Hell"), Ennio Morricone ("Once Upon A Time In The West", "Once Upon A Time in America", "The Mission", "Red Sonja", "The Untouchables" u.ä.), vor allem aber Hans Zimmer ("The Rock", "Gladiator", "Operation: Broken Arrow", "The Last Samurai", "King Arthur", "Pirates Of The Caribean"; Preisträger des Academy Award "Oscar", Golden Globe, Grammy etc.) eine inspirative Rolle.
Und was bei alldem qualitativ herauskam, ist ein Festmahl für die Ohren, ein ausladend bombastischer, kreativer Metalsoundtrack mit Gütesiegel "herausragend", der den klassisch zu begeisternden Metalfan entzückt mit den verwöhnten Ohren schlackern lässt, in einer Mischung zwischen Klassik und Metal, Bombast, Symphonik und Härte, die punktgenau getroffen wurde. Eine Delikatesse für jeden anspruchsvollen Klanggourmet, arrangiert in vier Akten. Warum die Hauptteile allerdings mit "Part IV -VI" bezeichnet sind – soll der Nachfolger etwa der Vorgänger werden wie bei "Star Wars" oder ist mir in der Vorgeschichte etwas entgangen? Ich lass' mich überraschen.
Anspieltipps: Cry For The Moon; The Phantom Agony
- Redakteur:
- Andreas Jur