GOLD - No Image
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2015
Mehr über Gold
- Genre:
- Dark / Avantgarde Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Ván Records
- Release:
- 24.10.2015
- Servant
- Old Habits
- O.D.I.R.
- Shapeless
- Tar And Feather
- The Controller
- The Waves
- And I Know Now
- Don't
- Taste Me
Terror und Smilies.
Diesmal kommt mir das Gelände des Oktoberfestes besonders riesig vor. Irgendwie hat mich dieses Volksfest in den letzten Jahren immer sehr beeindruckt und erfreut, diesmal erschreckt es mich aber auf seltsame Weise auch ein wenig. Es ist diese einfach unnatürlich große Menge feiernder Menschen und es ist, wie diese aussehen und was sie tun. Die meisten torkeln mit bunten Trachten durch die Gegend, immer mit Wachhund-Blick auf ihre Smartphones, es sein denn sie haben im Festzelt einen anderen Trachtenträger erobert oder mit den Maß maßlos übertrieben. Ja, auch ich habe diesen Abend deren zwei intus, habe Lederhos’n an und habe ausgelassen gefeiert, bevor ich meine Leute nach temporärem Verlust des Orientierungs-Sinnes nicht mehr finden konnte. Vielleicht kommt dieses seltsame Gefühl auch von daher, doch ich muss beim Anblick der ganzen Leute irgendwie an lebendige Emojis - sozusagen die nächste Evolutions-Stufe der Smilies - denken. Diese repräsentieren zwar unterschiedliche Stimmungs-Attribute, sind aber im Wesen doch alle gleich. So kommen mir die betrunkenen Wies’n-Besucher wie die Menschwerdung der digitalen Welt vor, die ja in allen Bereichen des Lebens auf beängstigende Weise Besitz von uns ergriffen hat.
Aber was hat dies alles mit GOLD zu tun, dieser holländischen Rock-Kapelle, die mit "Interbellum" ein Album heraus gebracht hat, das viel viel öfter bei mir lief als meine sieben Pünktlein im Soundcheck 12/2012 erahnen ließen? Genau dieses GOLD zeigt sich auf den jüngsten Promo-Fotos auch nicht mehr mit seinen realen Gesichtern, sondern setzt sich Emojis auf und sendet Promo-Texte voller quietschebunter Smilies, die jedoch in starkem Kontrast zur Musik und der künstlerischen Botschaft des aktuellen Albums "No Image" stehen. Im Video zum Opener 'Servant' thematisiert die Band die haarsträubende Schizophrenie der modernen Welt, die irgendwie zwischen Terror und Selfies stattfindet. Jeder, der möchte kann sich im Internet die Kehrseite der bierseligen Oktoberfest-Kultur ansehen. Zu welchen Grausamkeiten der Mensch gegen sich und seine Umwelt fähig ist - vermutlich schon immer fähig war - ist nun für jeden zugänglich und ungeschönt anschaubar, und GOLD schockiert mit einer umfassenden Zusammenfassung dieser Realität: Exekutionen, Folterungen, Hungersnöte, verelendete Slums, die breitflächige Vernichtung von Landschaft und Kultur und Lebewesen, die unfassbaren Gräueltaten in der modernen Massentierhaltung... Und ich gebe zu, ich und vermutlich jeder andere normale Bundesbürger ist beim Anblick solcher Bilder einfach nur fassungs-, macht- und hilflos. Und verdenke von daher keinem, wenn er sich lieber in die heile virtuelle Facebook-Welt zurückzieht oder aber sich in seine Tracht stürzt und gepflegt volllaufen lässt.
"No Image" von GOLD hingegen wird vielleicht nur für die allerwenigsten von uns Realitäts-Flüchtlingen genießbar sein. Die Musik zielt nämlich auf eben die dunkle Seite des menschlichen Daseins ab, und zwingt den Hörer unweigerlich, sich damit auseinanderzusetzen. "Die Welt hat etwas besseres verdient als Menschen" sagt ein Kollege im Forum zum dem abgrundtief schwarzen "Humor" des 'Servant'-Videos. Und "Grauenvolle Anti-Musik" nennt ein anderer Kollege GOLDs klangliches Statement zur Lage der Welt. Doch GOLD-Fans sollten hierbei nicht beleidigt sein. Denn die Musik ist tatsächlich sehr schroff, kantig und vom Grundsound her fast sogar hässlich geworden. Der warme Retro-Sound des Debüts ist Geschichte, auch die netten Songs wie 'Love, The Magician' wurden von der Wucht der bitteren Realität zermahlen. "No Image" widersetzt sich musikalisch aller ästhetischen Aspekte der konventionellen Rockmusik, und ist damit genau das, was auf dem Promo-Zettel steht: Das was übrig ist, wenn alles kaputt geht, ein Post-Irgendwas. Und dieses Etwas rockt nicht und fühlt nicht. Es kaut und nagt wie eine Kanalratte an einem verfaulenden Knochen, hat oft einen unbarmherzigen, mal malmenden, mal gnadenlos voran peitschenden Beat, die Gitarren schrammeln und kratzen und Gitarrensoli sind dissonante, in die Ohren schneidende Effekt- und Feedback-Orgien (z.B. 'Old Habits').
Doch trotz allem ist "No Image" eine Platte, die mich in ihrer Gesamtheit total vereinnahmt. Es ist nämlich keine blinde Haudrauf-Musik, wie man aus der obigen Beschreibung vielleicht schliessen könnte. Vielmehr kehrt GOLD alle Scherben nach der Zertrümmerung von "Interbellum" wieder auf und macht daraus ein ganz eigenes, schaurig schönes Kunstwerk. Aus den oft trostlosen Song-Gebäuden schälen sich immer wieder Akkordfolgen und Melodien heraus, die sich mit dem bitteren Mandel-Aroma von Blausäure in die Hirnrinde ätzen und Neuronen-Konstallationen fördern, die mir suggerieren wollen, diese Musik wäre großartig - und auf eine ganz sonderbare und subtile Art sogar schön. Einen wesentlichen Anteil daran hat auch die Stimme von Frau GOLD, die ihr tonales Spektrum zwar meist auf ein Minimum reduziert hat, dafür jedoch jedes gesungene Wort zu Diensten dieser einzigartigen Hör-Stimmung irgendwo zwischen Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Resignation auf der einen Seite, aber auch Hoffnung, Aufbruch und Zukunftsvision artikuliert. Als würde sie den Schmerz umarmen und lieben lernen. Nein, es ist nicht alles schlecht in der realen wie der GOLDenen Welt. Und so geht auch der schlimmste Wies’n-Kater wieder vorbei, wohingegen die Musik von GOLD mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr lange bei mir hängen bleiben wird. Eben weil sie so ist wie sie ist. Wer Fühler für eine solche Kunst hat, wird dieses Album lieben!
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Thomas Becker