KRISTIAN HARTING - The Fumes
Mehr über Kristian Harting
- Genre:
- Dark Blues/ Dark Folk/ Singer/Songwriter
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Exile On Mainstream Records
- Release:
- 24.01.2020
- Falling
- Rat In The Room
- Clueless
- Houses Of The Holy
- Miracles
- The Exhaust
- Violins
- Weightless
- Fool For Change
- Mother And Daughter
- The Fumes
Ich fange schon mal meine Liste für 2020 an...
Eigentlich muss ich gleich wieder einen Jahresrückblick 2020 schreiben. Denn dann kann ich meine Liste der Besten des Jahres beginnen. Und Kristian Harting daraufschreiben. Gleich festhalten für die nächsten Alben, die da kommen. Zum Vergleich.
Gerade eben sind die zwölf Monate mit der Zweinull hintenan angebrochen. Ich sitze hier und bin glücklich. Was der Mann alles kann! Verwurzelte, anspruchsvolle, vertrackte Alben schreiben. Aber 2019 auch ein einfaches, düsteres, melancholisches, aber auch sehr wunderschönes Album kompponieren. Und das erwartet der blondgelockte Däne selbst von dieser seiner Musik. 2014 erschien "Float", 2015 "Summer Of Crush", beide auf dem Brandenburger Label Exile On Mainstream Records. Beide ganz in sich, für sich. Nun "The Fumes". Das sind namentlich kleine, nicht sehr nachhaltige Glücksfetzenmomente, die wir alle kennen. Die einen den kraftzehrenden Trott ertragen lassen. Mal in einem eigenen, inneren Lächeln hochschimmern oder sich mit sich im Reinen fühlen lassen, dann für eine sehr gute Sekunde. Ich glaube, jeder kennt das. Kristian Harting sagt selbst, es ist wütendes Album, da wir es nicht vermögen, diese kleinen "The Fumes" zusammen zu erleben. Jeder strebt nach den ganz eigenen Momenten. Wer aber schon einmal das Glück hatte, dass Fumes-Momente mit denen anderer Leute zusammenpassten, wird genauso melancholisch danach gieren. Wie der Kopenhagener Herr Harting. Und mit dieser Sehnsucht hat er Recht. Wir vermissen das Gemecker der Spatzen, wie zu hören im Hintergrund seines 'Miracles'. Aber erst, wenn wir es hören. Wir haben vergessen, auf uns selbst zu hören. Wegen nervender 9-bis5-Arbeitstage. Weil die Reize zu viel, zu dröhnend, zu allgegenwärtig sind.
Und daher ist es dem Mann sehr hoch anzurechnen und ein Meisterstück, mit den einfachsten Mitteln eines gewachsenen Indie-Rock-Pop-graduierten Musikverständnisses, diese sehr vetrackten und schweren Gefühle in Noten zu bringen. Ja, düster ist es, dieses "The Fumes", schwerherzig, drückend, aber imer nach dem Schlitz im Samtvorhang suchend, der Resignation sehr nahe, aber doch weichherzig, schmeichelnd und vor allem: wunderschön. Wie er in 'Rat In The Room' die Westernballade neue erfindet, ohne idiotische Selbstzerstörung zu betreiben, wie 'The Falling' gleich zu Beginn in die Seele geradezu hineintröpfelt. Und dort festkleben bleibt.
Schon im Dezember des letzten Jahres musste ich eines Nachts viel allein durch die tiefe, dustere, kalte Stille fahren. Des selben Morgens davor hatte ich "The Fumes" gefunden. In einem Pappschuber, auf dem Harting sich neben einem befreundeten Sperling zeichnen ließ, beide im Profil. Ich fuhr los, die ersten Meter waren schnell geschafft, und schon hatte mich diese Musik eingekesselt. Jetzt und heute, einige Tage und Ganzdurchläufe später, da geht es mir genauso. Wer hat das zuletzt geschafft? Ich muss lange nachdenken.
Wohin ich auch klicke, alle elf Stücke sind Originale, Erlebnisse und in ihrer Gemeinsamkeit sowieso kaum zu schlagen. Jeder der Teile steht aber auch für sich. Und das ist ein seltener Effekt in einem Album. Gemeinsamkeit, ohne zusammen zu gehören. Schön, wie Harting die Hintergründe der Stücke beschreibt: zumeist ganz allein auf Tour, von Ort zu Ort, schleicht sich diese Gefühl ein, vor immer wieder abendneuem Publikum ganz allein zu funktionieren, ohne mal ein Lächeln von Mitmusikern zu ergattern oder jemandem erzählen zu können, dass man gerade auch Scheiße geschlafen hat. Gut - kann man da unken – selbst schuld, aber der Mann hat es geschafft, wichtigen Teilen seines Lebens Töne zu geben.
Bin ich neidisch! Traurigkeit für die Ewigkeit, bereit, von anderen abgeholt zu werden. Wie diese Brian Eno-Orgel im Hintergrund von 'Houses Of The Holy' die immer mitwinkt und das Ende des Stückes dann auch gänzlich übernimmt. Vorher hat sich Harting durch diesen Song geharmt, der in meinen Ohren ganz nah an der Perfektion ist. Und da habe ich lange nachgedacht, ob ich den Begriff benutze. 'Houses Of The Holy' ist das Königslied, umarmend, aufregend und auch tanzbar.
Zusammen mit 'The Falling' und besagtem 'Miracles'. Und auch 'Violins', der ebenso sehr fesselnd ist, aber auf seine ganz eigene Weise. Einem "Stranger Things"-Thema folgt nach abruptem Break der gesungene Wunsch nach Stetigkeit und Berechenbarkeit. Wie es vielleicht der Klang der Violine hervorrufen kann. Den hört man dann auch in 'Weightless', wie er dafür sorgt, das sphärische Stück am Leben zu halten und bis zum Ende zu führen. "Fool For Change" stellt wiederum im Gedenken an die tolltraurigen Indiegitarren dieser Welt viel Platz dafür bereit. Hatte man schon oben im Titelstück gehört, wo einen die mutiger werdende Slide nach außen zum Rauchen gebracht hatte.
'Mother And Daughter' ist begleitet von einem offensiven Bass und Schlagzeug, was insgesamt betrachtet eine richtige Entscheidung für das Album war. Denn so behalten alle Stücke auf "The Fumes" auch eine gewissen Direktheit und Stärke. Neben ihrer wohltuendne Zerbrechlichkeit. Das Titelstück scheint eine gesprochene Endabrechnung zu sein. Wut auf Dich selbst, so ein Leben zu führen, Herr Harting?
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben