PSYGNOSIS - Neptune
Mehr über Psygnosis
- Genre:
- Atmospheric Extreme Metal / Instrumental / Progressive
- Label:
- Dooweet
- Release:
- 28.04.2017
- Phrase 7
- Psygnosis Is Shit
- Boctok
- Storm
- To Neptune
- Mûe
- Psamathée
- Śūnyatā
- Nirvāna
Extrem schön, extrem furchterregend - extrem in jederlei Hinsicht!
Ich gebe offen zu, mir am neuesten Irrsinnsstreich der Franzosen von PSYGNOSIS die Zähne ausgebissen zu haben und nun die schreiberischen Waffen strecken zu müssen. Was soll man zu diesem Monstrum von Album sagen? "Neptune" ist sicherlich eine der krassesten, anstrengendsten, aber auch durch und durch musikalischsten Veröffentlichungen des laufenden Kalenderjahres. Nichts, aber auch gar nichts ist hier "normal". Ob man sich diesen überverdichteten Stoff, diesen maximal ausgereizten Brückenschlag zwischen abgrundtiefer musikalischer Schwermut und akustischem Gewaltverbrechen antun möchte, kann nur höchst individuell beantwortet werden.
Daher so gut es geht an dieser Stelle die vermeintlich objektiven Fakten: Bei PSYGNOSIS handelt es sich um eine vierköpfige Band aus Frankreich, die auf ein gutes halbes Dutzend Releases zurückblicken kann. Kollege Becker beschrieb den 2014er Output "Human Be[Ing]" als "Atmospheric Extreme Metal", was als grober Umriss gar nicht so unpassend klingt. Seinerzeit war noch die Rede von garstigem gutturalem Gesang – "Neptune" ist nun eine rein instrumentale Angelegenheit. Und kaum in feste Kategorien zu pressen. Enorm atmosphärisch, mit einem alles dominierendem Cello, das allerdings oftmals genüsslich sämtliche Begriffe von Harmonie mit dissonanten bis atonalen Klängen zerreißt. Der Metal kommt wiederum auf ziemlich schwer greifbare, aber umso verstörendere Weise ins Spiel, nämlich als pechschwarze Mischung aus Death, Black, Progressive, Industrial und Post Metal. Referenzen aufzuführen wäre gefährlich irreführend, dennoch sollte der Anschaulichkeit halber erwähnt werden, dass solch unterschiedliche Acts wie IGORRR, MESHUGGAH, GRORR oder auch THE OCEAN bei PSYGNOSIS hörbar werden.
Der Auftakt ist Gänsehaut pur, eine Cello-Linie, die alle Schwermut dieser Welt auf sich geladen hat, ehe erste industrielle Rhythmen einsetzen und eine russische (?) Grabesstimme einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Doch irgendwann explodiert 'Phase 7' vollständig in vertracktes Prog-/Death-Gehacke, die Streicher werden intensiviert und beginnen menschliche Nervenstränge zu zerfetzen, während progressive, vertrackte Gitarrenriffs den Untergrund zerstückeln. Zwölf Minuten lang durchleidet man eine akustische Marter, die nur durch zwischenzeitliche Rückkehrer in melancholisch-harmonische Gefilde erträglich wird.
Dass an 'Phase 7' ein MESHUGGAH-artiges Prog-Extreme-Avantgarde-Ungetüm namens 'Psygnosis Is Shit' angehängt wird, soll wohl ausdrücken, dass sich unsere westlichen Nachbarn der Wirkung ihrer grenzwertigen Musik durchaus im Klaren sind. Doch wie soll man diese 77-minütige Tortur ertragen, ohne vorzeitig die Segel zu streichen? Mir ist es tatsächlich kein einziges Mal gelungen, "Neptune" am Stück zu durchleiden. Nur in Etappen ging es vorwärts; irgendwann war mein Nervenkostüm bis zum Bersten ausgereizt und sämtliche Energiereserven aufgebraucht. Dieses in jederlei Hinsicht gewagte Wechselspiel der Extreme gönnt der ahnungslosen Hörerschaft kaum Anhaltspunkte – außer diesem Horrorrefugium von einem Cello, das sich mitten durch die Gehirnhälften fräst und selbst den rationalsten Menschen bei Tageslicht und Sommerwetter an furchterregende Dämonenwesen glauben lässt.
Wie soll man den sprichwörtlichen 'Storm', ein bestialisches, zehnminütiges Gemetzel überstehen? Wie den dreizehnminütigen Titeltrack fassen, in dem zunächst vier Minuten lang nur ein paar Glockenspielschläge zu hören sind, ehe sich die Band wieder in blinder Raserei über ihre Hörerschaft hermacht? Brutal. Einfach nur brutal. Ich verzichte auf eine Benotung dieser grauenhaft faszinierenden akustischen Vergewaltigung, die zugleich eines der kunstvollsten, abgrundtiefsten Werke darstellt, das je die Welt des Metals heimgesucht hat.
- Redakteur:
- Timon Krause