JANE'S ADDICTION - Strays
Mehr über Jane's Addiction
- Genre:
- Alternative Rock
- Label:
- Capitol / EMI
- Release:
- 21.07.2003
- True Nature
- Strays
- Just Because
- Price I Pay
- The Riches
- Superhero
- Wrong Girl
- Everybody's Friend
- Suffer Some
- Hypersonic
- To Match the Sun
Es wird meistens recht problematisch, wenn die alten Helden aus der eigenen Jugend noch einmal aus der scheinbaren Versenkung auftauchen und (in den häufigsten Fällen aus Geld- oder Erfolgsmangel mit ihren neuen Projekten) ein weiteres Album einspielen. Viel zu oft muss der Konsument in solche Fällen Halbgares hinnehmen, das eigentlich neben dem Nostalgiewert kaum etwas, sprich wirklich gute Musik, bieten kann.
Die Kalifornier JANE'S ADDICTION haben derartige Probleme nicht, obwohl sie als Gruppe eigentlich zu 100% in dieses Raster fallen: Ihre letzte 'richtige' Studio-Platte "Ritual De Lo Habitual" liegt 13 Jahre zurück, dazwischen gabs irgendwann noch das B-Seiten-Album "Kettle Whistle" (1997) und ansonsten nur Funkstille. Ausnahmegitarrero Dave Navarro verdingte sich bei MARILYN MANSON, den CHILI PEPPERS und kurzzeitig auch bei den nur noch aus Axl bestehenden GUNS'N'ROSES und veröffentlichte eine hochwertige, aber weitgehend unbeachtete Platte unter seinem eigenen Namen, während Perry Farell auf Solopfaden sich seiner Liebe zu experimentellerer und elektronischer Musik nachgab und von den anderen beiden kaum mehr etwas zu hören war.
Dass mit "Strays" im Jahre 2003 eine weitere Studioplatte erscheint grenzt eigentlich an ein Wunder, an das selbst bei den Beteiligten zwischenzeitlich wohl kaum einer mehr geglaubt hätte: Zwar war die Band nie offiziell aufgelöst worden, aber außer ein paar vereinzelten Shows in den vergangenen Jahren und undifferenzierten Gerüchten über ein neues Werk hörte man kaum etwas von den vier extravaganten Musikern.
Umso erstaunlicher ist es, was die wieder zueinander Gefundenen auf ihrer neuen Platte "Strays" bieten können: Spannenden Alternative Rock vom Feinsten, einen Sänger, der seine hohe und nasale Stimme wie eh und jeh auf schwindelerregende Achterbahnfahrten schickt und ein Gefühl, dass vermittelt, das hier an Spielfreude kaum mehr möglich wäre. Dazu: Tolle Gitarrenarbeit, die nie ausufert, sondern sich stehts dem Lied unterordnet, und herausfordernde Songstrukturen wie man sie von JANE'S ADDICTION liebt und kennt. Kurzum: Die Jungs sind immer noch in Top-Form, auch wenn es hier und da noch nicht wieder perfekt funktio- und harmoniert.
Bereits die Single 'Just Because' könnte archetypisch für dieses Album stehen: Aussergewöhnliche und trotzdem zweckdientliche Riffs bilden zusammen mit der tadelos arbeitenden Rhythmussektion und einer für die Band typischen Art von Refrain einen Song, der sich erst nach einiger Einarbeitungszeit in das musikalische Hirn frisst, um sich dort dafür umso mehr festzusaugen und für einige Wochen nicht mehr wegzugehen.
Die restlichen zehn Tracks funktionieren im Grundsatz genauso: Mehrere Durchläufe sind bei dieser Platte oberste Zuhörerpflicht, sie entlohnt den geduldigen Musikrezipienten dafür allerdings auch mit einigen wirklichen Perlen und vielen grundsoliden Rocktracks, wie beispielsweise den Titeltrack 'Strays', der wie so vieles hier durch eine aussergewöhnlich starke Gitarrenarbeit und viele songwriterische Breaks glänzt.
Die richtigen Highlights sind relativ leicht zu erkennen: Das irgendwie balladeske und doch fußwippend-ausufernde 'Wrong Girl' könnte als Nachfolger von 'Jane Says' in die Geschichte der Band eingehen, wohingegen 'Everybodys Friend', aus lediglich einer Akustik- und einer solierenden Elektrogitarre gebaut, ein grundlegendes Verständnis von der hier herrschenden Herangehensweise an Songwriting im Allgemeinen liefert und dazu noch ein sehr eingängiger und von schlichter Schönheit getragener Song ist.
'Suffer Some' und der ursprünglich als Titeltrack angedachte Rhythmus-Klopper 'Hypersonic' bilden leider im Anschluss die schwerverdaulichen Teile der Platte: Zu Psychedelisch, zu zerfahren wirken die beiden Songs selbst nach Dauerkonsum, obwohl sie teilweise irgendwie hängen bleiben.
Dafür wird der JANE'S ADDICTION-Fan im Anschluss noch einmal für die über fünfjährige bange Wartezeit auf "Strays" mehr als entschädigt: Die fünfeinhalbminütige Halbballade 'To Match the Sun' ist einfach grandios - Perry Farrell singt sich durch alle Tonlagen und Geschwindigkeiten während Navarro für den Track eine dermassen atmosphärische Riff- und Melodieuntermalung hinzaubert, dass man seinem Ruf als Gitarrengott in Stein meißeln möchte und den Sonnenuntergang förmlich sehen kann, wenn diese Platte mit einem ihrer Highlights endet.
Es ist schwer vorrauszusagen, was dieses Album bringen wird: Für die vielen JANE'S ADDICTION-Begeisterten von damals, heute Mitte Zwanzig, ist sie zweifellos ein tolles Wiedersehen mit alten Bekannten, an den Jüngeren dagegen könnte "Strays" mit seiner Früh-90er Ästhetik, seinen nicht direkt bei ersten Hören zündenden Strukturen und seinen 'altmodischen' Gitarrensolos spurlos vorbeigehen. Es spricht zweifellos für die Band, dass sie ihren Sound nicht irgendwelchen Trends angepasst haben; ob das allerdings nicht doch in ein kommerzielles Disaster führen wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre der anscheinend immer noch sehr starken Band auf jeden Fall ein zweiter Frühling wie ihn unlängst die mit ihnen eng befreundeten RED HOT CHILI PEPPERS hingelegt haben.
Solides Comeback mit kleineren Schönheitsfehlern.
Anspieltipps: Strays, Just Because, Everybody's Friend, To Match the Sun
- Redakteur:
- Sebastian Baumer