GLACIER - The Passing Of Time
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2020
Mehr über Glacier
- Genre:
- Heavy Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- No Remorse Records
- Release:
- 30.10.2020
- Eldest And Truest
- Live For The Whip
- Ride Out
- Sands Of Time
- Valor
- Into The Night
- Infidel
- The Temple And The Tomb
35 Jahre nach der Debüt-EP kommt ein packendes US-Metal-Comeback.
Die melodische US-Metal-Band GLACIER aus Portland im Staate Oregon brachte es in ihrer ersten Inkarnation auf eine wunderbare 5-Track-EP aus dem Jahre 1985, die zwar kommerziell unter jedem Radar durch gegangen war, mit welcher sie sich jedoch einen kleinen, feinen Kreis von Liebhabern erspielen konnte, der ihr bis heute treu zur Seite steht. Direkt danach verließ jedoch Sänger Michael Podrybau die Band, es gab noch ein ebenfalls gutes Demo mit Tim Lachmann am Mikro, doch dann war für lange Zeit der Ofen aus. Erst 28 Jahre später regte sich wieder ein Rascheln im Untergrund, als eben jener Michael Podrybau unter dem Namen DEVIL IN DISGUISE eine Tribute-Band um sich scharte, die beim "Keep It True 2017" auftrat und damit einigen positiven Wirbel in der Szene verursachte.
So waren die ersten Weichen gestellt, und in der Folge wurde beschlossen, wieder als GLACIER an den Start zu gehen und ein neues Album einzuspielen, welches nun über das griechische Qualitätslabel No Remorse Records in die Läden kommt und den äußerst passenden Titel "The Passing Of Time" trägt. Denn wer soll denn sonst danach fragen, wo die Zeit hin gegangen ist, wenn nicht eine Band, die zwischen der ersten EP und ihrem Debütalbum satte 35 Jahre verstreichen ließ? Eben, und obschon wirklich sehr viel Zeit vergangen ist, hört man bereits direkt beim Intro zum Opener 'Eldest And Truest', dass die Truppe ganz offensichtlich genau dort weiter zu machen gedenkt, wo sie seinerzeit aufgehört hat. Die Produktion ist traditionell, die Musik lebt von zumeist schnellen, hochmelodischen Leadgitarren und Michael Podrybaus hoher, klarer Stimme, die sich über den Songs erhebt.
Klangliche und stilistische Parallelen lassen sich etwa finden zu TITAN FORCE, JAG PANZER zu "Chain Of Command"-Zeiten, oder zu HEIR APPARENT und den ganz frühen Werken von QUEENSRŸCHE, doch auch einen etwas aggressiveren Touch können wir hier und da wahrnehmen, beispielsweise beim harten, mit Chorus-Shouts versehenen 'Live For The Whip'. Sämtliche Songs gehen direkt ins Ohr, weisen sie doch markantes Riffing, beachtliche Leadgitarren-Hooks und vor allem eben sehr eingängige Refrains auf, wie man sie aktuell im US-Power-Metal gar nicht mehr so wahnsinnig oft findet. Michael Podrybau und seine Mannen scheuen sich nicht, ihre Kompositionen eingängig zu gestalten, und so geben sie dem Wiedererkennungswert im Songwriting klar den Vorrang vor überzogener Verspieltheit oder vor dem meist ohnehin nutzlosen Versuch, härtetechnisch auch im fortgeschrittenen Bandalter noch mit den aktuellen Helden der Szene mithalten zu wollen.
Kurz gesagt, im Hause GLACIER macht man alles richtig, zelebriert das, was man kann und wird damit sicherlich die eigene Zielgruppe recht gut erreichen, auch wenn das natürlich ziemlich aus der Zeit gefallen ist, und auch wenn ein Song wie 'Ride Out' nicht immer zu hundert Prozent rund läuft, dafür aber mit seinem Refrain-Scream überzeugt. Das Titelstück mit seinem gezupften Intro ist dafür wieder ein äußerst feines Exponat, dessen Stimmung ein wenig an CRIMSON GLORY streift, während es beim getrageneren, faustreckenden 'Valor' einen guten Schuss mehr Epic Metal gibt. Dafür ist 'Into The Night' dann das genaue Gegenteil; speediger, rifflastiger, hackender, vertrackter, aber gleichwohl mit einem grandios melodischen Refrain. Mit dem dezent von der NWoBHM angehauchten und mit einem wirklich königlichen Refrain gesegneten Leadgitarrenfest 'Infidel' und dem sechseinhalbminütigen, nochmals recht episch arrangierten und mit orientalisch angehauchten Gitarrenharmonien auffallenden Hinausschmeißer 'The Temple Of The Tomb' ist dann nach gut vierzig Minuten Schluss, und der geneigte Fan kann sich entspannt zurück lehnen und nochmals auf Play drücken.
Ihr seht, dass sich die Band trotz des klaren Bekenntnisses zum eigenen Frühwerk kompositorisch doch recht abwechslungsreich gibt, und die Stimmungen und Stilistika des Genres doch recht breit abdeckt, und so ist es am Ende einfach schön, dass es hier in Zeiten des Klimawandels wenigstens einen Gletscher gibt, der nicht zurückgeht, sondern seinen Einfluss ausdehnt. Wer seinen US-Metal klassisch, spielerisch Kompetent und mit feiner Sirenenstimme am liebsten mag, der sollte dem GLACIER-Comeback in jedem Fall eine Chance geben.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle