HEIR APPARENT - The View From Below
Auch im Soundcheck: Soundcheck 10/2018
Mehr über Heir Apparent
- Genre:
- US Metal / Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- No Remorse Records
- Release:
- 15.10.2018
- Man In The Sky
- The Door
- Here We Aren't
- Synthetic Lies
- Savior
- Further And Farther
- The Road To Palestine
- Insomnia
Das Comeback - und es ist gut geworden.
29 Jahre sind vergangen, seit HEIR APPARENT sich mit "One Small Voice" verabschiedet hatte. Weitere drei Jahre ist es her, dass "Graceful Inheritance" veröffentlicht wurde, einer der ganz großen Klassiker der Metal-Historie. Nun sind die Jungs aus Seattle mit "The View From Below" zurück, und natürlich stellt sich die Frage: Können die Jungs nach so langer Pause noch mal so richtig was bewegen in der Szene, oder kommt ein halbgares Album zum Vorschein, wie bei viel zu vielen Reunions? Dass die Vocals keinen Grund zur Besorgnis liefern würden, war allen klar, die die Band mit Will Shaw am "Keep It True"-Festival gesehen hatten, und auch das schon vor Monaten veröffentlichte Artwork weckte große Hoffnungen. Und die Tatsache, dass Tom Hall als Produzent zurückkehrt ("Graceful Inheritance" und "Queensryche" sind ja gute Beispiele für überragenden Sound), lässt die Erwartungen dann fast ins Unermessliche steigern.
Nun gut, mittlerweile lief "The View From Below" hier fast zehn Mal, und ich bin ziemlich begeistert. 45 Minuten Spielzeit werden geboten, und die Band kopiert ihren Stil früherer Alben nicht, sondern setzt neue Akzente. Wer jetzt Angst bekommt, darf sie getrost wieder fahren lassen, denn musikalisch orientiert man sich am QUEENSRYCHE-lastigen Prog-Metal der späten achtziger und frühen neunziger Jahre. Die Produktion ist klar und druckvoll, der Gitarrensound warm und angenehm, die Riffs sind aber eher erst beim dritten oder vierten Durchlauf begeisternd. Das ist aus meiner Sicht ein gutes Zeichen, denn auch "Graceful Inheritance" öffnete sich erst nach längerer Einarbeitungszeit.
Beim im Midtempo angesiedelten Opener 'Man In The Sky' begeistert Sänger Will Shaw. Mancher Hörer redete schon von angezogener Handbremse, ich höre das hier anders: Die Band erinnert mich stark an DREAM THEATER 1992, und da brauche ich keinen verkappten Speed Metal. 'The Door' kennen sicher etliche schon, der Song kursiert ja schon eine Weile auf YouTube und erinnert auch stark an "Images And Words", übrigens durchaus auch von den Vocals her. Das groovige Gitarrenspiel erinnert jedenfalls stark an Petrucci. Eine ganz feine Ohrwurm-Nummer, die auch live super klappen sollte. 'Here We Aren't' ist dann ein klein wenig unscheinbarer geraten; die Nummer ist nicht schlecht, fällt aber doch ein wenig ab. Durch den guten Gesang wird der Track zwar irgendwie gerettet, aber auf einer Scheibe wie "Graceful Inheritance" hätte es so einen Song eben nicht gegeben. Auch mit 'Synthetic Lies' wird das Tempo nicht angezogen, trotzdem fasziniert mich dieser Song mit den mystisch angehauchten Gitarrenklängen und hätte auch auf "Awake" von DREAM THEATER gut funktioniert. Stellt euch DREAM THEATER ohne die ganzen Solo-Ego-Ausflüge vor, dazu eine Portion QUEENSRYCHE, und ihr wisst ganz gut, wie "The View From Below" klingt. Mit 'Savior' kommt dann, schon fast ungewohnt, eine schnelle Nummer. Auch das können die Jungs von der Westküste 2018 (nebenbei: feine Gitarrenlinien!).
Anschließend erklingt 'Further And Farther', und ganz klar: Dieser Titel sollte in etlichen Jahres-Endlisten auftauchen. Das ist wunderbarer, melodischer und leicht progressiver US Metal. Unfassbar, wie emotional der Song auf Dauer wird, noch dazu ein absoluter Ohrwurm, gerade im Instrumentalbereich. Genial, und klar der Übersong dieser Platte. Das Top-Niveau kann so natürlich nicht mehr ganz gehalten werden - sonst hätten wir es mit einem 10-Punkte-Album zu tun. Aber auch 'The Road To Palestine' ist wieder richtig stark geworden, was nicht zuletzt an der kreativen und eigenständigen Gitarrenarbeit liegt. Vom Flair her erinnert mich das Stück an die völlig unterschätze letzte WARLORD-Scheibe ("The Holy Empire"). In die Schlussphase geht es mit 'Insomnia'. Das anfängliche Glockenspiel wirkt mir arg weihnachtlich. Aber egal, es gibt noch eine gute Schlussnummer.
Aus meiner Sicht gibt es mit 'Here We Aren't' einen Ausfall, und sonst sieben starke Songs, von denen einer sogar in den Weltklasse-Bereich hinein ragt, wobei natürlich Will Shaws überragender Gesang wie ein Leuchtturm alles überstrahlt. Für Fans der Band lohnt es sich dennoch, erstmal reinzuhören. Die Band klingt nicht wie 1986, und ich behaupte: Das ist auch gut so. Man hat sich definitiv weiterentwickelt: Das Fundament bleibt klar der US Metal, aber die Prog-Schlagseite ist mittlerweile deutlich stärker zu hören.
Ich bin begeistert und werde das Album noch gerne hören. Wahrscheinlich kein Klassiker, doch HEIR APPARENT hat sich mit "The View From Below" mehr als achtbar aus der Affäre gezogen.
Anspieltipps: The Door, Further And Farther.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Jonathan Walzer